Was beschäftigt derzeit die Finanzmärkte?
Reto Müller*: In erster Linie wohl der anhaltende Handelsstreit zwischen den USA und China. In diesem Zusammenhang sahen wir jüngst die Rendite von zehnjährigen US-Staatsanleihen auf dem tiefsten Stand seit September 2017. In die andere Richtung bewegte sich die Renditen von zehnjährigen italienischen Schuldtiteln. Anleger ziehen sich aus italienischen Anleihen zurück, aus Angst vor einer neuen Machtprobe zwischen der EU und dem italienischen Vizeregierungschef Salvini nach dem Erfolg seiner rechtspopulistischen Lega bei den vergangenen Europawahlen. Das dürfte Auswirkungen auf die Zinspolitik der EZB haben.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Der SMI hat sich relativ gesehen gut gehalten in den letzten Wochen. Bei erhöhter Unsicherheit und Volatilität in den kommenden Wochen dürfte er im Vergleich zu anderen Indizes weiterhin zu den Gewinnern zählen. Kurzfristig ist das Potential für einen Abschwung wohl etwas grösser als für einen Aufschwung. Es sei denn, wir sehen eine überraschend positive Entwicklung im geopolitschen Umfeld.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Wahrscheinlich in etwa auf dem jetzigen Stand. Einen grossen Aufschwung sehe ich nicht, eine markante Abwärtskorrektur momentan auch nicht. Die Weltwirtschaft ist im Grunde weiterhin ziemlich robust, was bei den aktuellen Ereignissen oft etwas vergessen geht. Das Pendel kann aber rasch auf beide Seiten ausschlagen. Bekanntlich wird die Börse kurzfristig auch sehr von Stimmungen und nicht nur von Fundamentaldaten getrieben.
Der Markt ist aufgrund des Handelsstreits zuletzt hektischer geworden. Lohnt sich nun eine Umschichtung in defensive Titel?
Nach einem grossartigen ersten Quartal an den amerikanischen Aktienmärkten lohnt es sich, jetzt genauer zu definieren, in welchen Bereichen Anleger investieren möchten. Wir haben kürzlich neue Positionen in defensiveren Unternehmen aufgebaut, die stärker auf die USA ausgerichtet sind. Wir setzen vor allem auf Unternehmen, denen es gelingt, sich aus eigener Kraft zu regenerieren.
Tech-Titel wie Alphabet, Apple oder auch IBM und Intel haben jüngst nachgegeben. Steht ihnen ein längerer Abwärtstrend bevor?
In unseren US-Aktienfonds meiden wir derzeit die meisten Unternehmen im Bereich Hardware, Speicher und grundlegender Netzwerktechnologie. Aber anstatt alle Techtitel in einen Topf zu werfen, stützen wir uns lieber weiterhin auf unser Fundamental-Research und konzentrieren uns darauf, interessante Wachstumsunternehmen zu finden. Wir bevorzugen Geschäftsmodelle mit wiederkehrenden Umsätzen und solche Unternehmen, die ihre Finanzkennzahlen auf ein Abonnenten-Model umstellen, beispielsweise Adobe und Microsoft. Technologieausgaben sind meist zyklisch. Wenn sich Unternehmen in Bezug auf das aktuelle Umfeld nicht wohl fühlen, halten sie sich mit Investitionen zurück. Die Ausnahme sind Ausgaben für Cyber-Security.
Der Tesla-Kurs ist derzeit so tief wie zuletzt 2016. Analysten von Morgen Stanley sehen für den Worst Case gar ein Kursziel von 10 Dollar. Wie sehen Sie die Chancen des US-Elektroauto-Herstellers?
Die Tesla-Aktie war von einer erheblichen Schwäche der weltweiten Automobilnachfrage und einer allgemein schlechten Stimmung bei den Automobilaktien betroffen. Allerdings hat Tesla kürzlich seinen firmeneigenen Bilderkennungscomputer vorgestellt. Dies ist ein wichtiger Meilenstein in Teslas Bemühungen, Autos sicherer zu machen. Und es unterstreicht den Vorsprung des Unternehmens auf dem Gebiet der Selbstfahrtechnologie. Tesla hat auch erfolgreich neues Kapital aufgenommen, um die Einführung neuer Modelle und die Erweiterung der Produktionskapazitäten ausserhalb der USA vorzubereiten. Grundsätzlich bleibt aber die Profitabilität von Tesla ein Problem, das sie in den Griff bekommen müssen, um langfristig attraktiv zu sein.
Bietet sich nun gar eine gute Einstiegsmöglichkeit, für jemand der auf einen spekulativen Kurs setzen möchte?
In unseren Aktienportfolios haben wir meist mittel- bis langfristige Anlagehorizonte. Sobald Aktien, deren Kennzahlen attraktiv sind, überbewertet sind, jedoch an Wert einbüssen, nutzen wir dies als Einstiegzeitpunkt – sofern die Fundamentaldaten weiterhin gut sind. Je länger die Korrektur dauert, desto mehr solche Möglichkeiten eröffnen sich. Grundsätzlich haben wir aber noch keine ausgeprägte Abwärtsbewegung gesehen. Ein kurzfristiger Rebound ist genauso möglich wie eine erneute Abwärtsbewegung. Deshalb konzentrieren wir uns auf Fundamentaldaten und haben eine eher längerfristige Ausrichtung.