Ein ehemaliger Fabrikant von Goldzähnen aus der Waadt fährt in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts nach Indien, lernt dort das Polospiel kennen – und nimmt die zündende Idee für eine neu-artige Uhr mit nach Hause.
So beginnt die Geschichte eines Uhrenmodells, das zweifellos zum illustren Kreis jener Uhren gehört, die Legende geworden sind. César de Trey hiess der Romand, der 1927 von der Zahntechnik auf die Uhrenvermarktung umstieg und auf seiner Indienreise 1930 aufhorchte, als die britischen Kolonialherren darüber jammerten, dass die Gläser ihrer Ticker beim rauen Polospiel noch und noch in die Brüche gingen.
Ob es einer jener Dauergeschädigten war, der den Wunsch nach einer Uhr äusserte, die beim Sport zur Schonung umgekehrt zu tragen wäre, oder ob der Waadtländer selber darauf kam, weiss man heute nicht mehr so genau. Jedenfalls reiste der glücklich Inspirierte in seine Heimat zurück, setzte sich unverzüglich mit den richtigen Uhrenfachleuten im Vallée de Joux und in Paris zusammen – und schon ein Jahr später war es geschafft: Die erste Uhr mit dem genialen Wendemechanismus kam 1931 auf den Markt.
Die Reverso von Jaeger-LeCoultre ist heute ein Klassiker, eine jener Uhren, welche die Zeit gewissermassen überdauert haben. Längst sind wir im Zeitalter der bruchfesten Gläser und der stosssicheren Werke, doch die Nachfrage nach dem Wendegehäuse, bei dem der Träger mit einem lässigen Fingerdruck mal den dekorierten Gehäusedeckel, mal das Zifferblatt mit der genauen Zeit hervorzaubert, ist ungebrochen.
Seit die ersten Armbanduhren Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Markt kamen und unwiderruflich die Taschenuhr ablösten, sind bis auf den heutigen Tag Milliarden von Uhren in Millionen von verschiedenen Modellen verkauft worden. Die meisten von ihnen fielen nicht besonders auf, ritten auf der jeweiligen Modewelle mit, waren im besten Fall eine Saison oder ein paar Jahre lang begehrt und gingen dann vergessen. Doch einige wenige Uhren ragen aus der Geschichte der Armbanduhr heraus. Sie sind, wie die Reverso, Legenden geworden.
Einen solch absoluten Renner zu kreieren, der bis auf den heutigen Tag läuft, ist 1916 auch dem Pariser Juwelier Louis Cartier gelungen. Hier liegt der Erfolg im klaren und funktionalen Zifferblattdesign, mit dem er die rechteckige Tank versah; den Namen hatte Cartier – es war ja mitten im Ersten Weltkrieg – von einer Tarnbezeichnung übernommen, unter der die Briten eines ihrer neuesten Kriegsgeräte entwickelt hatten: den Kampfpanzer. Der Armbanduhrenbau steckte damals noch tief in den Kinderschuhen, und der besonders gelungene Auftritt der Tank hat entschieden mitgeholfen, dass der Durchbruch von der vertrauten runden Taschenuhr zur – zuerst als unmögliche Modetorheit verschrienen – Armbanduhr so rasch vollzogen wurde. Allein dieses Verdienst hätte die Tank unvergesslich machen können; darüber hinaus überzeugt nun aber ihr Design seit bald hundert Jahren derart, dass die Uhr zur Freude des Hauses Cartier mit anhaltendem Erfolg in vielen Varianten ständig neu aufgelegt werden kann.
Einer weiteren legendären Uhr hat vor allem die technische Perfektion zur Unsterblichkeit verholfen. Hans Wilsdorf, ein geborener Deutscher mit britischer Staatsbürgerschaft, war schon seit 1900 im Uhrengeschäft und arbeitete mit der Schweizer Uhrenherstellerin Aegler in Biel (heute Rolex Biel) zusammen. Wilsdorf, der von Anfang an und als einer der Ersten mit seiner neu gegründeten Marke Rolex zielsicher auf den Durchbruch der Armbanduhr gesetzt hatte, gelang eine technische Neuerung von beispielloser Tragweite: die erste wasserdichte Uhr. Am 7. Oktober 1927 staunte die Welt über eine junge Büroangestellte namens Mercedes Gleitze. Sie durchschwamm in etwas mehr als zehn Stunden den Ärmelkanal. Am Handgelenk trug sie eine Uhr von Rolex, ein Modell, das Oyster hiess und dessen Werk erstmals in einem absolut dichten Gehäuse mit verschraubter Krone eingebettet war. Die Uhr überstand die Kanalüberquerung schadlos. An jenem Tag war der legendäre Ruf der Unverwüstlichkeit, der einer Rolex anhaftet, geboren, und die Marke mit dem Krönchen hatte mit der «Auster» einen Goldesel im Produkteschrank. Die Oyster-Modelle konnten über die Jahrzehnte mit nahezu unverändertem Design verkauft werden, und nicht wenige unter ihnen geniessen heute Kultstatus.
Über die Jahrzehnte war die Uhrenindustrie in der Schweiz immer wieder von Zweifeln geplagt, in welche Richtung sich wohl die Technik entwickeln würde. Die Erfindung der Stimmgabeluhr Accutron von Bulova im Jahr 1953 kam in einer solchen Zeit der Unsicherheit zu Stande. Der Schweizer Elektro-ingenieur Max Hetzel hatte den Einfall, eine elektrisch angetriebene Stimmgabel einzusetzen; deren regelmässige Schwingung trieb das Räderwerk an – die «elektrische Uhr» war geboren.
Die amerikanische Herstellerin Bulova, die den Erfinder Hetzel engagiert hatte, lancierte 1960 nach mehrjähriger Entwicklungszeit die Accutron als genauste Uhr der Welt. Sie versprach in der Werbung eine Gangabweichung von maximal einer Minute pro Monat oder 99,9977 Prozent der «absoluten Pünktlichkeit». Auch äusserlich faszinierte der neuartige Zeitmesser, da es bald Modelle gab, die einen Blick auf das neuartige Werk freigaben. Und an Stelle des bisher vertrauten Tickens des Uhrwerks waren bei der Accutron die Schwingungen der Stimmgabel als ein eigenartiges Summen zu hören. Die Uhr war eine Sensation, sie wurde in den USA millionenfach verkauft und blieb während mehr als eines Jahrzehnts der wohl bekannteste Zeitmesser. Schade eigentlich um den genialen Einfall von damals, denn der Stimmgabeltechnologie war kein besonders langes Leben beschieden; die neue Quarzuhr nahm der Accutron jede Chance auf Weiterentwicklung. Immerhin gehört das Modell Spaceview heute zu den begehrten Sammlerobjekten.
Fast zeitgleich kam es zu einer weiteren Weltneuheit. Einen Chronographen und den automatischen Aufzug miteinander in einem Uhrwerk zu verbinden, war vor 35 Jahren eine technische Herausforderung und auch ein finanzielles Wagnis. Einerseits fürchteten manche Zauderer, viel Geld in den Sand zu setzen, andererseits war klar, dass das damals stagnierende Geschäft mit den Chronographen dringend neuen Auftrieb benötigte. Für das grosse Unterfangen im Alleingang nicht gerüstet, rauften sich die Konkurrenten Breitling in Grenchen und Heuer & Co. in Brügg bei Biel zusammen, um gemeinsam die Entwicklung an die Hand zu nehmen. Zenith in Le Locle arbeitete zur selben Zeit im stillen Kämmerchen. Der Wettlauf um die Ehre, Erbauer des ersten automatischen Chronographen zu werden, war im Gange. Mit einer knappen Nasenlänge Vorsprung schaffte es schliesslich Zenith, El Primero, den ersten integrierten automatischen Chonographen, im Frühjahr 1969 fertig zu stellen. Praktisch gleichzeitig präsentierten Breitling und Heuer ihr Kaliber 11 der Öffentlichkeit und bestückten damit ihre Modelle Chronomat (Breitling) beziehungsweise Monaco (Heuer).
Der Name Patek Philippe hat magischen Klang. Jedenfalls geraten Uhrenfreunde und Sammler ins Schwärmen, wenn sie von der 1835 gegründeten Nobelmarke aus Genf hören. Patek Philippe verblüfft seit Jahren in lockerem Rhythmus die Fachwelt mit Weltneuheiten. Keine andere Marke schafft es überdies so häufig, an Auktionen Rekordpreise zu erzielen. Die teuerste Uhr der Welt ist zu jedem Zeitpunkt eine Patek Philippe. Zurzeit gehört der Titel in der Kategorie Armbanduhren einer Patek-Philippe-Weltzeituhr im Platingehäuse mit der Referenz 1415 HU. 2258 Franken hatte im Jahr 1939 der damalige Käufer für den zurückhaltend gestalteten und für heutige Begriffe relativ kleinen Zeitmesser zu berappen. Am 14. April 2002 war dieses Einzelstück einem Sammler aus dem asiatischen Raum 6,6 Millionen Franken wert.
Mitte der Sechzigerjahre wählte die Nasa die Speedmaster von Omega als offiziellen Chronographen für ihre Weltraumunternehmungen. Von den Gemini-Weltraumflügen, dem Apollo- und dem Skylab-Raumfahrtprogramm bis hin zu den letzten bemannten amerikanischen Weltraummissionen wurde jeder Astronaut mit einer Uhr dieses Typs ausgerüstet. Die Speedmaster Professional mit dem dunklen Zifferblatt war also dabei, als Menschen am 21. Juli 1969 zum ersten Mal auf dem Mond landeten, und mit diesem Ereignis ist der Omega-Chronograph als Moon Watch in die Uhrengeschichte eingegangen. Der Titel sei der Bieler Uhrenherstellerin gegönnt, aber eine andere Uhr könnte sich ebenfalls Monduhr nennen: Auch eine Accutron, die Stimmgabeluhr von Bulova, ist von den Astronauten auf den Erdtrabanten mitgenommen worden.
Immer wieder tauchen Gerüchte über den Verbleib der originalen Moon Watch auf. Astronaut Ed Aldrin, der als Zweiter den Mond betrat, soll sein Exemplar vor dreissig Jahren der Smithsonian Institution in Washington als Donation überlassen haben. Irgendwie, irgendwann war sie verschwunden. Seither glauben immer wieder Ersteigerer von schwarzen Speedmasters, sie seien in den Besitz eben jener Uhr gelangt.
Gerade erst wieder hat sich ein Sammler aus Kalifornien gemeldet, der behauptet, seine Omega trage die Seriennummer derjenigen Uhr, die mit Apollo 11 unterwegs war. Mal sehen, ob sie es diesmal wirklich ist.
Es kam die Zeit, als die Schweizer Uhrenindustrie krank darniederlag:
Uhrenmechanik war angesichts des Aufkommens der Quarzuhr nicht mehr gefragt, und die neue Technologie hatte die Schweizer Uhrenindustrie glattweg verschlafen; der Anschluss an den Massenmarkt war verloren. Da lancierte 1983 die damalige SSIH, gut beraten von Nicolas G. Hayek, eine bunte Plastikuhr namens Swatch. Mindestens zehnmal billiger als eine qualitativ hoch stehende mechanische Uhr, aber fünfzigmal genauer als diese, schlug der Gadget-Ticker sofort ein und löste eine breite Sammlerwelle aus. Eine Swatch konnte sich – wenigstens hier zu Lande – jeder leisten. Auch zwei oder fünf oder zehn. Die Zeit der Golduhr, die ihren Besitzer von der Konfirmation bis zum Lebensabend begleitete, war mit der unbeschwerten Swatch endgültig vorbei.
Die damals absolut neuartige Uhr darf für sich in Anspruch nehmen, der Schweizer Uhrenindustrie aus ihrem damaligen Tief herausgeholfen zu haben. Heute wirft Swatch jedes Jahr weit über 200 Modelle auf den Markt. Längst sind nicht mehr alle aus Plastik, die Designereinfälle übertreffen sich von Saison zu Saison, und manche Swatch bietet heute raffinierte Funktionen. Preisgünstig sind sie aber immer noch, und ihr weltweiter Erfolg ist wohl beispiellos. Mehr als 300 Millionen Stück sind bis auf den heutigen Tag verkauft worden.
Und welchem Zeitmesser kommt das Verdienst zu, Anfang der Neunzigerjahre die für die Schweizer Uhrenindustrie segensreiche Renaissance der mechanischen Uhr eingeläutet zu haben? Die Destriero Scafusia von IWC? Die Triple Complication von Audemars Piguet? Oder die Referenz G. 4013 von Gérald Genta? Am legendärsten ist wohl das Modell 1735 von Blancpain, nicht zuletzt, weil diese Marke mit der Kernbotschaft auftritt: «Seit 1735 gibt es bei uns keine Quarzuhren. Es wird auch nie welche geben (siehe «Eine Uhr muss eine Seele haben»).»
Das Prachtstück, das nach dem Gründungsjahr der Marke benannt wurde, vereinte 1991, als die ganze Welt voll auf Quarz setzte und die alten Mechanikwerke auf den Dachböden verstaubten, eine vorher noch nie erreichte Zahl von verschiedenen Funktionen in einer Armbanduhr: die Anzeige von Stunde, Minute und Sekunde, einen ewigen Kalender unter Berücksichtigung der Schaltjahre mit Mondphasenanzeige, einen Chronographen mit 30-Minuten-Zähler und Rattrapante, ein Minutenrepetitionsschlagwerk und ein Tourbillon. Die Auflage ist auf 30 Exemplare limitiert, und mit einem Preis von rund 900 000 Franken gehört diese schlichte und gerade deshalb wunderbar edel wirkende Platinuhr auch punkto Preis zur absoluten Sonderklasse. Nun war die mechanische Uhr wiedergeboren, und die Schweizer Uhrenindustrie bekam ihre neue Chance.
In den vergangenen zehn Jahren hat sie diese zweifellos genutzt. Es fällt auch heute nicht schwer, Uhren zu finden, die es verdienen, mit Superlativen geschmückt zu werden. Etwa The Freak von Ludwig Oechslin, dem heutigen Direktor des Uhrenmuseums in La Chaux-de-Fonds. Er konstruierte diese Uhr für Ulysse Nardin ohne Zeiger und ohne Krone. Das Werk wird durch Drehen des Gebäudebodens aufgezogen, und die Aufgabe der Zeiger übernimmt das Karussell-Tourbillon-Uhrwerk selber, indem es je nach Stellung die Zeit anzeigt.
Oder die umgebaute Louis-Elisée-Piguet, die zunächst von Franck Muller neu eingeschalt und mit einem ewigen Kalender und einer Mondphase erweitert wurde. Kein Mensch konnte sich vorstellen, dass auch nur noch ein einziges zusätzliches Rädchen im Gehäuse Platz hätte, als der Zürcher Ausnahmeuhrmacher Paul Gerber im Jahr 2001 noch einen drauf gab und die bis anhin komplizierteste Armbanduhr der Welt ergänzte – mit einem Schleppzeiger-Chronographen, einem springenden Minutenzähler, einem Flyback und zwei Gangreserven.
Wahrscheinlich ist die nächste Uhr, die Geschichte schreiben wird, die Zeitmaschine Opus 3, die Vianney Halter aus Ste-Croix letztes Jahr für den Luxusuhrenhersteller Harry Winston baute. Mit ihr wurde eine völlig neue Art, die Zeit zu lesen, erfunden. In sechs runden Fenstern auf einem massiven Gehäuse erscheinen verschiedenfarbige Ziffern, welche die Stunden, Minuten und das Datum anzeigen. Im Innern rotieren auf einer Welle zehn Scheiben mit insgesamt 47 Ziffern, die sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und auf verschiedenen Ebenen drehen, sodass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in richtiger Reihenfolge in den Bullaugen erscheinen. (Auf der abgebildeten Uhr steht die Zeit auf 03.17 Uhr, und es ist der 29. des Monats.) Langweilig wird es dem Träger mit dieser Uhr nie: Alle 60 Sekunden kündigt ein verkehrt laufender Countdown – 56, 57, 58, 59 –, der im oberen Datumsfenster herunterrasselt, den Minutenwechsel an. Ein genialer, futuristischer Zeitmesser, der zuversichtlich macht, dass weitere Sternstunden in der Uhrenindustrie folgen werden.