«Spiel ist die Abwesenheit von Ernst und Tod.»
Adam Bronstein
Schweizer gelten als bedächtig, unlustig und unverspielt. Ich lache darüber. Ich sehe das eher umgekehrt und habe dafür einen wertvollen Zeugen, Christian Seiler, den ebenfalls aus Österreich kommenden Chefredaktor des Kult-Kulturmagazins «du».
Wir sind der Auffassung, dass die Schweizer zumal dann, wenn sie die Heimatgrenzen überschritten haben, zu den Lebhaftesten und Genussfähigsten gehören, die die Welt je gesehen. Eigentlich brauchen sie keinen Vormund für die Energiefaktoren Feiern und Spiel.
Das Folgende ist also nur jenen zugedacht, die noch Schweizer im Sinne des Appenzell sind. Erfolgspsychologen entdecken gerade das sofortige Feiern nach jedem noch so kleinen Sieg als Quelle der Energien. Viele verzichten auf diese Energieschübe. Sie glauben, die Siegesfreude sei ein unverderbliches Gut. Sie halte sich ohne Ablaufdatum. Man könne daher die Siegesfeiern aufschieben auf das nächste Wochenende (das immer schon verplant ist), auf den Urlaub (wo der Feier-druck die Musse stört und zu Scheidungen führt) oder gar in den Ruhestand (den man so nie erlebt).
Aufschieben funktioniert nicht. Instant celebrations hingegen sind ein Jungbrunnen. Sie sorgen automatisch für den verdienten Applaus, den die Aussenwelt vielleicht vorenthält. Sie produzieren Endorphine als Gegengewicht für die Adrenaline, die man für den Sieg ins Blut schüttete. Sie machen stark für die nächste Tat.
Ebenso wichtig für das Wohlbefinden, nur ungleich komplizierter, ist die Fähigkeit zum Spiel. Hier muss, da Powerfrauen zunehmend so wichtig werden wie Powermen, freilich fein nach Geschlechtern geschieden werden.
Die Evolutionstheoretiker sagen: «Die alten Rollen der Frühzeit schlagen beim Spielzeug immer noch durch. Die Männer als Jäger spielen mit Dingen, die Mobilität verheissen, also Eisenbahnen, Modellautos und Space Shuttles, die Frauen als sesshafte Hüterinnen von Heim und Brut spielen mit Puppen, Puppenhäusern und Modellküchen.» Damit ist die Kindheit gemeint. Viel ändert sich aber auch später nicht. Mädchen spielen dann mit echten Puppen, beispielsweise Buben, und die Buben immer noch mit Autos.
Selbst bei den elektronischen toys, die kraft der binären Mathematik der Digitaltechnik eine völlig neue Dimension wirklichkeitsgetreuen Spiels ermöglichen, ändert sich wenig. Männer, vom Mobilitätswahn besessen, vergöttern Laptops, während Frauen eher den Desk Top PC schätzen, beispielsweise einen ästhetisch wertvollen Apple-Macintosh, der zu Hause wie ein treuer Hund wartet, mit hundert veralteten gelben Post-it-Notizen am Bildschirmrand, daneben die Blumenvase und das Teehäferl. Keine Frau im mannbaren Alter schleppt freiwillig eine unförmige Notebooktasche aus gullyfarbenem Weltraumnylon statt einer Prada-Handtasche herum. Den Männern ist das egal. Sie lieben den Gedanken, überall arbeiten und spielen zu können.
Für Männer sind die heutigen tools immer auch toys. Viele ihrer Notebooks sind deshalb so langsam, weil oft schwache Hardware (RAM, Taktfrequenz, Grafikkarte) auf fette Spiele-Software trifft. Aber auch wenn das Zeug ruckelt und zischt: Die Männer können mit Spielen das trainieren, was sie früher als Affen und später als homo erectus zum Überleben brauchten: Revier verteidigen, töten, Strategiegeschick, Krieg führen. Aber auch moderne Wirtschaftsführung und Politikermacht lassen sich toll simulieren, zum Teil ganz vernünftig wie in Aufbauspielen à la «Industriegigant» und «Sims».
Zu Hause ziehen Männer dann TV-Konsolen vor, um wirklichkeitstreue Ralleys und Formel-1-Rennen ab- zufeiern. Ihre ziemlich teuren Spielpro-gramme für Sonys Playstation 2 und Microsofts xbox heissen «Colin McRae», «Rally-Sport-Challenge», «GT 3», «Project Gotham», «moto-gp», «World-Racing», «DTM-Race-Driver», «Midnight-Club» und «Midtown-Madness». Oft müssen sie mit Kopfhörern spielen, akustisch verbannt von ihrer verbitterten Gefährtin, die lieber mit Biolek kochen oder ein Hollywood-Movie sehen würde. Keine einzige Frau vernetzt sich mit australischen und kalifornischen Spielern, um kontinentübergreifend per online ein «Midtown Madness»-Rennspiel zu organisieren. Noch um die Jahrhundertwende 1900 zeichnete die Literatur – auch jene des klugen Mediziners und Psychologen Arthur Schnitzler – die Männer als vernunftsorientierten homo oeconomicus, die Frauen eher als irrlichternd-verspielten homo ludens. Das war schon damals falsch, und ist heute irriger denn je.
Helmut A. Gansterer ist Herausgeber des Wirtschaftsmagazins «Trend» in Wien.