BILANZ: Das menschliche Erbgut ist seit wenigen Wochen bis auf kleine Reste entschlüsselt. Wie haben Sie auf diese Nachricht reagiert?
Klaus Ammann: Ich kenne den Biologen Craig Venter von Celera Genomics selber und bin begeistert von dem, was er und seine Leute geleistet haben.
Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass die Gentechnologie für die Menschheit eher zum Segen wird als zum Fluch?
Ich bin Biologe und kann ermessen, welches Potenzial in der Genforschung liegt. Wer diese Zukunftsaussichten nicht wahrhaben will, muss mit Blindheit geschlagen sein.
Sie lassen also keine Argumente gegen die Gentechnologie gelten?
Doch. Vorerst kennen wir nur die Genkarten, noch nicht alle Funktionen der Gene. Aber das Konfliktpotenzial ist riesig. Es wird nur zu bewältigen sein, wenn sich die Einsicht durchsetzt, dass die Biotechnologie auch soziale und kulturelle Auswirkungen hat. Man stelle sich die Sicherheitsprobleme vor, wenn wir in Zukunft neue Medikamente oder rezyklierbare Bio-Plastik-Materialien mit transgenen Pflanzen herstellen können.
Also haben die Gentech-Gegner doch Recht mit ihren Bedenken?
Schon bei der Einführung der Gentechnologie bei den Kulturpflanzen wurden Fehler gemacht. Das Marketing verkaufte die ersten Gentech-Pflanzen fälschlicherweise als ideale Lösung. In Zukunft werden wir jedoch mit Kulturpflanzen leben können, die dank der Gentechnologie wirklich ökologischer sind als die heutigen. Ich plädiere deshalb dafür, dass sich auch der Biolandbau dieser Entwicklung längerfristig nicht verschliesst. Das Label «gentechfrei» hat mit Ökologie und Nahrungssicherheit direkt nichts zu tun. Das ist auf lange Sicht billiges Marketing, wenn auch momentan verständlich.
Lässt sich denn überhaupt schon nachweisen, ob gentechnisch veränderte Pflanzen zu ökologischen Schäden führen oder nicht?
Im BT-Mais, um den als Modellfall zu nehmen, ist ein toxisches Eiweiss eingebaut. Die Gefahr besteht, dass mit den Jahren Resistenzen erzeugt werden. Deshalb ist vertraglich geregelt, dass Refugien ohne BT-Mais bestehen bleiben und die Insektenpopulation nicht unter Druck kommt, Mutanten zu zeugen. Novartis hat 200 Arten von Nutzinsekten ausgezählt und keinen Unterschied gefunden zwischen Pflanzungen mit gentechnisch verändertem und herkömmlichem Mais. Was die Bodenanreicherungen betrifft, kenne ich die gesamte Literatur. Es gibt auch da trotz nachgewiesener Anlagerung an Tonteilchen in der Mikroflora keinerlei Unterschiede. In Alabama haben wir jetzt zehn Jahre Erfahrung mit BT-Mais, und der Boden ist gesund.
Der Widerstand gegen die Gentechnologie erinnert an jenen gegen die Kernkraftwerke. Die Gegner haben Recht bekommen: Noch immer ist das Problem der Endlagerung ungelöst, ganz zu schweigen von der Katastophe in Tschernobyl. Verstehen Sie die Angst der Menschen vor Auswirkungen, die möglicherweise erst spätere Generationen treffen?
Selbstverständlich. Ich fordere ja Langzeitstudien. Wir haben allen Grund zur Vorsicht, wenn wir an die Einführung der Pestizide und deren Auswirkungen denken. Ich möchte allerdings auf einen grossen Unterschied hinweisen: Als DDT eingeführt wurde, gab es keine Risikoforschung oder Technologiefolgenabschätzung.
Ist die Kritik an der Gentechnologie nicht umso verständlicher, als private Unternehmen forschen und natürlich den schnellen Profit suchen? Das schafft nicht unbedingt Vertrauen.
Ich kenne die Sicherheitsforschung, die der Zulassung von ersten Gentech-Pflanzen in den USA vorausgegangen ist. Sie zeigt, wie fragwürdig die Risikoforschung in den späten Achtzigerjahren war. Die hatten Glück, dass nichts passiert ist. Heute sind wir viel weiter, die vorerst nur schwach belegten, günstigen Trends haben sich bestätigt. Eine Langzeitgarantie kann ich jedoch nicht abgeben. Dafür ist das Ökosystem zu komplex.
Wo ziehen Sie die Grenze zwischen der universitären und der privaten Forschung?
Ich lehne es ab, zwischen abhängigen und unabhängigen Wissenschaftlern zu unterscheiden. Die wirklich wichtige Messlatte ist die Qualität der wissenschaftlichen Forschung. Es gibt innerhalb des Gentech-Konzerns Monsanto Forscher, die ihre Stelle gefährdet haben, um ihre ökologische Sicht durchzusetzen. Ich erkenne aber den kommerziellen Druck und bin der Meinung, er sei für die Sicherheitsforschung nicht gut.
Braucht die staatliche Forschung mehr Mittel, um konkurrenzfähig zu bleiben?
Ganz gewiss. Es gibt in der Gentechnologie ein Entwicklungspotenzial, das meines Wissens von den grossen Firmen kaum ausgeschöpft wird. Mehr Mittel für die universitäre Forschung sind gerade jetzt, wo die Biologie ihre Unschuld verloren hat, besonders nötig.
Was meinen Sie damit?
Die neue Macht über die Moleküle fliesst in sämtliche Lebensbereiche ein. Es geht längst nicht mehr ausschliesslich um den Ackerbau. Wir sind dabei, eine machtvolle Technologie zu entwickeln. Wenn das keine Angst auslösen soll! Die kulturelle Bewältigung des grössten Technologieschubs in der Menschheitsgeschichte ist in keiner Weise gewährleistet. Ich habe deshalb Respekt vor der Angst, aber überhaupt keinen vor einer Protestindustrie, die diese Angst kommerziell ausnützt, und einer Industrie, die alles verharmlost.
Protestindustie?
Ja, die grossen NGO wie Greenpeace. Nichts gegen deren Macht, wir brauchen sie als Gegenkraft. Aber wenn sie schon Industrien in die Knie zwingen können, sollten sie gleichermassen reguliert sein wie diese.
Aber Sie waren doch selber Sympathisant von Greenpeace und haben bei der 68er-Bewegung mitgemacht.
Ich habe sogar gelernt, Tränengaspetarden zurückzuwerfen.
Heute stehen Sie im Sold von Monsanto, einem der aggressivsten Gentech-Unternehmen.
Nicht im Sold. Ich hatte nie einen Berater- vertrag. Ich liess mir von Monsanto gelegentlich Reisespesen bezahlen und erhielt Sponsoringbeiträge für die Teilfinanzierung internationaler Symposien. Im Übrigen habe ich nie ein Hehl gemacht aus meinen Kontakten zu Monsanto und den freundschaftlichen Beziehungen mit dem früheren CEO Bob Shapiro.
Sie sind ein echter Konvertit.
Ja, mindestens teilweise, und das bewusst. Der Wandel geht wahrscheinlich auf ein Erlebnis im Jahr 1972 zurück: Ich höre mich noch, wie ich vor etwa tausend Zuhörern gesagt habe, innert 15 Jahren würden die Gebirgswälder zusammenbrechen. Im selben Augenblick schon wusste ich: Jetzt übertreibst du. Daraus will ich gelernt haben.
Verlieren Sie wegen der Zusammenarbeit mit Monsanto einen Teil Glaubwürdigkeit?
Einige Grüne haben mir das vorgeworfen. Ich habe geantwortet: Lasst ihr euch so billig kaufen? Mit ein paar Flugtickets? Ich nicht.
Wie ist die Zusammenarbeit mit Monsanto zu Stande gekommen?
Der erste Kontakt geht auf ein Treffen in Frankfurt im Jahr 1996 zurück. Ich hatte zehn Minuten Redezeit und sagte klipp und klar, ich sei erbost, wie das Unternehmen die gentechnisch veränderte Sojabohne in Europa eingeführt habe. Das war der Beginn der Zusammenarbeit. Wahrscheinlich haben nur wenige Bob Shapiro so unverblümt kritisiert, wenn es nötig war, wie ich.
Was kritisieren Sie denn vor allem?
Zu Beginn die unbedachte Politik, wie die Genbohne in Europa eingeführt wurde. Zuerst wollte Monsanto den Schweizer Behörden nicht einmal Prüfmaterial zur Verfügung stellen, das sei ja alles schon geschehen. Diese Rechthaberei nicht nur gegen- über der Schweiz hat sicher Widerstand provoziert und letztlich auch zum dramatischen Kurszerfall der Monsanto-Aktien und zur Ablösung von Bob Shapiro beigetragen. Aber die neue Monsanto Company scheint nach dem Spin-off gelernt zu haben, wie man mit den Europäern umgeht. Wenigstens hoffe ich das.
Ist Ihnen denn wohl, wenn die Pestizidbomben durch Genbomben ersetzt werden?
Das will ich überhaupt nicht. Die Biotechnologie hat viel gescheitere Möglichkeiten. Jede Pflanze verfügt zum Beispiel über ein eigenes Immunsystem. Das kann man beeinflussen. Die alten Kulturpflanzen haben zum Teil sehr wertvolle Gene, die wir noch gar nicht kennen. Vieles, was wir auf dem Weg durch die klassische Zucht verloren haben, können wir jetzt wieder wie Brosamen aufsammeln und wertvolle natürliche Resistenz gewinnen. Man schätzt, dass jede Pflanze 25 Prozent ihres Genoms für die natürliche Pes- tizidproduktion braucht. Schon bald wird man die Salztoleranz der Kulturpflanzen wesentlich beeinflussen können. Damit hätten wir eine grossartige Möglichkeit, auch in trockeneren und leicht versalzten Gebieten vernünftigeren Ackerbau zu betreiben.
Wo liegt der Unterschied zwischen herkömmlichen Zuchtmethoden und der Gentechologie?
Der grosse Vorteil der herkömmlichen Zucht ist die Langzeiterfahrung. Das hat Unfälle aber nicht verhindert. Mit klassischer Zucht wurde eine Kartoffel hervorgebracht, die zu viel Solaningehalt hatte, ein gefährliches Gift für den Menschen. Wie der Fall zeigt, weiss man oft erst hinterher, was bei Kreuzungen oder Mutationen alles passiert ist. Die Gentechnologie kann nun gezielt artfremde oder arteigene Gene hineinbringen oder herausschneiden.
Und wer definiert, was gentechnisch erlaubt ist und was nicht? Die Gesetzgebung hinkt der Entwicklung doch hinterdrein.
Mit der Genlex in der Schweiz sind wir nicht so schlecht dran. Wir wenden die Freisetzungsverordnung schon an, obwohl das Gesetz vom Parlament noch nicht beschlossen ist. Aber es geht gar nicht um die Schweiz. Vierzig Länder haben immer noch keine Gentech-Gesetzgebung. Nur ein hoffnungsloser Illusionist kann behaupten, wir seien für das Entwicklungstempo in der Gentechnologie gerüstet. Die Technologiefolgenabschätzung hat zwar riesige Fortschritte gemacht. Dennoch müssen wir uns fragen, wie weit die Forschungs- und Entwicklungsfreiheit gehen darf. Wir sind in einer neuen Situation und können uns nicht mehr auf die totale Freiheit von Grundlagenforschung und Technologieentwicklung berufen. Wir brauchen eine Regulierung.
Glauben Sie im Ernst, die Forschungsfreiheit liesse sich begrenzen? Was möglich ist, wird immer gemacht.
Es haben schon verschiedene Leute mit dem Homunkulus experimentiert. Das war so eine Vorform der Biotechnologie. Diese Forscher sind alle weg vom Fenster. Wir müssen die Genforschung einfach in den Griff bekommen. Als aggressiver Optimist bin ich überzeugt, dass wir das schaffen. Der Menschheit stehen noch ganz andere Herausforderungen bevor: Wir verbrauchen die Ressourcen dieser Erde zu schnell und werden wohl nicht darum herumkommen, uns eines sehr fernen Tages einen neuen Lebensraum zu suchen. Als Evolutionist glaube ich daran, dass die Menschheit ihr Überleben nötigenfalls auf diese Weise sichern wird – ausser es gelänge uns, mit unserem blauen Planeten so sorgsam umzugehen, dass er noch für einige Jahrhunderttausende unsere Heimat bleiben kann.
Wie sollen wir die Gentechnologie denn in den Griff bekommen?
Ich bin gegen eine Deklarations-, jedoch für eine Diskursethik. Im Vordergrund stehen für mich Gespräche mit allen Beteiligten. Die Ethik muss sich dauernd weiterentwickeln können, das können wir nur mit neuen Diskursmethoden bewältigen, die uns helfen, in komplexen Problembereichen zu Entscheidungen zu kommen.
Und wie kommen Sie zur demokratischen Legitimation?
Wir haben in der Schweiz das Vernehmlassungsverfahren. Die Grundlage ist da. Jetzt gilt es, dieses Verfahren zum Beispiel mit elektronischen Mitteln zu verfeinern und auch sonstwie demokratisch besser zu legitimieren und öffentlich zu machen.
Ist die Anwendung von Gentechnik auf den Menschen für Sie ein Tabu?
Warum sollte man Mitgliedern von Familien, die seit Hunderten von Jahren an einem Gendefekt leiden, die Heilung verwehren?
Wer bestimmt, für welche Krankheiten eine genetische Manipulation angemessen ist?
Ich würde die Beweislast umkehren. Es braucht keine generellen Bewilligungen, sondern Ausnahmeregelungen, und zwar sehr genau definierte. Eingriffe in die Keimbahn könnten zwar erlaubt werden, aber nur von Fall zu Fall. Die Grenze zu ziehen, ist ohnehin schwierig. Aber das ist auch in der normalen Medizin der Fall, wenn wir an die ganz feine Trennlinie zwischen Lebens- und Sterbensverlängerung denken oder zwischen Eugenik, also Menschenzucht, und Heilung.
Würden Sie das Klonen von Menschen in jedem Fall verurteilen?
Noch einmal: Die Wissenschaft hat bis heute alle Versuche mit dem Homunkulus und auch das vollständige Klonen von Menschen abgelehnt. Das Verbot steht auch in der Schweizer Verfassung. Stammzellen aus menschlichen Embryonen mit voller Organentwicklungspotenz für strikt therapeutische Zwecke zu entnehmen, ist umstritten und vielleicht bald nicht mehr notwendig, denn Stammzellen kann man schon heute aus verschiedenen Körperzellen herstellen. Aber möglicherweise gibt es begründete Anwendungsbereiche des Klonens solcher Stammzellen ausserhalb der Therapie und der Organzüchtung. Nehmen wir als Beispiel ein Ehepaar, dessen einziges Kind durch einen Unfall ums Leben kommt. Soll das Paar, wenn es nicht mehr im reproduktionsfähigen Alter ist, das Recht haben, dass aus der Leiche dieses Kindes Stammzellen gewonnen werden und ein Klon entsteht? Was ist nun unethisch: Dem Ehepaar dieses Kind zu verweigern oder es zuzulassen? Ich würde mir hier nicht anmassen, ein Urteil zu fällen, weder allgemein noch im speziellen Fall. Ich halte es hier wie mit der Abtreibung: Der Entscheid muss, nach Massgabe einer vorgängig demokratisch diskutierten Ausnahmeregelung, den direkt Betroffenen überlassen bleiben. Aber, wie gesagt, der Diskurs über diese Themen hat noch nicht einmal richtig begonnen. Wir kommen nicht darum herum, ihn jetzt zu führen, und zwar so, dass er sich in nützlicher Frist auch in Gesetzes- und Verfassungstexten niederschlägt.
Klaus Ammann: Ich kenne den Biologen Craig Venter von Celera Genomics selber und bin begeistert von dem, was er und seine Leute geleistet haben.
Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass die Gentechnologie für die Menschheit eher zum Segen wird als zum Fluch?
Ich bin Biologe und kann ermessen, welches Potenzial in der Genforschung liegt. Wer diese Zukunftsaussichten nicht wahrhaben will, muss mit Blindheit geschlagen sein.
Sie lassen also keine Argumente gegen die Gentechnologie gelten?
Doch. Vorerst kennen wir nur die Genkarten, noch nicht alle Funktionen der Gene. Aber das Konfliktpotenzial ist riesig. Es wird nur zu bewältigen sein, wenn sich die Einsicht durchsetzt, dass die Biotechnologie auch soziale und kulturelle Auswirkungen hat. Man stelle sich die Sicherheitsprobleme vor, wenn wir in Zukunft neue Medikamente oder rezyklierbare Bio-Plastik-Materialien mit transgenen Pflanzen herstellen können.
Also haben die Gentech-Gegner doch Recht mit ihren Bedenken?
Schon bei der Einführung der Gentechnologie bei den Kulturpflanzen wurden Fehler gemacht. Das Marketing verkaufte die ersten Gentech-Pflanzen fälschlicherweise als ideale Lösung. In Zukunft werden wir jedoch mit Kulturpflanzen leben können, die dank der Gentechnologie wirklich ökologischer sind als die heutigen. Ich plädiere deshalb dafür, dass sich auch der Biolandbau dieser Entwicklung längerfristig nicht verschliesst. Das Label «gentechfrei» hat mit Ökologie und Nahrungssicherheit direkt nichts zu tun. Das ist auf lange Sicht billiges Marketing, wenn auch momentan verständlich.
Lässt sich denn überhaupt schon nachweisen, ob gentechnisch veränderte Pflanzen zu ökologischen Schäden führen oder nicht?
Im BT-Mais, um den als Modellfall zu nehmen, ist ein toxisches Eiweiss eingebaut. Die Gefahr besteht, dass mit den Jahren Resistenzen erzeugt werden. Deshalb ist vertraglich geregelt, dass Refugien ohne BT-Mais bestehen bleiben und die Insektenpopulation nicht unter Druck kommt, Mutanten zu zeugen. Novartis hat 200 Arten von Nutzinsekten ausgezählt und keinen Unterschied gefunden zwischen Pflanzungen mit gentechnisch verändertem und herkömmlichem Mais. Was die Bodenanreicherungen betrifft, kenne ich die gesamte Literatur. Es gibt auch da trotz nachgewiesener Anlagerung an Tonteilchen in der Mikroflora keinerlei Unterschiede. In Alabama haben wir jetzt zehn Jahre Erfahrung mit BT-Mais, und der Boden ist gesund.
Der Widerstand gegen die Gentechnologie erinnert an jenen gegen die Kernkraftwerke. Die Gegner haben Recht bekommen: Noch immer ist das Problem der Endlagerung ungelöst, ganz zu schweigen von der Katastophe in Tschernobyl. Verstehen Sie die Angst der Menschen vor Auswirkungen, die möglicherweise erst spätere Generationen treffen?
Selbstverständlich. Ich fordere ja Langzeitstudien. Wir haben allen Grund zur Vorsicht, wenn wir an die Einführung der Pestizide und deren Auswirkungen denken. Ich möchte allerdings auf einen grossen Unterschied hinweisen: Als DDT eingeführt wurde, gab es keine Risikoforschung oder Technologiefolgenabschätzung.
Ist die Kritik an der Gentechnologie nicht umso verständlicher, als private Unternehmen forschen und natürlich den schnellen Profit suchen? Das schafft nicht unbedingt Vertrauen.
Ich kenne die Sicherheitsforschung, die der Zulassung von ersten Gentech-Pflanzen in den USA vorausgegangen ist. Sie zeigt, wie fragwürdig die Risikoforschung in den späten Achtzigerjahren war. Die hatten Glück, dass nichts passiert ist. Heute sind wir viel weiter, die vorerst nur schwach belegten, günstigen Trends haben sich bestätigt. Eine Langzeitgarantie kann ich jedoch nicht abgeben. Dafür ist das Ökosystem zu komplex.
Wo ziehen Sie die Grenze zwischen der universitären und der privaten Forschung?
Ich lehne es ab, zwischen abhängigen und unabhängigen Wissenschaftlern zu unterscheiden. Die wirklich wichtige Messlatte ist die Qualität der wissenschaftlichen Forschung. Es gibt innerhalb des Gentech-Konzerns Monsanto Forscher, die ihre Stelle gefährdet haben, um ihre ökologische Sicht durchzusetzen. Ich erkenne aber den kommerziellen Druck und bin der Meinung, er sei für die Sicherheitsforschung nicht gut.
Braucht die staatliche Forschung mehr Mittel, um konkurrenzfähig zu bleiben?
Ganz gewiss. Es gibt in der Gentechnologie ein Entwicklungspotenzial, das meines Wissens von den grossen Firmen kaum ausgeschöpft wird. Mehr Mittel für die universitäre Forschung sind gerade jetzt, wo die Biologie ihre Unschuld verloren hat, besonders nötig.
Was meinen Sie damit?
Die neue Macht über die Moleküle fliesst in sämtliche Lebensbereiche ein. Es geht längst nicht mehr ausschliesslich um den Ackerbau. Wir sind dabei, eine machtvolle Technologie zu entwickeln. Wenn das keine Angst auslösen soll! Die kulturelle Bewältigung des grössten Technologieschubs in der Menschheitsgeschichte ist in keiner Weise gewährleistet. Ich habe deshalb Respekt vor der Angst, aber überhaupt keinen vor einer Protestindustrie, die diese Angst kommerziell ausnützt, und einer Industrie, die alles verharmlost.
Protestindustie?
Ja, die grossen NGO wie Greenpeace. Nichts gegen deren Macht, wir brauchen sie als Gegenkraft. Aber wenn sie schon Industrien in die Knie zwingen können, sollten sie gleichermassen reguliert sein wie diese.
Aber Sie waren doch selber Sympathisant von Greenpeace und haben bei der 68er-Bewegung mitgemacht.
Ich habe sogar gelernt, Tränengaspetarden zurückzuwerfen.
Heute stehen Sie im Sold von Monsanto, einem der aggressivsten Gentech-Unternehmen.
Nicht im Sold. Ich hatte nie einen Berater- vertrag. Ich liess mir von Monsanto gelegentlich Reisespesen bezahlen und erhielt Sponsoringbeiträge für die Teilfinanzierung internationaler Symposien. Im Übrigen habe ich nie ein Hehl gemacht aus meinen Kontakten zu Monsanto und den freundschaftlichen Beziehungen mit dem früheren CEO Bob Shapiro.
Sie sind ein echter Konvertit.
Ja, mindestens teilweise, und das bewusst. Der Wandel geht wahrscheinlich auf ein Erlebnis im Jahr 1972 zurück: Ich höre mich noch, wie ich vor etwa tausend Zuhörern gesagt habe, innert 15 Jahren würden die Gebirgswälder zusammenbrechen. Im selben Augenblick schon wusste ich: Jetzt übertreibst du. Daraus will ich gelernt haben.
Verlieren Sie wegen der Zusammenarbeit mit Monsanto einen Teil Glaubwürdigkeit?
Einige Grüne haben mir das vorgeworfen. Ich habe geantwortet: Lasst ihr euch so billig kaufen? Mit ein paar Flugtickets? Ich nicht.
Wie ist die Zusammenarbeit mit Monsanto zu Stande gekommen?
Der erste Kontakt geht auf ein Treffen in Frankfurt im Jahr 1996 zurück. Ich hatte zehn Minuten Redezeit und sagte klipp und klar, ich sei erbost, wie das Unternehmen die gentechnisch veränderte Sojabohne in Europa eingeführt habe. Das war der Beginn der Zusammenarbeit. Wahrscheinlich haben nur wenige Bob Shapiro so unverblümt kritisiert, wenn es nötig war, wie ich.
Was kritisieren Sie denn vor allem?
Zu Beginn die unbedachte Politik, wie die Genbohne in Europa eingeführt wurde. Zuerst wollte Monsanto den Schweizer Behörden nicht einmal Prüfmaterial zur Verfügung stellen, das sei ja alles schon geschehen. Diese Rechthaberei nicht nur gegen- über der Schweiz hat sicher Widerstand provoziert und letztlich auch zum dramatischen Kurszerfall der Monsanto-Aktien und zur Ablösung von Bob Shapiro beigetragen. Aber die neue Monsanto Company scheint nach dem Spin-off gelernt zu haben, wie man mit den Europäern umgeht. Wenigstens hoffe ich das.
Ist Ihnen denn wohl, wenn die Pestizidbomben durch Genbomben ersetzt werden?
Das will ich überhaupt nicht. Die Biotechnologie hat viel gescheitere Möglichkeiten. Jede Pflanze verfügt zum Beispiel über ein eigenes Immunsystem. Das kann man beeinflussen. Die alten Kulturpflanzen haben zum Teil sehr wertvolle Gene, die wir noch gar nicht kennen. Vieles, was wir auf dem Weg durch die klassische Zucht verloren haben, können wir jetzt wieder wie Brosamen aufsammeln und wertvolle natürliche Resistenz gewinnen. Man schätzt, dass jede Pflanze 25 Prozent ihres Genoms für die natürliche Pes- tizidproduktion braucht. Schon bald wird man die Salztoleranz der Kulturpflanzen wesentlich beeinflussen können. Damit hätten wir eine grossartige Möglichkeit, auch in trockeneren und leicht versalzten Gebieten vernünftigeren Ackerbau zu betreiben.
Wo liegt der Unterschied zwischen herkömmlichen Zuchtmethoden und der Gentechologie?
Der grosse Vorteil der herkömmlichen Zucht ist die Langzeiterfahrung. Das hat Unfälle aber nicht verhindert. Mit klassischer Zucht wurde eine Kartoffel hervorgebracht, die zu viel Solaningehalt hatte, ein gefährliches Gift für den Menschen. Wie der Fall zeigt, weiss man oft erst hinterher, was bei Kreuzungen oder Mutationen alles passiert ist. Die Gentechnologie kann nun gezielt artfremde oder arteigene Gene hineinbringen oder herausschneiden.
Und wer definiert, was gentechnisch erlaubt ist und was nicht? Die Gesetzgebung hinkt der Entwicklung doch hinterdrein.
Mit der Genlex in der Schweiz sind wir nicht so schlecht dran. Wir wenden die Freisetzungsverordnung schon an, obwohl das Gesetz vom Parlament noch nicht beschlossen ist. Aber es geht gar nicht um die Schweiz. Vierzig Länder haben immer noch keine Gentech-Gesetzgebung. Nur ein hoffnungsloser Illusionist kann behaupten, wir seien für das Entwicklungstempo in der Gentechnologie gerüstet. Die Technologiefolgenabschätzung hat zwar riesige Fortschritte gemacht. Dennoch müssen wir uns fragen, wie weit die Forschungs- und Entwicklungsfreiheit gehen darf. Wir sind in einer neuen Situation und können uns nicht mehr auf die totale Freiheit von Grundlagenforschung und Technologieentwicklung berufen. Wir brauchen eine Regulierung.
Glauben Sie im Ernst, die Forschungsfreiheit liesse sich begrenzen? Was möglich ist, wird immer gemacht.
Es haben schon verschiedene Leute mit dem Homunkulus experimentiert. Das war so eine Vorform der Biotechnologie. Diese Forscher sind alle weg vom Fenster. Wir müssen die Genforschung einfach in den Griff bekommen. Als aggressiver Optimist bin ich überzeugt, dass wir das schaffen. Der Menschheit stehen noch ganz andere Herausforderungen bevor: Wir verbrauchen die Ressourcen dieser Erde zu schnell und werden wohl nicht darum herumkommen, uns eines sehr fernen Tages einen neuen Lebensraum zu suchen. Als Evolutionist glaube ich daran, dass die Menschheit ihr Überleben nötigenfalls auf diese Weise sichern wird – ausser es gelänge uns, mit unserem blauen Planeten so sorgsam umzugehen, dass er noch für einige Jahrhunderttausende unsere Heimat bleiben kann.
Wie sollen wir die Gentechnologie denn in den Griff bekommen?
Ich bin gegen eine Deklarations-, jedoch für eine Diskursethik. Im Vordergrund stehen für mich Gespräche mit allen Beteiligten. Die Ethik muss sich dauernd weiterentwickeln können, das können wir nur mit neuen Diskursmethoden bewältigen, die uns helfen, in komplexen Problembereichen zu Entscheidungen zu kommen.
Und wie kommen Sie zur demokratischen Legitimation?
Wir haben in der Schweiz das Vernehmlassungsverfahren. Die Grundlage ist da. Jetzt gilt es, dieses Verfahren zum Beispiel mit elektronischen Mitteln zu verfeinern und auch sonstwie demokratisch besser zu legitimieren und öffentlich zu machen.
Ist die Anwendung von Gentechnik auf den Menschen für Sie ein Tabu?
Warum sollte man Mitgliedern von Familien, die seit Hunderten von Jahren an einem Gendefekt leiden, die Heilung verwehren?
Wer bestimmt, für welche Krankheiten eine genetische Manipulation angemessen ist?
Ich würde die Beweislast umkehren. Es braucht keine generellen Bewilligungen, sondern Ausnahmeregelungen, und zwar sehr genau definierte. Eingriffe in die Keimbahn könnten zwar erlaubt werden, aber nur von Fall zu Fall. Die Grenze zu ziehen, ist ohnehin schwierig. Aber das ist auch in der normalen Medizin der Fall, wenn wir an die ganz feine Trennlinie zwischen Lebens- und Sterbensverlängerung denken oder zwischen Eugenik, also Menschenzucht, und Heilung.
Würden Sie das Klonen von Menschen in jedem Fall verurteilen?
Noch einmal: Die Wissenschaft hat bis heute alle Versuche mit dem Homunkulus und auch das vollständige Klonen von Menschen abgelehnt. Das Verbot steht auch in der Schweizer Verfassung. Stammzellen aus menschlichen Embryonen mit voller Organentwicklungspotenz für strikt therapeutische Zwecke zu entnehmen, ist umstritten und vielleicht bald nicht mehr notwendig, denn Stammzellen kann man schon heute aus verschiedenen Körperzellen herstellen. Aber möglicherweise gibt es begründete Anwendungsbereiche des Klonens solcher Stammzellen ausserhalb der Therapie und der Organzüchtung. Nehmen wir als Beispiel ein Ehepaar, dessen einziges Kind durch einen Unfall ums Leben kommt. Soll das Paar, wenn es nicht mehr im reproduktionsfähigen Alter ist, das Recht haben, dass aus der Leiche dieses Kindes Stammzellen gewonnen werden und ein Klon entsteht? Was ist nun unethisch: Dem Ehepaar dieses Kind zu verweigern oder es zuzulassen? Ich würde mir hier nicht anmassen, ein Urteil zu fällen, weder allgemein noch im speziellen Fall. Ich halte es hier wie mit der Abtreibung: Der Entscheid muss, nach Massgabe einer vorgängig demokratisch diskutierten Ausnahmeregelung, den direkt Betroffenen überlassen bleiben. Aber, wie gesagt, der Diskurs über diese Themen hat noch nicht einmal richtig begonnen. Wir kommen nicht darum herum, ihn jetzt zu führen, und zwar so, dass er sich in nützlicher Frist auch in Gesetzes- und Verfassungstexten niederschlägt.
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