Kein Beteiligter scheint im Swissair-Debakel ungeschoren davonzukommen. Gegen Geschäftsleitung und Verwaltungsrat der Airline haben Vertreter der Kleinanleger bereits im Frühling Strafanzeigen wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung eingereicht, gegen die Beratungsgesellschaften McKinsey und KPMG sowie die ehemalige Revisionsfirma PricewaterhouseCoopers sind Schadenersatzklagen angedroht.

Nur um eine Gruppe ist es im allgemeinem Tumult auffällig ruhig geblieben: um die Wirtschaftsanwälte. Zwar sickerte schon bald durch, dass Juristen im dramatischen Finale der Swissair den entscheidenden Part gespielt hatten, namentlich Urs Schenker von Baker McKenzie, der im Auftrag der Credit Suisse die grobe Struktur der Phoenix-Strategie austüftelte. Doch sind kritische Fragen zur Verantwortung externer Juristen ausgeblieben.

Dabei haben auch renommierte Anwaltskanzleien die ruinöse Expansionsstrategie der Swissair begleitet. Die Hauptrolle fiel dabei der Zürcher Kanzlei Homburger Rechtsanwälte zu – mit 45 Anwälten eines der zehn grössten Schweizer Büros und ausgerechnet jenes, welches das internationale Branchenorgan «Chambers Global» dieses Jahr zur besten Kanzlei der Schweiz kürte. Hier wurden die Verträge für die Übernahme der belgischen Sabena und der italienischen Volare ausgeheckt, hier holt sich die Swissair-Leitung seit Jahren Rat in Rechtsfragen.

Der Beizug externer Juristen hat bei der Swissair Tradition. Nicht nur um Kapazitätsengpässe bei der internen Rechtsabteilung, geleitet von Karin Anderegg, zu überbrücken, sondern auch bei besonderen Rechtsfragen sowie bei Fragen des ausländischen Rechts, die sich bei internationalen Geschäften stellen, werden ihre Fähigkeiten gebraucht. Bei Ansätzen von bis zu 800 Franken pro Stunde haben die Kanzleien über Jahre hinweg gut an der Swissair verdient. Nun sehen sich allerdings auch die Anwälte mit unangenehmen Fragen konfrontiert.

«Gewisse Verträge sind dilettantisch abgefasst», meint etwa Hans-Jacob Heitz, Präsident der Schutzvereinigung der Swissair- Aktionäre. Für ihn stellt sich die Frage, «ob die Juristen unsorgfältig gearbeitet haben und daraus schadenersatzpflichtig werden», und er prüft deshalb eine zivilrechtliche Klage gegen die involvierten Kanzleien.

So stört sich Hans-Jacob Heitz zum Beispiel an der schriftlichen Zusicherung der Swissair, die Verluste der deutschen Chartergesellschaft LTU bis zum Jahr 2004 vollständig zu übernehmen, obwohl die Swissair nicht die Mehrheit hält. Dieser Vertrag hat die Swissair bisher 500 Millionen Franken gekostet, er ist indessen von deutschen Juristen erstellt worden.

Ebenfalls umstritten ist der Übernahmevertrag der französischen Gesellschaften Air Littoral, Air Liberté und AOM; auch diesen hatten Anwälte vor Ort ausgearbeitet. Fragwürdig ist hier eine Put-Option der französischen Mehrheitsaktionäre, die sie berechtigt, der Swissair ihren Anteil von rund 50 Prozent an den Gesellschaften zu verkaufen. Hier hat die Schweizer Fluglinie beim Ausstieg 400 Millionen Franken an Kapital vernichtet.

Geprellte Anleger und Gläubiger mögen sich fragen, ob deshalb die beteiligten Anwaltskanzleien belangt werden können. Vom Schweizer Gesetz her ist die Sache eigentlich einfach. Der Anwalt unterliegt der Sorgfaltspflicht und haftet «für getreue und sorgfältige Ausführung des ihm übertragenen Geschäfts» (Artikel 389 OR). Solange aber weder der Umfang der Aufträge an die Anwälte noch der exakte Inhalt der erstellten Verträge bekannt sind, lässt sich die Frage einer möglichen Verantwortung nicht klären. Dass bisher nur zweifelhafte Vertragsbestimmungen bekannt geworden sind, die ausländische Kanzleien erarbeitet haben, macht es für die Kläger nicht einfacher.

Anwälte sind aus einem weiteren Grund schwer anzugreifen. Sie haften nicht dafür, wenn ein Geschäft, das sie juristisch begleitet haben, aus wirtschaftlichen Gründen scheitert. Im Gegensatz zum Werkvertrag, wie ihn Handwerker eingehen, kennen Anwälte keine Erfolgshaftung. Der Anwalt kann somit schwerlich für das Scheitern einer eingeschlagenen Strategie zur Rechenschaft gezogen werden.

Auf diesen Standpunkt stellt sich auch die Swissair. «Gemäss Mandatsrecht waren die Weisungen der Geschäftsleitung bezüglich der ökonomischen Aspekte für die Anwälte verbindlich», erklärt Hans Peter Berchtold, stellvertretender Leiter der Rechtsabteilung der SAirGroup. Dass bei der rechtlichen Umsetzung der Vorgaben Fehler gemacht wurden, ist ihm nicht bekannt.

Eine weitere Einschränkung kommt hinzu: Regelungen über Verlustübernahmen oder Put-Optionen, wie sie in Verträgen mit der LTU und den französischen Airlines vorkommen, sind das Resultat harter Verhandlungen. «Solche Vertragsbestimmungen überlässt kein Klient seinem Anwalt», meint ein Zürcher Fusionsspezialist. Die Verträge zeigten vielmehr, dass sich die Swissair um jeden Preis an den Gesellschaften beteiligen wollte. Immerhin räumt der Anwalt ein, dass diese Klauseln nicht gerade geschickt sind. «Ein ökonomisch versierter Jurist wird seinem Klienten davon abraten.»

Anwälte können aus einem weiteren Grund haften: falls sie bei ihrer Tätigkeit massgeblichen Einfluss auf einen verlustreichen Unternehmensentscheid genommen haben. Trifft dies zu, so unterliegen sie den strengen Bestimmungen des Aktienrechts und können wie Verwaltungsrat und Geschäftsleitung für einen erlittenen Schaden zur Rechenschaft gezogen werden; Juristen sprechen hier von der faktischen Organhaftung. Aktionärsvertreter Heitz schliesst nicht aus, dass externe Anwälte einen direkten Einfluss auf die eingeschlagene Swissair-Strategie genommen haben und deshalb belangt werden können. Allerdings sind sich Fachleute einig, dass die Voraussetzungen für diese Art der Haftung hoch sind.

Zwar scheint die Gefahr zurzeit gering zu sein, dass Wirtschaftskanzleien im Fall Swissair in die Verantwortung genommen werden. Trotzdem lässt sich derzeit keiner der beteiligten Anwälte zu einem Kommentar bewegen. Umso aufschlussreicher sind Aussagen von Peter Kurer, die er vor einem Jahr im «NZZ Folio» zur Rolle der Wirtschaftsanwälte gemacht hat. Damals hatte der erfahrene Jurist das Swissair-Mandat im Büro Homburger geleitet, bevor er im Juli dieses Jahres als Chef des Rechtsdienstes zur UBS wechselte. «Wir sind nur harmlose Zudiener», hatte Peter Kurer sein berufliches Selbstverständnis seinerzeit formuliert, «der Anwalt verhandelt die Details und bringt den Stab über die Ziellinie.» Voller Understatement meinte Kurer, er sei «ein einfacher Bergführer, der andere durch unwegsames Gelände führt».

An dieser Tiefstapelei scheinen sämtliche Fragen nach einer Verantwortung abzuperlen. Ob dies gelingt, werden juristische Abklärungen zeigen. Peter Kurers Aussagen sind indessen noch aus einem anderen Grund interessant. 1993 hat er für die Swissair die Verträge des gescheiterten Fusionsprojekts Alcazar ausgearbeitet, zwei Jahre später den Übernahmevertrag der Sabena, und während Jahren unterstützte er den Konzern bei der Durchführung der Generalversammlung. Bei den Verhandlungen zur Rettung der Swissair sitzt nun Kurer plötzlich seinen früheren Kollegen gegenüber. Denn er hat am 1. Juli zur UBS gewechselt und ist dort heute Mitglied der Konzernleitung.Prompt fragte die NZZ, ob hier eine Interessenkollision vorliege. Tatsächlich kommt Kurer eine zentrale Rolle bei der Ausarbeitung einer Lösung zu, ist er doch Mitglied der Swissair-Task-Force der Grossbank und so direkt an den Verhandlungen mit dem Bund beteiligt.

Die Swissair will die besondere Position von Peter Kurer nicht kommentieren, dafür bringt Aktionärsvertreter Heitz scharfe Kritik an. Für ihn liegt hier ein «krasser Interessenkonflikt» vor. Seiner Ansicht nach hätte Kurer mit dem über Jahre angeeigneten Wissen über die Swissair keine Verhandlungen für die UBS führen dürfen. Auch eine Verletzung des Anwaltsgeheimnisses schliesst Heitz nicht aus. Daher will er eine Beschwerde bei der Aufsichtsbehörde des Zürcher Obergerichts einreichen. Kurer selbst sieht einer möglichen Beschwerde des umtriebigen Aktionärsvertreters gelassen entgegen. Für ihn liegt weder ein Interessenkonflikt noch eine Verletzung des Anwaltsgeheimnisses vor, er habe «genau darauf geachtet, bei den Verhandlungen für die UBS das Anwaltsgeheimnis zu wahren».

Als Beweis dafür, dass er Interessenkonflikte vermeidet, führt er seinen Austritt aus verschiedenen Verwaltungsräten an; seit seinem Stellenwechsel hat er sich unter anderem bei Danzas, der Bank Rothschild, Jakobs Suchard und Sihl zurückgezogen. Zudem sei vor seinem Stellenantritt eine Aussprache mit der Swissair erfolgt, wobei er schon damals klar gemacht habe, «dass wir uns dereinst gegenübersitzen könnten».

So rasch ändern sich die Zeiten: Noch vor einem Jahr hatte Kurer den Vertrag mit der Sabena von 1995 nicht ohne Stolz kommentiert. Eine «Cutting-Edge-Technology», kniffligste juristische Schachzüge, sei nötig gewesen, damit die Swissair als erstes ausländisches Unternehmen eine nationale Fluggesellschaft hat übernehmen können. «Es war, als ob wir ein Kamel durchs Nadelöhr bringen müssten», umschrieb er damals die Schwierigkeit. Heute wären wohl viele froh, Kurer wäre das biblische Kunststück nicht geglückt.
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