In der Finanzszene machen sich immer mehr Ratlosigkeit und Pessimismus breit. Klopften früher Anleger und Journalisten bei den Banken an, wenn es um die Frage ging, wie sich Konjunktur und Börsen in der Zukunft entwickeln würden, ist es neuerdings umgekehrt. Beim Ausblick der Credit Suisse Asset Management (CSAM) im vergangenen November befragte Präsentator Philipp Vorndran vorab die rund hundert anwesenden Fondsmanager, wie und wo sie investierten. Neue Erkenntnisse fand der CSAM-Ökonom keine, dafür sah er sich bestätigt: «Sie sind das perfekte Abbild der gegenwärtigen Situation.» Vorndran setzt neuerdings auf Gold. Auch David Walton, Chefökonom Europa bei Goldman Sachs in Zürich, wollte nach einer anderthalbstündigen Analyse zur Lage der globalen Konjunktur von den überraschten Journalisten wissen, wie sie denn die Zukunft Amerikas sähen. Die mehrheitlich pessimistischen Ansichten der Medienleute brachten zwar nichts Neues, bestärkten den Banker aber in seiner Ansicht, dass die USA in den nächsten ein bis zwei Jahren eine harte Zeit durchleben würden. Die Analysten, die während der New-Economy-Blase immer abstrusere Bewertungsmodelle kreierten, um die himmelstürmenden Aktienkurse zu rechtfertigen, sind zu den klassischen Bewertungsmodellen der Kurs-Gewinn-Verhältnisse (P/E) zurückgekehrt, müssen aber erkennen, dass diese häufig ein ungewollt abschreckendes Bild liefern, weil viele Firmen gar keine Gewinne mehr schreiben und die P/E deshalb astronomische Zahlen liefern. Das war zwar schon in den Zeiten der New Economy so, doch damals zählten immerhin noch die weichen Faktoren wie die technologischen Errungenschaften oder die Qualität des Managements und der Produkte. Doch seit Manager nur noch als Abzocker verschrien sind und die Firmen ihre Produkte nicht mehr absetzen können, fallen auch diese Punkte weg. Der Pessimismus hat sich bis in die Topetagen durchgefressen. So verkündete jüngst Oswald Grübel, Co-Chef der Credit Suisse Group, dass man die Börsenhausse für die nächsten zwei, drei Jahre an den Nagel hängen könne. Auch sein Kollege Marcel Ospel, Chef der UBS, sieht tiefschwarz. «Es besteht das Risiko einer weltweiten deflationären Entwicklung. Die Steuereinnahmen werden zurückgehen, und auf Grund mangelnder Spardisziplin fehlt jetzt das Geld zur Ankurbelung der Wirtschaft», erklärte er im vergangenen November anlässlich der 10. Basler Bankentagung. Als die Investoren im letzten Juli 52,6 Milliarden Dollar aus amerikanischen Aktienfonds abzogen, erschütterte dies nicht nur die amerikanische Fondsindustrie, sondern setzte auch den Internationalen Währungsfonds (IWF) in Alarmbereitschaft. Wenn der Strom an Finanzskandalen in der Zukunft nicht versiege, dann könnte es einen Massenexodus der Kleinanleger an den Börsen geben, der «das gesamte globale Finanzsystem ins Wanken bringen» würde, warnte der IWF in seinem Stabilitätsbericht vom letzten September. Überall kursiert das Schreckgespenst der drei Ds: Debt, Destruction, Desinflation. Und als wäre dies nicht schon genug, schwebt über allem auch noch das Damoklesschwert eines neuen Kriegs im Mittleren Osten mit unabsehbaren Folgen für den Terrorismus, den Ölpreis, den Konsum und die Inflation. In Asien, wo die Tigerstaaten noch immer ein robustes Wirtschaftswachstum an den Tag legen, steht der Hauptfinancier Japan vor dem Kollaps. Selbst für China, das Manager zum neuen Konsum-Mekka erklärt haben, sind Experten neuerdings kritisch. «Die Bankenkrise und die hohe Arbeitslosigkeit bilden eine explosive Situation, die ausser Kontrolle geraten kann», meint Asien-Experte Mark Mobius, Managing Director des Vermögensverwalters Templeton Asset Management. In Westeuropa, wo Staatschefs der kostspieligen Osterweiterung der Europäischen Union (EU) entgegenfiebern, steckt mit Deutschland derzeit ausgerechnet der grösste EU-Nettozahler in der Bredouille. Laut Professor Henner Schierenbeck von der Uni Basel haben deutsche Grossbanken zwischen 1993 und 2000 durchschnittlich 55 Prozent ihrer Gewinne durch Wertberichtigungen für Kreditausfälle verloren. Wie viel auf Grund der letzten zwei Jahre abgeschrieben werden muss, werde sich erst zeigen. «Die Banken gehen in eine abenteuerliche und vielleicht auch fatale Zukunft», mahnt Schierenbeck. Auf dem amerikanischen Kontinent, wo im US-Hinterhof Lateinamerika die Währungen eine nach der anderen zu Tal donnern und 70 Milliarden Dollar an amerikanischen Bankenkrediten bedroht sind, ficht die US-Notenbank gerade einen der härtesten Kämpfe ihrer Geschichte aus. Mit immer tieferen Zinsen versucht sie, das Land vor dem Finanzkollaps zu retten. Doch im Gegensatz zu früheren Krisen erachten Experten das Risiko diesmal als gross, dass der gefürchtete Credit-Crunch, der 1998 nach der Asienkrise gerade noch abgewehrt werden konnte, schaurige Wirklichkeit werden könnte. Eine Untersuchung der Notenbank, der staatlichen Einlageversicherung und des Währungsdirektoriums hat ergeben, dass sich die Grosskredite der 5500 grössten Schuldner im Land mittlerweile auf zwei Billionen Dollar belaufen. Immer mehr Kredite werden faul. Waren es im Jahr 2000 nur gerade fünf Prozent, die nicht der Qualitätskategorie «Top» angehörten, sind es heute dreimal so viele. Ein klares Alarmsignal. «Die restriktive Kreditpolitik der Banken und die Tatsache, dass das Zinsniveau an den Obligationenmärkten trotz rekordtiefen Geldmarktsätzen sehr hoch geblieben ist, weisen darauf hin, dass es im ersten Halbjahr 2003 in den USA zu einem Kreditengpass kommen könnte», analysiert Tracy Herrick, unabhängiger Berater bei der US-Bank Jefferies. Wäre der tiefschwarze Pessimismus analog zum überschwänglichen Optimismus am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ein verlässlicher Kontraindikator für die Kursentwicklung an den Aktienmärkten, dann wären Aktien derzeit eigentlich ein klarer Kauf.
Mutlos hockt die Finanzwelt im Milliardengrab, das sie sich – und den Anlegern – in unseligem Übermut ausgehoben hat. Wie kommen wir da bloss wieder hinaus? Vorläufig gar nicht, glauben die meisten.
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Veröffentlicht am 31.05.2001 - 02:00 Uhr
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