Der Gedanke, für seine Liebsten über den eigenen Tod hinaus sorgen zu können, erzeugt bei vielen Menschen ein Wohlgefühl. Warum sonst würden Familienväter Lebensversicherungen abschliessen, in denen ihre Familien begünstigt werden? Trotzdem: Der Gedanke an die eigene Sterblichkeit wird meist verdrängt – und somit auch die Planung des Nachlasses.
Gerade im November scheint die Nachlassplanung aber öfter ins Bewusstsein zu dringen. Wahrscheinlich liegt es am trüben Wetter, vielleicht aber auch an Allerheiligen, dem 1. November, an dem Katholiken traditionell die Gräber ihrer Vorfahren besuchen. Auf jeden Fall sagen Erbrechtsspezialisten, sie hätten in den Monaten November und Dezember jeweils ein Mehrfaches an Arbeit gegenüber den anderen Monaten des Jahres.
Ihre in der Praxis erlebten Erbfälle drehen sich oft um Liebe und Lust, aber auch um Hass und Gier. BILANZ hat repräsentative Erbrechtsfälle zusammengetragen, 18 Lehrstücke zum Erben und Vererben in den vier Themenbereichen «Steuern», «Planung zu Lebzeiten», «Testamente» und «Erbteilung» (siehe unten). Sie sind alle dokumentiert und haben sich in den Grundzügen real so abgespielt. Die Namen der Akteure wurden geändert.
Nötzlis Zweckehe. Nicht ändern muss man den Namen des Hauptdarstellers in unserem Einführungslehrstück: Buchhalter Nötzli. Keiner spielte den biederen Schweizer so gut wie Walter Roderer, der Volksschauspieler, nach dem in dessen Wohngemeinde Illnau ZH sogar ein Weg benannt ist. Einige Jahre vor seinem Tod heiratete Roderer noch seine rund 60 Jahre jüngere Grossnichte. Als seine Frau musste sie im Kanton Zürich keine Erbschaftssteuern bezahlen, während sie als Grossnichte 12 bis 36 Prozent des Erbes an den Steuerkommissär hätte abführen müssen. Gut rechnen konnte Walter Roderer also nicht nur als Buchhalter Nötzli, sondern auch im richtigen Leben.
Das Vorgehen ist juristisch einwandfrei. Denn gemäss Gesetz gibt es nur Scheinehen zwischen ausländischen Ehepartnern und Schweizern zwecks Erschleichens einer Aufenthaltsbewilligung. Zweckehen zur Umgehung des Steuerrechtes sind in der Schweiz demzufolge legal.
Roderer sah seine Ehe aber sowieso nicht als Zweckehe, sondern gab die (platonische) Liebe zu seiner Grossnichte als Heiratsgrund an: «Ich hätte ja auch in den Kanton Schwyz ziehen können, um die Erbschaftssteuer zu umgehen», sagte er seinerzeit gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Das stimmt, denn im Kanton Schwyz wohnhafte Erblasser können Vermögen sogar an nicht verwandte Personen vermachen, ohne dass diese Steuern bezahlen müssten. In den meisten anderen Kantonen sind nur die direkten Nachkommen von der Erbschaftssteuer befreit oder bezahlen lediglich eine sehr geringe Erbschaftssteuer. Noch, muss man ergänzen, denn das würde sich für Vermögen über zwei Millionen Franken ändern, wenn die Erbschaftssteuerinitiative angenommen wird (siehe «Gut vorbereitet – kaum Steuern»).
Roderer hätte also auch umziehen können. «Er hätte allerdings seinen Wohnsitz tatsächlich verlegen müssen», sagt George Weber, auf Erbrecht spezialisierter Anwalt aus Wil. Um glaubhaft zu sein, hätte Roderer nicht nur seinen Wohnsitz verlegen, sondern auch eine Wohnung mieten und seinen Bentley im Kanton Zürich abmelden müssen. Zudem hätte eine Meldung des Wohnorts bei der Krankenkasse das Ganze noch glaubhafter gemacht. «Wenn der Erblasser mit allen Konsequenzen echt umzieht, dann würde das Erbschaftssteuerrecht des neuen Wohnkantons anwendbar, auch wenn der Erblasser nur Wochen nach seinem Umzug stirbt», sagt Weber.
Einfach verkaufen. Roderers Anwesen in Illnau wäre aber trotz Umzug dem Erbrecht im Kanton Zürich unterstellt geblieben; darauf wären 35 Prozent Steuern fällig geworden. Liegenschaften werden erbschaftssteuerrechtlich immer nach dem Recht des Kantons behandelt, in dem sie sich befinden – egal wo der Erstwohnsitz des Erblassers ist. Damit die Erbschaftssteuer nicht anfällt, hätte Roderer die Liegenschaft aber auch einfach verkaufen können.
Eine noch elegantere Lösung des Problems hat Weber auf Lager: «Er hätte seiner Grossnichte ein Darlehen geben können, mit dem sie seine Liegenschaft zum amtlichen Steuerwert gekauft hätte», sagt er. Damit wäre das Problem mit der Erbschaftssteuer erledigt gewesen. Vielleicht war es also doch eine Liebesheirat.
Gesetzt den Fall, dass sie trotzdem aus irgendeinem Grund einen Anwalt in der Erbsache beiziehen musste, konnten wenigstens dessen Honorare als Todesfall- und Erbteilungskosten vom Nachlass abgezogen werden. Die Erbschaftssteuer fiele somit niedriger aus.
Steuern
Lehrstück 1: Der gierige Neffe
Der Fall. Das Pflegepersonal orientierte den Neffen mittags telefonisch über den sehr stark verschlechterten Gesundheitszustand seines Onkels. Dieser starb kurze Zeit später. Am selben Nachmittag hob der Neffe mit einer Vollmacht des Onkels 75 000 Franken von dessen Konten ab. Zweieinhalb Jahre später behauptete er, sein Onkel habe ihm zu Lebzeiten den entsprechenden Auftrag erteilt.
Die Rechtslage. Rechtlich würde es sich, wenn diese Schutzbehauptung wahr wäre, um eine Schenkung handeln. Diese war beim Tod des Onkels noch nicht vollzogen. Ohne schriftliches Schenkungsversprechen ist diese allerdings nicht gültig.
Das Ergebnis. Durch Einsicht in die Bankkonto-Auszüge zeigte sich, dass der Neffe bei der Inventaraufnahme gegenüber dem Notar und der Steuerbehörde bewusst unvollständige Angaben gemacht hatte. Ihm droht nicht nur ein Nach- und Strafsteuerverfahren wegen Steuerhinterziehung, sondern auch wegen Erschleichens einer falschen Beurkundung beim Notar. Zudem liess er sich in der Erbteilung den heimlich bezogenen Betrag anrechnen beziehungsweise zurückerstatten.
Lehrstück 2: «Schwarzgeld» weisswaschen
Der Fall. Die Erbteilung zwischen Rita Rosser, der Ehefrau, und den Geschwistern des Erblassers wurde im Todesjahr Reto Rossers abgeschlossen. Die Erbschaftssteuern waren bezahlt. Im Januar des folgenden Jahres erhielt die Ehefrau von einer Privatbank zwei Kontoauszüge und einen Depotauszug, die auf den Namen ihres verstorbenen Ehemannes lauteten. Das Vermögen bei der Bank belief sich auf 435 000 Franken und war nicht versteuert. Rita hatte nichts von diesen Vermögenswerten gewusst.
Die Rechtslage. Wenn Erben unversteuerte Vermögen melden, werden nur noch die letzten drei Jahre besteuert, es fallen also ungefähr drei bis acht Prozent Steuern auf dem Vermögen an (Faustregel). Ob versteuert oder nicht, sämtliche Vermögenswerte des Erblassers gehören in seinen Nachlass.
Das Ergebnis. Es mussten die letzten drei Jahre versteuert werden. Der Ehefrau stand aus Güterrecht die Hälfte dieser «neuen» Vermögenswerte zu. Die andere Hälfte fiel in den Nachlass, der erbrechtlich zu teilen war. Davon erhielten die Geschwister ein Viertel, die Ehefrau drei Viertel. Insgesamt erhielt die überlebende Ehefrau sieben Achtel des «Schwarzgeldes».
Lehrstück 3: Steuern auf unverteilten Erbschaften
Der Fall. Der kinderlose Witwer Otto Otterbach hinterliess zwei Testamente und mehrere Liegenschaften. Das eine Testament war für den Nachlass in der Schweiz, das andere für jenen in Italien bestimmt. Als Otterbach schwer erkrankte, zeigte sich, wer zu ihm stand und wer nicht. Einzelne Personen strich er deshalb aus den Testamenten. Die eingesetzten Erben stritten jahrelang und gaben die Erbschaft in ihren Steuererklärungen nicht an, trotz der schriftlichen Empfehlung des Willensvollstreckers, dies zu tun.
Die Rechtslage. Unverteilte Erbschaften sind von jedem Erben sowohl in der Steuererklärung als auch im Wertschriftenverzeichnis zu deklarieren. Wenn der Nachlass strittig und die Höhe der Erbschaft noch unbekannt ist, sind zumindest provisorische Angaben zu machen. Ansonsten eröffnen die Steuerbehörden Nach- und Strafsteuerverfahren gegen die betreffenden Erben.
Das Ergebnis. Infolge mehrerer Verfahren wurde die Erbbescheinigung erst zweieinhalb Jahre nach Ableben von Otto Otterbach ausgestellt. Das kantonale Steueramt hatte ein Einsehen und akzeptierte diesen Umstand als entschuldbar. Die Erben entgingen den Strafsteuern, mussten jedoch die Nachsteuern auf ihrem Erbe und den anteiligen Erträgen des Nachlasses entrichten.
Lehrstück 4: Der börsenkundige Rentner mit einer Liegenschaft in Thailand
Der Fall. Joe Jakob zog es nach seiner Pensionierung in eine wärmere Gegend. Er meldete sich in der Schweiz ab und bezog die AHV über die Zentrale Ausgleichsstelle der Schweizerischen Ausgleichskasse in Genf. Joe erwarb ein Anwesen auf Phuket und widmete sich den Börsenkursen, die er täglich verfolgte und stets akribisch notierte. Daraus entstand bis zu seinem Tod ein Depot bei einer Schweizer Bank mit Vermögenswerten von mehr als zwei Millionen Franken, das er in den Steuererklärungen nie deklarierte. Zudem hatte er Guthaben bei zwei thailändischen Banken.
Als Joe Jakob verstarb, hinterliess er ein Testament, gemäss dem seine jüngste Tochter 42 Prozent und seine beiden anderen Kinder je 29 Prozent erben sollten. Seinen Nachlass unterstellte er dem Schweizer Recht.
Die Rechtslage. Liegenschaften werden im Allgemeinen nach dem Landesrecht vererbt, in dem sie sich befinden. Die Pflichtteile der beiden älteren Kinder, mindestens je 25 Prozent, müssen gewahrt bleiben.
Das Ergebnis. Eröffnet wurde das Testament durch die Aargauer Behörden am Heimatort von Joe Jakob. Da das thailändische Recht vorsieht, dass Land nicht endgültig an Ausländer verkauft werden kann, fiel es nach seinem Tod zurück an die thailändische Gesellschaft. Der Wohnsitz von Joe Jakob war in den letzten sieben Jahren Thailand, lange genug, dass die Schweizer Steuerbehörden für eine Nachsteuer auf dem unversteuerten Depot nicht mehr zuständig waren. Die beiden thailändischen Banken ignorierten die Anfragen der Erben lange – trotz Erbbescheinigung und Dokumenten samt Beglaubigungen der Schweizer Botschaft. Erst nach eineinhalb Jahren und einem Gerichtsverfahren vor Ort gaben die Banken die Guthaben frei.
Weitere repräsentative Erbrechtsfälle finden Sie in der BILANZ-Ausgabe 20/2012.