Reisetage sind für Stefan Muheim App-Tage. Egal ob am Flughafen oder in Hotellobbys: Man sieht ihn neuerdings öfters an seinem iPhone herumhantieren. Oder genauer, an der darauf installierten Applikation für Finanzinformationen – oder «App», wie man auf Neudeutsch sagt.
Ohne das Händlerterminal, das in seinem Zürcher Büro fest installiert ist, war der Fixed-Income-Spezialist der RBS Coutts Bank beinahe blind. Aber das muss nun nicht mehr sein: «Mit meinem Smartphone kann ich in fünf Minuten von überall aus die relevanten Nachrichten zum Wirtschaftsgeschehen lesen und mir einen Überblick verschaffen, wie sich die Welt bewegt hat», sagt der Finanzprofi.
Seine Lieblings-App ist diejenige von Bloomberg. «Unter der Rubrik Top-News erhält man schnell einen Überblick über die wesentlichen Finanznachrichten. Und mit ein paar zusätzlichen Klicks kann man auch gleich die Auswirkung der Meldungen auf die Finanzmärkte überprüfen», so der Banker.
Wie Muheim scheint es vielen zu ergehen. In der App-Abteilung des Schweizer iTunes Store von Apple jedenfalls herrscht Hochbetrieb. Anfang Juni 2011 sind im Bereich Finanzen insgesamt 2681 Apps erhältlich. Seit Lancierung des iPhone im Jahr 2007 sollen bereits 500 000 Apps zugelassen worden sein – in den Augen vieler IT-Profis ein «völliger Hype».
Trotzdem werden fast täglich neue Finanzapps lanciert. Zuletzt die Mobile Banking App der Credit Suisse, die schon kurz nach der Lancierung auf Platz 1 der angesagtesten Gratis-Apps figurierte. Auch Swiss Life und die Zürcher Kantonalbank (ZKB) haben erst vor kurzem je eine App herausgebracht. Und sie werden genutzt: Die ZKB-App etwa wurde seit dem 9. April 2011 über 12 000 Mal heruntergeladen.
Welche App am meisten genutzt wird, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Apple liefert keine Zahlen dazu. Und die Rankings im App Store von iTunes spiegeln nur die kurzfristige Nachfrage. Eine der ersten Schweizer Finanzapps hat die Online-Tradingplattform Swissquote herausgegeben. «Unsere Applikation wurde insgesamt mehr als 800 000 Mal heruntergeladen», sagt Swissquote-Chef Marc Bürki. 65 Prozent der Mobilkunden nutzen das iPhone, das damit im Vergleich mit dem iPad oder anderen Smartphones wie Blackberry, Android-Geräten und Nokia mit Abstand am wichtigsten ist. Für Bürkis Unternehmen sind die Apps also ein wichtiges Instrument, vor allem weil man mit ihm nicht nur Informationen und Marktdaten erhält, sondern auch die Möglichkeit, Aktien, Optionen, Futures und Warrants zu handeln – ein Angebot, das nur wenige Apps in diesem Umfang bieten: «Rund zehn Prozent der über Swissquote abgewickelten Handelstransaktionen laufen mittlerweile über Smartphones, Tendenz steigend», sagt der Swissquote-Chef.
Das Angebot soll denn auch bald erweitert werden. «Unsere Devisen-Applikation ist fast marktreif und wird demnächst lanciert.» Potenzial dafür ist vorhanden. In der Schweiz nutzen 30 Prozent der Bevölkerung Smartphones oder andere sogenannte Small Screen Devices fürs Internet. Dies zeigte eine Erhebung des Datenforschungsunternehmens Net-Metrix vom vergangenen März. Gegenüber dem Sommer 2010 entspricht das einem Wachstum von 27 Prozent.
Kein Ersatz für Kundenberater. Die Zahl derjenigen, die täglich oder fast täglich mit Small Screen Devices das Internet nutzen, ist vom vergangenen Sommer bis im Frühjahr 2011 um imposante 55 Prozent auf 18 Prozent der Bevölkerung gestiegen. Der typische User ist männlich und 14 bis 39 Jahre alt. Die Mehrheit ist in einer Vollzeitstelle beschäftigt. Und hinsichtlich Einkommensgruppe stellten die Datenforscher eine Übervertretung der höchsten Kategorie mit einem Einkommen von mehr als 10 000 Franken pro Monat fest.
Das ist eine Zielgruppe, wie man sie sich als Marketer nur wünschen kann. Umso mehr erstaunt es auf den ersten Blick, dass sich gerade Grossbanken bei der Entwicklung und Lancierung von Apps Zeit lassen. Die Credit Suisse hat wie gesagt erst vor einigen Tagen eine App lanciert, mit der man aktuelle Marktdaten und Informationen zu Geschäftsstellen und Geldautomaten abfragen und Watchlisten erstellen kann.
Die UBS hat kein analoges App-Angebot, verweist allerdings darauf, dass man seit längerem für die Kursplattform UBS Quotes eine Mobile-Version zur Verfügung stelle. «Es beschäftigen sich zwar verschiedene Projekte mit der Frage, wie wir das Angebot im Bereich Mobile Banking ausbauen können. Für uns bleibt der Kontakt zum Kundenberater aber zentral und unabdingbar. Deshalb können und werden Online-Inhalte die kompetente und persönliche Beratung bei UBS auch in Zukunft nicht ersetzen», sagt UBS-Sprecher Andreas Kern.
Progressive Medienunternehmen. Steffen Binder von der Informationsplattform MyPrivateBanking.com sieht das ein wenig anders. «Mit einer guten App lassen sich die Kunden stärker an die Bank binden.» Dennoch biete die Hälfte der weltweit grössten Banken ihren Kundinnen und Kunden keine mobile Applikation, so das Ergebnis einer Untersuchung, die Binder jüngst bei den 30 grössten internationalen Banken und Vermögensverwaltern durchführte.
«Keine der Banken konnte eine umfassende mobile App anbieten, die Kunden Finanzinformationen in Echtzeit, Auswertungen zum Portfolio, Zugang zu Research sowie eine Personalisierung durch den Nutzer erlaubte», so Binder. Dabei sei das Bedürfnis vorhanden. «Gerade auch sogenannte High Net Worth Individuals, die stark mobil sind, brauchen mobile Informationsapplikationen», sagt Binder, dessen Website 3000 bis 4000 in der Regel vermögende Mitglieder hat.
Weit voraus seien den Banken Medienunternehmen wie «Wall Street Journal», Dow Jones, Reuters oder Bloomberg. «Mit ihren weit entwickelten Tools graben sie den Banken das Wasser ab und bündeln praktisch die ganze Aufmerksamkeit auf sich», so Binder. Die Trägheit der Banken liege an ihrer Mentalität und den Organisationsstrukturen. «Entscheidungsprozesse, auch wenn es um die Entwicklung einer einfachen App geht, sind in grossen Organisationen schwierig», sagt Binder. Zudem müssen international tätige Banken immer mehr und strengere regulatorische Anforderungen berücksichtigen.
Das führt auch dazu, dass Banken bei interessanten Apps sehr genau schauen, wer Zugang erhält und wer nicht. Gerade die für Anleger interessanten Research-Apps von UBS und CS sind den Investment-Banking-Kunden vorbehalten. Privatanlegern bleibt wiederum nur der Umweg über Apps von Bloomberg, Reuters oder Cash, wo Research-Material journalistisch aufgearbeitet wird.
Verständnis für die Zurückhaltung der Banken hat Daniel Hünebeck. «Es gibt schon sehr viele Apps, da bringt man lieber nichts als ein reines Me-too-Produkt», sagt der Marketingmann, der mit seiner Firma Adisfaction Finanzunternehmen in Mobile-Marketing-Fragen berät. Zu den besten Finanzapps zählt er unter anderem OnVista, Bloomberg, die Derivate-App von Credit Suisse oder den Währungsrechner M Converter.
Pannen hemmen die Lust. «Eine gute App muss unbedingt auch spielerische Elemente bieten. Zum Beispiel ein Chart-Tool, mit dem man den weiteren Kursverlauf eines Basiswerts gemäss seinen eigenen Erwartungen in die Zukunft projizieren kann, worauf einem die App dann, basierend auf dieser Erwartungshaltung, mögliche Anlagestrategien aufzeigt», so Hünebeck.
Mittlerweile stellt sich aber auch die Frage, ob es denn wirklich unbedingt eine App sein muss. «Nutzer wollen browserbasierten Zugang zum Internet», sagt Hünebeck. Der Umweg über den App Store, das Herunterladen der Applikation, das ständige Updaten bei verbesserten App-Versionen und die häufigen Pannen beim Benutzen können einem ja in der Tat die Lust an der Anwendung von Apps nehmen.
Angesichts des technologischen Fortschritts dürfte, so Hünebecks Prognose, der App-Hype den Zenit überschritten haben. Vor allem wegen der neuen Auszeichnungssprache HTML 5, die für browserbasierte Mobillösungen viele neue Möglichkeiten eröffnen wird. «Mit HTML 5 lassen sich viele Features in einen Webbrowser integrieren, die man bisher nur über eine App verwenden konnte», so Hünebeck.
Trotz der grossen Nachfrage nach Finanzapps lassen sich UBS und CS für die Lancierung von Apps viel Zeit.
Der App-Hype dürfte allmählich abklingen. Der Trend geht klar zu browserbasierten Mobillösungen.