Wie fühlt sich einer, dem Grossinvestoren wie Martin Ebner und Christoph Blocher aus der Hand fressen? Phänomenal. «Nach der Fusion», schwärmt Sergio Marchionne, «werden wir einen Teil einer Maschine besitzen, die fähig ist, jedes Jahr einen Cash-Überschuss von mehr als sechs Milliarden Franken zu produzieren. Als Industriedesigner und Manager von industriellen Assets trete ich zunächst einmal einen Schritt zurück und sage mir: Jetzt bin ich Teil eines Hauses mit derart beeindruckenden Möglichkeiten.»
Bei seiner Ankunft in Zürich vor viereinhalb Jahren war Sergio Marchionne ein Nobody. Niemand kannte damals den Mann, der im Herbst 1999 als strahlender Sieger aus der angekündigten Fusion zwischen dem deutschen Mischkonzern Viag und der Alusuisse-Lonza-Gruppe hervorgehen dürfte. Erst reichlich spät, nämlich im Alter von über dreissig, hatte Marchionne seinem Faible für die praktischen Seiten des Lebens nachgegeben und sich – nachdem er zuvor ein Philosophie-Studium absolviert hatte – von der Revisionsfirma Deloitte Touche in Toronto zum Steuerspezialisten und Buchprüfer ausbilden lassen. Anschliessend war Marchionne für einige kleinere Logistikunternehmen tätig gewesen und hatte es bei der Verpackungsgruppe Lawson Mardon bis zum Finanzchef gebracht, als diese 1994 von Alusuisse-Lonza übernommen wurde. «Sergio hat ja nicht so wahnsinnig viel Erfahrung mit der Führung einer grossen Organisation», weiss sein ehemaliger Chef bei Acklands Limited, einer in Toronto ansässigen Vertriebsgesellschaft für Automobilbestandteile. «Hier in Kanada war er eher in der zweiten und dritten Reihe tätig.»
Kommt es zum angekündigten Schulterschluss mit dem Koloss aus München, schiebt sich der 46jährige Buchprüfer in die Pole-position für den Job an der operativen Spitze eines der entwicklungsfähigsten Industriekonglomerate Europas. In Erwartung des ultimativen Karrieresprungs kann er nicht anders, als den Mund schon heute prallvoll zu nehmen – eben so, wie man es von einem notorischen Klassenprimus auch erwarten kann: «Wenn die Integration der beiden Unternehmen vollzogen ist, werden die Geschäftsfelder von Alusuisse-Lonza sehr viel stärker sein als vor dem Merger», postuliert der Senkrechtstarter, als handle es sich dabei nicht um eine ferne Vision, sondern um ein Naturgesetz. «Wenn dies nicht der Fall wäre, hätten wir einer Fusion nie und nimmer zugestimmt. Alusuisse stand zu keinem Zeitpunkt unter Verhandlungsdruck.» Im Februar letzten Jahres waren die Bayern, beraten von der Investment-Bank Goldman, Sachs, an die Algroup-Spitze herangetreten. Die diskrete Avance lief darauf hinaus, den Verpackungsteil der Viag gegen die Aluminiumaktivitäten von Alusuisse-Lonza einzutauschen.
Aus Schweizer Sicht erschien der vorgeschlagene Handel nur mässig attraktiv. Aufgrund fundamentaler Überlegungen kam ein Totalausstieg aus dem Aluminiumgeschäft weder für den 62jährigen Alusuisse-Präsidenten Theodor Tschopp noch für seinen um 16 Jahre jüngeren Konzernchef in Frage. «I was not in an asset-swapping mood», flachst Marchionne im Rückblick. Die einseitige Übernahme der Viag-Geschäftsfelder Verpackung und Aluminium hätte Marchionne wohl mit Abstand am besten gefallen, abgegolten durch eine entsprechende Aktienbeteiligung der Deutschen an Alusuisse-Lonza – ähnlich wie beim seinerzeitigen Chemiehandel zwischen Hoechst und Clariant. Nachdem die Sondierungsgespräche ergeben hatten, dass es keine passenden Holdingtöchter zu tauschen gab und dass auch keiner der beiden Gesprächspartner bereit sein würde, ganze Unternehmenssparten zu devestieren, herrschte für einige Monate Funkstille. Erst Ende Juni 1998 sei der Faden mit Goldman, Sachs wieder aufgenommen worden, betont der Algroup-Chef. Just zu dem Zeitpunkt sei absehbar geworden, dass die Münchner eine Vorwärtsstrategie einschlagen und ihren bisherigen Vorstandsvorsitzenden Georg Obermeier nicht zum Chef des neuen Gebildes machen würden. Mit Übernahmen quer durch alle erdenklichen Versorgungsbereiche hatte jener dafür gesorgt, dass Viag zu dem wurde, was die Firmengruppe heute ist: ein scheinbar konzeptionslos aufgeblähter und in weiten Teilen renditeschwacher Gemischtwarenladen.
Dass die Bayern im Juli anstelle des abgehalfterten Obermeier den Chemiker Wilhelm Simson aufs Schild hoben, kam überraschend. Die Rochade wurde möglich, als absehbar geworden war, dass Burkhard Wollschläger, 64, ein Intimus von Ems-Chef Christoph Blocher, bei Viag den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen würde. Relativ zügig kam nunmehr die Idee aufs Tapet, eine sehr viel umfassendere Lösung zu prüfen. «Wir kannten uns damals mit Energie und Telekommunikation noch nicht sonderlich gut aus und kommentierten diese Geschäftsfelder deshalb auch nicht», gibt der Alusuisse-Chef mit entwaffnender Offenheit zu bedenken. «Hingegen erkannten wir sofort, dass es sich beim Industriegeschäft der Viag um ein 20-Milliarden-D-Mark-Business handelt, das ausgezeichnet zu unseren eigenen Aktivitäten passen würde.» Demzufolge hätte der wachstumsverliebte Alusuisse-Chef die Transaktion selbstverständlich auch befürwortet, wenn es nur um die Verschmelzung der beiden Industrieteile (ohne Energie und Telekom) gegangen wäre. Wer ausser ihm selbst hätte sich dann für den Chefsessel aufgedrängt?
Dass die Maximalvariante schlussendlich obsiegt hat, kann Marchionne nur recht sein. Zwar muss er sich vorläufig noch mit dem Titel eines stellvertretenden Vorsitzenden bescheiden. Denn erst im Herbst des Jahres 2003 erreicht sein Vorgesetzter Wilhelm Simson aus München, Honorarprofessor für technische Chemie an der Ludwig-Maximilian-Universität, die Pensionsgrenze. Dies hindert seinen potentiellen Nachfolger nicht daran, sich schon einmal in industriellen Grossmachtsphantasien zu ergehen: «Nichts in unserer Philosophie – Managing Diversity – schliesst den Einbezug der Geschäftsfelder Energie und Telekom aus», doziert der smarte Mittvierziger. «Die Art, wie wir Geschäfte machen, lässt sich auf sämtliche Unternehmensbereiche anwenden. Sorgen bräuchten wir uns nur zu machen, wenn einzelne Geschäftsfelder eine subkritische Grösse aufweisen würden beziehungsweise strukturell nicht dazu in der Lage wären, den Best-in-class-Status zu erreichen.»
Alles paletti? nach einer bedenkzeit von zwei Sekunden – im Falle des Kanadiers erscheint dies wie eine Ewigkeit – schränkt er vorsichtigerweise ein: «Natürlich wären wir als Alusuisse-Lonza-Gruppe nicht hingegangen und hätten die Bayernwerke gekauft.» Den Slang der Investment-Banker muss er sich nicht erst aneignen; den beherrscht Marchionne bereits. Kein Unternehmensführer auf eidgenössischem Hoheitsgebiet verkörpert die angelsächsische Geschäftskultur in so reiner Form wie der Algroup-Chef Marchionne: Zupackend, absolut selbstbewusst und mit einem Arbeitseifer für zwei gesegnet, geht Sergio sehr direkt auf die Dinge zu, verschafft sich im Nu den Überblick, entscheidet ebenso prompt wie emotionslos und fackelt am Ende auch nicht bei der Umsetzung. «Wenn Marchionne etwas sagt, tut er es auch», zeigt sich der Unternehmer Christoph Blocher von dessen Durchsetzungskraft beeindruckt. Nicht zuletzt deshalb hat sich Blocher gerade noch rechtzeitig im letzten April 350 000 Algroup-Namenaktien zugelegt. Einflussreichen Investoren liest Marchionne die Wünsche von den Lippen ab, weshalb sich beizeiten auch Martin Ebner einen ordentlichen Happen an der Holdinggesellschaft gesichert hat (aktuell rund 15 Prozent der Stimmen). Überzeugend wie kein zweiter redet er einer kompromisslosen Wertevermehrung das Wort und versorgt die Finanzanalysten mit detaillierten Betriebsgewinnmargen und anderen Renditeziffern, die in der Szene gerade «hip» sind.
Inhouse geht der Management-Turbo fast immer ohne Schlips und – falls der Wecker am Morgen versagt hat – schon einmal unrasiert und etwas zerknittert seiner Tätigkeit nach. Dafür zieht sich Marchionnes martialisches Arbeitspensum in der Regel bis tief in die Nachtstunden hinein. «Über die Hälfte meiner Zeit widme ich Fragen der Personalführung und der Kaderentwicklung», sagt er, dem es dank seiner unkonventionellen, lockeren Art gut zu gelingen scheint, ähnlich gelagerte Mitarbeiter zu motivieren und mitzureissen. Doch wehe, wer dem hohen Tempo nicht zu folgen und Marchionnes Leistungsansprüchen nicht gerecht zu werden vermag. Auf Mittelmässigkeit reagiert der Chef mit unverhohlener Intoleranz und mit Liebesentzug: «Entweder man ist mit dabei, oder man ist nicht mit dabei. Dazwischen gibt es bei ihm nichts», beschreibt einer aus dem inneren Kreis die sektenartige Gefolgschaft, die Marchionne von seiner Entourage fordert. Nicht nur in diesem Punkt gibt es zwischen dem Alusuisse-Chef und seinem berühmten Vorbild Martin Ebner eine Reihe verblüffender Parallelen.
Dass Marchionne es liebt, mit seinem aggressiven Arbeitsstil an die Grenzen zu gehen – bisweilen auch an menschliche –, hat sich in der Branche hinlänglich herumgesprochen. Demnach scheut sich der fordernde Konzernchef nicht, selbst schärfste Kritik seinen Angestellten frontal ins Gesicht zu sagen. Mit beängstigender Präzision vermag Marchionne Schwächen anderer blosszulegen und damit fast jeden – sofern es halt sein muss – im Zwiegespräch klein zu machen. «Ich habe noch nie einen meiner Mitarbeiter im Glauben gelassen, die Welt sei anders beschaffen, als sie es in Wirklichkeit ist», kommentiert er trocken. «Auf kompetitiven Märkten geht es eben wie auf einem Schlachtfeld zu. Daran kann ich nichts ändern.» Wie aus zuverlässiger Quelle verlautet, sind am Alusuisse-Hauptsitz nach Aussprachen mit dem fordernden CEO bereits mehr als einmal die Tränen geflossen. Zuweilen brechen unter Marchionnes «leadership by fear» selbst gestandene Kadermänner zusammen.
Seine treu ergebenen Jünger, die im Zürcher Seefeld zusammen mit Sergio am Wochenende durcharbeiten, belohnt der jugendliche Meister dafür mit erbaulichen Klängen. Nicht etwa die Fanfare von Beethoven, wie sie Freund Martin durch die Räumlichkeiten seiner BZ Bank schallen lässt, sondern den Sopran einer Maria Callas lässt der Opernfreak an Sonntagen mit voller Lautstärke aus dem Verwaltungsratssaal erdröhnen. Der Emigrant aus Chieti verehrt die Gesangeslegende so sehr, dass er deren Konterfei im 97er-Geschäftsbericht gleich siebenfach verewigen liess. «Die gestalterisch interpretierten Darstellungen der Callas, die als Sinnbilder für die Stimme dieses Jahrhunderts zu verstehen sind», heisst es dazu vielsagend im Klappentext, «lassen im Geschäftsbericht so wichtige Dimensionen wie Schönheit, Gefühl, Menschlichkeit anklingen; Werte, die allzuoft vergessen werden, die aber für den Erfolg jedes Unternehmens unentbehrlich sind.»
Auf Sergio und seine Crew kommt mit dem Merger ein Berg knochenharter Integrationsarbeit zu - eine Sparte des industriellen Fachs, in der sich der gefeierte Finanzcrack bisher noch keine Lorbeeren verdiente. Ob er die deutschen Betriebsräte mit Motivationsschlagwörtern wie «best in class», «managing diversity» oder «cross-fertilization of talent» domestizieren kann, wird sich erst weisen müssen. Anstatt wohlklingende Slogans aus der angelsächsischen Management-Literatur zu verbreiten, täte Marchionne besser daran, sich ein paar Brocken Deutsch einzuprägen. Denn soviel steht fest: Der Aufbau einer einheitlichen Betriebskultur zwischen Zürich und München ist ein diffiziles Unterfangen. Bei der Suche nach einem passenden Etikett für das Fusionsgebilde fangen die Animositäten schon an: Wie wäre es etwa mit SWIAG, ALLGEU oder - warum auch nicht - VIAGRA? Der weltweit begehrte «Aufsteller» gäbe gar keine üble Projektionsfläche ab für die pulsierende Vorfreude, die der Name Marchionne bei gewissen Shareholdern erzeugt. Der mit der Namensgebung betraute Identity-Schneider aus Baden-Baden wird - gegen teures Geld - hoffentlich auch diesen Aspekt zu berücksichtigen wissen.
Mit der Fusion entstehe der grösste Glasanbieter für die Pharmaindustrie mit globaler Abdeckung. «Nehmen Sie die zwanzig führenden Pharmakonzerne der Welt, wir beliefern jeden davon», brüstet sich Marchionne. Im Verpackungsbereich sollen die versprochenen Fusionssynergien von «480 Millionen Franken per annum» am schnellsten greifbar werden. Zu diesem Zweck muss er die Rentabilität brutal nach oben stemmen. Was wiederum bedingt, dass kapitalintensive Aktivitäten möglichst rasch reduziert, das heisst im Zweifelsfall abgestossen werden. Die Viag-Tochter Schmalbach-Lubeca wird Marchionne unter diesem Aspekt besonders genau unter die Lupe nehmen müssen. Der renditeschwache Laden mit 8000 Mitarbeitern und einem letztjährigen Umsatz in Höhe von 4,3 Milliarden D-Mark ist auf Märkten tätig, die weitgehend Rohstoffcharakter haben: PET-Flaschen und Konservendosen aus Weissblech - ein höllisch hartes Business. Auch in der Sparte Aluminium schlummern Rentabilisierungsreserven. Während die Stärke der Viag-Tocher VAW in der Walztechnologie und im Guss von Motorblöcken für die Automobilindustrie liegt, verfügt die traditionsreiche Alusuisse auf ihrem angestammten Betätigungsfeld über eine wesentlich breitere Technologie- und Anwendungspalette. Komplementarität wäre grundsätzlich also gegeben. Um den Überkapazitäten im europäischen Walzgeschäft zu entrinnen, stellt Marchionne eine «Optimierung der Kapazitäten durch Spezialisierung» in Aussicht, indem einzelnen Produktionsstätten spezifische Aufgaben (Fertigungsteile) zugewiesen werden sollen. Als Sanierer mit Weitblick wird er jedoch kaum darum herumkommen, den Bereich als Ganzes zu redimensionieren. Wird der Produktionsstandort Sierre durch den Merger in Frage gestellt? «Die Antwort ist nein», entgegnet Marchionne mit Nachdruck. «Es gibt bei VAW nichts, was die in Sierre vorhandene Plattenwalztechnologie konkurrenzieren könnte.»
Bleibt der Chemiesektor, den der Italo-Kanadier ebenfalls zu integrieren hätte, wenn es denn überhaupt etwas zu integrieren gäbe. SKW Trostberg und Lonza, witzeln die Analysten, hätten etwa so viel gemeinsam wie ein Hammer und ein Schwamm. «Von den Märkten her betrachtet», bestätigt Marchionne, «gibt es zwischen Bauchemikalien und dem Gebiet der Life Sciences kaum Synergien.» Selbst mit dem Essener Feinchemikalienhaus Goldschmidt verbindet die stolzen Lonzaner nur wenig. Erst wenn dieses von Viag kürzlich zu mehr als neunzig Prozent aufgekaufte Familienunternehmen solide im Trostberg-Konzern verankert ist, will Simson auch noch die Leitung dieser letzten Industrietochter in Marchionnes Hände legen. Sein Statthalter glaubt eingestandenermassen nicht daran, dass sich mit Devestitionen und Spin-offs unternehmerisch Werte schaffen lassen. Sein ungezügelter Machtanspruch gebietet kein Schrumpfen in Raten, sondern eine kontinuierliche, breit abgestützte Expansion. «Sergio wird nie einen ganzen Bereich verkaufen», prophezeit ein ehemaliges Mitglied der Alusuisse-Konzernleitung, einer, der Marchionnes Denken und Wirken aus der Nähe kennt. Die obligate Frage nach der Eventualität eines Verkaufs des Spezialitätengeschäfts von Lonza pariert Marchionne mit gespielter Langeweile: «Alle Welt hat Interesse, diese Firma zu kaufen. I am tired of answering phone calls about Lonza. Do you know what I mean?»
Neben dem weitverzweigten Industrieportefeuille der Viag hat sich der strebsame Kronprinz gleich auch noch das in Aufbau befindliche Telekommunikationsgeschäft unter den Nagel gerissen. Weil Viag erst spät in diesen Sektor eingestiegen ist und die notwendigen Investitionssummen enorm sind, wird Marchionne sich reiflich überlegen müssen, ob er dieses Venture-Engagement fortführen oder nicht lieber loswerden will, solange die Preise noch stimmen. «Es ist heute zu früh, um entscheiden zu können, welchen Stellenwert dieses Business längerfristig für uns haben wird», behält sich Marchionne vorläufig alle Optionen offen. «Ob sich die hohen Investitionen gelohnt haben, wissen wir frühestens 2001 oder 2002, wenn der Break-even-Punkt erreicht sein wird.» Vom Telekommunikationsgeschäft verstehen Marchionne und Wilhelm Simson ungefähr gleich viel - nämlich ziemlich wenig. «Auch einen Energiekonzern hat Simson bis Mitte letzten Jahres noch keinen geführt. Das ist eine vollkommen neue Aufgabe für ihn», präzisiert vergnügt dessen Partner. «Wir sind also - wenn Sie so wollen - zwei relativ unerfahrene CEO, die in Zukunft einzelne Geschäftssparten managen werden, die mit unseren angestammten Tätigkeitsbereichen nichts zu tun haben.»
Der Eindruck verfestigt sich, je länger man den Finanzcrack reden hört: Hier sitzt man kei-nem gewöhnlichen Industriemanager gegenüber, sondern dem Sammler eines Beteiligungsportefeuilles - ungefähr so, als würden sich weniger anspruchsvolle Zeitgenossen ausgewählte Briefmarken ins Album stecken. «Anstatt zwei strategischen Säulen - Industrieteil und Energie/Telekom - hätten wir genausogut ein flaches Organigramm mit fünf Divisionen vorlegen können. Dann hätte ich eben die Verantwortung für vier Geschäftssparten übernommen, und Herr Simson hätte sich um den Energiebereich und das Chemiegeschäft von SKW Trostberg gekümmert», gibt der Finanzingenieur ohne falsche Bescheidenheit zu bedenken. «Vermutlich hätte dann keiner danach gefragt, warum sich die Aufteilung der Geschäftssparten zwischen Simson und mir nicht mit den beiden Hauptgeschäftssäulen deckt.» Man kann es drehen und wenden, wie man will: Marchionne trägt die Züge eines Gamblers. Kein Wunder, versteht sich Martin Ebner mit dem gefitzten Kanadier so gut. Auf verschiedenen Ebenen der Wirtschaftshierarchie kümmern sich beide um genau dasselbe - der eine von der Warte des Eigentümers aus und der andere als sein Treuhänder.
«Bei Transaktionen wie dieser muss man zuerst das Einverständnis der wichtigsten Aktionäre einholen, bevor man an die Öffentlichkeit gelangt», zeigt sich Marchionne seiner anspruchsvollen Rolle gewachsen. «Martin Ebner ist die einzige Person, mit der ich im Vorfeld persönlich gesprochen habe», versichert er. «Wir haben ihn umfassend gebrieft. Natürlich hat auch er eine entsprechende Vertraulichkeitserklärung unterschreiben müssen.» Eine Fokussierung auf die rentabelsten Bereiche, wie sie Ober-Shareholder Ebner predigt, und der Diversifikationsansatz des Kanadiers widersprechen sich nicht wirklich. Zumindest solange nicht, als letzterer sein «Best in class»-Versprechen lückenlos einlöst. Doch davon scheint Sergio, der Superstar, im Februar 1999 weiter entfernt denn je.