BILANZ: Wann haben Sie zum letzten Mal an ihrem Bürodrucker die Toner-Kartusche ausgewechselt?
Paul H. Wick:
Oh, das dürfte schon einige Zeit her sein. Bei uns im Büro gibt es im Übrigen Leute, die das besser können als ich. Wieso fragen Sie?

Aus Ihrem jüngsten Quartalsbericht geht hervor, dass der Druckerhersteller Lexmark eine der grössten Positionen des Seligman Communications and Information Fund ist.
Das ist richtig. Das Geschäft mit Druckern und Zubehör wie Druckkassetten, Tintenpatronen oder Farbbändern ist relativ berechenbar. Unternehmen können bei ihren Ausgaben für Server, Personalcomputer oder Datenspeichersysteme sparen. Aber Dokumente müssen im Geschäftsalltag nun mal ausgedruckt werden.

Das klingt, mit Verlaub, ziemlich langweilig. Jetzt haben wir jahrelang gehört, Internet und Telekommunikation würden uns in ein goldenes Zeitalter führen. Und heute, Anfang 2002, singt einer der erfolgreichsten Technologiefonds-Manager der letzten Jahre die Hymne auf die Druckerkartusche.
(Lacht) Was mit den Propheten jener glorreichen Zukunft passiert ist, konnten Sie ja an der Nasdaq beobachten: Die sind im Zweifelsfall pleite.

Interessanter werden Farbbänder dadurch aber auch nicht.
Zugegeben, ein Unternehmen wie Lexmark kann natürlich nicht mit einer überhitzten Wachstumsstory aufwarten wie weiland etwa eine Amazon. Anders als jedes überschuldete Dotcom-Unternehmen hat Lexmark aber eines vorzuweisen: solide Gewinne. Und raten Sie mal, welcher Wert in unserem Fonds zuletzt zu den Top-Performern gehört hat?

Wir sind jetzt mal ganz mutig: Lexmark?
Genau! Wir wollen mit unserem Fonds ja keinen Oscar für den schillerndsten Auftritt gewinnen, sondern einen grösstmöglichen Ertrag für unsere Anleger erwirtschaften.

Das wollen andere auch. Was haben Sie in den vergangenen Monaten besser gemacht als Ihre Kollegen?
Wir haben, Lexmark ist da nur ein Beispiel, auf Unternehmen gesetzt, die das Zeug haben, relativ unbeschadet durch diese stürmischen Zeiten zu kommen. Nach dem masslosen Internet-Hype, an dem wir uns im Übrigen nie beteiligt haben, sind heute wieder Substanzwerte mit relativ tiefem Kurs-Gewinn-Verhältnis gefragt.

Welches sind Ihre Favoriten?
Eine unserer grössten Positionen ist Symantec, der weltweit führende Hersteller von Anti-Viren-Software für Computer. Daneben haben wir mehrere Anbieter von Design-Software für die Halbleiterentwicklung im Portfolio, insbesondere die Marktführer Cadence Design Systems und Synopsis. Die dürften vom Innovationsschub bei der nächsten Generation moderner Silizium-Germanium-Chips profitieren. Zuletzt haben wir eine grössere Position in Sabre Holdings aufgebaut, dem globalen Marktführer bei der Anwendung von Informationstechnologie in der Reise- und Transportbranche.

Auch das sind eher defensive Positionen. Sind die Aussichten für riskantere Hightech-Werte wirklich noch so düster?
Absolut. Wir sehen insbesondere nach der jüngsten Rallye im Technologiesektor bei vielen Aktien wieder reichlich Luft nach unten.

Welche technologischen Entwicklungen könnten in den nächsten Monaten gleichwohl der Katalysator eines neuen Hightech-Booms sein?
Das ist die Gretchenfrage – und ich wünschte, ich hätte eine Antwort darauf. Eines aber scheint klar: Es gibt keine singuläre «Killer-Applikation», die uns über Nacht aus der Krise katapultieren kann.

Bis vor kurzem waren viele Experten noch optimistisch, was die drahtlose Vernetzung etwa zwischen Notebooks und Internet betrifft.
Ja, der Traum vom nahtlosen Austausch von digitalen Fotos, Videos oder Musikstücken zwischen Geräten unterschiedlicher Marken klingt verheissungsvoll. Leider schreitet die Entwicklung nicht so schnell voran, wie sich die Leute das vorgestellt haben.

Welches sind die Stolpersteine?
Insbesondere die vielen Übertragungsstandards. Schauen Sie sich nur die Diskussion zwischen den Europäern und den Amerikanern an. Man hat das Gefühl, dass eine Einigung auf einen einheitlichen Standard Jahre dauern könnte.

Der finnische Handyhersteller Nokia hat immerhin einen Vorstoss zur Vereinheitlichung unternommen.
Die von Nokia ins Leben gerufene Open-Source-Initiative für den Mobiltelefonbereich der dritten Generation ist ehrenwert, hat aber noch keine konkreten Früchte getragen. Der Standardwirrwarr ist derzeit gewaltig: Wap 2.0, Bluetooth, XHTML, MMS, SyncML, Java, das Betriebssystem Symbian. Wer findet da noch durch?

Solange die Anbieter im Geld schwammen, schritt die Entwicklung zügig voran.
Ja, aber heute taumeln die Netzbetreiber in den USA und Europa am Rande der Pleite. Nokia hat es im Übrigen bis dato nicht geschafft, einen ordentlichen Prototyp für ein 3G-Handy vorzustellen. Das letzte Gerät überhitzte derart, dass es praktisch ein Feuerrisiko darstellte. Ich habe nicht den Eindruck, als könnten diese neuen Handys die Industrie aus ihrer derzeitigen Misere führen.

Vom Personalcomputer ganz zu schweigen …
PCs sind ein ausgereiftes Business. Die Wachstumsrate in diesem Sektor wird in Zukunft vielleicht etwas über der von Kühlschränken liegen. Die besten Chancen haben die Hardwarehersteller derzeit noch in Ländern wie Indien oder China.

Kaufen Sie jemandem wie Michael Dell dennoch das Argument ab, dass in Zeiten wie diesen die Gewinner der Zukunft gemacht werden?
Natürlich kann ein Unternehmen wie Dell die Krise dazu nutzen, seinen Marktanteil hochzuschrauben. Im vergangenen Jahr hat Dell ja Micron aus dem PC-Geschäft gedrückt, Gateway gezwungen, sich aus Europa und Asien zurückzuziehen, und Compaq so sehr malträtiert, dass das Management das Unternehmen verscherbeln musste.

Wäre Dell also ein Kauf für Sie?
Sagen wir es mal so: Der einzige Hardwarehersteller, den wir kaufen würden, wäre Dell. Wir glauben allerdings, dass Dell derzeit fair bewertet ist, vor allem angesichts einer zukünftigen Wachstumsrate von allerhöchstens 10 bis 15 Prozent. Dass Dell langfristig zu den Überlebenden gehören wird, daran besteht kein Zweifel.

Uns hat gewundert, dass Sie zuletzt eine erhebliche Position in AMD aufgebaut haben.
Oh, das war eine schlechte Entscheidung. Wir alle machen Fehler. Wir haben geglaubt, AMD könnte dem Marktführer Intel weiter Anteile abjagen.

Sie schreiben in Ihrem Quartalsbericht, dass Software einer der Bereiche sei, der als Erster von einer konjunkturellen Erholung profitieren dürfte.
Ja, insbesondere solche, die bezahlbar sind. Teure Unternehmenssoftware vom Schlage einer SAP, einer Peoplesoft, Oracle oder Siebel wird es schwerer haben als erschwinglichere Softwarepakete. Wir gehen nämlich davon aus, dass die IT-Etats der US-Unternehmen weiter gehörig unter Druck bleiben werden.

Für wie lange?
Mit Sicherheit noch für einen Gutteil dieses Jahres. Und wenn die Erholung einsetzt, wird sie langsamer erfolgen, als viele sich das erhoffen. Es besteht logischerweise ein ganz enger Zusammenhang zwischen den IT-Budgets der Fortune-500-Unternehmen und deren Gewinnen. Und wir stecken nun mal in einer Rezession, nicht erst seit dem 11. September.

Gibt es für Fondsmanager eigentlich irgendeine Möglichkeit, das Portfolio auf so dramatische Ereignisse wie die Terroranschläge in den USA vorzubereiten?
Oh, ich glaube, so etwas kann man nicht einplanen. Das ist jenseits jeder Vorstellungskraft. Worauf es allerdings ankommt, ist, sich möglichst rasch auf die neue Situation einzustellen.

Ist Ihnen das gelungen?
Sagen wir es mal so: Natürlich hat auch unser Fonds unter dem panikartigen Ausverkauf in der ersten Börsenwoche nach dem 11. September gelitten. Aber vielleicht haben wir die irrationalen Kursausschläge danach besser gespielt als andere.

Verraten Sie uns das Geheimnis Ihres Erfolges!
Zum einen ist da unser Analystenteam von rund 18 Mitarbeitern, eines der besten auf diesem Gebiet. Einer meiner Mitarbeiter etwa war der leitende Networking-Analyst bei Goldman Sachs, andere haben selbst Hightech-Unternehmen geführt. Und dann hilft es natürlich, vor Ort im Silicon Valley präsent zu sein.

Weil Sie hier Entwicklungen mitkriegen, die ein Fondsmanager in New York oder Boston nur ahnen kann?
Ganz genau. Wir beobachten hier im Valley sowohl börsenkotierte als auch private Unternehmen. Es ist faszinierend, wie viele Informationen dabei vor und zurück gespielt werden. Wenn uns etwa der Chef eines kleinen Software-Start-ups erzählt, dass er gerade im Begriff sei, die zwei besten Vertriebsleute eines grossen Konkurrenten abzuwerben, ist dieser Hinweis für uns Gold wert. Eine Menge meiner Kollegen hat nun mal keinen Zugang zu solchen Informationen.

Sie meinen das, was unter «Competitive Intelligence» zusammengefasst wird?
Ja, beachten Sie die Anzahl der Fahrzeuge auf den Firmenparkplätzen, lesen Sie die Stellenanzeigen in der lokalen Tageszeitung. Sprechen Sie mit dem Barkeeper an der Ecke, wie er die Entwicklung sieht und was er zuletzt so gehört hat. Wir bekommen auf diese Weise einfach die viel tieferen Einblicke als ein Fondsmanager von der Ostküste.

Recherche zur Happy Hour, das klingt gut. Gibt es nach dem Ausverkauf der letzten zwei Jahren nicht gleichwohl Momente, in denen Sie Technologieakten schlicht hassen?
Absolut nicht! Wir glauben immer noch, dass Technologie auf lange Sicht überproportional zum weltweiten Bruttosozialprodukt wächst. Hightech-Werte werden immer einen bedeutenden Anteil im Portfolio jedes Anlegers ausmachen müssen. Was uns allerdings ärgert, sind die verpassten Chancen, auch am Abschwung prächtig zu verdienen.

Sie können in Ihrem Fonds nicht Leerverkäufe tätigen?
Nein, das ist uns nicht erlaubt.

Können Sie vorübergehend wenigstens in andere Bereiche ausweichen, etwa in Öl-Titel oder Aktien im Gesundheitswesen?
Nur begrenzt, wir müssen über 65 Prozent in Technologie investiert sein. Würden wir plötzlich Pharmawerte kaufen, würden uns die Leute der Fondsratingagenturen Morningstar oder Standard & Poor’s gleich aufs Dach steigen und sagen: Ihr seid ja kein reiner Technologiefonds mehr – und uns zurückstufen.

Das heisst, Ihre Möglichkeiten zur Absicherung sind eher beschränkt?
Das kann man so sagen. Aus diesem Grund haben wir im Juni vergangenen Jahres auch einen Hedgefund ins Leben gerufen, den Seligman Long/Short Technology Strategy Fund. Seit Januar ist dieser Fonds auch für externe Investoren offen. Die Mindesteinlage liegt bei einer Million Dollar.

Und Sie sind davon überzeugt, an der Nasdaq sei noch Luft nach unten?
In einigen Bereichen sicher, mancher Hightech-Wert ist gerade nach den jüngsten Kurssprüngen wieder heillos überbewertet. Wenn es im Übrigen einen Sektor in der Industrie gibt, der sich für ein Long/Short-Produkt eignet, auch unabhängig von der jeweiligen konjunkturellen Lage, ist das der Technologiebereich. Weil hier regiert, was Joseph Schumpeter den «Prozess der schöpferischen Zerstörung» nannte: Ständig brechen zumeist aus dem privaten Sektor neue Technologien und Ideen hervor und fegen die alten Verfahren und Denkmuster hinweg. Wer diese Zyklen erkennt und klug und flexibel Long-Positionen und Leerverkäufe miteinander kombiniert, kann für seine Investoren eine Menge Geld verdienen.

Sie klingen ja, als hielten Sie Hedgefunds für grundsätzlich geeigneter als «normale» Technologiefonds, die Dynamik in diesem Geschäft abzubilden.
In Phasen wie diesen vielleicht. Wir waren ja immer sehr skeptisch, was etwa die Internet-Spekulationsblase angeht. Und wenn Sie da mit hinter dem Rücken gebundenen Händen tatenlos zusehen müssen, wie Dinge kollabieren, von denen Sie genau wussten, dass sie früher oder später zusammenbrechen, ist das schon sehr frustrierend.

Warum haben Sie dann nicht früher einen Hedgefund ins Leben gerufen?
J.&W. Seligman & Co. ist ein seit über 136 Jahren tätiges Investmenthaus. Aus dieser Tradition heraus ergibt sich ein gewisser Konservatismus. Ausserdem will so etwas ja lange gründlich vorbereitet sein. Wir haben jetzt über anderthalb Jahre an diesem Produkt gefeilt und in dieser Zeit bewiesen, dass wir das können. In meinem persönlichen Portfolio gehe ich ohnehin schon seit vielen Jahren überaus erfolgreich Short-Positionen ein.

Warum schaffen es 80 Prozent Ihrer Kollegen nicht, über eine längere Zeit den S&P-500-Index zu schlagen?
Da gibt es eine Reihe von Gründen. Am bedenklichsten scheint mir, dass Fondsmanager heute zu zögerlich sind, grosse Cash-Positionen aufzubauen.

Was hindert sie daran?
Wenn ein Investor heute einen Fonds kauft, ist seine Entscheidung über den individuellen Anlageinstrumente- und Währungsmix längst gefallen, entweder durch ihn selbst oder durch seinen Finanzberater. Ein Technologiefonds etwa wird nur als Portfoliobeimischung gekauft – und soll dementsprechend, bitte schön, zu 100 Prozent in Hightech-Aktien investiert sein.

Das Risikomanagement findet nicht mehr auf Ebene des Fondsmanagers statt?
Nein, viele Manager werden von ihrer Aufsicht gezwungen, ständig voll investiert zu sein. Schuld daran ist in gewisser Weise Jeff Vinik, der ehemalige Manager des Fidelity Magellan Fund. Er hatte Anfang 1996 eine grosse Cash-Position aufgebaut – leider bloss neun Monate zu früh. Vinik wurde gefeuert. Als sich später herausstellte, dass er Recht gehabt hatte, war er schon vergessen.

Das grösste Problem der Branche scheinen uns eher zu umtriebige Marketingabteilungen zu sein. Besorgt Sie die Inflation von Fonds nicht auch?
Natürlich führt der verschärfte Kampf um Marktanteile zu Exzessen. Viele Investmentbanken sagen: «Hey, Janus kommt mit einem neuen E-Business-Fonds raus, lass uns schnell ein Konkurrenzprodukt auf den Markt werfen.» Die Firmen kopieren eben, was andere tun, ob das nun Sinn macht oder nicht.

Und am Ende sehen die Technologiefonds alle gleich aus.
Ja, das ist ein riesiges Problem. Verfolgt ein Fondsmanager eine markant eigene Strategie und schneidet er eine Zeit lang unterdurchschnittlich ab, gerät er schnell unter Druck. Viele Manager vermeiden deshalb alles, was sie von der Mehrheit unterscheiden könnte. Die ständige Fixierung auf den Index, die wir im Übrigen John Bogle von Vanguard zu verdanken haben, nimmt den Managern jeden Mut, ihrer eigenen Anlagephilosophie zu folgen.

Aber irgendwelche Messlatten muss sich die Branche doch geben.
Das ist schon richtig, aber das ständige Schielen der Anleger auf Ratings und kurzfristige Performance verdirbt im Grunde jeden längerfristigen Anlagehorizont. Der Löwenanteil der Anlegergelder fliesst in die vier oder fünf Fonds, die von Morningstar, Standard & Poor’s oder Moody’s gerade am höchsten bewertet werden.

Was ist daran falsch?
Zum einen sind die Ratingsysteme meiner Ansicht nach nicht besonders gut. Zum anderen haben sie natürlich immer eine rückblickende Perspektive, nicht eine in die Zukunft gerichtete. Und wenn ein Fondsmanager aus der zweiten Reihe zufälligerweise mal ein gutes Jahr hat, fangen die Probleme erst an.

Inwiefern?
Plötzlich wird der Fonds mit Geld überschwemmt, und der Manager ist überfordert. Es gibt nämlich Menschen, die mit 100 Millionen Dollar hervorragend umgehen können, aber bei einer Milliarde Dollar zu lausigen Vermögensverwaltern werden.
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