Michael Flender investiert seit 14 Jahren an der Börse. Schon seit Jahren bestreitet der studierte Wirtschaftsinformatiker seinen Lebensunterhalt mit Aktienhandel: Flender, 38, ist also ein Daytrader, der schon morgens um 7 Uhr am Terminal sitzt und manchmal bis spät in die Nacht die Märkte beobachtet.
Vermögen für andere verwaltet der Frankfurter nicht. Er lässt seine Community aber an seinem Wissen und seinen Erfahrungen teilhaben. Dazu betreibt er den Blog Goldesel Trading & Investing und nimmt Podcasts auf. Er betreibt zudem zwei Wikifolios und ist auf Instagram und Youtube aktiv.
Im Interview berichtet er über seine Erfahrungen als Daytrader, spricht über Langfrist-Investments und sagt, was er von den Märkten in nächster Zeit erwartet.
In der Schweiz redet man nicht so gern über Einkommen. Trotzdem die Frage: Was verdient man mit Daytrading?
Michael Flender: Das ist natürlich sehr unterschiedlich. Ich habe auch einmal mit einem Depot 100'000 Euro in drei Monaten verdient. Manche verdienen Hunderttausende im Monat. Es gibt Phasen, wo man vier Wochen gar nichts verdient oder sogar Verluste macht. Es hängt davon ab, wie viel Kapital man einsetzt.
Mit wie viel Kapital fingen Sie an?
Mit ungefähr 10'000 Euro. Damals lebte ich noch bei den Eltern, habe aber schon gearbeitet. Dann entwickelte sich das Trading mehr und mehr, aber ich hatte immer noch tiefe Fixkosten. Als ich 80'000 Euro hatte, sagte ich mir: «Probier es». Mit der Zeit habe ich aber auch Trading-Gewinne in Immobilien angelegt und fing an, Dividendenaktien zu kaufen. Inzwischen habe ich eine Firma, führe einen Blog und bin auf Instagram aktiv. Dies ist jetzt auch ein Teil meiner Arbeit.
«Hebelprodukte und dergleichen sind der Grund, weswegen viele Anleger viel von ihrem Geld versemmeln.»
Verdienen Sie Geld klassisch mit Aktien oder auch mit anderen Anlageklassen? Setzen Sie viel Derivate und Hebelprodukte ein?
Hebelprodukte und dergleichen sind der Grund, weswegen viele Anleger viel von ihrem Geld «versemmeln». Ich überlebe am Markt, weil ich Aktien direkt long und short handle. Dies hat viele Vorteile: Man kann nicht pleitegehen, weil der Markt einmal gegen einen läuft. Man kann nicht ausgeknockt werden, man ist flexibel, kann tiefere Kurse auch einmal aussitzen, weil die Aktien ja meistens nicht auf null fallen. Der Nachteil ist, dass ich eine höhere Kapitalbindung brauche als bei Hebelprodukten. Da reichen 10'000 Euro nicht, um es hauptberuflich zu machen.
Andere Anlageklassen als Aktien interessieren Sie also gar nicht?
Ich bin ja auch in Immobilien investiert, wobei dies nicht zu meinem Daytrading gehört. Kryptowährungen hingegen habe ich nicht, aber ich habe das wohl auch unterschätzt. Ich habe durchaus immer noch die Meinung, dass aus Kryptowährungen wie Bitcoin nie eine richtige Währung werden wird. Bitcoin schwankt zu stark und ist ja auch von der Menge her begrenzt – für eine Währung muss aber die Geldmenge wachsen können. Aber jetzt rückt Bitcoin in den Fokus grosser Firmen und bekommt mehr den Charakter eines Wertspeichers. Dies hätte ich nicht gedacht. Aber auch als Wertspeicher ist Bitcoin einer, der sehr schwankt.
Würden Sie Bitcoin jetzt noch kaufen?
Man könnte es natürlich in einer Abwärtsphase kaufen und dann warten, bis Bitcoin wieder steigt. Wenn ich es dem Portfolio beimischen würde, nähme ich dafür nicht mehr als zwei oder drei Prozent des Vermögens. Dann lieber Gold. Wenn man diversifiziert sein und auf Stabilität setzen will, dann sollte man eigentlich nicht Bitcoin, sondern Gold setzen.
Es ist ja nicht nur Bitcoin, wo es eine enorme Rally gegeben hat: Auch Aktien wie GameStop oder AMC haben in den letzten Wochen erst mit stark steigenden und dann fallenden Kursen für viel Aufsehen gesorgt. Waren Sie da voll dabei?
Ja, aber ich war da zu rational. Bei GameStop und AMC setzte ich an Anfang auf fallende Kurse. Dabei hat es mich «zerlegt». Da zeigte sich auch der Nachteil des Shortsellings.
«Im Daytrading muss man nicht nur richtig liegen, sondern auch zur richtigen Zeit richtig liegen.»
Wegen der hohen möglichen Verluste?
Ich verkaufe Aktien ja direkt leer. Wenn man bei 100 Dollar GameStop leerverkauft und die Aktie steigt auf 200 Dollar, dann hat man den kompletten Einsatz schon verloren. Steigt die Aktie auf 400 Dollar, ist ein Vielfaches vom Einsatz weg. Und dies ist mir halt passiert. Meine Lehre daraus ist: Auch wenn es surreal oder irrational ist, diese Zocker-Trader konnten Aktien massiv bewegen.
Als Daytrader müssen Sie sich ja auch Verluste erlauben können. Ist GameStop eine der schlimmsten Verlustbringer gewesen?
Ja, in letzter Zeit schon. Ich lag zwar mit meiner Einschätzung letztlich richtig, aber zur falschen Zeit. Im Daytrading muss man nicht nur richtig liegen, sondern auch zur richtigen Zeit richtig liegen.
Wenn wir nicht nur von Negativem reden wollen – was waren den die besten Trades, an die Sie sich erinnern?
Zuletzt liefen Aktien von Brokern und Marketmakern wie etwa die Firma Lang & Schwarz sehr gut, weil so viele Leute neu an die Börse gingen. Aber ich nehme immer wieder Gewinne mit und lande damit nicht diese Mega-Profite. So lange halte ich Aktien in der Regel nicht. Ich ziehe ja auch Geld aus dem Portfolio ab, um meinen Lebensunterhalt zu bezahlen oder um neue Investments zu tätigen.
«Im Nachhinein gesehen boten sich vor einem Jahr die krassesten Chancen seit langen.»
Sind viel Volatilität oder starke Marktbewegungen, wie dieses Jahr schon vorgekommen, nicht letztlich ein Vorteil für Daytrader?
Wenn der Markt nur seitwärts läuft, ist das schon etwas schwierig. Aber dies ist normal. Es ist eine ganz gute Sache, wenn wir ordentlich korrigieren, denn damit ergeben sich neue Chancen und es gibt neue Trends.
Vor ziemlich genau einem Jahr fingen die Märkte an, wegen der Coronapandemie massiv einzubrechen. Vor ziemlich genau elf Monaten begann die Erholung. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Ich war im vergangenen März viel zu früh 'all in' wieder investiert, aber die Kurse fielen weiter. Das war schon ein brutaler Schmerz, und dies über mehrere Wochen. Im Nachhinein gesehen boten sich vor einem Jahr die krassesten Chancen seit langen. Hätte man da mutig hineingegriffen, wäre man kurze Zeit später extrem im Plus gewesen. Aber an der Börse trifft man nie genau die Tiefs und nie genau die Hochs. Dies schafft keiner. Oder wenn, dann ist es Glück.
Also sagen auch Sie als Daytrader: Market Timing funktioniert nicht. Aber Sie leben ja vom Traden. Am Ende müssen Sie ja doch etwas besser machen als der Rest der Anleger.
Kurzfristig kann man schon Stopp-Loss-Wellen oder Handelstopps ausnutzen. Man muss aber ganz generell auch gar nicht die Tiefs oder Hochs treffen, sondern Trends erkennen. Mit der Zeit sieht man die Mechanismen. Ich sehe, wenn Panik aufkommt, oder wenn Trends brechen. Unterm Strich kann ich ganz gut entscheiden, wann es besser ist, Verluste zu realisieren, oder abzuwarten und eine Position zu halten.
Als klassischer Zocker – diesen Ruf haben Daytrader ja manchmal – kommen Sie nicht herüber.
Nein, ich gehe auch nicht beispielsweise vor den Quartalszahlen von Tesla mit einem Hebel mal fünf rein und warte dann ab, ob es gut geht oder nicht. Ich schaue mir Zahlen, Erwartungen und Prognosen an und beobachte auch die Reaktion des Marktes. Marktverhalten zu beobachten hat natürlich viel mit Erfahrung zu tun.
«Jetzt fängt gerade ein Trend im Reisesektor an. Man muss ja nur logisch nachdenken, was da kommt.»
Mit Daytrading reich zu werden, davon träumen ja eigentlich alle. Warum scheitern so viele?
Viele schaffen es nicht, ihr Kapital zu schützen. Sie zocken, setzen zu viel Kapital auf eine Sache und sind sich zu sicher. Ein Beispiel hier in Deutschland war zuletzt die Varta-Aktie: Leute kauften nach, als die Kurse fielen, weil sie glauben, die Aktie müsse zwingend wieder steigen. Sie haben die Marktlage, die Zahlen und die Prognosen nicht richtig beobachtet. Aber nicht nur Daytrader, sondern auch langfristig orientierte Anleger verlieren Geld, wenn sie ihre Aktien verkaufen, wenn die Lage am schlimmsten ist. Und dann neu einsteigen, wenn schon vieles wieder eingepreist ist. Die Leute nutzen Trends nicht richtig. Man darf nicht die Nerven verlieren.
Was sind die Trends, die Sie im Moment interessieren?
Jetzt fängt gerade ein Trend im Reisesektor an. Die Leute buchen Ferien; Booking, Airbnb: Solche Aktien profitieren. Lufthansa, der Flughafenbetreiber Fraport, die Kreuzfahrtgesellschaften Royal Caribbean oder Norwegian Cruise Line – man muss ja nur logisch nachdenken, was da kommt. In England wurden über Nacht Reisen gebucht, was das Zeug hält, weil die Regierung im Juni alles wieder öffnen will. Dies wird es auch in anderen Ländern geben. Auf der anderen Seite verliert der bisherige Trend der Coronaprofiteure. Da rappelt es gerade richtig. Hellofresh, Zalando, auch all die Tech-Aktien in den USA korrigieren. Aber es ist im Moment recht unübersichtlich, das muss man schon sagen.
Also raus aus Tech-Aktien und E-Commerce?
Nicht unbedingt. Zalando beispielsweise dürfte sicherlich weiter profitieren, denn das Unternehmen wuchs schon vor der Coronakrise gut. Bei amerikanischen Tech-Unternehmen muss man kurzfristig aufpassen, aber auch da werden die Kurse wieder steigen.
Sie leben vom Daytrading, investieren aber gleichzeitig auch langfristig. Wie ist Ihr Langfrist-Engagement ausgerichtet?
Das Daytrading-Konto soll nicht unbegrenzt wachsen, deshalb verschiebe ich auch mal etwas ins Langfristdepot. Ich habe auch schon ziemlich lange ein Dividendendepot für 'sichere' Einkünfte. Daneben unterhalte ich ein Depot mit Wachstumsaktien. All das ist auch mental wichtig: Je nach Marktphase läuft das eine oder das andere besser.
Wie verhalten sich die Anlagestile in etwa zueinander?
Das Verhältnis Daytrading und Langfristanlegen beträgt bei mir etwa 50 zu 50.
Ihr Fokus liegt auf Aktien aus Deutschland, Europa und den USA. Kaufen Sie auch Aktien aus der Schweiz?
Ich handle öfter mit der Aktie von AMS. Logitech hatte ich mir schon einmal überlegt, die laufen sehr gut. Insgesamt bleibe ich bei meinem Fokus auf Deutschland, Europa und die USA. China-Aktien habe ich mit Ausnahme von Alibaba bisher nicht gekauft, obwohl nicht per se etwas gegen diese Aktien habe. Aber bei grossen internationalen Unternehmen bin ich ja auch indirekt in China investiert.
Als Trader sitzen Sie lange vor Bildschirmen und Informationskanälen. Was machen Sie eigentlich, wenn Sie mal nicht traden – gibt es das?
Ich mache viel Sport, Crossfit, Fussball oder auch Snowboarden. Ich schaue gern Serien und gehe mit Freunden aus. Man muss auch mal Abstand von den Bildschirmen haben, sonst sieht man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Der Sport mir hilft auch dabei, die Gedanken wieder zu ordnen.
Dieser Beitrag erschien erstmals auf «Cash.ch» unter dem Titel: «Ich habe mit Aktien schon 100'000 in drei Monaten verdient.»