Daniel Vasellas Geheimkonto bei Wegelin wurde Mitte Februar im Blog «Inside Paradeplatz» publik. Die grossen Zeitungen nahmen die Geschichte auf, die Abzockerinitiative wurde kurz darauf mit grosser Mehrheit angenommen, und der langjährige Novartis-Präsident hat die Schweiz verlassen – mit 72 Millionen Franken weniger im Reisegepäck als beabsichtigt. Der Wirtschaftsjournalist und «Inside Paradeplatz»-Gründer Lukas Hässig hat mit dem Artikel den Wirtschafts-Knüller des noch jungen Jahres geschrieben.
So viel Aufmerksamkeit erhalten Blogs selten in der breiteren Öffentlichkeit, und doch werden die «Tagebücher im Internet» heute ernst genommen. Besonders für Anleger liefern sie wertvolle Invormationen. Claude Baumann etwa, der mit seinen Partnern die Internetseite Finews.ch betreibt, betont, dass die Artikel auf ihrem Blog «Guruwatch» bis zu zwanzigtausend Mal angeklickt würden. Das sind beachtliche Werte, schliesslich kommen nicht nur Investorenlegenden wie George Soros zu Wort, es werden auch Spezialthemen – etwa das «Not-Not-Szenario» des Ökonomen Max Otte – behandelt.
Trotz der grossen Beachtung können viele Blogger aus dem deutschen Sprachraum nicht von ihrer Tätigkeit leben, im Gegensatz zu einigen ihrer angelsächsischen Kollegen. Leidenschaft sei halt eine Voraussetzung, um einen Blog zu schreiben, strahlt Dirk Elsner, der aktuelle Gewinner des seit 2011 durchgeführten Comdirect-Finanzblog-Award (siehe «Blick Log» unten), und fährt fort: «Ich bin viel unterwegs, und statt am Abend in der Hotelbar Halligalli zu machen, schreibe ich lieber Blog-Beiträge.
Kaum Raum für «heisse Tipps»
Trotz der finanziellen Unwägbarkeiten wagen Vereinzelte den Schritt in die Selbständigkeit. Christian König ist so ein Blogger. Der Derivatspezialist hat einen gut dotierten Bankjob aufgegeben und widmet sich nun zu 100 Prozent seiner Beratungs- und Schulungsfirma Finanzpro, wobei sein «Finanzprodukt Blog» auch als Kanal für das Selbstmarketing dient. Den Blog als Marketinginstrument haben auch Banken und Vermögensverwalter entdeckt: Kultig sind der Blog des Vielfliegers und Schwellenlandexperten Mark Mobius oder die «Bond Vigilantes» der Fondsboutique M&G. In der Schweiz sticht Swisscanto mit differenzierten Analysen und zum Teil mit Schmunzelstoff heraus. Zuletzt wurden drei Artikel zu Japan veröffentlicht, die zurückhaltend formuliert sind und dem aktuellen Rally des japanischen Aktienmarkts zum Trotz vor zu grossem Optimismus warnen.
Die Einschätzungen der Finanz- und Wirtschafts-Blogger unterscheiden sich in der Regel wohltuend von den «heissen Tipps», die Börsenbriefe gerne posaunen und Privatanleger zum Teil in die Irre führen, wie Konsumentenschützer festhalten. Vielfach merkt man den Blog-Beiträgen an, dass sie den Autoren dazu dienen, Krisenherde, wie etwa die Verschuldungssituation in Europa, selber besser zu verstehen.
Blick-Log-Mann Dirk Elsner erzählt: «Bis Anfang 2012 hatte ich ein eher diffuses Bild von der Eurokrise, auch wenn ich damals felsenfest von meiner Meinung überzeugt war. Als ich über den Blog in Kontakt mit einem Chefvolkswirt einer grossen Fondsgesellschaft gekommen bin und wir uns eineinhalb Stunden zusammengesetzt haben, sah ich bildlich gesprochen den Wald und nicht mehr einzelne Bäume. Mittlerweile messe ich meine Beiträge zur Eurokrise an diesem erhellenden Gespräch.»
Inspirationsquelle
Das Angebot an Blogs ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen, und es wächst weiter. Die subjektive Auswahl der vorgestellten Sites soll in erster Linie die Vielfalt im Bereich Wirtschaft illustrieren und nicht eine Art Ranking darstellen. Je nach Vorliebe, Anlegertyp und Vorwissen sind andere Angebote inspirierend. Sowieso gilt es als Investor den Ausspruch von Georg Christoph Lichtenberg zu verinnerlichen: «Wer nichts als Chemie versteht, versteht auch die nicht recht.» Auf Anlagethemen übertragen, bedeutet das, dass man sich auf unbekanntes Terrain vorwagen soll. Anlegern mit einer ausgeprägten Affinität zum Schweizer Heimmarkt – im Jargon ist von «Home Bias» die Rede – dürfte die Lektüre der China-Blogs von Michael Pettis einige Ahs und Ohs entlocken.
In den Gesprächen mit den einzelnen Bloggern kommt zum Ausdruck, dass sie zwar nicht von missionarischem Eifer getrieben sind, aber durchaus gewisse Veränderungen anstossen wollen – besonders im Bereich Banken. Kein Wunder, kommen doch viele Finanzblogger aus dieser Ecke. Die Banken reagierten in der Regel eher zurückhaltend auf Gesprächsangebote: «Die Leute verstehen ja eh nicht, was wir machen» – nur um sich danach über die aus ihrer Sicht schräge Darstellung ihrer Geschäfte zu ärgern. Dabei gehe es einfach darum, gewisse Dinge klarer auszudrücken und sich der Diskussion zu stellen, ist Dirk Elsner überzeugt. Und so macht er sich daran, über Offshore-Leaks, E-Commerce oder toxische Papiere zu schreiben.
Der Aktien-Blog: www.seekingalpha.com
Lies, entscheide, investiere: Das ist das Motto von Seeking Alpha, dem Blog für den amerikanischen Aktienmarkt. Und ja, zu lesen gibt es auf dem Blog viel – entscheiden oder präziser: unterscheiden tut not. Wer den Aufwand nicht scheut, wird mit mehr oder weniger überzeugenden Anlageideen belohnt. Zusätzlich gibt es viele Artikel zu kotierten Indexfonds, Dividenden-Strategien und Makro-Themen. Die häufig versendeten Erinnerungsmails zu den neusten Analysen und Artikeln sind lästig, in der Grundeinstellung können diese allerdings unterdrückt werden.
Der Bären-Blog: www.zerohedge.com
Mag es an dem Autoren- Pseudonym Tyler Durden von Zero Hedge liegen – Tyler Durden ist ein Charakter aus dem Film «Fight Club» – oder am Lancie- rungszeitpunkt im Januar 2009? Zero Hedge ist den Märkten gegenüber jeden- falls sehr kritisch eingestellt. Die unbekannten Macher sind in Börsensprache «Bären». Ein Winterschläfer ist Tyler Durden respektive Zero Hedge jedoch nicht, Kommentare zu aktuellen Ereignissen folgen meist stante pede. Die Qualität der Bei- träge ist hoch. Kein Wun- der, ist der Blog einer der meistzitierten in den etab- lierten Medien.
Der Insider-Blog: ftalphaville.ft.com
Egal ob zum Meltdown des Finanzsystems 2008, zum Flash-Crash 2010 oder zum aktuellen Bitcoin-Rally: Der Blog der «Financial Times» bietet viel Hintergrund- informationen, die so nicht in den Massenmedien verbreitet werden. Der Blog richtet sich an die Mitarbei- ter in der Finanzindustrie, denen mit dem «Long Room» – benannt nach dem legendären Restaurant in der City of London – sogar ein eigener, geschlossener Bereich auf Alphaville zur Verfügung steht. Privatanleger sollten sich davon nicht beeindru- cken lassen – der Besuch des öffentlichen Bereichs lohnt sich.
Der Drachen-Blog: www.mpettis.com
China ist weit weg von uns – nicht nur geografisch, sondern auch kulturell. Zum besseren Verständnis des Landes und der auf- strebenden Wirtschafts- macht hilft ein Mann vor Ort. Dieser heisst Michael Pettis, ein Ökonomiepro- fessor in Peking. Der Blog des Wall-Street-Veteranen wird von seinen ehemali- gen Kollegen viel beachtet, auch hierzulande eilt Pettis der Ruf eines ausgezeichneten Analysten voraus. Wer sich davon überzeugen will, dem sei die Lektüre seines jüngsten Buches empfohlen: «The Great Rebalancing. Trade, Conflict, and the Perilous Road Ahead».
Der Trader-Blog: dieboersenblogger.com
Wenn uns eine Nachricht erreicht, ist sie bereits ver- altet – diese Erkenntnis hat eine Gruppe gestandener Journalisten und Börsenfans dazu animiert, einen kürzlich neu gestalteten Blog zu schreiben. Das Themenspektrum ist dabei nicht so eng, wie es der Blog-Name vermuten liesse. Insbesondere die täglich aktualisierte «kleine Presseschau» ist einen Klick wert. Die unter Anle- gern beliebte Chart-Analyse kommt ebenfalls nicht zu kurz – immer freitags gibt es einen Wochenaus- blick auf den deutschen Aktienmarkt. Die Rubrik «Grüezi Zürich» richtet sich an Schweizer Anleger.
Der Guru-Blog: www.finews.ch/guruwatch
Warren Buffett, George Soros und Marc Faber – diese Namen stehen für Klicks. Viele Klicks. Grund genug für das Finanzportal Finews.ch, diese und andere Gurus wie Nouriel Roubini, Mohamed El-Erian oder Larry Fink in ihrem Blog «Guruwatch» zu Wort kommen zu lassen. Dabei belassen es die Macher nicht. In unregelmässigen Abständen wird die Treffergenauigkeit der Prognosen ermittelt. Die Blog-Leser werden zudem zur aktiven Teilnahme animiert – in den sogenannten Crowd- Prognosen werden ihre Erwartungen bezüglich unterschiedlichster Märkte grafisch dargestellt.
Der Franken-Blog: www.snbchf.com
Eigentlich heisst der Blog vollständig «SNB CHF Blog: A beleaguered central bank in the dangerous world of global macro and euro cri- sis», betont der Macher George Dorgan. Der Zusatz deutet es an: Dieser Blog richtet sich an versierte Anleger mit guten Finanzmarktkenntnissen. Dorgan begann 2011 Beiträge zu verfassen als Reaktion auf die seiner Meinung nach «gleichgeschalteten Massenmedien», welche die ökonomischen Realitäten verkennten. Sein Blog verfolgt einen Contrarian- Ansatz – so empfiehlt er derzeit entgegen der allge- meinen Marktstimmung italienische Aktien.
Der Banking-2.0-Blog: www.finanzprodukt.ch
Wer sich für Strukis und andere Finanzprodukte wie kotierte Indexfonds, kurz ETFs, interessiert, der kommt um den Blog von Christian König nicht herum. Finanzprodukt.ch liefert aber nicht nur besseren Durchblick im Produkt-Dschungel, sondern macht auch auf spannende Anlässe, Jobs sowie aktuelle Studien aufmerksam – jüngst etwa auf das unterschiedliche Investitionsverhalten von Frauen und Männern. Der Ex-Struki- Spezialist König sieht sich selbst als News-Kurator, der beabsichtigt, die Wahr- nehmung der Social Media unter Emittenten und Ban- ken zu steigern.
Der Wirtschafts- Blog: www.blicklog.com
Blick Log ist der letztjäh- rige Sieger des Finanzblog- Awards von Comdirect. Der Jury gefiel, dass dem ehemaligen Banker Dirk Elsner der Spagat gelingt, Laien nicht zu überfordern und Experten nicht zu langweilen. Elsner ist ein Vorbild der deutschsprachigen Blogger-Szene. Er ist kein Journalist, der nebenbei noch einen Blog unterhält, sondern ein Blogger, der Kolumnen für das deutsche «Wall Street Journal» und das «Handelsblatt Online» schreibt. Einen zweiten und dritten Blick sind seine Mindmaps zu Themen wie der Eurokrise wert.
Der Ökonomen-Blog: blog.tagesanzeiger.ch/nevermindthemarkets
Mit Markus Diem Meier und Mark Dittli bloggt auch die Chefredaktion der «Finanz und Wirtschaft», zusam- men mit dem Wirtschafts- historiker Tobias Straumann. Die Artikel des Trios strafen Kritiker Lügen, die behaupten, online würden vor allem qualitativ minder- wertige Texte veröffent- licht. Die Analysen sind ausführlich, reichen tief und haben in der Regel einen originellen Ansatz (siehe Interview). Obwohl es sich um einen Experten-Blog handelt, werden die Artikel häufig kommentiert. Punkig mag das Logo sein, die Inhalte sind es nicht.