Mit ihren Prognosen für den Ölpreis waren viele Analysten in der Vergangenheit immer wieder zu pessimistisch. Jahr für Jahr mussten die Schätzungen nach oben revidiert werden», erinnert sich Robin Batchelor, Manager des Merrill Lynch World Energy Fund. Jetzt sieht er, dass die Investment-Häuser mit ihren Prognosen endlich optimistischer werden: Der gesamte Energiesektor wird in diesem Jahr in den Blickpunkt der Anleger rücken. Zwar wird der Ölpreis langfristig nicht die aktuellen Höchststände zwischen 35 und 40 Dollar pro Fass (159 Liter) halten können, aber auf so niedrige Niveaus wie in den Neunzigerjahren wird er nicht zurückfallen – dafür wird die Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) schon sorgen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Aus Sicht der Opec-Ölminister jedenfalls ist der Weltmarkt ausreichend mit dem schwarzen Gold versorgt. Daher wurde Ende März beschlossen, die tägliche Fördermenge um eine Million Fass zu reduzieren. Mit solchen Massnahmen versucht die Organisation, einen Preisverfall wie in den Neunzigerjahren zu verhindern. Im Februar 1999 hatte sich die Opec dazu entschlossen, den Preis für Öl in der Bandbreite zwischen 22 und 28 Dollar je Fass zu halten. Dass der Preis heute deutlich über dieser Spanne liegt, ist für das Kartell dagegen kein Grund einzugreifen. Das derzeit hohe Preisniveau gehe nämlich nicht auf die Wirkung von Angebot und Nachfrage zurück, sondern sei das Ergebnis von Spekulationen an den Terminmärkten, lässt die Organisation verlauten. Doch es gibt auch durchaus fundamentale Gründe für den historisch hohen Preis des begehrten Brennstoffs. Die Preiserwartungen der Analysten liegen für dieses Jahr daher auch über 25 Dollar.

Dass man auch für die kommenden Jahre mit einem starken Preis zwischen 28 und 30 Dollar rechnen muss, liegt vor allem an der steigenden Nachfrage. Eine Studie der Internationalen Energie-Agentur (IEA) rechnet mit einem Nachfragezuwachs von jährlich 1,6 Prozent. Im Jahr 2000 lag der tägliche Bedarf noch bei 75 Millionen Fass. Die IEA erwartet für 2010 einen täglichen Verbrauch von 89 Millionen Fass und von 120 Millionen Fass im Jahr 2030.

Besonders wichtige Nachfrager sind China und Indien. «In Indien gibt es ein rechtes Energieproblem, denn 70 Prozent der benötigten Energie muss importiert werden», sagt Fondsmanager Batchelor. Und viele Experten erwarten, dass das anhaltend starke Wirtschaftswachstum in China den Bedarf an Energie weiter in die Höhe treiben wird.

Preistreibend wirkt zudem, dass dieser steigenden Nachfrage ein unsicheres Angebot gegenübersteht. Der Ölpreis wird oft als geopolitischer Seismograf bezeichnet, denn Unruhen führen leicht zu Engpässen und steigenden Preisen. Und solche Engpässe fürchtet man nach wie vor aus dem Nahen Osten. Vor allem das Angebot aus dem Irak bleibt ein Unsicherheitsfaktor, was auch Batchelor von Merrill Lynch bestätigt: «Viele Menschen haben erwartet, dass nach Ende des Irak-Kriegs die Ölquellen noch mehr sprudeln würden als zuvor. Aber dies ist nicht der Fall, und es wird auch noch lange dauern, bis das alte Förderniveau wieder erreicht ist.»

Doch selbst dann dürfte Öl noch für längere Zeit teuer bleiben. Dafür spricht, dass einige Ölgesellschaften es versäumt haben, rechtzeitig Investitionen in die Exploration zu tätigen und nun unter Druck stehen, ihre Reserven zu erhöhen. Bei der Kalkulation neuer Projekte setzen die Gesellschaften einen hypothetischen Preis für Öl an. Erst 2003 wurde dieser von 16 auf 20 Dollar je Fass erhöht, obwohl bereits damals ein Fass des flüssigen Energieträgers über 30 Dollar kostete. Viele Projekte wurden daher nicht realisiert: Die Förderung hätte sich zu diesem Preis nicht gelohnt. «Die grossen Energiekonzerne haben in der Vergangenheit zu wenige Investitionen getätigt und können deswegen heute nicht das gewünschte Produktionswachstum erreichen», sagt der Ölexperte Batchelor. Da die Konzerne bis heute einen sehr niedrigen Preis für ihre Kalkulationen wählen, wird nach wie vor zu wenig in die Erschliessung neuer Quellen investiert, was den Preis für Öl auch noch für längere Zeit hoch halten wird.

Kurzfristig spielen aber auch die geringen Benzin-Lagerbestände in den USA eine entscheidende Rolle. Der hohe Ölpreis führte in den USA dazu, dass keine grossen Lagerbestände für Benzin aufgebaut wurden. Die leeren Lager zwingen die USA zu erhöhten Treibstoffimporten – und lösen so wiederum einen Preisauftrieb aus. «Zwischen den Lagerbeständen und dem Ölpreis gibt es eine starke Korrelation», sagt Dennis Nacken, Analyst bei der Hessischen Landesbank, «wenn die Bestände sehr niedrig sind, dann ist der Ölpreis höher. Und vice versa.»

Die Aktien einiger Ölkonzerne konnten bereits vom starken Rohölpreis profitieren und verbuchten in den vergangenen Wochen deutliche Kursgewinne. Trotzdem kann man mit weiter steigenden Kursen rechnen. «Die Märkte kalkulieren noch nicht mit dem hohen Ölpreis, weder die Analysten noch die Ölfirmen selbst», erklärt Ölanalyst Nacken. Investoren hätten sich daher bisher mit ihren Engagements zurückgehalten. Dabei ist der hohe Ölpreis für die Gesellschaften ein warmer Ertragsregen. «Die Ergebnisse fürs erste Quartal 2004 werden dementsprechend gut ausfallen», erwartet Adam Sieminski, Ölanalyst der Deutschen Bank in London. Er hält Ölaktien für niedrig bewertet und erwartet daher ein gutes Jahr für diese Titel. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) der weltweit grössten Ölgesellschaften wie BP oder Shell liegt beispielsweise bei nur 14. Die Aktien von weniger grossen Konzernen wie etwa Amerada Hess oder Marathon weisen im Durchschnitt sogar nur ein KGV von 10 auf.

Für einen Aufwärtstrend der Ölaktien spricht auch, dass an den Aktienmärkten eine Rotation hin zu defensiven Werten erwartet wird. Bisher haben diese Titel, zu denen neben Ölaktien auch Pharma- und Bankenpapiere zählen, schwächer abgeschnitten als typisch zyklische Werte wie etwa Technologie-Aktien. Anleger besinnen sich regelmässig auf defensive Aktien, wenn sie eine schwächere Wirtschaftsentwicklung erwarten. Weitere Zinssenkungen in Euroland und die verschobene Zinsanhebung in den USA sind nur zwei von vielen Signalen, die defensiven Titeln zurzeit Auftrieb verleihen. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren andere Rohstoffe wie vor allem Gold gegenüber Öl als Aktienanlage bevorzugt wurden. Die Titel der Ölkonzerne haben so auch innerhalb des Rohstoffsektors schlechter abgeschnitten und sollten dieses Aufholpotenzial nutzen können.

«Die Ölkonzerne waren in der Vergangenheit auch wegen des schwachen Dollars unter Druck geraten. Viele Ökonomen rechnen jetzt damit, dass sich der Dollar erholt, weil er stark unterbewertet ist. Sollte sich die Dollarschwäche tatsächlich umkehren, werden die Ölaktien erheblich davon profitieren», argumentiert der Ölanalyst Sieminski.

Was Ölaktien besonders interessant macht, sind die attraktiven Dividenden. Im Durchschnitt liegt die Dividendenrendite der Ölbranche nämlich bei vier Prozent, was deutlich höher ist als der Marktdurchschnitt. Die höchsten Gewinnausschüttungen werden von den Ölgiganten wie Royal Dutch oder Total Fina Elf geboten.

Wer sich nicht nur für attraktive Dividenden interessiert, sondern eher auf Kursgewinne aus ist, der sollte auf Titel mit geringerer Marktkapitalisierung oder auf Werte aus aufstrebenden Märkten setzen. So hat sich etwa Russland zum weltweit grössten Ölproduzenten entwickelt und Saudi-Arabien von der Spitze verdrängt. In Russland gibt es viel Öl, und es ist billig zu fördern.

Überhaupt bieten Ölunternehmen der Emerging Markets derzeit noch attraktive Bewertungen. Doch die Risiken, in ein solches Land zu investieren, sind klar höher als in Europa oder den USA. Steuerliche und rechtliche Aspekte sind oft noch nicht abschliessend geklärt. Von Konzernen mit geringerer Marktkapitalisierung – den so genannten Small und Mid Caps wie Occidental oder Pioneer – erwarten viele Analysten grösseres Wachstum als von den Megakonzernen, die Robin Batchelor von Merrill Lynch für zu gross zum Wachsen hält.

Wem bei dieser grossen Auswahl an Investitionsmöglichkeiten eine Entscheidung schwer fällt, kann auch einen Energiefonds wählen. Die Anlageschwerpunkte unterscheiden sich in Bezug auf Region, Unternehmensgrösse und Branche teilweise erheblich. Es empfiehlt sich daher, einen genauen Blick in den Fondsprospekt zu werfen.

Wer auf Titel der Ölbranche setzt, kann dieses Jahr nicht völlig falsch liegen. «Von dem hohen Ölpreis werden eigentlich alle profitieren: die Förderer, die Dienstleister und die integrierten Konzerne. Denn je höher der Preis ist, umso mehr Projekte werden realisiert», prognostiziert der Ölexperte Nacken. «Unsere Empfehlung lautet daher: Ölbranche übergewichten.»