Er kennt sich aus in Hollywood. Seit fast 30 Jahren ist David Linde im Filmgeschäft, zuerst arbeitete er im Vertrieb, dann als Produzent. Und das mit grossem Erfolg: Als Chef verschiedener Studios war er mitverantwortlich für zahlreiche Nominationen und Auszeichnungen bei den Oscars. «Ich liebe das Filmemachen», sagt er noch heute. «Und ich liebe, was Filmemacher ihrem Publikum offerieren.»

Film ist für ihn aber nicht bloss Unterhaltung, sondern ein Mittel, die Menschen aufzurütteln, sie zum Handeln zu bewegen – und letztlich so die Welt zu verändern. «Entertainment that inspires», Unterhaltung, die inspiriert: Das ist das Motto der Filmproduktionsfirma Participant Media, die Linde seit letztem Herbst führt und die Anfang Jahr mit «Spotlight» den Oscar für den besten Film gewonnen hat. Für sein Lebenswerk wurde Linde nun am Filmfestival von Locarno ausgezeichnet. Bevor er sich von Los Angeles auf den Weg ins Tessin macht, fand er Zeit für ein längeres Telefongespräch.

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BILANZ: Herr Linde, sind Sie nicht jeweils etwas frustriert, wenn Sie sich die Kino-Charts ansehen?
David Linde*: Nein. Wieso?

Diese werden angeführt von Captain America, Superman und dem restlichen Marvel-Superhelden-Arsenal. Das ist doch das Gegenteil von dem, was Participant Media anstrebt: Filme, die nicht nur unterhalten, sondern das Publikum auch gesellschaftspolitisch bewegen.
Dort finden wir aber auch «Zootopia» – und das könnte vom Konzept her durchaus ein Participant-Media-Film sein.

Der Zeichentrickfilm mit der Kaninchen-Polizistin, der eine Welt zeigt, in der alle friedlich leben können.
Ja. Denn der erste Schritt für jeden sozialen Wandel ist Empathie. Und genau das erkenne ich in «Zootopia». Es ist ein wundervoller Film, den ich zusammen mit meiner ganzen Familie gesehen habe. Das Wichtigste ist aber, dass das Publikum sich weiterhin für Film interessiert – und ins Kino geht. Weltweit nimmt die Zuschauerzahl sogar zu.

Vor allem wegen China, wo das Kino dank Superman und Co. boomt.
Heute wenden sich die Zuschauer in China den grossen US-Produktionen zu. Aber wenn sich der Markt öffnet, werden sich dort auch Möglichkeiten für künstlerisch engagierte Filmemacher ergeben. Es ist durchaus vorstellbar, dass eine Arthouse-Kette mit Kinos in 30 Städten entsteht – kombiniert mit einer Video-on-Demand-Plattform für künstlerische Filme. Filme, die über solche Kanäle vertrieben werden, könnten in China Millionen von Menschen erreichen. Und auch wenn jeder dieser Zuschauer im Schnitt nur einen Dollar zahlt, ergibt das einen Gewinn in Millionenhöhe.

Sie glauben also an die Zukunft des Kinos?
Absolut. Die Gefahr ist jedoch, dass das Kinopublikum immer älter wird. Als Geschäftsleute haben wir es fast verpasst, das jüngere Publikum für unsere Filme zu gewinnen. Dieses jüngere Publikum will überall unterhalten werden – im Kinosaal ebenso wie auf dem Handy. Wir haben das Bedürfnis der Leute zu Beginn nicht ernst genommen, ja wir haben diese neuen Formen des Filmkonsums zuerst abgelehnt und darauf beharrt, dass Filme exklusiv im Kino laufen. Aber wir müssen akzeptieren, dass die Leute heute die Filme auf den verschiedensten Plattformen sehen wollen.

Wie reagieren Sie mit Participant Media auf diese Entwicklung?
Es liegt jetzt in unserer Verantwortung, für jeden Film die richtige Plattform zu wählen. Das wird nicht einfach. Und es ist auch eine Herausforderung für die Künstler. Sie müssen Wege finden, ihre filmischen Ambitionen in der digitalen Welt umzusetzen. Und es braucht bessere Lösungen, damit Filme gleichzeitig im Kino und online gezeigt werden können. Wir werden unsere Investitionen in Inhalte erhöhen, bei denen vorgesehen ist, dass sie digital konsumiert werden – auf dem Smartphone oder Tablet. Wir wollen die Verbindung zum jüngeren Publikum ausbauen und es so in die Welt des Films ziehen, in die Welt des Mitgefühls und der Empathie – und letztlich in die Welt der Tat. Wir wollen mit unseren Spiel- und Dokumentarfilmen sowie Fernsehprogrammen Unterhaltung und Information bieten. Und wir hoffen, dass wir die Zuschauer berühren und damit bei ihnen den Wunsch wecken, selber aktiv zu werden.

Kann denn ein Film eine solch grosse Wirkung erzielen, dass er zur Tat bewegt und letztlich hilft, die Welt zu verbessern?
Ja. Nehmen wir zum Beispiel Al Gores «An Inconvenient Truth». Dank diesem Film ist eine Gemeinschaft entstanden, die es vor zehn Jahren, also vor dem Filmstart, noch nicht gab. Er setzte den Klimawandel auf die politische Agenda und brachte Menschen dazu, sich zu engagieren. Oder nehmen wir «Spotlight», mit dem wir dieses Jahr den Oscar für den besten Film gewonnen haben und der auch an der Kinokasse erfolgreich ist: Dank dieses Films ist in den USA das Bewusstsein merklich gesteigert worden, wie wichtig investigativer Journalismus für die Gesellschaft ist. Aber noch wichtiger: Der Film hat den Überlebenden einer schrecklichen Tragödie eine Plattform gegeben, auf der sie sich ausdrücken können. Organisationen überall im Land erhalten heute sehr viel mehr Unterstützung in ihrer Fürsprache für die Opfer. Das ist Wirkung. Und das macht uns glücklich.

Was unternehmen Sie, um die Wirkung eines Films zu steigern?
Wir haben bei Participant Media ein «Social Impact Department», eine Abteilung, welche die Wirkung unserer Filme begleitet. Diese arbeitet eng mit den Filmverleihern zusammen, aber auch mit Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und Anwaltsgruppen, mit denen wir unsere Kampagnen koordinieren.

Damit ist Ihre Firma in Hollywood wohl eher eine Ausnahme, oder?
Ja. Aber wenn man mit Werbe- und Marketingfirmen spricht, dann hört man immer das Gleiche: Eine der grössten Veränderungen in ihrer Welt ist die Bedeutung, die Konsumenten heute dem «Social Value» beimessen. Konsumenten ziehen einen persönlichen Mehrwert daraus, nicht irgendeinen, sondern einen spezifischen Schuh oder einen spezifischen Schokoriegel zu kaufen, der unter sozial und ökologisch korrekten Bedingungen hergestellt wurde. Oder sie wollen einen Film mit sozialem Engagement sehen. Und das ist genau das, was wir anbieten. Und zwar immer zu 100 Prozent. Wir sind die einzige Filmproduktionsfirma mit diesem Profil. Aber es gibt heute andere Firmen, auch grosse Studios oder Fernsehkonzerne, die bei ausgewählten Projekten den sozialen Einfluss in den Vordergrund stellen. Und das ist grossartig.

Sie sind also kein Outsider mehr?
Nein, wir werden in Hollywood immer mehr zum Insider. In Zukunft wollen wir aber bei unserer Themenwahl mehr Konsistenz schaffen. Also nicht zu jedem Thema einen Film machen, sondern mehrere Filme zur gleichen Problematik. Im Vordergrund stehen Themen wie soziale Ungerechtigkeit, Bildung für alle, Umweltbewusstsein und Menschenrechte. Man kann nicht alles machen, man muss fokussieren.

Ob David Linde als CEO bei Participant Media einen Gewinn abliefern muss und wie die neue Zusammenarbeit mit Steven Spielbergs Dreamworks funktioniert, lesen Sie in der aktuellen «Bilanz», erhältlich am Kiosk oder mit Abo jeweils bequem im Briefkasten.

 

 


*David Linde (56) begann seine Karriere bei Paramount Pictures und gelangte dann via Fox Lorber, Good Machine und Focus an die Spitze von Universal. Zu seinen Filmen gehören unter anderem Crouching Tiger, Hidden Dragon von Ang Lee, Biutiful von Alejandro González Iñárritu oder The Pianist von Roman Polanski. Seit Ende 2015 ist Linde CEO von Participant Media, der 2004 vom ersten eBay-Präsidenten, Milliardär und Philanthropen Jeff Skoll gegründeten Firma. Nun wurde Linde am Filmfestival Locarno mit dem Produzentenpreis geehrt. Dort war er noch nie, in der Schweiz schon: Als Jugendlicher besuchte er ein Jahr lang die Ecole d'Humanité ob Meiringen BE. Heute lebt Linde in Los Angeles, ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.

Sehen Sie in der Bildergalerie die ausgezeichneten Gewinner am Festival del Film Locarno: