Eben wird in der populären Fernsehseifenoper «The Guiding Light» das Pendant zum Denver-Clan-Biest Alexis wieder einmal als Schlampe beschimpft, da unterbricht plötzlich eine Nachrichtensprecherin die Sendung. Diejenigen, die sie sehen können, erfahren, dass einigen Hunderttausend Menschen in Nord- und Zentralkalifornien der Strom abgeschaltet worden ist. Und dass diese nun während rund anderthalb Stunden im Dunkeln oder vor schwarzen Bildschirmen sitzen müssen, bis der Stromausfall in die nächsten Quartiere weiterrollt. Die Seifenoper «Rolling Blackouts» ist geboren und unterbricht von nun an die Vorabendserien aus Hollywood in unregelmässigen Abständen.

Zwei Tage dauern die Stromausfälle im Januar – die ersten der kalifornischen Energiekrise. Die Bevölkerung reagiert zunächst konsterniert. «Ich war in einem Target-Supermarkt, da gingen plötzlich die Lichter aus», erzählt Julia Brashares, Leiterin einer Fotografieschule in San Franciscos Mission-Distrikt. «Es gab keine Notbeleuchtung, und alle haben geschrien. Es war ein seltsames Erlebnis. Irgendetwas stimmt nicht, wenn das in einer der grössten Wirtschaften der Welt passiert.» Bilder von Geschäftsbesitzern, die ihre Kasse bei Kerzenlicht suchen müssen, oder von Angestellten, die zu Hunderten vor ihren Firmen im Silicon Valley sitzen und warten, bis die Computer und das Licht wieder angehen, passen tatsächlich nicht zum Bundesstaat, der sich damit brüstet, mit seinem Technologieboom in den Neunzigerjahren die US-Wirtschaft wieder in Schwung gebracht zu haben. «Als die Regierung den Strommarkt noch kontrollierte, ist so etwas nie passiert!», klagt Mindy Spatt, Medienchefin der Konsumentenorganisation Turn.

Doch eine Bevölkerung, die mit der ständigen Bedrohung von Erdbeben lebt, lässt sich von einer Energiekrise nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil: Dank der Krise wird das Energiesparen entdeckt und zelebriert. Stolz berichten einfache Bürger am Fernsehen, wie sie nun ohne Zweitkühlschrank in der Garage auskommen, zwei der drei Fernsehapparate ausschalten, wenn sie nicht gerade davor sitzen, wie sie nun das Licht löschen, wenn sie ein Zimmer verlassen, ihre Waschmaschine erst nach neunzehn Uhr einschalten oder wie wenig es ihnen ausmacht, morgens nur noch fünf statt fünfundzwanzig Minuten heiss zu duschen. Bei der Supermarktkette Walmart sind Wäscheständer ausverkauft, denn Tumbler sind definitiv out. In ist, wer seine Wäsche an der Luft trocknet. Hausbesitzern wird staatliche Hilfe angeboten, wenn sie Dächer isolieren, Fenster und alte Heizungen ersetzen lassen. Und wer nachts in der Stadt hell beleuchtete Schaufenster sichtet, ruft die lokale Fernsehstation KTVU an, die den sündigen Ladenbesitzer vor laufender Kamera zur Rede stellt. Immerhin hat Gouverneur Gray Davis saftige Bussen für solche Verschwendung angekündigt. Als dann aber Lokalmedien berichten, die Elektrizitätsrechnung des Gouverneurs koste die Steuerzahler über 6000 Dollar im Jahr, lädt die kalifornische First Lady das Fernsehen schnell in die Gouverneursvilla, um dem Volk zu zeigen, wie sie 60 Glühbirnen durch Sparbirnen ersetzt, die Swimmingpoolheizung ausgeschaltet und den Kühlschrank mit Wasserflaschen isoliert hat, und lässt sich vor einem auf 18 Grad gestellten Thermostat filmen. Ganz nach dem Motto der Anzeigenkampagne ihres Mannes: «Zusammen schaffen wir es durch diesen Energienotstand» (das Wort «Krise» gibt es offiziell nicht).

Gleichgültigkeit statt Krisenstimmung
Mangels weiterer Stromausfälle legt sich die neu entdeckte Energiesparbegeisterung allerdings bald wieder. Zwar herrscht in Kalifornien wochenlang ein so genannter Stage 3 Power Alert: Das heisst, die Stromreserven betragen weniger als 1,5 Prozent, und die Leute müssen jederzeit damit rechnen, dass ihnen der Strom wieder abgeschaltet wird. Welche Alarmstufe gerade herrscht, geben Radio- und Fernsehstationen nun gleich nach dem Wetterbericht durch. Doch ausser Unternehmern, denen Stromausfälle Millionenschäden einbrocken können, hört kaum jemand mehr hin. Im April muss der Gouverneur zerknirscht feststellen, dass seine Bürger sogar mehr Elektrizität verbrauchen als im notstandslosen Vorjahr, und wendet sich in seiner Verzweiflung an die Vereinigung der Hauswarte, um sie zu bitten, sie sollten doch bitte dafür sorgen, dass abends in den Büros Lichter und Geräte ausgeschaltet werden.

Insgesamt muss der California Independent System Operator (ISO) – die Behörde, die sozusagen als Kontrollturm des Energieflusses für 27 Millionen Kunden in Kalifornien wirkt – bis zum Sommer nur gerade an sechs Tagen Stromausfälle anordnen. Der Preis dafür, dass die Lichter nicht ausgehen, ist allerdings sehr hoch. Im Durchschnitt fehlen Kalifornien täglich rund 8000 Megawatt Kraftwerksleistung. An einem Tag, an dem die Angestellten der California ISO wieder einmal fieberhaft jede Kilowattstunde zusammenkratzen müssen, um den Tagesbedarf zu decken, verlangt – und erhält – der texanische Stromerzeuger Reliant 1900 Dollar für eine einzige Megawattstunde, dafür kann man sich einen ordentlichen Gebrauchtwagen kaufen. Vor einem Jahr bezahlte Kalifornien noch 30 Dollar dafür. So sei eben der Markt, sagt Reliant-Chef John Stout in einem Fernsehinterview. Obszön sei das, poltert der Gouverneur, und in verschiedenen Städten belagern verärgerte Bürger die Sitzungen seiner Energiekommission, die die gesetzlich festgesetzten Energiepreise nun doch erhöhen will. «Sie alle sollten eines Morgens in einer Gefängniszelle aufwachen! Was Sie hier betreiben, ist Raub!», schreit eine ältere Dame den sichtlich gestressten Mitgliedern der Kommission in einer öffentlichen Sitzung entgegen. Andere werden so ausfällig, dass sie von der Polizei aus dem Saal getragen werden müssen. Und schon sitzt ein Teil der Bevölkerung wieder im Dunkeln. Diesmal auch die Mitglieder der Energiekommission: Mitten in einer Krisensitzung fällt auch bei ihnen der Strom aus. Und obendrauf meldet der grösste kalifornische Energielieferant, PG&E (Pacific Gas and Electric), auch noch den Konkurs an.

Die Politik bestimmt den Strompreis
Eigentlich hätte die Pleite von PG&E eine Energieversorgungskatastrophe auslösen sollen. Vor allem im Sommer, wenn in Südkalifornien alle ihre Klimaanlagen hochschrauben. Doch der Strom fliesst weiter. Zwar ist der Elektrizitätsmarkt offiziell noch liberalisiert. Die Kilowattstunden kauft und verkauft jedoch wieder der Staat. Den vollen Preis dafür hat Gouverneur Davis noch immer nicht auf die Konsumenten abgewälzt, aus Angst um seine politische Karriere, die gemäss Aussagen seiner Freunde ins Weisse Haus führen soll. Dafür hat er gegen einige Energiefirmen geklagt. Und auch gegen die US-Regierung. Denn US-Präsident George W. Bush weigerte sich zunächst, dem Wucher auf dem kalifornischen Energiemarkt – wo der Elektrizitätspreis im Schnitt zehnmal höher ist als in anderen Bundesstaaten – mit Preiskontrollen zu Leibe zu rücken. Die Preise sinken dann aber trotzdem.

Das Grüppchen, das noch immer gegen die verpatzte Stromliberalisierung demonstriert, wird immer kleiner. Das Interesse an der Stromkrise auch. «The Guiding Light» wird schon längst wieder ohne Stromalarm-Unterbrechungen gesendet. Und in der Stadt sind die meisten Schaufenster wieder die ganze Nacht hindurch beleuchtet. «Energiekrise? Welche Krise?», spottet eine Lokalzeitung. Als kürzlich bekannt wurde, dass in der kalifornischen Staatskasse ein Schuldenloch von rund neun Milliarden Dollar klafft, redeten alle von den wirtschaftlichen Folgen der Terroranschläge vom 11. September. Und niemand mehr davon, dass der Staat manchmal täglich bis zu 50 Millionen Dollar für Elektrizität ausgeben musste, damit die Lichter nicht ausgingen. Und das in einem offiziell liberalisierten Strommarkt. Die Rechnung dafür steht noch aus. Wen kümmerts? Eine Megawattstunde kostet wieder nur noch 30 Dollar.
Partner-Inhalte