2022 war ein turbulentes Jahr an den Anleihemärkten, doch mittlerweile erholt sich die Duration-Nachfrage, insbesondere die Nachfrage nach risikoarmen Unternehmensanleihen. Ein Grund für das wiedererwachte Interesse: Rendite. Globale Unternehmensanleihen mit Investment Grade-Rating werfen im Durchschnitt über 5,0 Prozent ab und übertreffen damit deutlich die Dividendenrenditen der meisten Aktienmärkte.
Die Dividendenrendite von europäischen und Schwellenländeraktien beispielsweise liegt aktuell bei unter 3,5 Prozent, die des amerikanischen S&P-500-Index sogar bei unter 1,8 Prozent. Die Aussichten für die Assetklasse sind also vielversprechend, dennoch sollten sich Anlegerinnen und Anleger der Risiken aktiver Strategien für die Unternehmensanleihemärkte bewusst sein.
Ein Markt im ständigen Wandel
Seit Jahresbeginn haben sich die Bedingungen an den Unternehmensanleihemärkten laufend verändert: Mit der hohen Inflation und steigenden Zinsen standen zunächst die zentralen Themen des letzten Jahres im Vordergrund, die jedoch bald von der Konjunkturabkühlung und steigenden Kreditrisiken abgelöst wurden. Zuletzt beschäftigte das unerwartet hohe Wachstum Anleger und löste Spekulationen über weitere Zinserhöhungen aus-
Trotz steigender Wachstumsprognosen überwiegt das Risiko einer schwächeren Konjunktur, und dieses Risiko wird an den Unternehmensanleihemärkten noch immer weitgehend unterschätzt – aktuell ist in den Risikoaufschlägen kein Rezessionsrisiko eingepreist.
Im Investment Grade-Segment kann man auch nach der jüngsten Rallye in zyklischen Sektoren derzeit noch keine ausreichende Risikoprämie sehen. Insbesondere High-Yield-Anleihen sind im Vergleich zum Investment Grade-Segment teuer bewertet; aktuell liegen die Risikoaufschläge unter ihrem historischen Durchschnitt und bieten wenig Spielraum für unerwartete Konjunkturrückgänge.
Die Unternehmensanleihemärkte stehen vor Verwerfungen
In den USA kann man eine Rezession gegen Ende des Jahres erwarten. Sollte es dazu kommen, würden die Gewinnmargen schmelzen, immer mehr Unternehmen müssten sich zu höheren Zinssätzen refinanzieren. In diesem Szenario würden wohl auch die Kreditrisiken steigen, an den Unternehmensanleihemärkten käme es zu Brüchen: Die Nachfrage nach riskanteren Anleihen würde sinken, Anleihen mit höherer Kreditqualität wären begehrt.
Aktive Unternehmensanleihefonds wären in diesem Fall mit grösseren Preisverwerfungen konfrontiert. Anders ausgedrückt: Die Abweichungen vom Fair Value würden zunehmen. Einige Anleihen wären günstig, was für eine Übergewichtung spräche, andere dagegen zu teuer und sollten vermieden oder zumindest untergewichtet werden.
Über den Autor
Kunal Mehta ist Head of Fixed Income Specialist Team bei Vanguard Europe.
Derartige Verwerfungen gibt es bereits in mehreren Sektoren des globalen Unternehmensanleihemarktes. Auf Einzelhandels- und Büroimmobilien spezialisierte Real Estate Investment Trusts (REITs) beispielsweise werden durch steigende Zinsen überproportional belastet und kämen für eine Untergewichtung infrage. Auch Angebot und Nachfrage in diesem Marktsegment kämen durch eine Rezession wahrscheinlich erheblich aus dem Gleichgewicht. Zu den möglichen Verlierern einer Rezession gehört auch der Automobilsektor, der seit der Pandemie zudem unter anhaltenden Lieferengpässen leidet.
Banken dagegen profitieren meist von steigenden Zinsen und wären mögliche Kandidaten für eine Übergewichtung; besonders attraktiv sind aus unserer Sicht europäische Banken, allerdings muss man hier – wie gerade wieder die jüngsten Ereignisse deutlich gemacht haben – auf die Asset-Qualität achten.
Potenzial besteht zudem im Nahrungsmittel- und Getränkesektor, obwohl hier der anhaltende Inflationsdruck die Margen der Emittenten belasten könnte. In Anbetracht der Risiken und auf Grundlage dieser Einschätzungen halten wir an unserer konservativen Ausrichtung mit einer Übergewichtung defensiver Sektoren fest.