Seit dreissig Jahren schreibe ich nun über Börsen, Unternehmen und Wirtschaft. Noch nie habe ich eine derartige Uneinigkeit unter Konjunkturauguren beobachtet wie heute: Die Prognosen reichen von einem anständigen Wirtschaftswachstum bis hin zum Double Dip, dem erneuten Rückfall in die Rezession. Immerhin besteht Konsens darin, dass der vor Jahresfrist einsetzende deutliche Aufschwung zunehmend ausläuft.

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Einig sind sich die Ökonomen auch darin, dass Europa trotz Konjunkturabkühlung im kommenden Jahr vergleichsweise gut über die Runden kommt, während die USA von einem starken Abschwung, möglicherweise einer Rezession, getroffen werden. Den meisten Amerikanern ist längst das Geld ausgegangen: Allein über die letzten zweieinhalb Jahre haben die Haushalte gegen 300 Milliarden Dollar an Kaufkraft verloren. Besserung ist nicht in Sicht. Die Arbeitslosenrate verharrt auf hohen 9,5 Prozent, die Folgen der Kreditblase sind unverändert spürbar, der Immobilienmarkt steht anhaltend unter Druck. Und so harzt der Konsum, was in einer konsumgetriebenen Volkswirtschaft das Wachstum hemmt. Die Unternehmen selbst investieren trotz rekordtiefen Zinsen nur zögerlich, schaffen wenig neue Arbeitsplätze. Das Billiggeld kommt kaum noch in der Wirtschaft, dafür an den Börsen an. Ökonomen bemühen für dieses Szenario ein träfes Bild: Die Pferde werden zur Tränke geführt, doch sie wollen nicht saufen.

Vor diesem Hintergrund halte ich mich bei US-Aktien zurück, zumal der lendenlahme Dollar zusätzliche Verluste eintragen kann. Wer langfristig investiert, kann starke Kursrückschläge zum Zukauf von Blue Chips mit nachhaltigem Ertragswachstum und soliden Bilanzen nutzen. Denn an Aktien wie Apple, IBM, Coca-Cola, Johnson & Johnson, McDonald’s oder Microsoft kommt der Anleger auch in mageren Börsenzeiten nicht vorbei.

Schwachstrom. Hochzufrieden mit der Konjunkturlage ist dagegen das Management der Centralschweizerischen Kraftwerke CKW. Die günstige Wirtschaftsentwicklung, so liess CEO Andrew Walo der Presse ausrichten, lasse den Stromabsatz ansteigen. Dadurch sinken die Netzkosten, weshalb der Zentralschweizer Stromversorger die Tarife für Haushalte um 4,4 und jene für KMU um 5  Prozent senkt. Keine Preisreduktion erhalten dagegen Grosskunden wie Schmolz + Bickenbach, was das Konzernleitungsmitglied Marcel Imhof mit der Aussage quittierte, das Ganze sei lediglich «eine weitere PR-Aktion». Der Schritt mutet denn auch etwas komisch an, haben doch andere Stromversorger Tariferhöhungen angekündigt. Beim Kurs der CKW-Aktien hat die Ankündigung keine Spuren hinterlassen. Kein Wunder, denn der Markt ist ausgesprochen eng; die Axpo Holding hält 74,8 und der Kanton Luzern 9,9 Prozent aller CKW-Papiere. Mit einem für dieses Jahr geschätzten Kurs-Gewinn-Verhältnis von über 19 und einer Rendite von 2,7 Prozent bieten die Stromvaloren höchst mässige Spannung.

Für Risikofrohe.. Einst wurde die Welt vom Rinderwahnsinn fast meschugge gemacht, es folgte die Angst vor der Vogelgrippe, danach beschwor die Schweinegrippe apokalyptische Szenarien herauf. Nun widmet sich der Boulevard einer neuen Lieblingsplage: einer angeblich durch Schönheitsoperationen aus Indien rund um den Globus verschleppten Superbakterie, die gegen beinahe alle bekannten Antibiotika resistent ist. Auch dieses Mal wird die Gefahr einer Pandemie wohl heftig überzeichnet. Was mich jedoch nachdenklich stimmt: Die Entwicklung neuer Gegenmittel verschlingt mindestens zehn Jahre, und die Pharmabranche hat ihre Forschungsaktivitäten gerade in diesem Bereich stark zurückgeschraubt.

Nicht so Basilea Pharmaceutica. Im April hat das Basler Jungunternehmen, aus einer Abspaltung von Roche entstanden, neue Daten zu verschiedenen Wirkstoffen vorgelegt, so auch zu BAL30072. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich ein neuartiges Antibiotikum, das möglicherweise auch gegen den Superkeim eingesetzt werden kann – eines fernen Tages. Denn bis zur allfälligen Marktreife werden noch zahlreiche Tests sowie Jahre verstreichen. Dennoch gefallen mir die Aktien. Die von Anthony Man geleitete Firma legte jüngst für das erste Halbjahr überraschend gute Zahlen vor; der Umsatz hat deutlich zugenommen, der Verlust konnte um über die Hälfte verringert werden. Die Zukunft jedenfalls präsentiert sich in einem freundlicheren Licht als auch schon. Zusätzliche Kursfantasie beziehen die Valoren aus immer wieder auftauchenden Übernahmegerüchten.

Das Gros der Finanzanalysten empfiehlt die Basilea-Aktien zum Kauf. Olav Zilian von Helvea beispielsweise setzt das Kursziel neu auf 105 Franken fest, das entspricht einem Plus von rund 80 Prozent gegenüber dem aktuellen Kurs. Allerdings sind die Basilea-Valoren den risikofreudigen Investoren vorbehalten. Die Aktien sind ausgesprochen volatil und reagieren teilweise heftig auf enttäuschende News, wenn sich etwa bei einem Produkt Verzögerungen einstellen.

Rezessionsspuren. Vom Konjunktureinbruch schwer getroffen wurde die kanadische Potash. Der weltgrösste Kalidüngerhersteller musste für 2009 einen Umsatzrückgang von nicht weniger als 58 Prozent melden, der Bruttogewinn schmolz sogar um 79 Prozent zusammen. Im Zeichen der globalen Wirtschaftskrise orderten die Bauern weniger Dünger, weshalb zuerst die verkaufte Menge, danach die Preise zusammenfielen. In diesem Jahr allerdings hat sich die Kalinachfrage stark belebt. Potash konnte im ersten Halbjahr den Verkauf um gleich 400 Prozent erhöhen. Dennoch verbleiben die Preise auf tiefem Niveau. Die Lagerbestände sind immer noch hoch, zudem treten russische Anbieter dank tiefen Produktionskosten aggressiv im Westen auf.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich der Markt endgültig erholt hat. Dieser Meinung ist auch BHP Billiton. Der australisch-britische Bergbaukonzern will sein Kaligeschäft ausbauen und hat vor wenigen Tagen ein Übernahmeangebot von 130 Dollar pro Potash-Aktie vorgelegt im Gesamtwert von 39 Milliarden. Potash-CEO William Doyle wies die Offerte umgehend als völlig unzureichend zurück. Die Börse erwartet ebenfalls klar bessere Angebote. Dieser Tage haben denn auch die chinesische Sinochem und die brasilianische Vale Offerten unterbreitet. Noch Anfang 2008 wurden die Titel mit 240 Dollar bewertet. Ein solcher Betrag wird zwar kaum geboten. Dennoch sind Potash eine attraktive Spekulation, die jedoch eine gehörige Portion Risikobereitschaft voraussetzt.

Frank Goldfinger ist der anonyme Börsenspezialist der BILANZ.
Schreiben Sie ihm an: bahnhofstrasse@bilanz.ch