An diesem Sommermorgen Mitte August quollen Bad News im Halbstundentakt aus dem Faxgerät. Den Anfang machte die Eidgenössische Bankenkommission (EBK), welche die sofortige Schliessung der in einem Liquiditätsengpass befindlichen Zürcher A&A Actienbank verfügte. Es folgte die Mitteilung der Genfer Privatbank Union Bancaire Privée (UBP): Stellenabbau von 275 Personen – ein Viertel der Belegschaft wird auf die Strasse gestellt. Noch einen drauf setzte dann die Grossbank CS, die einen Quartalsverlust von über einer halben Milliarde verkünden musste – und damit selbst die Pessimisten unter den Analysten negativ überraschte.

Unerfreuliche Signale aus der einst erzsoliden und hochprofitablen Schweizer Finanzbranche häufen sich derzeit in beängstigendem Ausmass. Die Hoffnung, nach dem Reservenschwund der Rentenanstalt, dem Kurszerfall der Zurich Financial Services (ZFS) und der Implosion des Ebner-Imperiums das Schlimmste schon hinter sich zu haben, erweist sich als verfrüht – die Branche steckt in einer hartnäckigen Krise. «Absolut einzigartig» sei die derzeitige Situation, sagt der Zürcher Wirtschaftshistoriker Hansjörg Siegenthaler, der die Geschichte der Schweizer Wirtschaft über mehr als 150 Jahre genauestens kennt.

Zwar gab es früher schon Bankenkrisen, etwa infolge der Depression der Dreissigerjahre oder der Kreditkrise der frühen Neunzigerjahre – aber zu jenen Zeiten präsentierten sich wenigstens die Versicherer in stabilem Zustand. Dass praktisch alle Finanzkonglomerate, also die Versicherungen und (mit Ausnahme der UBS) die Mehrzahl der Banken, gleichzeitig in die Krise kommen, hat es noch nie gegeben.

Umso bedenklicher ist dies, weil der Anteil des Finanzsektors an der Schweizer Wirtschaft stetig gestiegen ist – vor allem seit den Siebzigerjahren, als der dritte Sektor, der Dienstleistungsbereich, immer mehr die bisher dominante Industrie abzulösen begann. Betrug der Anteil des Banken- und Finanzsektors am Bruttoinlandprodukt 1930 noch zwischen drei und fünf Prozent, so ist er heute dreimal so hoch. Stark gestiegen ist der Anteil der Branche an der Wertschöpfung der hiesigen Wirtschaft vor allem in den Neunzigerjahren, von 9,7 Prozent im Jahre 1990 auf 13,5 Prozent Ende des Jahrzehnts. Da sich die Branche auch noch regional stark auf nur drei Gebiete konzentriert – Zürich, Genf und das Tessin –, sieht sich die Schweiz einem veritablen Klumpenrisiko ausgesetzt.

Hauptgrund für die derzeitige Schwäche der Finanzkonglomerate ist der starke und überdurchschnittlich lange Einbruch an den Börsen. Leiden traditionell die Banken in schwachen Börsenjahren, so sind diesmal die Versicherungen besonders betroffen. Bis 1987 war es den Lebensversicherern verboten, mehr als sechs Prozent in Aktien anzulegen. Dann wurde diese Regel unter dem Druck einer nach erhöhten Renditen schreienden Öffentlichkeit aufgehoben. Die Versicherer machten von den neuen Freiheiten rege Gebrauch: Im Schnitt waren sie zur Hochkonjunktur im Jahr 2000 zwischen 20 und 25 Prozent in Aktien investiert. Einen Grossteil dieser Papiere kauften Rentenanstalt, «Zürich» oder «Winterthur» 1999 und 2000, also auf dem Höhepunkt der Märkte und damit zu überhöhten Preisen.

Der Risikohunger war nicht nur untypisch für das über 150 Jahre von besonderer Vorsicht geprägte schweizerische Versicherungsverständnis, er ist selbst im internationalen Vergleich exzessiv. Sogar in den liberalen USA ist es Versicherungsunternehmen gesetzlich verboten, mehr als 15 Prozent in Aktien zu halten. Heute beläuft sich der Aktienanteil der grossen Schweizer Versicherer im Schnitt auf unter zehn Prozent. Der einem Herdenverhalten ähnliche Abbau der Aktienpakete steigerte allerdings die Börsenschwäche noch – ein Perpetuum mobile, das bis heute nicht zum Stillstand gekommen ist.

Viele Banken und Finanzkonglomerate, wie etwa Ebners BZ-Holding, sind auf verhängnisvolle Weise mit im Boot. Jene Finanzinstitute, die hohe Eigenbestände an Aktien halten, sind vom Börsensturz besonders betroffen, weil ihnen das Kapital weggeschmolzen ist.

Längst ist die Dramatik der Situation auch den Aufsichtsbehörden klar geworden. Der Börsenzerfall hat die Eidgenössische Bankenkommission Mitte Juli dazu bewogen, die rund 450 Schweizer Banken und Effektenhändler durchzuscannen. 60 davon haben laut EBK-Direktor Daniel Zuberbühler überdurchschnittliche Eigenbestände an Aktien oder ausstehende Lombardkredite (das sind Kredite, für die Wertschriften als Sicherheit dienen), sodass sie von der EBK genauer unter die Lupe genommen wurden.

Laut Zuberbühler sehen sich drei Viertel dieser 60 Institute zwar mit Ertragsrückgängen konfrontiert, machen aber immer noch Gewinn. Nur 5 der 60 Banken machten im ersten Halbjahr einen Reinverlust, verfügten aber alle über eine komfortable Eigenmittelsituation. Dies führt die EBK zum Schluss, dass die Lombardkredite vernachlässigbare Risiken enthalten und die Banken und Effektenhändler gesamthaft ihre Risiken am Aktienmarkt angemessen abgesichert haben. Bei der A&A Actienbank hingegen hatte die EBK bereits Ende 2001 die Revisionsstelle als Beobachterin eingesetzt, weil sie im Aktienhandel und auf ihren Beteiligungsportefeuilles einen Reinverlust von 30 Millionen Franken erlitten hatte. Da die neuen Aktionäre die angeschlagene Bank nicht zu sanieren vermochten, entzog ihr die EBK am 13. August die Bankbewilligung. Für Zuberbühler allerdings «ein Sonderfall», weil die Bank grosse Klumpenrisriken aus Beteiligungen an New-Economy-Firmen hielt, die als Erste unter die Räder kamen.

Die viel geschmähte BZ Bank sei indes kein Krisenfall, sondern erfülle problemlos alle gesetzlichen Vorschriften und sei gegenüber der BZ-Gruppe einwandfrei abgeschottet worden. Ebners Finanzprobleme sind zwar beträchtlich, konzentrieren sich laut EBK aber auf seine BZ-Holding – und dafür ist die Aufsichtsbehörde nicht zuständig. Dass der Zusammenbruch des Ebner-Imperiums den ganzen Finanzplatz in den Untergang ziehe, glaubt Zuberbühler nicht. «Ebner ist kein Systemrisiko. Dafür ist er nicht gross genug.» Ähnlich sieht es auch CS-Chef Mühlemann – als einer der Kreditgeber von Ebner direkt betroffen: «Die Beteiligungen der BZ-Gruppe machen weniger als ein Prozent der Börsenkapitalisierung der Schweizer Börse aus.»

Zuberbühler sieht den Tod der A&A-Bank nicht als Auftakt eines weiteren Bankensterbens. In den letzten dreissig Jahren habe die EBK im Schnitt eine Bank pro Jahr geschlossen. Die A&A ist das erste Institut in diesem Jahr, ähnliche Fälle seien nicht in Sicht.

Noch scheint sich die Branchenkrise vor allem in Gewinnrückgängen zu manifestieren. Das kumulierte Jahresergebnis aller Schweizer Banken ist im letzten Jahr um 39 Prozent gesunken. Laut Urs Ph. Roth, Chef der Bankiervereinigung, dürfte sich das Ergebnis in diesem Jahr noch etwas weiter abschwächen. Roth wehrt sich aber dagegen, im Zusammenhang mit den Banken von einem Klumpenrisiko zu sprechen. «Das ist ein Wort, das ich nicht gerne höre. Wir reden hier schliesslich von einem der tragenden Wirtschaftssektoren der Schweiz.»

Bei den Erträgen der Versicherungen zeigt sich ein gespaltenes Bild. Während die Finanzerträge wegschmelzen, erhöhen sich langsam die Einnahmen aus dem eigentlichen Versicherungsgeschäft wieder. Der Preis dafür sind allerdings happige Prämienerhöhungen. Die «NZZ am Sonntag» schätzt sie für industrielle Grosskunden auf 20 bis 50 Prozent. Praktisch alle Versicherer bauen zudem weiter Personal ab. Die Rentenanstalt kürzt 800, die Zürich-Gruppe 230 Jobs.

Auch bei den Banken rollt die grosse Entlassungswelle. Nicht nur die eingangs erwähnte UBP baut ab. Die CS kürzt 1300 Stellen, die Bank Bär eine noch unbestimmte Zahl. In Genf erwartet man auf Grund der jüngsten Fusion der Privatbanken Lombard Odier und Darier Hentsch ebenfalls einen Personalabbau.

In Zürich ist die Zahl der arbeitslosen Kadermitarbeiter im letzten Jahr von 8,0 auf 9,2 Prozent diesen Juli gestiegen. Die Bank- und Versicherungsleute weisen derzeit einen klar überdurchschnittlichen Zuwachs an Arbeitslosen aus. Im Januar waren 2000 Banker ohne Job, heute sind es ein Viertel mehr.

Das Selbstbewusstsein der Banker ist angekratzt. Einen tollen Bonus wie in den Vorjahren können sich die meisten abschminken, Einkommenseinbussen gefährden den gewohnt üppigen Lebensstandard. Andere, wie die Partner der A&A-Bank, verlieren Hunderttausende oder gar Millionen Franken an investiertem eigenem Geld. Ein Neuanfang ist schwierig – keines der Finanzinstitute baut derzeit Personal auf.

Gedämpft ist das Selbstbewusstsein auch ganz oben in der Teppichetage der Banken und Versicherungen. Einstige Lichtgestalten wie Erwin Heri, Chefinvestor der CS Financial Services, seines Zeichens auch Professor und vehementer Verfechter von Aktieninvestments in mehreren selbst verfassten Büchern und unzähligen Interviews, musste nach einem Halbjahresverlust von sage und schreibe 637 Millionen Franken bei der «Winterthur» den Hut nehmen. BZ-Banker Ebner, so sagen Bekannte, schäme sich tief und getraue sich seit dem Zusammenbruch seines Imperiums kaum mehr unter die Leute.

Die grossen Strippenzieher in den Chefetagen wurden entweder wie der langjährige ZFS-Chef Rolf Hüppi abgesetzt oder sind wie der bei der CS vom Präsidenten zum CEO zurückgestutzte Lukas Mühlemann kleinlaut geworden.

Ohnehin ist mit Strippenziehen derzeit nichts auf dem Schweizer Finanzmarkt. Nur wenige der grossen Schweizer Finanzkonglomerate sind derzeit finanziell in der Lage, einen Merger oder eine grosse Akquisition zu tätigen. Gab es etwa 1995 mit der UBS, der CS, dem Bankverein, der Zürich-Gruppe, der «Winterthur», der Swiss Re oder der BZ-Gruppe noch eine ganze Reihe starker Taktgeber in der Finanzbranche, ist heute nur gerade die UBS finanziell in der Lage, als starker Player aufzutreten. Ob die doch relativ kleine Zürcher Kantonalbank (ZKB) in die Rolle eines Taktgebers wachsen kann, bleibt abzuwarten, auch wenn ZKB-Chef Hans Vögeli Selbstbewusstsein markiert: «Im Verbund mit anderen Kantonalbanken will die ZKB aus der gegenwärtigen Umbruchsphase als gestärkte dritte Kraft im Schweizer Markt hervorgehen.»

Gänzlich gelähmt sind die Versicherer, die jeden Franken brauchen, um ihr geschrumpftes Eigenkapital aufzubessern. «Im Moment dürfte es für alle schwierig sein, eine andere Gesellschaft kaufen», sagt denn auch Hansjörg Frei, Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes.

Nicht viel besser stehen die Banken da. Sogar Giganten wie die CS sind nach den dramatischen Kursverlusten der letzten Monate eher Targets als Käufer. Mühlemann selber sieht das nicht so. «Wir sind kein Übernahmekandidat. Ausserdem gibt es derzeit kaum jemanden, der eine solche Übernahme glaubwürdig finanzieren und verdauen könnte.» Der CS-Chef bringt es auf den Punkt: Wo kein potenzieller Käufer ist, da ist auch kein Verkauf.

Experten erwarten, dass nun die ausländischen Player auf dem Schweizer Markt bedeutender werden. «Wenn es zu grossen Zusammenschlüssen kommen wird, dann eher auf internationalem Niveau. Entweder kaufen die Schweizer im Ausland, oder ausländische Institute akquirieren in der Schweiz», sagt Bankiervereinigungschef Roth.

Giganten wie die amerikanische Citigroup, die in Europa wachsen will, oder die Deutsche Bank, die vom Schweizer Joe Ackermann auf Expansion getrimmt wird, stehen bereits ante portas. Immer wieder tauchen diese Namen als mögliche Käufer für Schweizer Konglomerate wie die CS, die ZFS oder die Privatbanken Vontobel und Bär auf. Wie stark der Einfluss der ausländischen Banken bereits ist, zeigt sich auch im Fall Ebner, wo zwei deutsche Institute – die Baden-Württembergische Landesbank und die Westdeutsche Landesbank – das Bankenkonsortium anführen.

Noch in den Neunzigerjahren war es üblich, dass die Schweizer Finanzgiganten die Probleme eines geschwächten Mitbewerbers untereinander lösten. Wie gemäss einem ungeschriebenen Gesetz wurden Pakete hin und her geschoben, neue Partnerschaften gestrickt – immer mit nationalem Anstrich. Die Credit Suisse präsentierte sich als grosse Retterin und übernahm 1992 die EKO in Olten, 1993 die Volksbank, 1994 die Neue Aargauer Bank und 1997 die «Winterthur». Bankgesellschaft und Bankverein schlossen sich 1997 im grössten innerschweizerischen Merger zusammen.

Es war die Zeit des Old-Boys-Network. In den Verwaltungsräten tauchten immer wieder die gleichen paar Namen auf. Dieses Netzwerk schloss aus, dass die Schweiz von feindlichen Übernahmen überrascht würde. «Man traute sich gegenseitig und übersprang nicht ohne Not eine gewisse moralische Grenze», sagte der ehemalige Bankverein-Chef Walter Frehner 1996 gegenüber dem Magazin «Facts».

Das Netzwerk riss Ende der Neunzigerjahre endgültig, durch die verstärkte Konkurrenz, die vermehrte Ausrichtung auf internationale Märkte und auch durch das Auftreten einer eher technokratisch orientierten Managerkaste.

Sosehr das vorangehende Netzwerk als Klüngelei kritisiert wurde, so klar ist auch, dass es zumindest für mehr Berechenbarkeit sorgte. So ist derzeit durch den Zusammenbruch des Ebner-Imperiums ein grosses Paket Aktien der Bâloise-Versicherung auf dem Markt. Was damit geschieht, ist ungewiss. Noch in den Neunzigerjahren hätten die Schweizer Player das Bâloise-Paket wohl bei einem der ihresgleichen untergebracht.

«Die grosse innerschweizerische Welle ist vorbei», konstatiert Bankiervereinigungschef Roth. Für gewisse Experten ist das ein gutes Zeichen: «Diese Art von Heimatschutz ist Zeichen einer kartellisierten Struktur», sagt Aymo Brunetti vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). In der Regel zahle jemand für Kartelle, etwa der Konsument oder der Kleinanleger. Auch dass heute die Kassen für innerschweizerische Hilfestellungen leer sind, sieht Brunetti nicht unbedingt als Krisenzeichen. «Wenn in den Kassen viel Geld für Rettungsaktionen schlummert, dann ist das ein Zeichen eines wenig effizienten Einsatzes von Kapital.»

Gut möglich, dass das Netzwerk des Finanzmarktes in den Neunzigerjahren zum Erhalt einer bereits damals aufgeblähten Struktur beigetragen hat. Laut EBK-Direktor Zuberbühler hätte man in der Kreditkrise der frühen Neunzigerjahre noch deutlich mehr Banken schliessen müssen, wenn diese nicht durch Übernahmen gerettet worden wären. «Nebst den vereinzelten Bankschliessungen hatten wir ein Mehrfaches an Near Misses, Fastzusammenbrüchen, die durch Fusionen aufgefangen wurden», so Zuberbühler. Die von der CS übernommene Volksbank gilt als ein solches Beispiel. Einen Teil der in den Neunzigerjahren aufgeschobenen Strukturanpassungen wird die Branche wohl in der heutigen Krise nachholen müssen.

Dies also just in einem Moment, wo auch von aussen der Druck auf das Schweizer Finanzsystem weiter zunimmt. Das Bankgeheimnis steht unter Dauerbeschuss aus London, Frankfurt und New York. Steueramnestien in den Nachbarländern lassen Befürchtungen aufkommen: Die italienische Steueramnestie vom letzten Herbst hat zum Abfluss von Geldern in der Höhe von 60 Milliarden Euro geführt. Die UBS verlor 3,8 Milliarden an Kundengeldern, die CS 3,3 Milliarden. Derzeit wird auch in Deutschland über eine Steueramnestie diskutiert. Zu erwartender Abfluss: bis zu 150 Milliarden Franken.

Zum Abfluss von Geldern kommen pessimistische Schätzungen darüber, wie hoch der Anteil der Schweiz am zunehmenden Reichtum der nächsten Jahre sein wird. Eine Studie von Boston Consulting sieht die Schweiz bei der Zunahme der investierten Gelder bis 2006 in einer Liste von 19 europäischen Ländern mit 5,3 Prozent auf dem letzten Platz.

Wie sich die Schweiz im härteren Umfeld schlagen wird, ist ungewiss. Einzelne Experten wie der Zürcher Bankenprofessor Hans Geiger glauben, dass jetzt der Blase der späten Neunzigerjahre die Luft vollends ausgeht. Von 1997 bis heute ist die Zahl der Bankangestellten von 120 000 auf 125 000 gestiegen. Diese 5000 Jobs würden nun abgebaut. Und damit habe es sich. Ähnlich sieht es CS-Chef Mühlemann: «Wir haben keine Krise, sondern eine Korrektur. 1999 und 2000 waren ja auch aussergewöhnlich gute Bankenjahre.» Andere Branchenexperten wie Hans-Jörg Rudloff, langjähriger Topbanker bei der CS und heute Chairman der britischen Investment-Bank Barclays Capital, sehen einen tief greifenden Wandel, der vor allem den kleineren Instituten zu einer weiteren Fusionswelle und bei grossen zu weiterem Personalabbau führt. Rudloff rät den Schweizer Banken, sich auf ihre Stärke zu besinnen: das Private Banking, das Geschäft mit den vermögenden Privatkunden. Im Investment-Banking und im Trading würden es die Schweizer – mit Ausnahme der unabhängig operierenden Einheiten der CS und UBS in London – kaum schaffen, die Prädominanz der Ausländer, vor allem der Amerikaner, zu brechen.

Nur wenige Meinungsführer der Branche sind derzeit überhaupt für Prognosen oder Rezepte zu gewinnen. Von den Schweizer Finanzführern wäre UBS-Chef Marcel Ospel für eine Vorreiterrolle prädestiniert, steht die UBS heute doch als einzige unangeschlagen da. Doch der UBS-Präsident ist nach dem PR-Debakel im Anschluss an die Rettungsaktion der Swissair weitgehend auf Tauchstation gegangen. Der Wunsch nach Lösungsvorschlägen ist gross, doch die Leader schweigen – Zeichen tiefer Unsicherheit in der Branche.

Derzeit sind es vielmehr die Vertreter der Institutionen, welche die Schweiz stabilisieren. Die Banker und Asset-Manager mit ihren Massanzügen, ihren dicken Zigarren und Privatflugzeugen haben die Branche in Schieflage gebracht. Nun müssen die von der Managerkaste oft etwas belächelten Repräsentanten von staatlichen Institutionen und Aufsichtsgremien die Kastanien aus dem Feuer holen.

Leute wie Nationalbank-Vize Bruno Gehrig etwa, der sich einst für «Facts» in gestrickten Wollsocken ablichten liess. Das Nationalbankdirektorium war es, das bereits sechs Tage vor der Bekanntgabe des Ebner-Crashs eine Zinssenkung beschloss und damit den zu erwartenden Druck auf die Börse abminderte. Leute auch wie EBK-Direktor Zuberbühler, ein Mann mit Professorenbart statt glatter Bankerbacke, ein erfahrener Kenner des Systems, schon seit über zwanzig Jahren bei der EBK, ein Mann, der nicht zögerte, auch Mächtige wie einen Martin Ebner zum täglichen Rapport an die Aufsichtsbehörde zu verpflichten.

Viel Psychologie treibt momentan die Börsenschwäche an, das ist auch den staatlichen Machern bewusst. Die Finanzbranche würde von einem Stimmungswechsel am direktesten profitieren. Gezielt sorgen die Vertreter von SNB und EBK derzeit mit Interviews für eine gelassenere Stimmung. «Wenn wir dazu beigetragen haben sollten, dass die Anleger in ihrem zum Teil herdenartigen Verhalten innehielten, um sich mit den fundamentalen Gegebenheiten der Wirtschaft auseinander zu setzen, bevor sie den nächsten Verkaufsauftrag erteilen, würde uns das natürlich nicht stören», sagt Niklaus Blattner, Mitglied des Nationalbankdirektoriums. Das Kreditgeschäft – trotz Börsenanlagen immer noch Kerngeschäft der Banken – präsentiere sich «überwiegend solid», betont Blattner. Wirtschaft finde zudem keineswegs in erster Linie an der Börse statt, «sondern ganz konkret im Dienstleistungs-, im Handwerks-, im Industriebetrieb und auf dem Bauernhof».

Von diesen Betrieben wiederum sei nur ein ganz kleiner Bruchteil den Ausschlägen an der Börse unterworfen. Nichts spreche dafür, so Blattner, heute verallgemeinernd von einer Krise der Realwirtschaft zu sprechen, und weist auf die bereits aufgehellten Konjunkturzeichen hin: «Der Aufschwung hat sich zwar verzögert, aber er findet statt.»
Partner-Inhalte