BILANZ: Das Jahr 2008 war das schlechteste Börsenjahr aller Zeiten in der Schweiz. Wird das laufende Jahr besser?

Dr. Van: Es ist möglich, dass die Börse das Jahr 2009 leicht im Plus beenden wird. Statistisch folgen auf sehr schlechte Börsenjahre oft sehr gute. Ich denke nicht, dass 2009 diese Statistik bestätigen wird.

Warum nicht?

Die Prognosen für das Wirtschaftswachstum der USA im dritten Quartal sind zu optimistisch. Die Anleger werden wahrscheinlich enttäuscht.

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Aber die Erwartungen – ein Prozent Wachstum – sind ja nicht gerade hoch.

Ich wäre nicht überrascht, wenn wir im dritten Quartal eine milde Schrumpfung der US-Wirtschaft sähen.

Wieso das?

Das Wirtschaftswachstum setzt sich aus Arbeitsinput und Produktivität zusammen. Der Arbeitsinput in den USA ist deutlich gefallen, gemessen an der Anzahl geleisteter Arbeitsstunden. Dieses Minus müsste durch höhere Produktivität aufgefangen werden.

Und die dürfte steigen, weil massiv Leute entlassen wurden.

Aber die Produktivität wird nicht genug steigen, denn die tieferen Kosten stehen auch geringeren Umsätzen gegenüber. Deshalb steigt die Produktivität ebenfalls nicht so stark.

Aber die Umsätze der Firmen sollten bald wieder steigen, weil sich
die Lager der Unternehmen leeren und wieder gefüllt werden müssen.

In absoluten Zahlen sind die Lager ¬weniger gefüllt als auch schon. Aber im Verhältnis zu den ebenfalls tieferen Umsätzen ist die Lagerhaltung der Firmen immer noch zu hoch und auf historisch hohem Niveau.

Hier sind viele anderer Meinung.

Selbst wenn die Lager jetzt wieder gefüllt würden, wäre das kein Fundament für ein nachhaltiges Wachstum. Denn der US-Konsument muss und will sparen.

Aber in den USA greift der Staat den Konsumenten derzeit unter die Arme, beispielsweise mit Steuerrabatten.

Diese Staatshilfen werden nicht zum Konsum genutzt, sondern gespart, beziehungsweise es werden Schulden abgebaut. Der Prozess dürfte noch lange dauern.

Wie lange?

Mehrere Jahre. Das müssen wir einfach akzeptieren. Deshalb dürfte die US-Wirtschaft, selbst wenn sie im dritten Quartal wieder wächst, im Jahr 2010 erneut in eine Rezession fallen. Die Gefahr von Wachstumsenttäuschungen ist derzeit höher als die Chance, dass die Erwartungen übertroffen werden. Das Einzige, was derzeit die Wirtschaft vorwärtstreibt, sind die Regierungen, die Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpen.

Das klingt jetzt sehr düster.

Wenn die Angebotskapazitäten für ein weiteres Jahr nicht erhöht werden, dann werden Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht kommen. Der Punkt kommt bestimmt.

Wann?

Eine Untersuchung der beiden Universitätsprofessoren Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff kommt zum Schluss, dass Wirtschaftskrisen wie diese – in denen der Immobilienmarkt, die Banken und die Kreditmärkte gleichzeitig betroffen sind – im Durchschnitt fast fünf Jahre dauern.

Das bedeutet, die Erholung der ¬Wirtschaft würde erst im Jahr 2012 beginnen.

Es kann einzelne Quartale geben, in denen wir Wachstum sehen werden, aber bis die Krise wirklich überstanden ist, dürften wir das Jahr 2012 schreiben. Insbesondere dürfte die Arbeitslosenquote bis dahin steigen.

Sie ist in den USA jetzt schon bei 9,5 Prozent.

Gemäss Reinhart und Rogoff werden wir sie auf über elf Prozent steigen sehen.

Die Studie von Reinhart und Rogoff zeichnet ein trübes Bild. Doch sie
wurde schon Ende 2008 publiziert, die Kurse sind seit März 2009 stark gestiegen.

Der Anstieg erklärt sich vor allem dadurch, dass das Vertrauen der Anleger etwas zurückgekehrt ist. Aber das Grundproblem der Kreditkrise ist geblieben. Wir sind von der Finanzkrise zur Krise der Realwirtschaft übergegangen.

Und was sollten Anleger jetzt tun?

Sie sollten Aktien etwas untergewichten und eher die defensiven Sektoren bevorzugen, wie Pharma, Telekom und Versorger. Abstand nehmen würde ich von zyklischen Industrie- und Finanztiteln.

Aber gerade der Finanzsektor ist in jüngster Vergangenheit sehr gut gelaufen. Und viele Banken haben mit sehr guten Geschäftsergebnissen überrascht.

Ja, der Sektor war überverkauft. Aber die hohen Gewinne der Banken bergen auch Risiken. Denn wenn sie so hohe Gewinn erwirtschaften, während die Gesamtwirtschaft weiter schwächer wird, dann ist das politisch ein heisses Eisen. Und die Banken werden in Zukunft sowieso mit viel mehr Regulierungen zu kämpfen haben.

Viele empfehlen derzeit Anlagen in Schwellenländern.

Wir denken auch, dass dort mehr Chancen zu finden sind als in den entwickelten Ländern. Das Wachstumspotenzial ist in Schwellenländern grösser.

Die Aktien der Schwellenländer sind aber teuer. Ihre Kurs-Gewinn-Verhältnisse sind gegenwärtig sogar leicht höher als in den entwickelten Ländern.

Deswegen würde ich auch noch zuwarten, bis sie günstiger zu haben sind. Und dann eher in Schwellenländern mit starkem Heimmarkt investieren, wie Indonesien, Vietnam, Indien, Thailand oder Brasilien.

Was ist mit Rohstoffen?

Ich denke, der Ölpreis ist eher ein wenig zu hoch. Die Preise für Industriemetalle auch, denn um die derzeitigen Preise etwa für Kupfer zu rechtfertigen, müssten wir einen schnellen Konjunkturaufschwung sehen, und daran glaube ich nicht.

Und Gold?

Gold ist sicher etwas, das Investoren im Portfolio haben sollten. Hauptsächlich als Versicherung gegen die Risiken, welche die Staatsdefizite und Zentralbankinterventionen in sich bergen, und gegen geopolitische Risiken.

Ein grosses Risiko ist die Dollarabwertung.

Ja, aber die USA sind eine sehr innovative Nation, das sollte nicht unterschätzt werden. Diese Innovationskraft könnte dem Dollar durchaus wieder Kraft geben.

Was jetzt: rauf oder runter?

Das kommt darauf an, gegenüber welcher Währung. Vom Jahr 2002 bis 2007 hat sich der Dollar gegenüber den Hauptwährungen der Welt abgewertet – das dürfte sich kurzfristig auch fortsetzen. Gegenüber den Währungen der grossen asiatischen Schwellenländer ist der Dollar bisher dagegen relativ stabil geblieben, weil diese Länder eine Aufwertung ihrer Währung nicht zugelassen haben. Aber früher oder später werden sie das zulassen müssen.

Warum?

Die USA braucht einfach eine schwächere Währung gegenüber den Schwellenländern. Diese Länder müssen mehr wirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Und das fängt bei den Devisenmärkten an. Allerdings sehe ich das nicht sofort kommen. Aber wenn die USA noch ein schwaches Wirtschaftsjahr durchmachen müssen, dann werden die Schwellenländer keine andere Wahl haben, als eine Aufwertung ihrer Währungen zuzulassen. Wenn sie das nicht tun, dann könnte es durchaus zu ökonomischen Konflikten und starkem Protektionismus in der Welt kommen.

Er bestimmt die Anlagepolitik der Bank Julius Bär und soll innerhalb der Bank eine eigenständige Vordenkerrolle einnehmen. Dr. Van (45), wie sich Venkatraman Anantha-Nageswaran selber nennt, hat einen Doktortitel in Finance der Universität Massachusetts. Beruflich startete er 1994 als Währungsspezialist bei der UBS.