Nach einer langfädigen Firmenpräsentation traf ich beim Stehapéro einen alten Bekannten, der als Anlageberater bei einer Zürcher Privatbank arbeitet. Schnell drehte sich das Gespräch um Börse und Anlagechancen. Ich: «Wo soll man heute einsteigen?» Er: «In russische Aktien, die sind brandheiss.» Ich: «Hä? Der Wirtschaft droht ein Kollaps, die Risiken russischer Papiere sind riesig.» Er: «Ohne Risiko kein Preis. Diese Aktien sind derart tief gefallen, da kann es nur noch nach oben gehen.»

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Gefallen ist die Moskauer Börse fürwahr tief; seit dem Höchst vom Mai 2008 verlor der RTS-Index zeitweise 80 Prozent an Wert, das Vermögen von Oligarchen wie Michail Fridman und Oleg Deripaska wurde arg zerzaust. Seit wenigen Wochen zeigt das Börsenbarometer zwar wieder nach oben. Dennoch glaube ich nicht an einen nachhaltigen Stimmungswandel.

Die Finanzkrise, für viele Russen lange Zeit ein – belächeltes – Problem des Westens, schüttelt längst auch das riesige Land durch: Die Industrieproduktion ist eingebrochen, beim Staatshaushalt droht erstmals seit zehn Jahren ein Defizit, der Rubel befindet sich im Sturzflug, die Kapitalflucht hat kolossale Ausmasse angenommen, die Unternehmen stöhnen unter ihrer hohen Schuldenlast. Zudem könnten die steigende Arbeitslosigkeit und die zunehmende Armutsrate zu politischen Unruhen führen.

Mit Blick auf die katastrophalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bin ich mir gar nicht sicher, ob russische Aktien nicht noch tiefer fallen können. Es wird viel Wasser die Wolga hinunterfliessen, bis Präsident Dmitri Medwedew und Ministerpräsident Wladimir Putin die Situation wieder als stabil bezeichnen können. Langfristig bieten die Ostaktien tatsächlich eine gehörige Portion an Erholungspotenzial – doch dazu muss zuerst der Erdölpreis deutlich steigen, damit die Wirtschaft, mit frischen Dollars versorgt, Fahrt aufnehmen kann. Russische Papiere sind brandheiss – vorderhand zu heiss.

(Un)heimlicher Börsenstar.

Von den meisten Anlegern kaum bemerkt, schossen die Clariant-Aktien über die letzten Wochen um rund 70 Prozent in die Höhe. Seit das Unternehmen bekanntgegeben hat, die bislang in einer Division zusammengefassten Papier-, Textil- und Ledergeschäfte künftig eigenständig führen zu wollen, zirkulieren am Markt Gerüchte, das Management wolle die Firma für eine Übernahme herausputzen.

Angeblich hätten die arabische Sabic sowie die deutsche Lanxess ein Auge auf den Schweizer Spezialchemiekonzern geworfen. Nur sorgen solche Gerüchte seit Jahren immer wieder für Kursschübe. «Wir halten an unserer Strategie fest, ein unabhängiges Unternehmen bleiben zu wollen», wurde mir am Hauptsitz in Muttenz versichert. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Clariant unter den derzeit schwierigen konjunkturellen Rahmenbedingungen eine attraktive Braut ist. Zwar stellt sich der Aktienkurs auf lediglich 70 Prozent des Buchwerts. Andererseits steckt die Firma unverändert in heftigen operativen Problemen, für den neuen CEO Hariolf Kottmann gibt es noch viel zu tun. Erst wenn sich Clariant in neuer Stärke präsentiert, dürften die ersten Freier anklopfen. Bis dahin sind die Aktien kein Kauf.

Keine Kursheuler.

Als Emmi jüngst nach Luzern zur Jahrespressekonferenz lud, marschierte die Presse in noch selten gesehener Stärke auf. Der unbestrittene Star des Tages war der seit rund einem Jahr als CEO amtende Urs Riedener; er genoss seinen Auftritt, wusste sich anschliessend vor lauter Interviewwünschen kaum zu retten. Abseits stand, etwas verloren wirkend, VR-Präsident Fritz Wyss; er hat während 17 Jahren, davon grösstenteils als Konzernchef, den Milchverarbeiter stark geprägt und aus der regionalen Molkerei die Nummer eins der Schweiz geformt. In wenigen Wochen wird er sein Amt abgeben.

Längst hat die junge Generation das Steuer übernommen. Dem 44-jährigen Riedener ist es zuzuschreiben, dass im lange Zeit verstaubt wirkenden Emmi-Konzern ein frischer Wind weht. Wunder aber kann der ehemalige Migros-Marketingchef keine bewirken. «Emmi hat 2008 die gesteckten Ziele erreicht», verkündete Riedener an der Pressekonferenz. Wichtigster Punkt: Die Reingewinnmarge stieg von 1,6 auf 2,2 Prozent und liegt damit also wieder im Zielbereich von zwei bis drei Umsatzprozenten. Eine Marge, die in anderen Wirtschaftszweigen als höchst unbefriedigend gilt – im Geschäft mit der Milchverarbeitung ist sie durchaus respektabel. Der Verkauf von Milch, Butter und Käse gibt einfach nicht allzu viel her.

Milch jedenfalls macht müde Aktien nicht munter. Weil die Ertragsmöglichkeiten eingeschränkt sind, halten sich die Kursfantasie wie auch die Risiken in Grenzen; Emmi gelten als defensive Valoren, die sich mit der Gesamtbörse bewegen. Die Papiere sind in diesen sprunghaften Börsentagen eine gute Alternative für konservative Investoren.

Prestige-Auftrag.

Es gibt Schweizer Unternehmen, die sorgen in den USA auch für positive Schlagzeilen. Beispielsweise Schindler: Der Innerschweizer Konzern liefert 89 Aufzüge für zwei von insgesamt vier Türmen, die im neuen New Yorker World Trade Center auf Ground Zero entstehen. Das damit generierte Volumen von schätzungsweise gegen 50 Millionen Franken ist zwar wenig berauschend; gemessen am letztjährigen Umsatz, entspricht es einem Anteil von nicht einmal einem halben Prozent. Andererseits handelt es sich dabei um einen Prestigeauftrag, beste Werbung für «elevators made in Switzerland» – auch wenn bei den 89 Aufzügen wohl nur die Technologie aus der Schweiz stammt.

Überhaupt kann Präsident Alfred Schindler mit dem Geschäftsgang
des Fahrtreppen- und Aufzugherstellers zufrieden sein. Mit Blick auf die weltweit schleppende Konjunktur, die sich gerade im Bauwesen in vielen Märkten zur handfesten Rezession ausgewachsen hat, werden jedenfalls immer noch verhältnismässig anständige Erträge eingefahren. Auch die Schindler-Titel zeigen Stärke; die Namenaktien legten über die letzten sechs Monate 30 Prozent zu. Den Valoren billige ich weiteres Kurspotenzial zu, denn mit einem für dieses Jahr geschätzten Kurs-Gewinn-Verhältnis von elf sind sie anhaltend attraktiv.