Chinas Wirtschaft leidet unter dem Handelskonflikt. Wie zuversichtlich sind Sie für die weitere Entwicklung der zweitgrössten globalen Volkswirtschaft?
Donald Trumps Haudegenpraktik kennt einen Gewinner: China. Alle auf den ersten Blick erscheinenden Strafen fördern die Flexibilität der chinesischen Wirtschaft. Der «Neubau» der Seidenstrasse, die Intensivierung der Exportbeziehungen mit anderen Nationen, die Forschungsanstrengungen im Automobilsektor sowie der Fokus auf eine eigene Halbleiterindustrie verbessern die Wettbewerbsposition Chinas.
Der Börsengang des saudischen Ölförderers Aramco wird für Schlagzeilen sorgen. Was ist Ihre Einschätzung zum Unternehmen und dem geplanten IPO?
Es gibt tatsächlich Anzeichen dafür, dass Saudi-Arabien den staatlichen Ölkonzern Aramco in den nächsten ein bis zwei Jahren an die Börse bringen könnte. Vor ein paar Jahren ist der erste Versuch eines Teilbörsengangs kläglich gescheitert, da die Preisvorstellungen der Saudis viel zu hoch waren.
Aramco ist mit einem Reingewinn von 111 Milliarden Dollar im letzten Jahr das profitabelste Unternehmen der Welt. Saudi-Arabien möchte rund 10 Prozent der Aktien von Aramco platzieren, dies entspräche mit einem geschätzten Transaktionswert von deutlich über 100 Milliarden Dollar dem mit Abstand grössten Börsengang aller Zeiten.
Die Mehrheit bleibt im Besitz des saudischen Staates, das heisst die Minderheitsaktionäre haben rein gar nichts zu sagen. Auch im Hinblick auf die Nachhaltigkeit (Erfüllung der ESG-Kriterien) sind die Aktien von Aramco keinen Kauf wert.
Online-Banken wie Revolut oder N26 machen etablierten Finanzhäusern die Kunden streitig. Was heisst das für das Geschäftsmodell von Instituten wie der Credit Suisse und der UBS?
Junge Banken und Fintechs brechen alte und ineffiziente Strukturen auf und bringen frischen Wind in die Branche. Jedoch basieren Bankengeschäfte auf Vertrauen, insbesondere im Wertschriftengeschäft, das komplexe Wünsche abdecken kann.
Für den Kunden sind nicht nur niedrige Gebühren ausschlaggebend, sondern auch Reputation, persönlicher Kontakt und Konstanz. Der Trend geht hier, und das sehen wir als Chance, in Richtung Kooperationen junger und etablierter Banken.
Italien erhält eine neue Regierung. Könnte die kriselnde Wirtschaft vom Führungswechsel profitieren?
Die gegenwärtige Koalitionsregierung in Italien besteht aus den einstigen Erzfeinden der Protestpartei Cinque Stelle und der linken Partito Democratico. Es handelt sich hierbei um eine Vernunftehe mit unbestimmtem Verfallsdatum.
Die neue Regierung wird sicherlich einen deutlich europafreundlicheren Ton anschlagen und die Gefahr eines Euro-Austritts ist vom Tisch. Die Probleme sind jedoch weiterhin vorhanden. Gemäss Gerüchten soll ein expansives Budget vorbereitet werden, um das Wachstum anzukurbeln.
Auf der anderen Seite fordert Brüssel bis Ende Oktober die Verabschiedung eines Sparhaushaltes, welcher unter anderem die Erhöhung der Mehrwertsteuer vorsieht. Mal sehen, wie der neuen Regierung dieser Spagat gelingt.
Und was beschäftigt derzeit die Finanzmärkte sonst noch?
Aktuell halten die politischen Ereignisse die Finanzmärkte in Atem. Der Handelsstreit und die anstehende Brexit-Entscheidung verunsichern sowohl die Unternehmer als auch die Investoren.
Dies führt zu einem volatilen Seitwärtstrend an den Aktienmärkten. Da politische Entscheide nicht immer rational ausfallen, ist eine anhaltend vorsichtige Positionierung angezeigt.
Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
Es stehen zwei Dinge im Vordergrund: die hohe Marktkapitalisierung der defensiven Werte, Roche, Nestlé und Novartis und deren aktuelle Beliebtheit. Dies sollte den Schweizer Aktienmarkt selbst bei erhöhter Unsicherheit stabilisieren.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
In Anbetracht dessen, dass der SMI mit einem geschätzten Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) 2019 von 21.5 weltweit einer der teuersten Aktienmärkte ist, ergibt sich für die nächsten Monate nur noch ein beschränktes Aufwärtspotential.
Bedenken Sie, dass alleine der Anstieg der Nestlé Aktien den SMI in diesem Jahr über 1000 Punkte avancieren liess. Trotz aller Qualität ist ein Marschhalt der Nestlé Aktien aufgrund der rekordhohen Bewertung (KGV 2019 25) zu erwarten.
(mbü)