Als ein Zürcher Softwarehersteller vor über zehn Jahren beschloss, in St. Petersburg eine Tochtergesellschaft zu gründen, benötigte das Management einen Spezialisten, der das russische Personal rekrutieren konnte – am besten in dessen Muttersprache. Man entschied sich für Kap-Keun Song, einen in Zürich wohnhaften koreanischen Pädagogen und Wissensmanager. Song sprach zwar kein Russisch – dafür aber über zehn andere Sprachen, darunter makelloses Deutsch und Englisch sowie passables Französisch. Song ist überzeugt, dass er diese Stelle damals nur dank seinen Sprachkenntnissen erhalten hat: «Man traute mir zu, dass ich in kurzer Zeit Russisch lernen würde.» So war Song denn auch innert sechs Monaten in der Lage, seine Einstellungsgespräche in Russisch zu führen, was ihm den Zugang zu den Einheimischen enorm erleichtert habe.
Russisch mag eine Sprache sein, die «nice to have» ist, essenziell ist Englisch, die Lingua franca der Berufswelt. Englisch sei in den vergangenen Jahren «bedeutend wichtiger» geworden, sagt der Luzerner Headhunter Daniel Zanetti. Arbeitgeber würden nicht mehr bloss Konversationskenntnisse erwarten, sondern nachweisbare Sprachkompetenz, die man sich in Fortbildungskursen oder, noch besser, in einem mehrmonatigen Sprachaufenthalt erworben habe. Englischkenntnisse auf dem Niveau eines Cambridge First Certificate sind gemäss Zanetti das Mindesteste, was die Unternehmen von künftigen Kadermitarbeitern erwarten. Auf die Frage, welche Anforderungen Arbeitgeber an ihre künftigen Trainees stellen würden, stellten in einer Untersuchung des Instituts für Organisation und Personal der Universität Bern (IOP) vor einem Jahr über 70 Prozent der befragten Firmen Fremdsprachenkenntnisse an die erster Stelle.
International tätige Konzerne brauchen Mitarbeiter, die sich in verschiedenen Kulturen und Sprachen bewegen können. Im Zuge der Internationalisierung führen immer mehr Schweizer Unternehmen Englisch als Firmensprache ein. Beim Telekommunikationsanbieter Sunrise arbeiten beispielsweise Leute aus 62 verschiedenen Nationen, für die laut der Kommunikationsleiterin Monika Walser «ein gemeinsamer Nenner gefunden» werden musste – seit Juni 2001 ist dies Englisch. Auch bei der Fifa Marketing mit Sitz in Zug ist Englisch die offizielle Firmensprache. Gemäss der Human-Resources-Verantwortlichen Heike Reutlinger werden bei der Fifa Marketing bereits bei der Ausschreibung einer Stelle sehr gute Englischkenntnisse verlangt und während des Einstellungsgesprächs getestet. Auch bei der Swiss Re mit ihren weltweit über 8000 Mitarbeitern aus 75 verschiedenen Ländern gibt man sich seit sieben Jahren anglophon. Die Nachfrage nach firmeninternen Englischweiterbildungskursen ist seither bei den rund 3000 Schweizer Mitarbeitern markant gestiegen, sagt die Ausbildungsverantwortliche Rita Lötscher.
Ebenso verzeichnen die privaten Sprachschulen eine «sehr starke Tendenz» zu Englisch. Beim Schweizer Marktführer Berlitz, der weltweit über 500 Niederlassungen betreibt, liegt der Anteil an Englischkursen in der Schweiz mittlerweile bei 40 bis 50 Prozent – weltweit sogar bei über 70 Prozent.
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Kein Zweifel:
Will man sich heutzutage im Global Village bewegen und strebt zudem eine Kaderstelle an, dann baut man sein Sprachenportfolio zunächst auf soliden Englischkenntnissen auf – und setzt zusätzlich auf die Sprachen, die dem angestrebten Tätigkeitsfeld und der betreffenden Branche entsprechen: Wer mit südamerikanischen Reiseveranstaltern zu verhandeln hat, lernt Spanisch; wer indische IT-Spezialisten beschäftigen will, übt sich in Hindi; und wer eine Beamtenkarriere in Bern anstrebt, setzt auf Französisch und allenfalls Italienisch Grundsätzlich gilt: Die Sprachkompetenz soll auf die betreffende Branche oder das Wunschunternehmen ausgerichtet sein. Und: Je mehr Sprachen, desto grösser wird der Spielraum bei der Stellensuche.
Das kam auch dem koreanischen Wissensmanager Kap-Keun Song in seiner beruflichen Laufbahn immer wieder zugute. Bevor er sich seiner Arbeit in St. Petersburg gewidmet hatte, war er in Zürich als IT-Berater bei einer koreanischen Bank tätig: Dank seinen guten IT-Kenntnissen sowie Koreanisch als Muttersprache und den hervorragenden Deutsch- und Englischkenntnissen war Song der ideale Kanditat. Dabei zählten nicht allein seine Sprachkenntnisse, sondern auch die interkulturelle Kompetenz, die er mitbrachte. «Jede Sprache ist eine eigene Welt mit eigener Kultur», sagt Song, «ich lebe in vielen Welten und finde dadurch sofort Zugang zur jeweiligen Kultur» – eine Fähigkeit, die im Global Village mehr denn je geschätzt wird. Denn heutzutage, so Professor Norbert Thom vom IOP, kommt es im beruflichen Sprachgebrauch weniger auf die erworbenen Schönheitsnoten in Grammatik, sondern auf eine interkulturelle Sensibilität, hohes Kontextwissen und den richtigen Gebrauch von Fachtermini an. In der vom IOP durchgeführten Befragung forderten über die Hälfte der Unternehmen von ihrem Förderungsnachwuchs denn auch «kulturelle Sensibilität»; ebenso stark erwarteten sie «geografische Mobilität».
Arbeitgeber und Sprachexperten sind sich einig, dass man sich seine Sprachkenntnisse am besten während eines mehrmonatigen Arbeitseinsatzes im Ausland erwirbt und damit gleich mehrere Fliegen mit einem Schlag erwischt: Man lernt neue Kulturen und Arbeitsformen kennen, steigert seine Toleranz, Flexibilität und Durchsetzungskraft, knüpft ein internationales Beziehungsnetz und lernt die jeweilige Sprache mit ihren lokalen Eigenarten und fachspezifischen Ausdrücken. Zudem ist die Lernmotivation im Ausland höher als daheim in einem Abendkurs. «Es macht Spass und ist eine Chance, nebst der Sprache auch den Lifestyle eines Landes zu erleben», sagt Headhunter Zanetti, «später, in Verhandlungssituationen, wird dies zu einem grossen Vorteil.»
Philipp Hofstetter macht diese Erfahrung jeden Tag: Als Corporate-Finance-Berater bei PricewaterhouseCoopers (PwC) in Zürich führt er regelmässig anspruchsvolle Verhandlungen mit amerikanischen Unternehmern – selbstverständlich in Englisch, denn auch bei PWC ist Englisch die offizielle Firmensprache. Hofstetter hat nach der Mittelschule ein halbes Jahr in Kanada eine Sprachschule besucht und später als promovierter Ökonom eineinhalb Jahre in den USA gearbeitet. Dort habe er sich die amerikanische Verhandlungs- und Geschäftskultur sowie deren Sprachfinessen angeeignet, sagt Hofstetter. Ohne die erworbene Verhandlungssicherheit, so ist er überzeugt, stünde er in seiner Arbeit vor unnötigen Schwierigkeiten und liefe in Gefahr, in heiklen Deals über den Tisch gezogen zu werden.
Wer in der Deutschschweiz erfolgreich sein will, muss Französisch können. Bei Berlitz Schweiz, die sich als Sprachschule sehr businessorientiert gibt, verzeichnet man denn auch bei «Kaderleuten auf gehobener Ebene» nach wie vor ein grosses Interesse an Französischkursen. Die UBS, die allein in der Schweiz 28000 Mitarbeiter beschäftigt, erachtet Französisch nach wie vor als eine «selbstverständliche Voraussetzung, insbesondere im Schweizer Geschäft», sagt Beatrix Rastuttis, verantwortlich für die Rekrutierung von Hochschulabgängern bei UBS, «im Global Business indes kommt man an Englisch nicht vorbei».
Auf Grund einer gross angelegten Schweizer Studie über die wirtschaftslinguistischen Aspekte innerbetrieblicher Kommunikation kommt die Zürcher Sprachwissenschaftlerin Ulla Kleinberger Günther in ihrem neuen Buch «Kommunikation in Betrieben»* denn auch zum Schluss: «Englisch ist wichtig, aber Englisch ist nicht alles.» Kleinberger plädiert daher für eine «Vielfalt an Sprachen».
Kap-Keun Song, der koreanische IT-Spezialist, würde ihr dabei sicherlich zustimmen. Trotz seiner hohen Sprachkompetenz, so erzählt er, habe er auch schon eine Wunschstelle nicht erhalten, da seine Französischkenntnisse dafür nicht ausreichend gewesen seien. Mittlerweile ist Song in der Asylorganisation Zürich für Bildungsprogramme zuständig: Übersetzer stehen ihm bei seiner Arbeit mit Asylbewerbern aller Nationalitäten zur Seite, dennoch, so sagt Song, sei es manchmal ganz praktisch, wenn er in einem Gespräch auch mal direkt in Türkisch antworten könne. Zur Not würde er auch einige Brocken in Spanisch, Italienisch oder Chinesisch verstehen.
* Kleinberger Günther: Kommunikation in Betrieben. Wirtschaftslinguistische Aspekte innerbetrieblicher Kommunikation. Erscheint im September 2003, Peter Lang Verlag Bern
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