Das Verhältnis war deutlich abgekühlt. Seit dem Amtsantritt von Donald Trump, der mehr oder weniger schützend seine Hand über die Türkei gehalten hat, hatte sich auch der Präsident des Landes am Bosporus, Recep Erdogan, zusehends von der EU losgesagt.

Es gab den Kauf von russischem Militärgerät, dann Nazi-Vergleiche mit EU-Politikern und Frankreichs Präsident Macron wollte Erdogan gar in die Psychiatrie schicken lassen. Und dann gab es auch noch Sanktionen wegen Erdgasbohrungen der Türken vor der Küste Zyperns und Streit mit EU-Mitglied Griechenland.

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Georg Pröbstl ist Chefredaktor des Börsenbriefs Value-Depesche. Der Börsendienst ist auf substanzstarke unterbewertete Aktien mit guten Perspektiven aus Deutschland, Österreich und der Schweiz spezialisiert. Die jährliche Performance des Musterdepots seit Start im April 2010 beträgt +14,6 Prozent (DAX: +7,8 Prozent).

Transparenzhinweis: Der Autor berät Anlageprodukte. In diesem Beitrag besprochene Aktien können zum Anlageuniversum zählen.

Politische Abkühlung – jetzt bricht das Eis wieder auf…

Wurden im Oktober 2005 die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei aufgenommen, so hatte Brüssel dieses Ansinnen nach verschiedenen Differenzen mit Erdogan dann im November vor vier Jahren wieder eingefroren. Seither herrscht Eiszeit. Nun allerdings kommen versöhnliche Töne aus Ankara.

Der türkische Aussenminister ist in Brüssel und trifft dort den EU-Chefdiplomaten. Auch ein Besuch beim Nato-Generalsekretär Stoltenberg ist geplant. Möglicherweise besuchen sogar die Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, und der Ratspräsident Charles Michel Erdogan zuhause in Ankara in den nächsten Wochen.

… Erdogan arbeitet gegen eine Isolierung seines Landes…

Immerhin sagt Erdogan, er wolle die Beziehung zur EU wieder in die Spur bringen. Der Sinneswandel des Präsidenten kam Anfang November mit der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten. Donald Trump ist weg und Erdogan ist ohne seinen Freund in Washington deutlich isoliert.

Eine Wiederannäherung der beiden Regionen wäre auch im Interesse der EU. Die Türkei spielt einen wichtigen Part in der Flüchtlingskrise und auch eine Einigung zwischen Türkei und Griechenland im Gasstreit könnte dadurch leichter zustande kommen.

… und hofft auf EU-Gelder

Eine Annäherung an Brüssel hätte für Erdogan mehrere Vorteile. Die USA unter Biden würden möglicherweise von weiteren Sanktionen absehen. Zudem hofft der Staatschef der Türkei auf einen Ausbau der Zollunion mit der EU, Reiseerleichterungen seiner Bürger nach Europa, Investitionen und weitere Milliarden im Rahmen des Flüchtlingsabkommens mit Brüssel.

Das ist dringend nötig. Die Türkei als beliebtes Touristenziel der Europäer leidet mit einer Schrumpfung der Wirtschaftsleistung von geschätzt fünf Prozent zwar nicht so stark wie viele andere Länder unter der Corona-Krise. Aber dennoch liegt die Arbeitslosigkeit im Land bei rund 25 Prozent und es gibt hohe Inflationsraten um 40 Prozent im Jahr.

Die Börse Istanbul ist im Höhenflug

Kein Wunder also, dass Erdogan in besseren Beziehungen zur EU die Rettung aus der Not sieht. Und tatsächlich: Seit der Wahl von Joe Biden – der neue US-Präsident hatte Erdogan als Autokraten tituliert – bemüht sich der türkische Präsident um engere Beziehungen nach Brüssel. Das hat nicht nur auf diplomatischer und politischer Ebene Folgen, sondern wirkt auch auf Aktien.

Seit Anfang November ist der ISE 100 der Börse Istanbul bereits um 25 Prozent gestiegen. Der starke Widerstand aus 2017 und 2019 bei 1250 Punkten wurde nach oben durchbrochen und der ISE notiert mit 1570 Punkten sogar ganz klar auf einem Allzeithoch.

Die Wirtschaft soll sich von der Rezession stark erholen…

Neben der eingeleiteten Wiederannäherung an Europa mit erhofften Investitionen und EU-Geldern ist weiterhin mit kräftigen Impulsen für die Börse zu rechnen. Denn Ökonomen erwarten für dieses Jahr ein Wachstumsplus am Bosporus von 5,0 Prozent.

Im nächsten Jahr soll die Wirtschaft im Land um 4,0 Prozent zulegen. Rückenwind aus Brüssel ist da noch gar nicht miteingerechnet. Der Weg dürfte also frei sein für noch höhere Kursregionen im ISE.

Anleger, die auf die Fortsetzung des  Börsenaufschwungs in Istanbul setzen wollen, greifen nicht zu Einzelaktien – diese sind aus Gründen von Quellensteuerpflichten in der Türkei nur erschwert handelbar –, sondern auf ETFs auf den MSCI Turkey.

… die türkische Lira ist ebenfalls im Aufwind

Ein Produkt der Blackrock-ETF-Sparte iShares auf den Index (ISIN: IE00B1FZS574, Währung US-Dollar) wird an der SIX gehandelt. Das ETF bringt seit November ein Plus von rund 50 Prozent. Zu den Kurssteigerungen an der Börse Istanbul kommt hier noch eine Erholung der türkischen Lira zu Euro und Dollar.

Und das bringt dann zusammen mit den generellen Kurssteigerungen bei türkischen Aktien einen doppelten Kursschub. Seit Anfang November konnte die türkische Währung zum Euro um rund zehn Prozent und zum US-Dollar sogar um etwa 15 Prozent zulegen.

Das passt ins Bild. Denn die Hoffnung auf eine Annäherung der Türkei an die EU ist auch mit Wachstumschancen verbunden. Und wächst ein Land relativ stark, hat das in der Regel auch Auswirkungen auf die Stärke seiner Währung.