Bilanz: Der amerikanische Aktienmarkt scheint von extremen Gegensätzen geprägt. Warum entwickeln sich Aktien der so genannt alten und neuen Ökonomie so unterschiedlich?
Edwin Walczak:
In der Tat bewegen sich viele US-Papiere seit längerer Zeit in einem Bärenmarkt, stagnieren also bestenfalls. Nur hat das niemand zur Kenntnis genommen. Der Dow Jones Index hat sich unter anderem durch den Einbezug von Microsoft und anderen Technologieaktien zu einem Massstab für Wachstumsaktien gewandelt. Ohne die Internetaktien weisen die US-Indizes im besten Fall eine Seitwärtsbewegung aus. Eine solch differenzierte Entwicklung verschiedener Börsenbereiche erleben wir alle paar Jahrzehnte. Nun sind wir offensichtlich wieder in einer solchen Phase.

Welche Entwicklung sehen Sie für die nähere Zukunft?
Einzig der liebe Gott weiss das! Wir befassen uns ausführlich mit dem Gang der Dinge – und können doch keine intelligente Prognose für einen so kurzen Zeitraum machen.

Nun hat in letzter Zeit der langfristig orientierte Ansatz auch nicht grade Erfolg gehabt, wenn man beispielsweise auf die Leistung Ihres Vontobel US Value Equity Fund abstellt. Wie erklären Sie das Ihren Anlegern?
Ich bin jetzt seit 1982 im Geschäft, und das vergangene Jahr war das schlechteste, das ich erlebt habe. Die Entwicklung unseres Fonds wurde im Wesentlichen durch drei Faktoren bestimmt. Zuerst einmal gab es Probleme mit der Auswahl gewisser Aktien, beispielsweise aus der Versicherungsbranche. Die brachten nicht, was wir erwartet hatten. Zu den schlechten Performern in diesem Bereich gehörten auch Unternehmen, die fusionierten und die sich im Zuge ihres Zusammenschlusses nicht wie erhofft entwickelten. Insgesamt gewichteten wir die Versicherungsbranche vergleichsweise hoch. Ihr gegenwärtiger Aufschwung liess lange auf sich warten. Sodann hatten alle, die den Werte- oder Value-Ansatz verfolgten, ein vergleichsweise schlechtes Jahr, Warren Buffett eingeschlossen. Und drittens baute sich im Technologiebereich wirklich eine spekulative Blase auf, vor allem bei den Internetwerten. Deren Kursniveau war nicht mehr realistisch. Insgesamt prägten also doch sehr untypische Verhältnisse die jüngere Vergangenheit. Das müssen wir den Anlegern klarmachen.

Der Nasdaq, der Index für die Technologiewerte in den USA, hat sich in den vergangenen Monaten deutlich zurückgebildet. Ist damit das Ärgste ausgestanden?
Trotz der Korrektur werden die New-Economy-Titel immer noch zu einem viermal höheren Preis-Gewinn-Verhältnis gehandelt als die übrigen Titel. Jene der neuen Wirtschaft machen auch bereits rund 40 Prozent der Marktkapitalisierung in den USA aus, obwohl diese Firmen nur rund ein Zehntel zum Bruttosozialprodukt beitragen. Den aktuellen Bewertungsunterschied beurteile ich immer noch als zu hoch.

Was macht den Unterschied zwischen einem wertorientierten und einem wachstumsorientierten Anlagestil aus?
Der Unterschied der beiden Anlagestile wird überschätzt. Auch wachstumsorientierte Anleger schauen auf den Preis einer Aktie. Also ist die Unterscheidung Value und Growth doch künstlich. Nehmen wir zum Beispiel Coca-Cola, die wir 1997 in unserem Fonds zu einem Preis-Gewinn-Verhältnis von 40 hielten, Gillette gar zu 45. Heute liegt der Durchschnitt der im Fonds gehaltenen Titel bei 18. Wir versuchen also einfach Aktien von Firmen zu finden, die gut arbeiten und weiterhin wachsen.

Welches Preis-Gewinn-Verhältnis halten Sie für vernünftig?
Darum geht es gar nicht. Ebenso wenig geht es um die Frage nationaler oder internationaler Aktien oder ob man in Klein- oder Grossunternehmen investiert. Und die Frage des wert- oder wachstumsorientieren Investierens ist ebenso von zweitrangiger Bedeutung. Vielmehr geht es darum, eine Firma zu finden, deren Geschäft wir verstehen, die eine erkennbare, langfristig orientierte Politik verfolgt und die genügend Cashflow erarbeitet. Solche Überlegungen liegen einem wertorientierten Investieren zu Grunde.

Wie finden Sie die Firmen, die Ihren Kriterien entsprechen?
Als ich jünger war, verliess ich mich auf die Analysedaten, die mir die Computer lieferten. Mit der Zeit sind mir jedoch einige Dinge klar geworden. Unser Anlagespektrum ist enger als etwa jenes des Standard & Poor’s 500, der die wichtigsten US-Titel umfasst. Wir treffen eine Auswahl aus rund 100 Firmen. Die kaufen wir natürlich auch nicht zu jedem Kurs. So haben wir 15 bis 30 Aktien in unserem Fonds. Bezüglich all dieser Firmen spielen vor allem die persönlichen Kontakte zum Management eine Rolle. Zudem verfolgen wir die Berichte in den Medien und leiten daraus ab, wo Chancen und Risiken liegen. Das heisst nicht, dass wir rein subjektiv anlegen. Vielmehr beruht der Anlagestil auf dem gesunden Menschenverstand. Letztlich geht es um die Frage, was ein Unternehmen attraktiv macht und ob dessen Aktien zu einem vernünftigen Preis zu haben sind.

Wann kommt der Zeitpunkt, den Schwerpunkt der Investitionen von den USA nach Europa zu verlegen?
Auch hier würde ich keine strikte Unterscheidung machen. Natürlich funktioniert die Welt so; aber mich um die Entwicklung des Dollars oder des Euro zu kümmern, ist viel zu kompliziert. Vergessen wir das! Bei uns zirkuliert dazu folgende, mit Augenzwinkern gestellte Frage: Haben Sie je einen reichen Ökonomen gesehen? Ich auf jeden Fall kenne keinen. Der Bottum-up-Ansatz hat sich für uns als profitabler erwiesen, ausgehend vom einzelnen Unternehmen, das eine Investition als lohnenswert erscheinen lässt. Ich mag es nicht, weise zu erscheinen. Aber die Frage kann nicht lauten: Europa oder Amerika. Wenn Sie eine gute Firma in Europa finden, dann investieren Sie dort. Die Kriterien für solche Investmententscheide sind international die gleichen.

Als Argument gegen ein Investment in den USA taucht immer häufiger die Feststellung auf, der amerikanische Markt sei am oberen Ende des Zyklus angelangt.
Ich bin derzeit optimistisch. Wir hatten eine schwierige Zeit mit Wertverlusten auf den gängigen Titeln, während indexorientierte Investments die aktiv bewirtschafteten Fonds schlugen. Künftig wird es für einen aktiv investierenden Manager einfacher sein, den Index zu schlagen. Die Profitabilität der Unternehmen wird möglicherweise abnehmen, ist sie unterdessen doch auf einem Allzeit-Höchst. Umso wichtiger wird es sein, die Unternehmen genau anzuschauen.

Damit kümmert Sie das Gerede von einer sanften Landung der amerikanischen Ökonomie gar nicht?
Natürlich ist das eine wichtige Angelegenheit. Aber letztlich ist die Entwicklung schwierig vorherzusagen. Ich kenne wenig Leute, die das können. Viele Anleger verkaufen ihre Wertpapiere aus Angst vor einer harten Landung der Gesamtwirtschaft. Kommen die Aktien genügend runter, werden wir sie dafür kaufen. Es geht also nicht darum, was mit den Unternehmensgewinnen in den nächsten zwei Jahren geschieht, sondern wie die langfristigen Perspektiven aussehen.

Gerade auf die Länge gesehen sind die Aussichten nicht so günstig. Wenn die Babyboomer-Generation ihr Aktienengagement altersbedingt abbaut, droht eine lang anhaltende Baisse.
Diesbezüglich sehe ich wirklich Wolken aufziehen. Aber vor allem, weil Erhebungen zeigen, dass kaum mehr langfristige Investoren übrig sind. Die Märkte zeigen heute in vielerlei Hinsicht die Merkmale eines Kasinobetriebs. In den USA wird ein durchschnittlicher Aktienfonds derzeit rund zweieinhalb Jahre gehalten, vor zehn Jahren waren es noch sieben Jahre. Einen Technologiefonds halten die Anleger vier Monate. Das ist doch einfach lächerlich. Da stellt sich die Frage, was wir als langfristige Investoren tun können. Das Ganze muss wieder ins Gleichgewicht kommen, und das kann schmerzlich werden.
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