Es geschah plötzlich: In nur drei Tagen ist der Nasdaq-Composite-Index Anfang September um 10 Prozent eingebrochen, nachdem er allerdings seit März drei Viertel an Wert zugelegt hatte.
Einige Aktien hatten noch grössere Abgaben verzeichnet, zuvor aber noch höhere Kursgewinne erreicht, wie die Papiere des Elektroautobauers Tesla: Sie hatten sich vom Tiefpunkt im März versiebenfacht, bevor sie innerhalb weniger Tage um über einen Drittel abrutschten. Ist die Korrektur nur ein vorüberziehendes Herbstgewitter oder Vorbote für eine grössere Abwärtsbewegung?
Dr. Jörg Zeuner ist Chefvolkswirt und Leiter Research & Investment Strategy bei Union Investment.
Die Experten von Union Investment gehen davon aus, dass Technologieaktien insgesamt gut unterstützt bleiben dürften. Es wurde eher etwas heisse Luft abgelassen, als dass damit eine grundsätzliche Trendwende und Neubewertung eingeläutet wurde.
Keine linerae Fortsetzung des Aufwärtstrends
Nach dem rasanten Kursanstieg der vergangenen Monate dürfte aber keine lineare Fortsetzung des Aufwärtstrends zu erwarten sein, sondern eher eine schwankungsreichere Phase mit gemächlicherem Aufwärtstempo.
Denn nach wie vor bleibt die Unsicherheit gross, wie sich der Pandemieverlauf entwickelt. Dies dämpft das Wirtschaftswachstum. Zudem sind staatliche Stützungsmassnahmen in den USA ausgelaufen und das Parlament konnte sich bisher nicht auf ein Konjunkturpaket einigen.
Auch die bevorstehende US-Präsidentschaftswahl am 3. November könnte für Schwankungen an den Märkten sorgen, etwa, wenn sich der Handelskonflikt mit China wieder zuspitzt.
Keine Blase, die zu platzen droht
Doch trotz vereinzelter Exzesse sollte es sich in der Breite nicht um eine Blase handeln, die – analog zur Tech-Blase vor zwanzig Jahren – nun zu platzen droht. Drei Faktoren sprechen dafür, dass der Kursrückschlag begrenzt bleiben dürfte und Technologie-Aktien für langfristig orientierte Investoren aussichtsreich bleiben können.
- Erstens sind die meisten grosskapitalisierten Unternehmen, die heute am Aktienmarkt überproportionale Kursgewinne verzeichnet haben, sehr profitabel und erzielen grosse Mengen an Barmitteln. Viele Unternehmen aus dem Software- oder E-Commerce-Bereich haben selbst während der Corona-Krise überraschend gute Ergebnisse vorgelegt. Es handelt sich nicht um Luftschlösser, sondern um über Jahre oder Jahrzehnte erprobte Geschäftsmodelle, die von einer dominanten Marktstellung und der Nutzung von – zum Teil weltweiten – Grösseneffekten profitieren.
- Zweitens hat die Corona-Krise diesen Unternehmen zusätzlichen Rückenwind verliehen. Die Digitalisierung der Wirtschaft hat durch die Pandemie noch einmal an Fahrt gewonnen. E-Commerce-Unternehmen profitieren von einer Verlagerung vom stationären Einzelhandel ins Internet. Dies spielt auch in die Karten von Zahlungsanbietern. Ein steigender Kosten- und Effizienzdruck führt zu einer zunehmenden Automatisierung. Und die Notwendigkeit, auch aus der Distanz auf Anwendungen zugreifen zu können, etwa im Homeoffice oder im E-Learning, führen zu mehr Nachfrage nach Rechnerleistung, Datenanalyse und -Verarbeitung sowie mehr Kapazitäten in Rechenzentren und Datenübertragung. Diese strukturellen Trends dürften über die Corona-Krise hinaus anhalten und immer weitere Bereiche der Wirtschaft – etwa die Industrie – erfassen.
- Drittens löst das Niedrigzinsumfeld einen Anlagenotstand aus. Durch die Pandemie dürften die Zinsen deutlich länger als ursprünglich gedacht niedrig bleiben. Die US-Notenbank Fed hat zum Beispiel eine grössere Inflationstoleranz in ihre geldpolitische Strategie aufgenommen. Damit sind Leitzinsanhebungen in den nächsten Jahren unwahrscheinlich. Auch dürften die Realrenditen – also die Renditen nach Abzug der Inflation – vorerst sehr niedrig oder sogar im negativen Bereich bleiben. Renditesuchende Investoren könnten so in risikoreiche Anlagen wie Aktien getrieben werden. Dies lässt jene Unternehmen in den Fokus rücken, die stabile Geschäftsmodelle und solide Bilanzen aufweisen. Hinzu kommt die Aussicht auf weiteres Wachstum durch expandierende Endmärkte, wie im Fall vieler Software- und Halbleiter- sowie E-Commerce-Anbieter. Viele Investoren scheinen bereit zu sein, dafür eine Bewertungsprämie zu zahlen.
Dieses Phänomen zeigte sich bereits in den Sechziger- und frühen Siebziger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals erzielten in einem Umfeld mit grosser geopolitischer Unsicherheit, schwachem Wirtschaftswachstum und niedrigen Realrenditen fünfzig grosskapitalisierte Aktien («Nifty Fifty») über mehrere Jahre eine signifikant bessere Wertentwicklung als der Gesamtmarkt.
Dies dank robuster und gut prognostizierbarer Gewinnentwicklung. Erst in einem Umfeld steigender Inflation fand diese Höherbewertung dann aus verschiedenen Gründen ein Ende.
Gewinnsteigerungen antizipiert
Somit sind die fundamentalen Treiber im Technologie-Sektor weiter intakt. Durch die starke Kursentwicklung nehmen viele Tech-Aktien bereits deutliche Gewinnsteigerungen vorweg. Dies lässt sich damit begründen, dass die Konzerne die Erwartungen selbst in der Corona-Krise erfüllt haben oder übertreffen konnten.
Allerdings können auch selektive Gewinnmitnahmen und eine etwas ausgeglichenere Gewichtung von Technologie-Aktien im Portfolio erwogen werden. Schliesslich ist eine permanente Überwachung nötig, ob die zugrunde liegenden Gewinntreiber intakt bleiben und wie sich der weitere Pandemieverlauf gestaltet.