BILANZ: Mr. Chopra, Ihr Vater war ein prominenter Herzspezialist in Indien. Inwieweit hat Sie das in Ihrer Berufswahl beeinflusst?

Deepak Chopra: Mein Vater war mir eine grosse Quelle der Inspiration, auch weil er stets in sich ruhte, nie laut wurde. Er hat uns zwei Kinder fast wie Prinzen erzogen, hat uns erzählt, dass es deren Geburtsrecht sei, alle Wünsche erfüllt zu bekommen. Ich selbst wollte zunächst nicht Arzt, sondern Schriftsteller und Journalist werden.

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Was hat Sie dann doch dazu gebracht, den beruflichen Spuren Ihres Vaters zu folgen?

__ Spätestens im College fühlte ich mich zum Mediziner berufen. Es war ein sehr wichtiger Teil meiner Kindheitserfahrung, meinen Vater bei der Heilung von Menschen zu beobachten. Er war nicht nur ein berühmter Kardiologe, sondern auch jemand, der sich um seine Patienten kümmerte, selbst wenn er nicht im Krankenhaus oder in seiner Praxis war. Mein Vater war stets ein grosses Vorbild für mich.

Den Wunsch, Schriftsteller zu werden, haben Sie sich später erfüllt – und dabei nicht nur ein Millionenpublikum erreicht, sondern auch provokante Thesen aufgestellt. So propagieren Sie in Ihrem Werk die Versöhnung von Spiritualität und «Leadership». Sind Sie ein Revisionist?

__ Wie meinen Sie das?

Spätestens in der Aufklärung war in der westlichen Welt Schluss mit der
Vermischung von göttlicher und irdischer Macht. Wollen Sie wieder zusammenbringen, was nicht mehr zusammengehört?

__ Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass die westliche Philosophie dem Menschen die Fähigkeit abspricht, das Überirdische, Spirituelle zu entdecken. Das ist jedoch der falsche Weg.

Welches ist denn der richtige? Sie plädieren für die Versöhnung von Ost und West – von Meditation, Yoga und Business.

__ Es geht darum, sich wieder verstärkt dem für die Sinne nicht Erkennbaren zuzuwenden, der Spiritualität.

Mit welchem Ergebnis im Hinblick auf Leadership?

__ Mit der Erkenntnis, dass es zu allen Zeiten spirituelle Führer gegeben hat: Jesus, Buddha, Martin Luther King, Mutter Teresa, Mahatma Gandhi, Nelson Mandela – allesamt Führungspersönlichkeiten, die andere Menschen dazu gebracht haben, ihnen zu folgen. Daran konnte auch ein Friedrich Nietzsche mit seinem Ausspruch «Gott ist tot» nichts ändern.

Für Nietzsche war jeder Gott letztlich nur eine Erfindung des Menschen.

__ Unter den europäischen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts war der Atheismus beziehungsweise Agnostizismus fast eine Selbstverständlichkeit.

In der Welt der Ökonomie ist man mit einer dem Diesseits zugewandten Haltung gut gefahren. Sinn eines Unternehmens ist es, Gewinn zu machen.

__ Moment, man stellt sich doch heute die Frage, ob es höhere Ziele als bloss Gewinnmaximierung gibt. Mir geht es darum, in Unternehmen zu klären, ob es bei ihren Tätigkeiten eine höhere Ebene gibt. Und zwar für Führungskräfte, für Kunden und für Mitarbeiter. Unternehmen, denen es nicht gelingt, glaubhaft nachzuweisen, welchen Beitrag sie langfristig für die Gesellschaft leisten, haben irgendwann ein Problem. Sie werden die besten Mitarbeiter verlieren.

Aber der Begriff Spiritualität ist in diesem Zusammenhang irreführend – er ist wissenschaftlich nicht fassbar, jeder hat seinen eigenen Zugang dazu.

__ Als Verbindung zwischen Spiritualität und Wissenschaft eignet sich der Begriff der Ethik, es geht um die Suche nach Glück und Gerechtigkeit. In Organisationen stellt sich jeden Tag die Frage, wie ich mit anderen umgehe und wie ich möchte, dass mit mir umgegangen wird.

Kann man in unserem Wirtschaftssystem wirklich die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Unternehmen stellen?

__ Man muss. Ich sehe Spiritualität, Marktwirtschaft und Management keineswegs als voneinander getrennt. Jeder Einzelne ist von seiner Geschichte und den damit verbundenen Werten geprägt.

Überfrachten wir Arbeit nicht, wenn wir uns von ihr Sinnerfüllung
versprechen?

__ Im Gegenteil, die Frage nach dem übergeordneten Sinn wird viel zu selten gestellt. Zu viele Manager haben ausschliesslich das Ziel vor Augen, finanziell erfolgreich zu sein. Letztlich geht es ja immer um Menschen, die diesen Erfolg ermöglichen.

Offenbar gibt es auch unter ihnen keine bessere Motivation als Geld. Jeder Spitzenmanager wird Ihnen bestätigen, dass ein Bonussystem am zuverlässigsten motiviert.

__ Viele Trendstudien belegen klar, dass für Menschen heute das Wohlbefinden oberste Priorität hat: das Gefühl von Wertschätzung und Zugehörigkeit, von harmonischer Beziehung mit der Umwelt.

Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz? Sind da Enttäuschungen nicht vorprogrammiert?

__ Sicher bieten nur wenige Berufe die Möglichkeit, die eigene Persönlichkeit voll zum Ausdruck zu bringen. Mancher Büroangestellte wird kaum davon sprechen, dass der Arbeitsplatz seine Berufung sei. Trotzdem kann einer seine Arbeit als befriedigende Tätigkeit erleben, die mehr ist als blosse Pflichterfüllung.

Worauf kommt es an, wenn Arbeit als sinnstiftend und befriedigend empfunden werden soll?

__ Die Zufriedenheit, der «Sinn» der Anstrengung ergibt sich unter anderem aus der Gestaltungsfreiheit, die der Arbeitsplatz bietet. Je mehr eigene Akzente der Arbeitnehmer setzen kann, desto eher wird er die Arbeit als «seine» empfinden und Spass daran haben.

Lässt sich ein Sinnverlust im Beruf durch andere Lebensbereiche
ausgleichen?

__ Je stärker jemand zeitlich durch seinen Job beansprucht ist, desto schlechter wird er seine Unzufriedenheit kompensieren können. Gefühle von Sinnlosigkeit sind Warnzeichen, die jeder Manager ernst nehmen muss. Es steigt die Gefahr der Depression oder des Burnout.

Ein Manager sagte mir neulich, ein Unternehmen sei dazu da, Probleme zu lösen, nicht Mitarbeitern einen Sinn zu vermitteln.

__ Das ist zu kurz gedacht. Ein Unternehmen und seine Führung haben die Verpflichtung, jedem Angestellten eine Vision zu bieten, eine Perspektive. Sie können das auch Spiritualität nennen.

Kann ein Unternehmen eine Seele haben?

__ Ja, jede Organisation hat eine Seele oder eine Identität. Die Seele von Nike ist der Mythos des afrikanischen Läufers in der Steppe, bei Hewlett-Packard ist es die Garage im Silicon Valley, der VW-Käfer steht für die Hippie-Bewegung. Starbucks verkörpert die Story der Yuppies, Marlboro jene des Cowboys – auch wenn dieser dreissig Jahre später an der Beatmungsmaschine hängt ...

Allesamt Mythen, zum Teil geschickt gefördert von cleveren Marketingabteilungen. Aber sind sie spirituell?

__ Sie glauben nicht, dass jede Organisation, jede Stadt, jede Nation eine Seele hat?

Ich zweifle.

__ Ihr gutes Recht. Wenn ich allerdings in einer neuen Stadt ankomme, sehe ich sofort, ob sie eine Seele hat. New York City hat eine grosse Seele, Neu-Delhi auch. Berlin ist ein Ort, von dem eine gewaltige Energie ausgeht. Mit Seele meine ich alle Beziehungen, die einen spirituellen Kontext bilden. Eine mystische Aura gegen böse Kräfte, Träume, Verrat, Liebe – alles Elemente des grossen Dramas, das wir Leben nennen. Das Gleiche gilt für Unternehmen.

Ein Beispiel, bitte.

__ Ich habe vor einiger Zeit mit der Churchill Downs Inc. zusammengearbeitet, dem Veranstalter des bekannten Pferderennens Kentucky Derby. Ich habe den CEO gebeten, mir den Zweck seines Unternehmens zu beschreiben. Er sagte, dass Churchill Downs Pferderennen veranstalte. Ich habe ihm darauf geantwortet, dass sein Geschäft die jahrtausendealte Faszination mit Pferden sei. Daraufhin hat das Unternehmen seine Strategie überarbeitet und ist heute erfolgreicher als früher.

Also geht es am Ende doch um wirtschaftlichen Erfolg?

__ Natürlich, aber eben nicht nur. Ich berate auch Frito-Lay, den weltweit führenden Snackproduzenten. Das Management hat inzwischen in seinen Leadership-Programmen Themen wie wiederverwendbare Verpackungen und umweltorientiertes Recycling aufgenommen. Ich habe neulich den Chef eines Natel-Herstellers nach seiner Mission gefragt. «Wir verkaufen Telefone», sagte er mir. Ich habe ihm geantwortet, dass er nichts weniger tut, als Kommunikation und Verständnis zwischen Menschen zu ermöglichen. Ich prophezeie Ihnen, dass Unternehmen in zwanzig Jahren völlig anders ausgerichtet sein werden als heute. Es wird in Zukunft nicht mehr um «Survival of the Fittest» gehen, sondern um «Survival of the Wisest». 
Stossen Sie nicht häufig auf Chefs, die völlig unempfänglich für derlei Betrachtungsweisen sind?

__ Ich habe kaum je einen Unternehmer getroffen, der nicht an etwas Grösseres glaubt: den Geist des Gründers, die eigene Bestimmung. Die einen waren sich dessen bewusst, sprechen aber nicht darüber. Die anderen haben es verdrängt. Von der Aussenwelt werden sie oft so gesehen, als seien sie nicht spirituell – dabei führen viele ihr Unternehmen längst unter spirituellen Gesichtspunkten. Andere wiederum legen ihre Spiritualität beim Betreten des Firmengeländes ab. Warum fällt es Menschen so schwer, das, was doch zum Menschsein gehört, zuzulassen?

Vielleicht weil es nicht darum gehen kann, das unternehmerische Spielfeld zu einem Selbstfindungs- oder Therapieplatz umzugestalten.

__ Unsinn, das will niemand. Die Hauptaufgabe eines guten Managers besteht darin, ein Verständnis zu entwickeln für das schier unendliche Potenzial, das jeder Mensch in sich trägt – und dies zum Wohle der Organisation und des Firmenwertes zu aktivieren.

Gibt es einen Typus von CEO, der besonders für die Einbeziehung spiritueller Elemente in den Unternehmensprozess geeignet ist?

__ Ich habe in meiner Arbeit verschiedene Ausprägungen von Führung erlebt: Zunächst gibt es da den Beschützertyp wie George W. Bush, der zunächst ein Angstszenario errichtet, um sich dann als Retter zu gerieren. Dann sind da jene, die materielle Reichtümer versprechen: höhere Löhne, die Segelyacht, den luxuriösen Lifestyle. Die dritte Variante sind klassische Teambuilder, etwa die Trainer erfolgreicher Sportteams. Dann gibt es den fürsorglichen Typ, Menschen wie Mutter Teresa, die mit Zuneigung und Zärtlichkeit führen. Des Weiteren sind da Erfinder, die zu kreativen Führern werden: Albert Einstein, Walt Disney oder Thomas Edison. Dann gibt es die Visionäre wie Nelson Mandela. Ich bin allerdings überzeugt: Es kommt auch auf den Einzelnen an. Dynamik und Wachstum werden in einem Unternehmen erst freigesetzt, wenn Seele und Herz sämtlicher Mitarbeiter begeistert mitspielen.

Was heute zum Thema «Spiritualität im Management» in Unternehmen zirkuliert, hätte vor zehn Jahren noch zu empörten Anrufen bei der Sektenkommission geführt. Führungskräfte, die ins Kloster gingen, Yoga betrieben oder Ayurveda-Ferien in Indien buchten, waren gut beraten,
dies nicht an die grosse Glocke zu hängen. Heute ist das Mainstream.
Auch Ihr Verdienst?

__ Ich werde mich oder meine Rolle nie zu ernst nehmen. Würde ich das tun, würde ich mir selbst eine Bedeutung beimessen, die dem widerspricht, was meine Absicht ist.

Zu Ihren grössten Anhängern gehören Filmstars aus Hollywood, Modeschöpfer, Wirtschaftsmagnaten und Pop-Superstars – Persönlichkeiten, die auch als lebende Symbole des amerikanischen Materialismus auf der ganzen Welt ihren Glanz verbreiten. Ein Widerspruch?

__ Nein, denn viele erfolgreiche Menschen sind ausserordentlich talentiert. Dennoch spüren sie oft einen Mangel an Integration in ihrem Leben und suchen nach Spiritualität und Tiefe.

Muss authentische spirituelle Lehre nicht zwangsläufig zu einer Konfrontation mit materialistischen Werten führen?

__ Materialistische Werte sind ja nicht als solche schlecht. Der Gedanke, dass Spiritualität von materiellem Erfolg getrennt werden muss, ist eines der Dinge, die dazu beigetragen haben, dass etwa Indien arm und jahrhundertelang vom Rest der Welt abhängig blieb. Das müssen wir überwinden.

Sie selbst sind ständig unterwegs, gestern waren Sie in Cleveland, morgen fliegen Sie nach Korea, Japan und Singapur, anschliessend werden Sie der Schweiz einen Besuch abstatten. Wie finden Sie die Zeit für die medizinische Praxis, zum Schreiben und Reisen, für das Familienleben und für das frühe Zubettgehen, so wie Sie es in Ihren Büchern empfehlen?

__ Ich sehe nichts von all diesen Tätigkeiten als Arbeit an. Mein Dasein ist die Quelle meiner Freude. Ich erfahre Schönheit in allem, was ich tue. Und wenn ich um 22 Uhr abends im Bett liege, habe ich nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben.

Wann fühlen Sie sich am kreativsten?

__ Ich schreibe das meiste beim Fliegen, wo ich viel Zeit habe und relativ ungestört bin. Ich meditiere immer dann, wenn sich mir eine Gelegenheit dazu bietet, mindestens anderthalb Stunden pro Tag. Einen grossen Teil meiner Zeit verbringe ich mit Patienten. Auch das ist eine Inspiration für mich.

Die traditionellen spirituellen Bewegungen haben immer behauptet, dass der Weg zu wahrer Befreiung eine höchst mühsame und alles verzehrende Anstrengung sei. Trotzdem ist eine der Botschaften Ihres Werkes, dass der Weg zu spiritueller Freiheit kein zäher Kampf sein müsse, sondern leicht sein könne und tatsächlich jedem offen stehe.

__ Manche Menschen meinen, dass alles, was alt ist, grossartig, weise und richtig sei. Ich glaube nicht daran. Auch in der sogenannten «alten Weisheit» findet sich eine Menge Unsinn. Ich hatte in meiner Jugend das grosse Glück, bei spirituellen Meistern zu lernen, welche die sorglosesten und fröhlichsten Menschen auf der Welt waren. Und für mich war Erleuchtung immer gleichbedeutend mit dieser Freude, der inneren Wesensfreude, die ich auch in Babys und Kindern finde. Ein spiritueller Meister lebt in dieser Seligkeit – anders als ein Baby versteht er sie allerdings auch.

Deepak Chopra

Deepak Chopra ist der sichtbarste Vertreter der modernen New-Age-Spiritualität, die eine Begegnung zwischen Ost und West propagiert. Der 1946 in Indien geborene Sohn eines prominenten Kardiologen studierte Medizin, wurde Internist und Endokrinologe. Parallel dazu beschäftigte sich Chopra stets mit alternativen Heilmethoden und gründete nach seiner Übersiedlung nach Kalifornien ein Gesundheitszentrum in San Diego. Seine 35 Bücher zu Führung, Selbstmanagement, Gesundheit und Spiritualität sind globale Bestseller und wurden in mehr als 25 Sprachen übersetzt. Neben seiner medizinischen und schriftstellerischen Tätigkeit berät er Firmen und Organisationen zu Themen wie Führung und Sinnstiftung.