Nach seiner Tätigkeit gefragt, antwortet Flavio Battaini knapp: «Privatier.» Dem Müssiggang frönen kann der 35-jährige Jurist, weil er im vergangenen Herbst bei seinem abrupten Abgang vom Fussball-Weltverband Fifa in Zürich schätzungsweise gegen eine Million Franken Abfindung einsackte. «Das lasse ich unbeantwortet», wehrt der ausgewechselte Fifa-Marketingdirektor mit Hinweis auf vereinbartes Stillschweigen ab.
Eine Million Abfindung für einen Mittdreissiger nach nur sechs Jahren in Diensten der Fifa – nicht übel. Enthalten sein könnte da durchaus Schweigegeld. Denn Battaini formulierte bei der Fifa vor seiner Einwechslung ins Marketing bis 1999 als Leiter der Rechtsdienste milliardenschwere Marketing- und Fernsehverträge zwischen der Fifa als Verkäufer und den beiden Käufern, der Münchner Kirch-Mediengruppe und der Zuger ISL Worldwide. Mehr als vier Milliarden Franken sackt der Dachverband danach für TV- und Werberechte an den beiden Fussballweltmeisterschaften 2002 in Japan und Korea sowie 2006 in Deutschland ein.
Battainis Vertragswerk hat für den Fall, dass einer der Fifa-Partner insolvent würde, zwar vorgesorgt: Die verkauften Rechte fallen an die Fifa zurück. Verheerend könnte dann aber wirken, was Kicker-Präsident Sepp Blatter in einem «SonntagsBlick»-Interview enthüllte: Bei einem ISL-Bankrott würde der Fifa gleichwohl ein Schaden von «30 bis 40 Millionen Franken» entstehen. Dieser Batzen sei, so Blatter, «innerhalb von ISL in irgendein schwarzes Loch verschwunden». Schwarzes Loch? «Es gibt garantiert einige Leichen im Keller», orakelt ein Insider über die Geschäftspraktiken der ISL.
Das schwarze Loch dürfte in Liechtenstein zu finden sein. Dort soll ISL schon vor vielen Jahren ganz diskret eine Stiftung namens Nunca mit 60 Millionen Franken Kapital ausgestattet haben. Aus dieser schwarzen Kasse dürfte Schmiergeld an die wichtigsten Sportfürsten der grössten Verbände geflossen sein. Als sich die Schieflage bei ISL im Herbst vergangenen Jahres abzeichnete, sollen die restlichen (noch nicht verteilten) 17 Millionen Franken abgeflossen sein.
Für die Eidgenössiche Finanzverwaltung und die Gläubiger könnten dubiose Geldtransfers womöglich schwer zu rekonstruieren sein, weil ISL pikanterwiese im vergangenen November den Firmensitz von Luzern nach Zug verlegt hatte. Ein zusätzliches Hindernis bei einer restlosen Aufklärung könnte sein, dass die ISL-Obergesellschaft bis in die Neunzigerjahre in Sarnen registriert war und deren Buchhaltung deshalb in Obwalden geführt wurde.
Die ISL stand von jeher im Ruf, unkonventionelle Wege zu beschreiten, wenn es nur dem Geschäftszweck nützt. «Zu unseren Betriebsphilosophien gehört Diplomatie», äussert nebulös ISL-VR-Präsident Jean-Marie Weber. Zu Webers wesentlichen Aufgaben zählen die Sport-Relations, übersetzt: Pflege von Beziehungen mit den wichtigen Sportfürsten der Welt. Der Volksmund weiss, dass kleine Geschenke die Freundschaft erhalten.
Mancher Rappen aus der ISL-Schatulle dürfte diskret für Geschäftspartner Blatter geflossen sein, der zur ISL nun so elegant auf Distanz geht. Nachdem der heute 65-Jährige als Fifa-Generalsekretär vom 1987 verstorbenen ISL-Gründer Horst Dassler auch persönlich Gelder in den eigenen Sack gestopft hatte, sponserte später der Sportvermarkter Blatters Wahlkämpfe. Ohne Einsätze von Weber in der Dritten Welt hätte Blatter 1998 womöglich nicht die Nachfolge des 85-jährigen Brasilianers João Havelange als Fifa-Präsident antreten können. Bis kurz vor der Wahl nämlich galt der Schwede Lennart Johansson, Präsident des Europäischen Fussballverbands (Uefa), als Favorit. Nach der dubiosen Abstimmung gestand selbst der Fifa-Vizepräsident David Will aus Schottland: «Über dieser Wahl bleibt der Schatten der Korruption hängen.»
Gut geölte Propagandamaschine
Dank den Verträgen mit Kirch und ISL schwimmt die Fifa, ein Verein nach Artikel 60ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, in einem riesigen Geldstrom. Allein aus Blatters Megadeal mit Kirch und ISL fliessen derzeit jedes Jahr rund 650 Millionen Franken auf Fifa-Konten. Sonstige Einnahmen wie prozentuale Anteile an jedem Länderspiel rund um den Globus kommen hinzu.
Und das Geld muss wieder raus, weil der Verein keine Profite anhäufen darf. 27 Prozent des Fifa-Etats spendieren sich die Offiziellen für die eigene Verwaltung, also gegen 180 Millionen Franken pro Jahr. Seit Blatters Wahl vor drei Jahren hat sich der Personalbestand auf 120 Mitspieler am Zürcher Sonnenberg fast verdoppelt. Mit dem neuen Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen und dem von der Credit Suisse angeheuerten Finanzchef Urs Linsi schien eine neue Ära angebrochen. Blatter liess gar zu, dass professionelle Topshots bei der Fifa einzogen. Wer da bereits auf ein Ende der Filzokratie wettete, ist inzwischen wieder ernüchtert: Erste Kaderleute ergriffen bereits die Flucht.
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Blatter will 2002 für eine zweite Amtszeit kandidieren und lässt deshalb seinen Glorienschein polieren: Keith Cooper als Kommunikationsdirektor führt die Verlautbarungsregie. In der Hierarchie abgestuft, amtet Andreas Herren als Fifa-Pressesprecher. Damit nicht genug, schickt Chef Blatter mit Markus Siegler noch einen persönlichen Sprecher aufs Feld. Um als wahre Lichtgestalt zu erstrahlen, lässt sich Blatter überdies von McKinsey «bei der Kongressgestaltung beraten» (Andreas Herren).
Eine pikante Personalentscheidung der letzten Wochen entlarvt zudem krudes Ränkespiel hinter der vordergründig familiären Fassade der Fifa-Welt. Blatter holte den 1995 von ihm höchstselbst gefeuerten Pressechef Guido Tognoni als «persönlichen Assistenten und Troubleshooter» ins Fifa-Hauptquartier auf den Zürcher Sonnenberg zurück.
Hintergrund: Nachdem Blatter ihn seinerzeit gekickt hatte, schwadronierte Tognoni in der Folge über viele Foulspiele in der gar nicht heilen (Finanz-)Welt des Fussballs, lief sich so als wichtiger Promotor für den Blatter-Gegenspieler Johansson warm. «Wenn du deine Gegner nicht besiegen kannst, kaufe sie», unkt ein Insider über die Rückkehr von Tognoni. Und Kaufpreise spielen offensichtlich – siehe Battainis Millionenabfindung – angesichts der prallen Fifa-Kasse keine Rolle.
Geölt mit gutem Geld, läuft die Propagandamaschine auf Hochtouren. «Truly democratic» sei das Dach der Fussballwelt, verbreitet die Fifa etwa, weil «ungeachtet der Grösse oder der Spielstärke» jedes Mitglied eine Stimme habe. Tatsächlich wiegen im Kongress, der formell höchsten Fifa-Instanz, alle Stimmen der 204 Landesverbände gleich viel.
Hat aber der Kongress, der sich Anfang Juli in der argentinischen Metropole Buenos Aires versammeln wird, in Wahrheit überhaupt etwas zu bestimmen? Theoretisch ja, wenn es darum geht, ob ein Strafstoss künftig aus zehn statt aus elf Metern getreten werden soll. Geldwerte Geschäfte wie die Fernseh- und Werbeverträge organisiert hingegen in Eigenkompetenz das 24-köpfige Exekutivkomitee.
Und dort sind die Machtverhältnisse weniger ausgewogen: Anders als der Präsident, den der Kongress auf den Thron hebt, werden die 7 Vizepräsidenten und zusätzlich 16 Mitglieder für das Exekutivkomitee nach einem festen Quotenschlüssel aus den kontinentalen Verbänden erkoren. Europa – mit drei Vizepräsidenten und fünf Mitgliedern – ist hier klar in der stärksten Position.
Verschupftes Afrika
Als stimmenstärkster Block wird im Juli die aus 52 Nationalverbänden bestehende Confédération Africaine de Football (CAF) zum Kongress 2001 in Buenos Aires einfliegen. Ihr Häuptling, der Fifa-Vizepräsident Issa Hayatou aus Kamerun, gilt als möglicher Gegenkandidat Blatters um das Präsidentenamt im kommenden Jahr. Und falls sich dannzumal Afrika mit der Uefa (51 Stimmen) und dem asiatischen AFC (45 Stimmen) auf einen Gegenkandiaten einigen würde, hätte der Schweizer keine Chance auf Wiederwahl.
Die Missstimmung in der afrikanischen Konföderation hat mehrere Ursachen. Da ist zum einen der Affront vom letzten Jahr, als Deutschland anstelle von Afrika den Zuschlag für die WM 2006 erhielt. Zum anderen fragen sich die Delegierten Afrikas, ob die reiche Fifa bettelarme Mitglieder wie Ruanda finanziell tatsächlich so unterstützt, wie es mit den Milliarden aus dem TV-Geschäft möglich wäre.
Den afrikanischen Fussballfunktionären dürfte auch im Juli beim ausserordentlichen Fifa-Kongress noch das Entsetzen über drei schreckliche Katastrophen in Fussballstadien auf ihrem Kontinent innert vier Wochen in den Gliedern stecken: mindestens 43 Tote und 160 Verletzte bei einer Massenpanik im Johannesburger Ellis-Park-Stadion am 11. April, 8 Tote bei einer Panik im kongolesischen Lubumbashi am 29. April und mehr als 120 Tote und rund 150 Verletzte nach einer Massenpanik in der Arena der ghanaischen Hauptstadt Accra am 10. Mai.
Zwar kann niemand die Fifa für diese Tragödien verantwortlich machen. «Nie wieder» hatte Blatter 1996 einen Aufsatz in den «Fifa-News» überschrieben, nachdem beim WM-Qualifikationsspiel zwischen Guatemala und Costa Rica in Guatemala City durch eine Massenpanik 83 Zuschauer ums Leben gekommen waren. Just zu der Zeit hatte die Fifa die milliardenschweren Fernseh- und Marketingverträge unter Dach gebracht. Weil zeitgleich auch Blatters Wahlkampf anlief, versprach das damalige Führungsduo Havelange und Blatter jedem Nationalverband jeweils eine Million Dollar, verteilt über vier Jahre. Die sechs Konföderationen kassieren aus diesem Wahlversprechen zusätzlich jeweils zehn Millionen Dollar.
Was so generös wirkt, entpuppt sich inzwischen als Füttern von Stimmvieh. Denn was lässt sich in so bevölkerungsreichen – fussballverrückten – Ländern wie Nigeria oder Ghana mit einer Million Dollar ausrichten? Da kann Fifa-Sprecher Herren tröstend aufs so genannte «Goal»-Programm der Fifa hinweisen, aus dessen Topf das Stadion in Liberias Hauptstadt Monrovia saniert worden sei.
Das Exekutivkomitee muss sich gleichwohl die Frage stellen, ob die vermeintlich gerechte Geldgabe nicht pure Augenwischerei sei. Der Schweizerische Fussballverband braucht 250 000 Dollar Zustupf im Jahr ebenso wenig wie Liechtensteins Kickerbund. Auch die übrigen (west)europäischen Landesorganisationen könnten darauf ebenso ohne Not verzichten wie die superreichen Ölförderländer Saudi-Arabien, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate oder das Sultanat Brunei. Wenn weise Fussballfürsten dann noch Kleinstverbände in Andorra und San Marino, auf den Niederländischen Antillen oder den Seychellen überzeugten, dass Solidarität eine edle Form der salbungsvollen Fifa-Formel Fairplay sei, könnten locker zig zusätzliche Millionen für bauliche Sicherheitsmassnahmen nach Afrika geleitet werden.
Ein gelehriger Schüler Dasslers
Im Grundsatz dürfte Blatter das Modell grosszügiger Gaben von seinem Mentor Horst Dassler gelernt haben. Doch der erste Profi in der Sportvermarktung schüttete tatsächlich nie aus einer Giesskanne. Dasslers Domäne war die Sportartikelfirma Adidas, die Vater Adi Dassler gegründet hatte. Der kontaktfreudige Junior kam 1956, gerade 20-jährig, zu seiner ersten Olympiade ins australische Melbourne, verteilte Schuhwerk an hoffnungsvolle Athleten. «Sie alle trugen Adidas», konnte der Hersteller nach den Spielen mit jeder Menge Goldmedaillengewinnern die Werbetrommel rühren.
Als visionärer Unternehmer förderte Dassler Karrieren. 1985 etwa, zwei Jahre vor seinem Tod, stellte er den früheren Fechtolympiasieger Thomas Bach bei Adidas ein. Bach sitzt inzwischen im Exekutivkomitee des IOC. Dassler entlohnte auch den Nachwuchsfunktionär Sepp Blatter. Das Duo empfand Sympathie füreinander, vielleicht weil sie innerhalb von zwei Tagen zur Welt gekommen waren: Blatter am 10. März 1936, Dassler zwei Tage später. Viele Jahre lang feierten sie Geburtstage gemeinsam – am 11. März, dem mathematischen Mittel, zumeist in Dasslers eigenem Nobelhotel im elsässischen Landersheim.
Ehre, wem Ehre gebührt: Dassler brachte den seinerzeit bettelarmen Verbänden erst bei, welche monetäre Macht in ihnen steckte, welche Beträge das IOC, die Fifa oder die Uefa allein von immer mehr Fernsehanstalten dieser Welt abschöpfen könnten. Weil Dassler wusste, dass mit Verfechtern reinen Amateurdenkens wie dem früheren IOC-Präsidenten Avery Brundage eine Kommerzialisierung des Weltsports undenkbar wäre, organisierte er nötige Delegiertenstimmen, um an den Kongressen aufgeschlosseneren Kandidaten zum Sieg zu verhelfen. Sporthistoriker wissen, dass ohne Dasslers Fürsprache weder der bald scheidende IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch noch Blatter oder dessen Vorgänger Havelange in ihre Ämter gekommen wären.
Nicht nur den Sportverbänden erschloss Dassler ergiebige Finanzquellen, sondern auch sich selbst. Der damals wahre Herr der Ringe garantierte den Funktionären zwar vom Start weg etliche Millionen. Für seine Familienfirma International Sports & Leisure (ISL) aber durfte durchaus mehr hängen bleiben. Nur lautet eine Bauernweisheit: «Unter einer starken Eiche wächst keine zweite nach.» Nach dem Tod des Vollblutunternehmers Dassler wechselte dessen langjähriger Assistent (und Geheimnisträger) Jean-Marie Weber zur ISL nach Luzern. Wenig später stieg auch Dassler-Schwager Christoph P. Malms ins Unternehmen ein – und kaum hatte er sein Chefbüro bezogen, setzten sich die beiden besten ISL-Marketingstrategen, Klaus-Jörgen Hempel und Jürgen Lenz, ab und gründeten das Konkurrenzunternehmen Team. Mit ihrer Kreation Champions League schufen sie für den Blatter-Widersacher Lennart Johansson und dessen Uefa einen neuen Milliardenmarkt.
Im Stammgeschäft Fussball glänzt auch ISL unvermindert. «ISL hat den Plan übererfüllt», addiert Fifa-Sprecher Andreas Herren Vertragsabschlüsse. Das prosperierende Fernseh- und Fussball-Werbegeschäft der ISL dürfte vordergründig das Interesse des französischen Giganten Vivendi Universal und von dessen TV-Sender Canal Plus an einer (Teil-)Übernahme der ISL-Trümmer geweckt haben. Das Angebot von Vivendi, einen Einstieg bei ISL zu prüfen, entpuppt sich jetzt als regelrechtes Spiel auf Zeit. Der kurze Draht zum Medienmogul Leo Kirch dürfte Vivendi dabei schon wegen des eigenen Bezahlfernsehsenders Canal Plus wichtiger sein als die Rettung der Not leidenden Nischenfirma ISL.
Die Übertragungsrechte für die nächsten zwei Weltmeisterschaften für ganz Europa liegen – bei Kirch. In Europa strahlt Canal Plus sein Programm aus. Frankreich tritt in Südkorea/Japan als amtierender Weltmeister an. Das garantiert Einschaltquoten respektive zusätzliche Abonnements fürs Pay-TV. Mit einer Übernahme von ISL wären Vivendi zwar TV-Deals in Asien und Südamerika zugefallen. Doch der Heimatmarkt Frankreich ist wichtiger. Darum erscheint das kolportierte Szenario schlüssig: Kirch und Vivendi lassen verabredungsgemäss ISL in Konkurs gehen. Die partiellen Fernsehrechte fallen dann vertragsgemäss an die Fifa zurück. Kirch aber hat eine Option auf dieses Paket. Und dass damit Geld zu verdienen ist, hat ISL bewiesen.
Dass am Ende die grössenwahnsinnige Expansion in das Tennis- und das amerikanische Autorennbusiness ISL crashen liess und allein im vergangenen Jahr knapp 700 Millionen Franken Minus eingefahren wurden, sollte Fifa-Chef Blatter allerdings nicht zum Nachtreten provozieren. Als Foulspiel empfindet die Familie, wenn der Blatter Sepp ihnen zuruft: «Schuster, bleib bei deinem Leisten!» Und den Nachkommen des Schuhmachers Adi Dassler via «SonntagsBlick» im Nachhinein den weisen Satz um die Ohren haut: «Wäre man bei ISL beim Kerngeschäft Fussball geblieben, würde es jetzt allen gut gehen, auch den Erben Dassler.»
Eine Million Abfindung für einen Mittdreissiger nach nur sechs Jahren in Diensten der Fifa – nicht übel. Enthalten sein könnte da durchaus Schweigegeld. Denn Battaini formulierte bei der Fifa vor seiner Einwechslung ins Marketing bis 1999 als Leiter der Rechtsdienste milliardenschwere Marketing- und Fernsehverträge zwischen der Fifa als Verkäufer und den beiden Käufern, der Münchner Kirch-Mediengruppe und der Zuger ISL Worldwide. Mehr als vier Milliarden Franken sackt der Dachverband danach für TV- und Werberechte an den beiden Fussballweltmeisterschaften 2002 in Japan und Korea sowie 2006 in Deutschland ein.
Battainis Vertragswerk hat für den Fall, dass einer der Fifa-Partner insolvent würde, zwar vorgesorgt: Die verkauften Rechte fallen an die Fifa zurück. Verheerend könnte dann aber wirken, was Kicker-Präsident Sepp Blatter in einem «SonntagsBlick»-Interview enthüllte: Bei einem ISL-Bankrott würde der Fifa gleichwohl ein Schaden von «30 bis 40 Millionen Franken» entstehen. Dieser Batzen sei, so Blatter, «innerhalb von ISL in irgendein schwarzes Loch verschwunden». Schwarzes Loch? «Es gibt garantiert einige Leichen im Keller», orakelt ein Insider über die Geschäftspraktiken der ISL.
Das schwarze Loch dürfte in Liechtenstein zu finden sein. Dort soll ISL schon vor vielen Jahren ganz diskret eine Stiftung namens Nunca mit 60 Millionen Franken Kapital ausgestattet haben. Aus dieser schwarzen Kasse dürfte Schmiergeld an die wichtigsten Sportfürsten der grössten Verbände geflossen sein. Als sich die Schieflage bei ISL im Herbst vergangenen Jahres abzeichnete, sollen die restlichen (noch nicht verteilten) 17 Millionen Franken abgeflossen sein.
Für die Eidgenössiche Finanzverwaltung und die Gläubiger könnten dubiose Geldtransfers womöglich schwer zu rekonstruieren sein, weil ISL pikanterwiese im vergangenen November den Firmensitz von Luzern nach Zug verlegt hatte. Ein zusätzliches Hindernis bei einer restlosen Aufklärung könnte sein, dass die ISL-Obergesellschaft bis in die Neunzigerjahre in Sarnen registriert war und deren Buchhaltung deshalb in Obwalden geführt wurde.
Die ISL stand von jeher im Ruf, unkonventionelle Wege zu beschreiten, wenn es nur dem Geschäftszweck nützt. «Zu unseren Betriebsphilosophien gehört Diplomatie», äussert nebulös ISL-VR-Präsident Jean-Marie Weber. Zu Webers wesentlichen Aufgaben zählen die Sport-Relations, übersetzt: Pflege von Beziehungen mit den wichtigen Sportfürsten der Welt. Der Volksmund weiss, dass kleine Geschenke die Freundschaft erhalten.
Mancher Rappen aus der ISL-Schatulle dürfte diskret für Geschäftspartner Blatter geflossen sein, der zur ISL nun so elegant auf Distanz geht. Nachdem der heute 65-Jährige als Fifa-Generalsekretär vom 1987 verstorbenen ISL-Gründer Horst Dassler auch persönlich Gelder in den eigenen Sack gestopft hatte, sponserte später der Sportvermarkter Blatters Wahlkämpfe. Ohne Einsätze von Weber in der Dritten Welt hätte Blatter 1998 womöglich nicht die Nachfolge des 85-jährigen Brasilianers João Havelange als Fifa-Präsident antreten können. Bis kurz vor der Wahl nämlich galt der Schwede Lennart Johansson, Präsident des Europäischen Fussballverbands (Uefa), als Favorit. Nach der dubiosen Abstimmung gestand selbst der Fifa-Vizepräsident David Will aus Schottland: «Über dieser Wahl bleibt der Schatten der Korruption hängen.»
Gut geölte Propagandamaschine
Dank den Verträgen mit Kirch und ISL schwimmt die Fifa, ein Verein nach Artikel 60ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, in einem riesigen Geldstrom. Allein aus Blatters Megadeal mit Kirch und ISL fliessen derzeit jedes Jahr rund 650 Millionen Franken auf Fifa-Konten. Sonstige Einnahmen wie prozentuale Anteile an jedem Länderspiel rund um den Globus kommen hinzu.
Und das Geld muss wieder raus, weil der Verein keine Profite anhäufen darf. 27 Prozent des Fifa-Etats spendieren sich die Offiziellen für die eigene Verwaltung, also gegen 180 Millionen Franken pro Jahr. Seit Blatters Wahl vor drei Jahren hat sich der Personalbestand auf 120 Mitspieler am Zürcher Sonnenberg fast verdoppelt. Mit dem neuen Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen und dem von der Credit Suisse angeheuerten Finanzchef Urs Linsi schien eine neue Ära angebrochen. Blatter liess gar zu, dass professionelle Topshots bei der Fifa einzogen. Wer da bereits auf ein Ende der Filzokratie wettete, ist inzwischen wieder ernüchtert: Erste Kaderleute ergriffen bereits die Flucht.
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Blatter will 2002 für eine zweite Amtszeit kandidieren und lässt deshalb seinen Glorienschein polieren: Keith Cooper als Kommunikationsdirektor führt die Verlautbarungsregie. In der Hierarchie abgestuft, amtet Andreas Herren als Fifa-Pressesprecher. Damit nicht genug, schickt Chef Blatter mit Markus Siegler noch einen persönlichen Sprecher aufs Feld. Um als wahre Lichtgestalt zu erstrahlen, lässt sich Blatter überdies von McKinsey «bei der Kongressgestaltung beraten» (Andreas Herren).
Eine pikante Personalentscheidung der letzten Wochen entlarvt zudem krudes Ränkespiel hinter der vordergründig familiären Fassade der Fifa-Welt. Blatter holte den 1995 von ihm höchstselbst gefeuerten Pressechef Guido Tognoni als «persönlichen Assistenten und Troubleshooter» ins Fifa-Hauptquartier auf den Zürcher Sonnenberg zurück.
Hintergrund: Nachdem Blatter ihn seinerzeit gekickt hatte, schwadronierte Tognoni in der Folge über viele Foulspiele in der gar nicht heilen (Finanz-)Welt des Fussballs, lief sich so als wichtiger Promotor für den Blatter-Gegenspieler Johansson warm. «Wenn du deine Gegner nicht besiegen kannst, kaufe sie», unkt ein Insider über die Rückkehr von Tognoni. Und Kaufpreise spielen offensichtlich – siehe Battainis Millionenabfindung – angesichts der prallen Fifa-Kasse keine Rolle.
Geölt mit gutem Geld, läuft die Propagandamaschine auf Hochtouren. «Truly democratic» sei das Dach der Fussballwelt, verbreitet die Fifa etwa, weil «ungeachtet der Grösse oder der Spielstärke» jedes Mitglied eine Stimme habe. Tatsächlich wiegen im Kongress, der formell höchsten Fifa-Instanz, alle Stimmen der 204 Landesverbände gleich viel.
Hat aber der Kongress, der sich Anfang Juli in der argentinischen Metropole Buenos Aires versammeln wird, in Wahrheit überhaupt etwas zu bestimmen? Theoretisch ja, wenn es darum geht, ob ein Strafstoss künftig aus zehn statt aus elf Metern getreten werden soll. Geldwerte Geschäfte wie die Fernseh- und Werbeverträge organisiert hingegen in Eigenkompetenz das 24-köpfige Exekutivkomitee.
Und dort sind die Machtverhältnisse weniger ausgewogen: Anders als der Präsident, den der Kongress auf den Thron hebt, werden die 7 Vizepräsidenten und zusätzlich 16 Mitglieder für das Exekutivkomitee nach einem festen Quotenschlüssel aus den kontinentalen Verbänden erkoren. Europa – mit drei Vizepräsidenten und fünf Mitgliedern – ist hier klar in der stärksten Position.
Verschupftes Afrika
Als stimmenstärkster Block wird im Juli die aus 52 Nationalverbänden bestehende Confédération Africaine de Football (CAF) zum Kongress 2001 in Buenos Aires einfliegen. Ihr Häuptling, der Fifa-Vizepräsident Issa Hayatou aus Kamerun, gilt als möglicher Gegenkandidat Blatters um das Präsidentenamt im kommenden Jahr. Und falls sich dannzumal Afrika mit der Uefa (51 Stimmen) und dem asiatischen AFC (45 Stimmen) auf einen Gegenkandiaten einigen würde, hätte der Schweizer keine Chance auf Wiederwahl.
Die Missstimmung in der afrikanischen Konföderation hat mehrere Ursachen. Da ist zum einen der Affront vom letzten Jahr, als Deutschland anstelle von Afrika den Zuschlag für die WM 2006 erhielt. Zum anderen fragen sich die Delegierten Afrikas, ob die reiche Fifa bettelarme Mitglieder wie Ruanda finanziell tatsächlich so unterstützt, wie es mit den Milliarden aus dem TV-Geschäft möglich wäre.
Den afrikanischen Fussballfunktionären dürfte auch im Juli beim ausserordentlichen Fifa-Kongress noch das Entsetzen über drei schreckliche Katastrophen in Fussballstadien auf ihrem Kontinent innert vier Wochen in den Gliedern stecken: mindestens 43 Tote und 160 Verletzte bei einer Massenpanik im Johannesburger Ellis-Park-Stadion am 11. April, 8 Tote bei einer Panik im kongolesischen Lubumbashi am 29. April und mehr als 120 Tote und rund 150 Verletzte nach einer Massenpanik in der Arena der ghanaischen Hauptstadt Accra am 10. Mai.
Zwar kann niemand die Fifa für diese Tragödien verantwortlich machen. «Nie wieder» hatte Blatter 1996 einen Aufsatz in den «Fifa-News» überschrieben, nachdem beim WM-Qualifikationsspiel zwischen Guatemala und Costa Rica in Guatemala City durch eine Massenpanik 83 Zuschauer ums Leben gekommen waren. Just zu der Zeit hatte die Fifa die milliardenschweren Fernseh- und Marketingverträge unter Dach gebracht. Weil zeitgleich auch Blatters Wahlkampf anlief, versprach das damalige Führungsduo Havelange und Blatter jedem Nationalverband jeweils eine Million Dollar, verteilt über vier Jahre. Die sechs Konföderationen kassieren aus diesem Wahlversprechen zusätzlich jeweils zehn Millionen Dollar.
Was so generös wirkt, entpuppt sich inzwischen als Füttern von Stimmvieh. Denn was lässt sich in so bevölkerungsreichen – fussballverrückten – Ländern wie Nigeria oder Ghana mit einer Million Dollar ausrichten? Da kann Fifa-Sprecher Herren tröstend aufs so genannte «Goal»-Programm der Fifa hinweisen, aus dessen Topf das Stadion in Liberias Hauptstadt Monrovia saniert worden sei.
Das Exekutivkomitee muss sich gleichwohl die Frage stellen, ob die vermeintlich gerechte Geldgabe nicht pure Augenwischerei sei. Der Schweizerische Fussballverband braucht 250 000 Dollar Zustupf im Jahr ebenso wenig wie Liechtensteins Kickerbund. Auch die übrigen (west)europäischen Landesorganisationen könnten darauf ebenso ohne Not verzichten wie die superreichen Ölförderländer Saudi-Arabien, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate oder das Sultanat Brunei. Wenn weise Fussballfürsten dann noch Kleinstverbände in Andorra und San Marino, auf den Niederländischen Antillen oder den Seychellen überzeugten, dass Solidarität eine edle Form der salbungsvollen Fifa-Formel Fairplay sei, könnten locker zig zusätzliche Millionen für bauliche Sicherheitsmassnahmen nach Afrika geleitet werden.
Ein gelehriger Schüler Dasslers
Im Grundsatz dürfte Blatter das Modell grosszügiger Gaben von seinem Mentor Horst Dassler gelernt haben. Doch der erste Profi in der Sportvermarktung schüttete tatsächlich nie aus einer Giesskanne. Dasslers Domäne war die Sportartikelfirma Adidas, die Vater Adi Dassler gegründet hatte. Der kontaktfreudige Junior kam 1956, gerade 20-jährig, zu seiner ersten Olympiade ins australische Melbourne, verteilte Schuhwerk an hoffnungsvolle Athleten. «Sie alle trugen Adidas», konnte der Hersteller nach den Spielen mit jeder Menge Goldmedaillengewinnern die Werbetrommel rühren.
Als visionärer Unternehmer förderte Dassler Karrieren. 1985 etwa, zwei Jahre vor seinem Tod, stellte er den früheren Fechtolympiasieger Thomas Bach bei Adidas ein. Bach sitzt inzwischen im Exekutivkomitee des IOC. Dassler entlohnte auch den Nachwuchsfunktionär Sepp Blatter. Das Duo empfand Sympathie füreinander, vielleicht weil sie innerhalb von zwei Tagen zur Welt gekommen waren: Blatter am 10. März 1936, Dassler zwei Tage später. Viele Jahre lang feierten sie Geburtstage gemeinsam – am 11. März, dem mathematischen Mittel, zumeist in Dasslers eigenem Nobelhotel im elsässischen Landersheim.
Ehre, wem Ehre gebührt: Dassler brachte den seinerzeit bettelarmen Verbänden erst bei, welche monetäre Macht in ihnen steckte, welche Beträge das IOC, die Fifa oder die Uefa allein von immer mehr Fernsehanstalten dieser Welt abschöpfen könnten. Weil Dassler wusste, dass mit Verfechtern reinen Amateurdenkens wie dem früheren IOC-Präsidenten Avery Brundage eine Kommerzialisierung des Weltsports undenkbar wäre, organisierte er nötige Delegiertenstimmen, um an den Kongressen aufgeschlosseneren Kandidaten zum Sieg zu verhelfen. Sporthistoriker wissen, dass ohne Dasslers Fürsprache weder der bald scheidende IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch noch Blatter oder dessen Vorgänger Havelange in ihre Ämter gekommen wären.
Nicht nur den Sportverbänden erschloss Dassler ergiebige Finanzquellen, sondern auch sich selbst. Der damals wahre Herr der Ringe garantierte den Funktionären zwar vom Start weg etliche Millionen. Für seine Familienfirma International Sports & Leisure (ISL) aber durfte durchaus mehr hängen bleiben. Nur lautet eine Bauernweisheit: «Unter einer starken Eiche wächst keine zweite nach.» Nach dem Tod des Vollblutunternehmers Dassler wechselte dessen langjähriger Assistent (und Geheimnisträger) Jean-Marie Weber zur ISL nach Luzern. Wenig später stieg auch Dassler-Schwager Christoph P. Malms ins Unternehmen ein – und kaum hatte er sein Chefbüro bezogen, setzten sich die beiden besten ISL-Marketingstrategen, Klaus-Jörgen Hempel und Jürgen Lenz, ab und gründeten das Konkurrenzunternehmen Team. Mit ihrer Kreation Champions League schufen sie für den Blatter-Widersacher Lennart Johansson und dessen Uefa einen neuen Milliardenmarkt.
Im Stammgeschäft Fussball glänzt auch ISL unvermindert. «ISL hat den Plan übererfüllt», addiert Fifa-Sprecher Andreas Herren Vertragsabschlüsse. Das prosperierende Fernseh- und Fussball-Werbegeschäft der ISL dürfte vordergründig das Interesse des französischen Giganten Vivendi Universal und von dessen TV-Sender Canal Plus an einer (Teil-)Übernahme der ISL-Trümmer geweckt haben. Das Angebot von Vivendi, einen Einstieg bei ISL zu prüfen, entpuppt sich jetzt als regelrechtes Spiel auf Zeit. Der kurze Draht zum Medienmogul Leo Kirch dürfte Vivendi dabei schon wegen des eigenen Bezahlfernsehsenders Canal Plus wichtiger sein als die Rettung der Not leidenden Nischenfirma ISL.
Die Übertragungsrechte für die nächsten zwei Weltmeisterschaften für ganz Europa liegen – bei Kirch. In Europa strahlt Canal Plus sein Programm aus. Frankreich tritt in Südkorea/Japan als amtierender Weltmeister an. Das garantiert Einschaltquoten respektive zusätzliche Abonnements fürs Pay-TV. Mit einer Übernahme von ISL wären Vivendi zwar TV-Deals in Asien und Südamerika zugefallen. Doch der Heimatmarkt Frankreich ist wichtiger. Darum erscheint das kolportierte Szenario schlüssig: Kirch und Vivendi lassen verabredungsgemäss ISL in Konkurs gehen. Die partiellen Fernsehrechte fallen dann vertragsgemäss an die Fifa zurück. Kirch aber hat eine Option auf dieses Paket. Und dass damit Geld zu verdienen ist, hat ISL bewiesen.
Dass am Ende die grössenwahnsinnige Expansion in das Tennis- und das amerikanische Autorennbusiness ISL crashen liess und allein im vergangenen Jahr knapp 700 Millionen Franken Minus eingefahren wurden, sollte Fifa-Chef Blatter allerdings nicht zum Nachtreten provozieren. Als Foulspiel empfindet die Familie, wenn der Blatter Sepp ihnen zuruft: «Schuster, bleib bei deinem Leisten!» Und den Nachkommen des Schuhmachers Adi Dassler via «SonntagsBlick» im Nachhinein den weisen Satz um die Ohren haut: «Wäre man bei ISL beim Kerngeschäft Fussball geblieben, würde es jetzt allen gut gehen, auch den Erben Dassler.»
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