Sie gilt als Mutter des Aktienhandels, ist sie doch die älteste Effektenbörse der Welt – die 1612 gegründete Börse in Amsterdam. Zwar ist sie heute, verglichen mit ihrer Bedeutung von damals, ein kleiner Nebenschauplatz der grossen Börsen in den Metropolen New York, London oder Tokio. Sie widerspiegelt die Grösse und Bedeutung der niederländischen Wirtschaft in der Gegenwart: «Wir sind ein kleines Land, das abhängig ist vom internationalen Handel», gibt Wendy Veelenturf, Fondsmanagerin der holländischen ING Bank, freimütig zu.
Dafür haben es die Niederlande in den letzten Jahrzehnten geschafft, eine Transformation vom Primärsektor, der Landwirtschaft und dem Fischhandel, hin zum Tertiärsektor durchzuführen. Heute beträgt der Anteil des ersten Sektors nur noch zwei Prozent. Der Dienstleistungsbereich dagegen ist für mehr als die Hälfte des nationalen Einkommens verantwortlich: in erster Linie der Transport- und Logistiksektor, gefolgt von den Banken und Versicherungen. Im Sekundärsektor, der Industrie, erzielen Metallarbeit und Ölraffinerien 20 Prozent des Sozialprodukts.
Die ausgeprägte Offenheit, die den Holländern eigen scheint, zeigt sich nicht nur anhand der zahlreichen Coffeeshops und Wohnungen ohne Vorhänge, sondern drückt sich auch in der Finanzwelt in den unterschiedlichsten Bereichen aus. So wurde letztes Jahr eine neue Rekordzahl an niederländischen Grossunternehmen ins Ausland verkauft, allen voran die Grossbank ABN Amro, die rund 105 000 Mitarbeiter beschäftigt, oder der Lebensmittelhersteller Numico, der bereits seit 1896 von Holland aus tätig ist.
Ginge wegen eines derartigen «Ausverkaufs der Heimat» ein Aufschrei durch die Bevölkerung der meisten europäischen Länder, ist Heimatschutz in den Niederlanden, besonders für die Politiker, kein Thema. Nicht nur das Fehlen protektionistischer Massnahmen machte den dortigen Aktienmarkt für ausländische Investoren zunehmend attraktiver, sondern auch eine Stärkung von deren Rechten trug das Ihre bei. So wurden 2002 neue Corporate-Governance-Regeln eingeführt. Abwehrmassnahmen des Verwaltungsrats bei Angriffen auf Firmen, wie Poison Pills und Vinkulierungsbeschränkungen, wurden grösstenteils abgeschafft. So stellen mittlerweile die Vereinigten Staaten mit 18,5 Prozent den grössten Anteil der ausländischen Investoren.
Und ausgerechnet eine indisch-holländische Firma, ArcelorMittal, die vergangenes Jahr neu ins Hauptsegement aufgenommen wurde, stellt unterdessen das neue Aushängeschild des Amsterdam Exchange Index (AEX) dar. Mit einer Performance von 50 Prozent schlug der Stahlkonzern alle anderen. Aufgrund der Kursrückgänge der letzten Wochen ist der Titel mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 9 sogar noch äusserst günstig bewertet. Im Gegensatz zu anderen Indizes ist der AEX stark zyklusabhängig. Grund dafür ist die Tatsache, dass Titel aus dem Pharma- und Versorgungssektor fehlen. Auch das hohe Dollar-Exposure holländischer Firmen ist derzeit ein wunder Punkt für Wirtschaft und Anleger.