Es war ein echtes Rattenrennen. Börsenkandidaten wollten die Bundestagswahl abwarten, wie es ihnen die Investment-Banker geraten hatten. Eigentlich. Dann kletterte der DAX über 5000 Punkte. Angesagte Aktien wie die Solarwerte Conergy und SolarWorld oder der Fondsanbieter MPC stiegen immer weiter. Die potenziellen Neulinge aus denselben Branchen bekamen feuchte Hände und Dollarzeichen in den Augen. Und wagten sich aus der Deckung.

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Da alle miteinander konkurrieren, um Aufmerksamkeit und um das Geld der Anleger, werden die günstigen Startplätze knapp. Am Montag nach der Wahl präsentierte sich der Hypothekenanbieter Interhyp den Investoren in Frankfurt. Am Dienstag und Mittwoch reisten die Vorstände der Solarunternehmen Ersol und Q-Cells an den Main, und kurz darauf lud der Fondsvertrieb HCI Capital zur Analystenkonferenz. Hinzu kommen kleinere Werte, die in den unregulierten Freiverkehr streben: das Beteiligungsunternehmen Patrio Plus, der Bauträger Design Bau oder das Finanzhaus Rothmann. Der Ansturm der IPO-Kandidaten zeigt, wie viele Profis den unklaren Wahlausgang bewerten: ignorieren. Andere Faktoren sind wichtiger.

Manche Kandidaten packt sogar die Angst, als Mauerblümchen zu enden. «Innerhalb der nächsten zwölf Monate», bei «entsprechend günstigem Kapitalmarktumfeld» auch schon in diesem Jahr, werde Tipp24 an die Börse gehen, so der Online-Lottoanbieter noch Anfang September. Nur einige Tage später erhöhte Tipp24 die Schlagzahl: «Der Börsengang kann bereits im Herbst 2005 stattfinden», schoben die Gründer eilig nach. Am Montag versicherte Finanzvorstand Hans Cornehl dann: «Bei der verhaltenen Reaktion der Börse auf das Wahlergebnis ändert sich für unseren geplanten Börsengang nichts.»

Der Wahlausgang sei ein Non-Event, erklären die Vorstände der Neulinge unisono. «Nur bei einer rot-rot-grünen Regierung hätten wir den Börsengang verschoben», sagt Harald Christ, Vorstandschef von HCI und bekennender Sozialdemokrat. Diese Koalition wäre vor allem für ausländische Investoren ein fatales Signal gewesen. «Auf die derzeitigen Alternativen reagieren diese Investoren aber gelassen», sagt Christ. Alle Parteien hätten begriffen, dass es weitere Reformen geben müsse, hofft er.

Klar, Schwarz-Gelb wäre schön für die Aktienmärkte gewesen. Aber wohl auch nicht für sämtliche Aktien. Die Kurse der bereits börsennotierten Solarwerte zogen am Montag nach der Wahl an. Auch die Newcomer Ersol und Q-Cells dürften profitieren. In einer Jamaika-Koalition mit CDU/CSU und FDP könnten die Grünen sich liebevoll der Solarbranche annehmen, wettet die Börse.

Einen grösseren Crash, der auch die Neulinge noch ausbremsen könnte, erwartet niemand. «Ausländische Anleger haben sicher am Tag nach der Wahl Gewinne mitgenommen», sagt Rolf Elgeti, Chef-Aktienstratege von ABN Amro in London. «Aber die meisten schätzen politische Faktoren als nur kurzfristig wichtig ein.» Ausländer kaufen deutsche Aktien, weil sie daran glauben, dass die Unternehmen ihre Kosten senken können, um wettbewerbsfähiger zu werden.

Elgeti hat ausgerechnet, dass deutsche Unternehmen 25 Prozent billiger als ihre europäischen Wettbewerber gehandelt werden, obwohl ihre Gewinnmargen nur zehn Prozent schlechter sind. «Mittlerweile haben die Unternehmen die Initiative bei den Reformen ergriffen», erklärt der Analysten-Jungstar Elgeti. Durch das allgemeine Koalitions-Hickhack ausgelöste schwächere Phasen sollten Anlegerinnen und Anleger zu Käufen nutzen.

«Entscheidender als das Wahlergebnis ist, dass von der neuen Regierung ein Reformweg eingeschlagen wird», meint Thomas Meier, Fondsmanager bei Union Investment. «Sollte dies nicht gelingen, spüren das vor allem mittelständische Unternehmen.» Denn Grosskonzerne könnten rascher reagieren und weitere Arbeitsprozesse ins Ausland verlagern. «Diese grössere Flexibilität könnte ein Grund für den stabilen DAX sein», sagt Meier.

Aktienhändler, die vor allem an kurzfristigen Kursbewegungen interessiert sind, hakten das Thema Wahlen schon am Montagabend wieder ab. Sie interessierte mehr, womit sich Gerhard Schröder vor seinem Auftritt in der «Berliner Runde» wohl aufgeputscht hatte.

Analysten, die weiter in die Zukunft schauen müssen, sind nicht ganz so fröhlich wie der Kanzler. Eine reformlahme grosse Koalition würde die deutschen Standardwerte auf Jahressicht im europäischen Vergleich zwei oder drei Prozentpunkte schlechter abschneiden lassen, schätzt Volker Borghoff, Stratege von HSBC Trinkaus & Burkhardt: «Politische Veränderungen allein können den positiven Trend an den Märkten aber nicht kippen. Hier spielen andere Faktoren wie die Restrukturierung der Unternehmen, die wachsende Wirtschaft in Asien und die zuletzt gute konjunkturelle Entwicklung in den USA entscheidendere Rollen.»

Diese Positivfaktoren befeuern nicht nur den DAX, sondern auch das Geschäft mit den Börsenneulingen. «Die Aussichten sind sehr gut. Zurzeit sehen wir erst die Spitze des Eisbergs», sagt Georg Hansel, der bei der Deutschen Bank in Frankfurt für das Aktienemissionsgeschäft verantwortlich ist. Im zweiten Halbjahr erwartet Hansel insgesamt zehn Emissionen mit einem Volumen von jeweils mindestens 50 Millionen Euro. Er registriert sogar wieder Nachfrage privater Anleger.

Die Kursgewinne von Neulingen wie Wincor Nixdorf (90 Prozent seit Emission) oder der Postbank (60 Prozent) haben Anleger, die 2004 noch abseits blieben, zum Nachdenken gebracht. «Erfolgreiche Emissionen steigern die Nachfrage», weiss Hansel.

Weiter angeheizt wird der Markt durch die Private-Equity-Gesellschaften. Diese dürften in den kommenden 18 Monaten vermehrt Beteiligungen abstossen. «Börsengänge werden dabei wieder eine wichtigere Rolle spielen», sagt Ute Gerbaulet, Leiterin Equity Capital Markets bei der WestLB.

Einige stimmt dieser neue Optimismus bereits wieder nachdenklich. In Frankfurt machen erste Geschichten von Börsenkandidaten, die bei einer Bank abblitzten und von einer anderen jetzt zum gewünschten hohen Preis an die Börse geführt werden, die Runde. «Jeder, der irgendein Solarmodul herstellt, kann mühelos dreistellige Millionenbeträge einsammeln», spottet ein Banker. Ergebnisse werden um alles bereinigt, was irgendwie herauszurechnen ist. Anlegerinnen und Anlegern wird nicht die Gegenwart, sondern die Story der kommenden drei Jahre verkauft. Alles schon mal da gewesen.

«Mit grosser Sorge sehen wir vor allem die Entwicklung im Freiverkehr», sagt Thomas Stewens, Vorstand der Wertpapierbank Concord Effekten. Unternehmen aus angesagten Branchen wie Immobilien oder den alternativen Energien werden dort ohne grossen Aufwand börsennotiert. Da die Papiere nicht öffentlich verkauft werden, brauchen die Unternehmen nicht einmal einen Börsenprospekt. «Danach werden dann durch platzierte Gerüchte starke Kurssteigerungen erzielt», fürchtet Thomas Stewens.