Mit dem Tod von Harry Markowitz (1927–2023) verliert die Wirtschaftswissenschaft eine ihrer ganz grossen Persönlichkeiten. Zahllose Nachrufe haben in den vergangenen zwei Wochen die wissenschaftliche Leistung und die wunderbare Persönlichkeit von Markowitz gewürdigt. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Warum dann jetzt noch ein Artikel zu Markowitz? Um uns daran zu erinnern, dass auch die grossartigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht notgedrungen in der Praxis zu einem Mehrwert führen müssen. Markowitz hat das Zeitalter der Portfolio-Optimierung eingeleitet. Generationen von Studenten und Studentinnen der modernen Finanzwissenschaften sind nach seinem Paradigma ausgebildet worden.
Die weitaus überwiegende Mehrzahl der heute von Banken und Vermögensverwaltern angebotenen Anlageprodukte sind nach den von ihm angeregten, komplexen Optimierungsverfahren konstruiert worden. Nur sind diese bis heute den Beweis schuldig geblieben, dass sie selbst der naivsten Form der Finanzanlage überlegen sind.
Das sollte niemanden verwundern, denn selbst Markowitz hat sein Geld nicht nach seiner eigenen Theorie angelegt. Wie dann? Immer wieder hat Markowitz in Interviews sein Rezept der Finanzanlage verraten: 50 Prozent in Aktien und 50 Prozent in Obligationen. Der Schlüssel für den Anlageerfolg sei Diversifikation.
Warum die naive Strategie die Portfoliotheorie übertrumpft
Wie richtig Markowitz mit seiner Anlagestrategie und wie falsch die Standardanwendung der optimierten Portfolios der Finanzindustrie sind, lässt sich auch im Schweizer Anlagemarkt einfach nachverfolgen. In einem kurzen Research-Beitrag konnten wir zeigen, dass der Durchschnitt der Strategiefonds der Schweizer Banken eine tiefere Rendite und ein höheres Risiko haben als eine Anlage, die gleich gewichtet in die sechs wichtigsten Anlageklassen investiert hätte.
Eine solche Strategie nennt man in der Wissenschaft eine naive Strategie. Naiv, weil sie überhaupt kein Wissen über die Zukunft und keine Theorie zur Portfolio-Optimierung unterstellt. Diese naive Strategie ist das, was ein bescheidener Mensch ohne grosses Fachwissen wählen würde: In jeden Topf wird gleich viel geworfen.
Markowitz hat geahnt, warum eine Anwendung seiner Methode in der Praxis kaum funktionieren kann. Es fehlen die für eine sinnvolle Anwendung seiner Theorie notwendigen Informationen über die zukünftigen Erträge der Anlagen und deren zeitlichen Zusammenhang. Dafür müsste man gute Prognosen über Anlagerenditen und deren Korrelationen machen können. Das kann man aber nicht.
Das bedeutet nicht, dass man nicht noch ein wenig besser bei den Anlagen sein kann als die naive Strategie. Wir wissen zwar wenig über die wirtschaftliche Zukunft, aber eben auch nicht nichts. Hier entsteht – durch unsere Finanzindustrie praktisch unreflektiert – neues Wissen, das auf der Grundüberzeugung von Markowitz aufbaut, dass Diversifikation der Schlüssel zum Erfolg ist. Schade, dass Harry Markowitz das nicht mehr erleben darf. Er hätte sicher Freude daran gehabt.
Der Ökonom Klaus Wellershoff schreib regelmässig Kolumnen in der «Handelszeitung» und ist Co-Host des «Morning Call» der «Handelszeitung». Die in der Kolumne vertretenen Ansichten müssen sich nicht mit jener der Redaktion decken.