BILANZ: In der Regel steigen bei sinkenden Zinsen die Aktienkurse und fallen die Obligationenrenditen. Jüngst sah es so aus, als ob dieses Muster nicht mehr stimmt.
Gérard Piasko: Man muss differenzieren. Langfristig stimulieren sinkende Geldmarktzinsen sowohl Aktien als auch Regierungsobligationen. Nach dem 11. September aber fühlten sich viele Investoren verunsichert, trennten sich von Aktien und suchten Zuflucht im sicheren Hafen von Staatsanleihen, sodass deren Kurse stiegen. Die dann folgende Senkung der Geldmarktzinsen liess wiederum das Vertrauen in die Aktienmärkte zurückkehren. Durch neuerliche Umschichtungen kam es bei den Regierungsobligationen zu Gewinnmitnahmen, und mit den fallenden Kursen stiegen die Renditen.
Sehen Sie jetzt noch Potenzial für weitere Zinssenkungen?
Die niedrigen Inflationsraten werden es den Zentralbanken erlauben, gerade in Europa die Leitzinsen länger auf einem tiefen Niveau zu halten, als mancher Marktteilnehmer dies heute erwartet. Zwar zogen die Aktienkurse insbesondere im November mit dem Zusammenbruch des Talibanregimes in Afghanistan markant an. Aber das bedeutet noch nicht auch eine rasche Wende im Inflationszyklus. So einfach läuft das nicht.
Aber an den Geldmärkten deuten die Terminsätze auf einen Zinsanstieg im Jahr 2002 hin. Liegen die Finanzmärkte falsch?
Hinsichtlich der Zinserwartungen sind die Märkte, wie in den Geldmarkt-Futures sichtbar, zu pessimistisch. Nach unserer Überzeugung wird die Inflation nicht nur tief bleiben, sondern möglicherweise noch weiter fallen. Durch die reduzierte Teuerung dürften dann die Obligationenkurse nach oben tendieren.
Woher nehmen Sie diese Zuversicht?
Durch die ausgeprägte Länge und die globale Breite der konjunkturellen Expansion und des Nachfragebooms der Neunzigerjahre ist das Angebot an Gütern und Dienstleistungen erheblich ausgebaut worden. Heute bestehen fast überall Überkapazitäten. Und angesichts des scharfen Wettbewerbs um die Kunden ist kaum Raum für Preiserhöhungen vorhanden. Im Gegenteil ist in vielen Bereichen mit Preissenkungen zu rechnen, etwa um nach Ende des Weihnachtsgeschäfts den Umsatz im Januar zu beleben. Das hohe Angebot an Waren, verglichen mit der Nachfrage, wird die Inflation tief halten.
Der jüngste Run auf Regierungstitel hat gezeigt, dass bei den Investoren vermehrt Qualität gefragt ist. Gleichzeitig ist der Anteil der Staatsobligationen am Gesamtangebot auf ein Zehnjahrestief gefallen. Droht dieser Markt auszutrocken?
Nein, das Angebot an Staatsanleihen wird eher wieder zunehmen. Denn die Regierungen benötigen Geld, um die Konjunktur fiskalisch zu stimulieren. In den USA läuft das bereits. Ein Mehrangebot an Regierungsanleihen muss aber nicht immer bedeuten, dass diese Papiere stark im Kurs fallen. Denn durch die zu einseitige Ausrichtung vieler Firmen auf kurzfristiges Gewinnwachstum zu Lasten einer gesunden Finanzsituation hat sich die Kreditqualität der Unternehmen insgesamt in den letzten zehn Jahren zunehmend verschlechtert. Das zeigt sich in den USA seit längerem in der steigenden Renditedifferenz zwischen Unternehmens- und Staatsanleihen. Bei einer wieder höheren Emissionstätigkeit öffentlicher Schuldner wird daher die Nachfrage nach solch qualitativ guten Titeln gross bleiben.
Sie geben das Stichwort Unternehmensanleihen. In jüngerer Zeit ist eine Reihe namhafter Firmen zusammengebrochen mit der Folge erheblicher Verluste für die Obligationäre. Müssen die Anleger besser geschützt werden?
Zunächst einmal muss die Kreditanalyse bei den Finanzintermediären professioneller werden. Die müssen in erster Linie ihre Hausaufgaben machen. Die Firmenmanagements sollten auch härter zu Bilanzstruktur und Liquiditätssituation befragt werden.
Wird das denn nicht auch bei der klassischen Aktienanalyse gemacht?
Nur in wenigen Häusern, denn der Aktienanalyst fokussiert sich weitgehend auf die Gewinnaussichten und die Strategie des Managements. Oft wurde viel zu wenig etwa auf den Verschuldungsgrad eines Unternehmens, auf dessen finanzielle Substanz geachtet.
Nun nimmt seit einiger Zeit auch in Europa das Angebot an Unternehmensanleihen zu, die mit attraktiveren Coupons als Staatspapiere ausgestattet sind. Wie stufen Sie hier die Risiken für den Anleger ein?
In Europa und damit auch in der Schweiz gab es in den letzten Jahren zwar vermehrt ein Angebot an Unternehmensanleihen, aber zu stark auf Telekom- und Technologiefirmen ausgerichtet. Gerade in diesen beiden Branchen hat sich die Kreditqualität verschlechtert. Folglich fehlt es im europäischen Unternehmenssektor immer noch an genügend Angeboten von Obligationen mit guter Kreditqualität. Zudem wird in Europa zu oft auf die Bekanntheit des Schuldnernamens geachtet statt auf die Kreditqualität. Auch bei Bluechips ist eine professionelle und detaillierte Kreditanalyse unbedingt erforderlich.
Wie können Anleger sich denn überhaupt in Unternehmensanleihen engagieren, ohne allzu grosse Risiken einzugehen?
Angesichts des zu geringen Angebots guter europäischer Schuldner ist eine Diversifikation in den Dollarraum unumgänglich. Dort herrscht weit mehr Marktliquidität und Schuldnerauswahl sowohl punkto Kreditqualität als auch verschiedener Branchen.
Seit dem 11. September stehen die Bonitäten von Fluggesellschaften, Flugzeugherstellern und Touristikfirmen unter Druck. Welche Branchen werden die Ratingagenturen als nächste kritisch unter die Lupe nehmen?
Wenn sie sie nicht schon auf ihren Beobachtungslisten haben, werden sich die Ratingagenturen insbesondere die Branchen ansehen, wo ein hohes Angebot auf eine schwächere Nachfragesituation trifft und der Wettbewerb entsprechend hart ist. Zu diesen Branchen zählen zunehmend Automobilbauer und Banken. Aber der Anleger darf nicht die Kreditbeurteilung durch Ratingagenturen abwarten. Denn die Ratingagenturen stellen erst spät, meist zu spät, eine allenfalls verschlechterte Schuldnerqualität fest, liefern also oft keinen Frühindikator für Veränderungen der Kreditqualität. Die muss der Anleger bei seinem Finanzberater genau hinterfragen.
Ist in dem unsicheren Konjunkturumfeld ein Abbau von Aktienpositionen und ein verstärktes Engagement in Obligationen sinnvoll?
Ein Aktienabbau war früh im Jahr 2001, ja bereits 2000 angesagt. Jetzt ist es dafür spät. Die Gewinnverschlechterung der Unternehmen fand 2000 und 2001 in den Aktienkursen ihren Niederschlag, zunächst verhalten, dann seit dem Frühjar 2001 immer rascher. Doch ebenso schnell handelten die USA als Wirtschaftsvormacht mit Zinssenkungen und Konjunkturstimulierung, besonders nach dem 11. September. Die Aktienmärkte reagierten wie gesagt mit Kursavancen, besonders im November nach dem Zusammenbruch des Talibanregimes. Jetzt ist bei den Aktien auch einmal eine Konsolidierungsphase nötig. In dieser Phase sollten bei den Regierungsanleihen die Renditen wieder sinken. Doch mit Blick auf die zweite Jahreshälfte 2002, wenn die Konjunktur wieder anzieht, haben Anleger mit Neuengagements bei Aktien eine sich aufhellende Perspektive.
Gérard Piasko: Man muss differenzieren. Langfristig stimulieren sinkende Geldmarktzinsen sowohl Aktien als auch Regierungsobligationen. Nach dem 11. September aber fühlten sich viele Investoren verunsichert, trennten sich von Aktien und suchten Zuflucht im sicheren Hafen von Staatsanleihen, sodass deren Kurse stiegen. Die dann folgende Senkung der Geldmarktzinsen liess wiederum das Vertrauen in die Aktienmärkte zurückkehren. Durch neuerliche Umschichtungen kam es bei den Regierungsobligationen zu Gewinnmitnahmen, und mit den fallenden Kursen stiegen die Renditen.
Sehen Sie jetzt noch Potenzial für weitere Zinssenkungen?
Die niedrigen Inflationsraten werden es den Zentralbanken erlauben, gerade in Europa die Leitzinsen länger auf einem tiefen Niveau zu halten, als mancher Marktteilnehmer dies heute erwartet. Zwar zogen die Aktienkurse insbesondere im November mit dem Zusammenbruch des Talibanregimes in Afghanistan markant an. Aber das bedeutet noch nicht auch eine rasche Wende im Inflationszyklus. So einfach läuft das nicht.
Aber an den Geldmärkten deuten die Terminsätze auf einen Zinsanstieg im Jahr 2002 hin. Liegen die Finanzmärkte falsch?
Hinsichtlich der Zinserwartungen sind die Märkte, wie in den Geldmarkt-Futures sichtbar, zu pessimistisch. Nach unserer Überzeugung wird die Inflation nicht nur tief bleiben, sondern möglicherweise noch weiter fallen. Durch die reduzierte Teuerung dürften dann die Obligationenkurse nach oben tendieren.
Woher nehmen Sie diese Zuversicht?
Durch die ausgeprägte Länge und die globale Breite der konjunkturellen Expansion und des Nachfragebooms der Neunzigerjahre ist das Angebot an Gütern und Dienstleistungen erheblich ausgebaut worden. Heute bestehen fast überall Überkapazitäten. Und angesichts des scharfen Wettbewerbs um die Kunden ist kaum Raum für Preiserhöhungen vorhanden. Im Gegenteil ist in vielen Bereichen mit Preissenkungen zu rechnen, etwa um nach Ende des Weihnachtsgeschäfts den Umsatz im Januar zu beleben. Das hohe Angebot an Waren, verglichen mit der Nachfrage, wird die Inflation tief halten.
Der jüngste Run auf Regierungstitel hat gezeigt, dass bei den Investoren vermehrt Qualität gefragt ist. Gleichzeitig ist der Anteil der Staatsobligationen am Gesamtangebot auf ein Zehnjahrestief gefallen. Droht dieser Markt auszutrocken?
Nein, das Angebot an Staatsanleihen wird eher wieder zunehmen. Denn die Regierungen benötigen Geld, um die Konjunktur fiskalisch zu stimulieren. In den USA läuft das bereits. Ein Mehrangebot an Regierungsanleihen muss aber nicht immer bedeuten, dass diese Papiere stark im Kurs fallen. Denn durch die zu einseitige Ausrichtung vieler Firmen auf kurzfristiges Gewinnwachstum zu Lasten einer gesunden Finanzsituation hat sich die Kreditqualität der Unternehmen insgesamt in den letzten zehn Jahren zunehmend verschlechtert. Das zeigt sich in den USA seit längerem in der steigenden Renditedifferenz zwischen Unternehmens- und Staatsanleihen. Bei einer wieder höheren Emissionstätigkeit öffentlicher Schuldner wird daher die Nachfrage nach solch qualitativ guten Titeln gross bleiben.
Sie geben das Stichwort Unternehmensanleihen. In jüngerer Zeit ist eine Reihe namhafter Firmen zusammengebrochen mit der Folge erheblicher Verluste für die Obligationäre. Müssen die Anleger besser geschützt werden?
Zunächst einmal muss die Kreditanalyse bei den Finanzintermediären professioneller werden. Die müssen in erster Linie ihre Hausaufgaben machen. Die Firmenmanagements sollten auch härter zu Bilanzstruktur und Liquiditätssituation befragt werden.
Wird das denn nicht auch bei der klassischen Aktienanalyse gemacht?
Nur in wenigen Häusern, denn der Aktienanalyst fokussiert sich weitgehend auf die Gewinnaussichten und die Strategie des Managements. Oft wurde viel zu wenig etwa auf den Verschuldungsgrad eines Unternehmens, auf dessen finanzielle Substanz geachtet.
Nun nimmt seit einiger Zeit auch in Europa das Angebot an Unternehmensanleihen zu, die mit attraktiveren Coupons als Staatspapiere ausgestattet sind. Wie stufen Sie hier die Risiken für den Anleger ein?
In Europa und damit auch in der Schweiz gab es in den letzten Jahren zwar vermehrt ein Angebot an Unternehmensanleihen, aber zu stark auf Telekom- und Technologiefirmen ausgerichtet. Gerade in diesen beiden Branchen hat sich die Kreditqualität verschlechtert. Folglich fehlt es im europäischen Unternehmenssektor immer noch an genügend Angeboten von Obligationen mit guter Kreditqualität. Zudem wird in Europa zu oft auf die Bekanntheit des Schuldnernamens geachtet statt auf die Kreditqualität. Auch bei Bluechips ist eine professionelle und detaillierte Kreditanalyse unbedingt erforderlich.
Wie können Anleger sich denn überhaupt in Unternehmensanleihen engagieren, ohne allzu grosse Risiken einzugehen?
Angesichts des zu geringen Angebots guter europäischer Schuldner ist eine Diversifikation in den Dollarraum unumgänglich. Dort herrscht weit mehr Marktliquidität und Schuldnerauswahl sowohl punkto Kreditqualität als auch verschiedener Branchen.
Seit dem 11. September stehen die Bonitäten von Fluggesellschaften, Flugzeugherstellern und Touristikfirmen unter Druck. Welche Branchen werden die Ratingagenturen als nächste kritisch unter die Lupe nehmen?
Wenn sie sie nicht schon auf ihren Beobachtungslisten haben, werden sich die Ratingagenturen insbesondere die Branchen ansehen, wo ein hohes Angebot auf eine schwächere Nachfragesituation trifft und der Wettbewerb entsprechend hart ist. Zu diesen Branchen zählen zunehmend Automobilbauer und Banken. Aber der Anleger darf nicht die Kreditbeurteilung durch Ratingagenturen abwarten. Denn die Ratingagenturen stellen erst spät, meist zu spät, eine allenfalls verschlechterte Schuldnerqualität fest, liefern also oft keinen Frühindikator für Veränderungen der Kreditqualität. Die muss der Anleger bei seinem Finanzberater genau hinterfragen.
Ist in dem unsicheren Konjunkturumfeld ein Abbau von Aktienpositionen und ein verstärktes Engagement in Obligationen sinnvoll?
Ein Aktienabbau war früh im Jahr 2001, ja bereits 2000 angesagt. Jetzt ist es dafür spät. Die Gewinnverschlechterung der Unternehmen fand 2000 und 2001 in den Aktienkursen ihren Niederschlag, zunächst verhalten, dann seit dem Frühjar 2001 immer rascher. Doch ebenso schnell handelten die USA als Wirtschaftsvormacht mit Zinssenkungen und Konjunkturstimulierung, besonders nach dem 11. September. Die Aktienmärkte reagierten wie gesagt mit Kursavancen, besonders im November nach dem Zusammenbruch des Talibanregimes. Jetzt ist bei den Aktien auch einmal eine Konsolidierungsphase nötig. In dieser Phase sollten bei den Regierungsanleihen die Renditen wieder sinken. Doch mit Blick auf die zweite Jahreshälfte 2002, wenn die Konjunktur wieder anzieht, haben Anleger mit Neuengagements bei Aktien eine sich aufhellende Perspektive.
Partner-Inhalte