Herr Stucker, Ihre Firma Oaklins ist auf die Begleitung von Fusionen und Übernahmen (M&A) spezialisiert. Welchen Einfluss hat die Corona-Krise auf die M&A in der Schweiz gehabt?
Jürg Stucker: Der Einfluss ist kleiner als erwartet. Aufgrund unseres M&A-Outlooks gingen wir von einem Rückgang der Zahl von Fusionen und Übernahmen um 30 Prozent im zweiten Halbjahr aus. Dieser Outlook stützt sich auf Umfragen und prognostiziert die M&A auf sechs bis zwölf Monate hinaus. Die M&A gehen jetzt aber geschätzt nur um 10 bis 20 Prozent zurück.
Wie sah es im ersten Halbjahr aus?
Der Januar und der Februar liefen noch normal. Im März, April und Mai, während des Lockdowns, sind aber viele M&A-Transaktionen gestoppt worden. Der Rückgang betrug bis zu 50 Prozent. Aber ab Juni bis heute setzte dann eine gewisse Erholung ein.
Eine Aufholjagd?
Durchaus. Einige Transaktionen werden jetzt nachgeholt. Allgemein ist wieder mehr Zuversicht da. Wir haben aber eine hybride Situation. Es gibt Branchen, die gut durch die Krise gekommen sind, und dort gibt es wieder viele M&A. Das sind zum Beispiel die IT-Branche oder die Lebensmittel-Branche. Andere Branchen haben mehr gelitten, und dort sind die Übernahmen bis heute fast ganz zum Erliegen gekommen. Das ist etwa bei den Branchen mit Nähe zur Flug- oder Reiseindustrie oder bei der Auto-Zulieferung der Fall. Hier ist dann allenfalls mit mehr Restrukturierungs-Übernahmen zu rechnen.
Was meinen Sie damit?
Es handelt sich um Notverkäufe von Firmen, die nicht mehr aus eigener Kraft überleben können. Einzelne sind jetzt bereits zu beobachten. Es sind aktuell vor allem Firmen, die schon vor der Coronakrise Probleme hatten.
Mit was muss man beim Schweizer M&A-Markt nächstes Jahr rechnen?
Es hängt stark davon ab, wie es mit Corona und der Konjunktur weitergeht. Denn die M&A-Aktivität ist eng verknüpft mit Zuversicht. Nimmt die Zuversicht ab, was die Wirtschaftsentwicklung betrifft, gehen auch die Fusionen und Übernahmen zurück.
Hängt in dem Fall die M&A-Aktivität allgemein von der Konjunktur ab?
Ja. Wenn man zurückschaut, gab es immer wieder Wellen erhöhter M&A-Aktivität. Diese korrelierten mit Phasen guter Wirtschaftsentwicklung. Das leuchtet auch ein, denn bei guter Konjunktur können Unternehmen bei einem Verkauf höhere Preise realisieren, und bei den Firmen, die kaufen, ist mehr Zuversicht und weniger Respekt vor Risiken vorhanden. In der Krise sind die Unternehmen mit sich selber beschäftigt.
Welche Bedeutung haben M&A für die Wirtschaft?
Die Bedeutung ist gross. Es geht darum, Vermögenswerte immer wieder in das bestmögliche Eigentum überzuführen. Ein neuer Eigentümer kann aus einem Unternehmen oft mehr herausholen.
Was sind günstige Voraussetzungen für eine Übernahme?
Der günstigste Zeitpunkt, um eine Firma zu verkaufen, ist, wenn diese einige Jahre prosperiert hat und gewachsen ist. Es sollte Potential für weiteres Wachstum vorhanden sein. Notverkäufe sind hingegen immer ungünstig, weil dann die Verkaufspreise tief sind.
- 139 Fusionen und Übernahmen gab es in der Schweiz in diesem Jahr bis Ende September, 20 Prozent weniger als im Vorjahr.
- 6,8 Milliarden Franken bietet Liberty Global für Sunrise in der bisher grössten Übernahme in der Schweiz 2020.
- 35,5 Prozent der im Jahr 2020 übernommenen Schweizer Unternehmen wurden von inländischen Firmen gekauft.
- 666 Milliarden Dollar war der Wert der im weiten Quartal 2020 weltweit übernommenen Firmen – halb soviel wie im Vorjahr.
Ist es für den Käufer ebenfalls von Vorteil, ein prosperierendes Unternehmen zu übernehmen?
Nicht unbedingt, weil ja dann der Preis hoch ist. In Krisensituationen wären viele Unternehmen günstiger zu haben. Aber es braucht dann mehr Mut, um einzusteigen.
Auf was muss bei Übernahmen geachtet werden, damit diese gelingen?
Auf Verkäuferseite sollte die Firma fit gemacht werden. Eventuell können gewisse Umstrukturierungen vorbereitend vorgenommen werden, wie etwa die Ausgliederung von Liegenschaften. Der Verkauf läuft am besten aus einem Guss ab.
Und auf Käuferseite?
Hier ist es wichtig zu wissen, wie man über Akquisitionen wachsen will und welche Strategie man verfolgt. Dann geht es selbstverständlich darum, die potentiellen Übernahmekandidaten gut zu prüfen, um einen fairen Preis auszuhandeln.
Welches sind häufige Fehler?
Häufig wird eine Übernahme zu wenig gut vorbereitet, oder es werden seitens der Verkäufer inkonsistente Informationen abgegeben. Bei den Käufern kommt häufig vor, dass keine solide Strategie für M&A ausgearbeitet wurde.