BILANZ: Herr Isler, Ende Jahr treten Sie als Verleger der «Finanz und Wirtschaft» zurück. 28 Jahre waren Sie bei der Börsenzeitung dabei. Eine lange Zeit, beträgt die Halbwertszeit eines CEO doch noch bescheidene zwei Jahre. Wie haben Sie es geschafft, ganze Generationen von Managern zu überleben?
Gerhart Isler: Ich habe in der Tat viele Manager überlebt. Dieser Vergleich ist jedoch insofern etwas unfair, als meine Voraussetzungen dafür gut waren. Wir sind ein Kleinbetrieb mit 130 Leuten und waren immer selbstständig. Wir konnten unternehmerische Entscheidungen selber treffen, ohne zahlreiche Gremien befragen zu müssen, wie das sonst der Fall ist.
Die Topmanager, über die in Ihrem Blatt geschrieben wurde, beneiden Sie nicht?
Die heutige Managergeneration beneide ich nicht. Es wird alles hinterfragt und zu Tode geredet. Bauchentscheide sind völlig ausser Mode gekommen. Ich hätte gerne einmal einen Leitartikel geschrieben zum Thema «Wo bleibt der Bauch?». Zu viele Konzernchefs entscheiden nichts mehr ohne teure Berater.
Das wäre ein interessanter Abschiedsartikel, wenn Sie Ende Jahr zurücktreten.
Ich bin mir da nicht so sicher. Bestimmt schreibe ich kein Buch, wenn ich aufhöre. Roger Schawinski oder Ruth Metzler haben doch als Buchautoren peinliche Vorstellungen gegeben – billige Abrechnungen sind das.
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Ist das mit ein Grund zum Loslassen?
Ich denke schon. Ich passe einfach nicht mehr in diese Zeit, in der man angeblich für nichts mehr Zeit hat. Alles ist heute «instant»: Verhältnismässigkeit und gesunder Menschenverstand sind völlig ausser Mode. Qualität ist zu einem Fremdwort verkommen. Und ohne Natel, so könnte man meinen, müsste die Welt stillstehen. Gescheiter wäre, man würde sich wieder besser organisieren – und sich auch nicht so wichtig nehmen. Man muss nicht ständig erreichbar sein. Man muss auch Zeit zum Abschalten haben, um die Batterien wieder zu füllen. An die traditionellen Feste, die wir vom Verlag aus veranstalten, kommt heute auch eine junge Managergilde, die vor lauter Correctness und Governance nicht mehr richtig zum Festen aufgelegt ist und sich kaum Zeit nimmt, sie selbst zu sein.
In der Tat sind die Feste Ihres Verlags legendär. Sie publizieren eine staubtrockene Zeitung und sind lustige Festbrüder. Wie geht das zusammen?
Natürlich geht das zusammen. Von morgens bis abends erledigen wir hier einen professionellen Job. Und nach der Arbeit haben wir genauso viel Spass am professionellen Festen. Da lernt man Menschen kennen.
Offenbar ist das Ihr Erfolgsgeheimnis. Die Zeitung wie die Feste haben sich über die Jahre ja kaum verändert.
Ich muss schmunzeln, wenn ich höre, dass eine Zeitung wieder ein Redesign ankündigt. Das ist immer ein Zeichen, dass etwas nicht mehr rund läuft. Als 1977 die BILANZ auf den Markt kam, war das ein ernst zu nehmender Konkurrent. Andreas Z’Graggen, der erste Chef, hat einen verdammt guten Job gemacht und mit dem Blatt etwas bewegt. Da dachten wir schon: Läck, jetzt isch nümme guet.
Einige Jahre später kam «Cash» hinzu.
Richtig. Da hielten wir eine Krisensitzung ab und glaubten, jetzt schiesse Ringier mit der grossen Kanone auf uns. Damals haben Peter Schuppli, der stellvertretende Chefredaktor, und ich gesagt, wir müssten uns anpassen und «cashig» werden. Chefredaktor Peter Bohnenblust dagegen stellte sich gegen unsere Pläne und entgegnete, so etwas geschehe nur über seine Leiche. Wir verdanken ihm, dass wir blieben, was wir sind.
Das gilt vielleicht für die FuW. Aber ausserhalb Ihrer Zeitung hat sich der Medienbetrieb total gewandelt.
Stimmt. Da wird viel Blödsinn verbreitet, der keinen Menschen interessiert. Schauen Sie sich die «Tagesschau» an, oder hören Sie Nachrichten am Radio. Der Gehalt der Informationssendungen tendiert gegen null. Vor kurzem sendeten sie in den Nachrichten auf DRS 1 immer wieder die Meldung, in Moldawien sei für zwei Stunden der Strom ausgefallen. Das muss ich nun wirklich nicht wissen.
Auch wir Wirtschaftsjournalisten verbreiten oft Meldungen, die niemanden interessieren.
Sicher sind wir Finanzjournalisten auch für einigen Nonsens verantwortlich, hat doch der Sensationsjournalismus leider auch in einigen Wirtschaftsgazetten Einzug gehalten. Wir haben zum Beispiel mit dazu beigetragen, die Unternehmen zur Veröffentlichung von Vierteljahresbilanzen zu drängen. Diese Kurzatmigkeit ist der grösste Irrsinn. Gebt diesen Managern doch Zeit, ihre Unternehmen auf Vordermann zu bringen. Heute bekommt keiner mehr ausreichend Zeit eingeräumt. Wenn wir etwas Neues machen, muss es sofort Gewinn abwerfen. Wir dürfen keine Fehler mehr machen.
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Vielleicht sind viele Manager ihrem Job einfach nicht gewachsen.
Das ist kein Wunder, denn die kommen heute ja alle aus derselben Schule. Wir haben zu viele Teflon-Manager, Typen ohne Ecken und Kanten. Die meisten haben nur noch Angst, einen Fehler zu machen.
Insofern ist die FuW das perfekte Antiprogramm zum grassierenden Hyperaktivismus. Wieso haben Sie das Blatt verkauft?
Bei aller Hochachtung vor unserer Leistung: Wir sind nur eine Zweit- und keine Tageszeitung. Letzteres hätte ich immer gern gemacht, erst dann ist man ein richtiger Verleger. Wir waren nie ein Faktor in der internationalen Medienbranche, bewegen uns aber auf einem Level, der für einen kleinen Verlag kaum mehr zu toppen ist. Hinzu kommt: Unsere leitende Crew – Bohnenblust, Schuppli und ich – sind alle drei Mitte Fünfzig und seit über einem Vierteljahrhundert im Verlag. Für unsere kleine FuW-Welt haben wir das Maximum erreicht.
Und dann kam Tamedia und hat einen tollen Preis offeriert?
Wer nur auf das Geld schaut, setzt die Prioritäten falsch – Gier ist schlecht. Ich habe im Jahr 2000, als alle Welt heiss war auf Aktien, keinen Franken an den Börsen investiert. Deshalb hab ich mein Geld noch. Und wenn mir das Geld nicht reicht bis ans Lebensende, bin ich ein Trottel.
Und wie gut ist der Preis?
Wir haben zu einem Preis verkauft, der knapp zweimal unserem damaligen Umsatz entspricht, und das war für beide Seiten fair. Aber das ist nicht der Punkt. Ich habe mir gesagt, ich will nicht sterben und ein Leben lang nur diese Zeitung gemacht haben. Wir haben ohne Druck verkauft.
Das klingt so, als sei Ihnen an Ihrem Baby etwas die Lust abhanden gekommen.
Man kann das auch anders sagen: Vieles ist etabliert hier. Schauen Sie sich in diesem Büro um, hier ist alles schön, sauber, einfach picobello. Das Unternehmen ist schuldenfrei, den Leuten geht es gut. Es gibt so viel Schönes im Leben, das ich noch kennen lernen will. Wieso also diese berufliche Monogamie?
Jetzt haben Sie respektive Ihre Zeitung 28 Jahre lang über Wirtschaft geschrieben mit all ihren Facetten. Doch Sie selbst haben das eigene Nachfolgeproblem nicht gelöst. Man hätte ja versuchen können, den Verlag selbstständig zu erhalten.
Eine heikle Frage, denn sie tangiert Persönliches. Nur so viel: Meine Nachfolge konnte ich nicht lösen. Ich habe zwei erwachsene Töchter aus erster Ehe, die zeigten kein Interesse. An Weihnachten 1998 kam dann Peter Bohnenblust zu mir und meinte: «Hast du dir überlegt, was passiert, wenn du morgen tot vom Töff fällst?» Eine berechtigte Frage, schliesslich gehörten mir seit dem Tod meiner Mutter 70 Prozent des Verlags. Der Rest befand sich seit Jahren als stille Beteiligung in den Händen der Tamedia.
Jetzt geht der Verleger, die journalistischen Chefs bleiben, und eine jahrelang erfolgreiche Führungscrew wird ohne ökonomische Not auseinander gerissen.
Wir pflegen ein Management der kurzen Entscheidungswege. Wir sind auch ein eingeschworenes Team. Die Kehrseite ist, dass bei uns junge Journalisten nie eine Chance bekamen, in die Geschäftsleitung hineinzuwachsen. Wir haben dadurch immer wieder sehr gute Leute verloren. Ein Jürg Wildberger war bei uns, ein Markus Gisler wollte zurückkommen und Chefredaktor werden. Ich musste ihm sagen, tut mir Leid, aber wir haben den besten Chef für unsere Zeitung.
Peter Bohnenblust, der Denker.
Jawohl, er ist der Denker, und Peter Schuppli ist der Journalist …
… und der Verleger ist der Macher, der am Schluss verkauft. Warum haben Sie eigentlich nicht an Ihre beiden langjährigen Mitstreiter verkauft?
Hätte ich alles an Bohnenblust und Schupp- li verkauft, hätten die sich massiv verschulden müssen. Bei aller Freundschaft, aber einen gewissen Preis wollte ich schon erzielen. Doch das liess sich auf diese Art nicht bewerkstelligen. So suchten wir einen Partner, der unseren Wunsch nach Selbstständigkeit respektiert. Anfänglich war mein Traumpartner die NZZ, denn der «Tages-Anzeiger» hatte ja auf Grund seiner Beteiligung nur ein Vorkaufsrecht.
Die NZZ wäre ja ein logischer Partner gewesen.
NZZ-Chef Hugo Bütler hat auch interessante Angebote gemacht. Wir haben uns prima unterhalten, und er hatte klare Vorstellungen, wie es mit der FuW weitergehen sollte. Es waren Überlegungen in Richtung einer stärkeren Integration in den NZZ-Konzern. Ich wollte das nicht. Deshalb fiel die NZZ aus dem Rennen.
So blieb nur der «Tagi»?
Wo denken Sie hin! Dann kamen die Welschen, rund um «Le Temps»: Bénédict Hentsch und David de Pury. Letzterer übrigens eine ganz fantastische und brillante Persönlichkeit, die viel zu früh verstorben ist. Da waren wir schon sehr weit mit den Verhandlungen. Danach führte ich auch Verhandlungen mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung».
Da wären Sie in guter Gesellschaft gewesen mit Ralph Büchi, der seine «HandelsZeitung» ja dem deutschen Springer-Konzern verkauft hat.
Ich hatte einige Sitzungen am Flughafen Kloten mit dem FAZ-Herausgeber Jürgen Jeske, den ich seit vielen Jahren kenne und schätze. Die hätten auch gut bezahlt. Aber ich wollte im Gegensatz zu Büchi meine Zeitung nicht in deutsche Hände geben.
Also blieb doch nur der «Tagi».
Dann kamen konkrete Gespräche mit Michel Favre, dem damaligen «Tagi»-Chef. Ich habe ihm gesagt, du kannst die FuW haben unter der Voraussetzung, dass wir völlig selbstständig bleiben. Das haben wir aufgeschrieben, und sie haben sich bis zum heutigen Tag daran gehalten. Hätten wir den Verkauf nicht publik gemacht, hätte das nie jemand gemerkt.
Per Anfang 2005 wird Tamedia-CEO Martin Kall VR-Präsident in Ihrem Verlag. Ist dann Schluss mit der grossen Unabhängigkeit?
Die Chancen stehen gut, dass es so bleibt, wie es heute ist. Wir hatten früher vertraglich festgelegt, dass wir vierzig Prozent unseres Gewinns als Dividende abführen, mehr nicht. Das habe ich so festgeschrieben, damit die Muttergesellschaft uns nicht ausbluten kann. Wir sind eine funktionierende Einheit und völlig autonom. Wir haben selbst letztes Jahr eine gute Rendite erwirtschaftet. Auch im schwierigen laufenden Jahr schreiben wir jeden Monat Gewinn.
Aber eigentlich passt Ihre Zeitung nicht zum Tamedia-Konzern und zu dessen Titeln.
Ich bin wirklich kein Hardcore-Fan des «Tagi». Der Konzern ist mir in der unternehmerischen Ausrichtung zu inkonstant. Aber sie haben unsere Selbstständigkeit garantiert und ihr Wort bis heute gehalten. Und Tamedia ist ein Grossverlag, der über keinen Wirtschaftstitel verfügt. Insofern passt es vielleicht doch.
Haben Sie eine gewisse moralische Verpflichtung gespürt gegenüber Hans Heinrich Coninx?
Vielleicht. Die Verbindung zum Tamedia-Verleger geht ja noch auf meinen Vater zurück, der als Auslandschweizer 1961 die FuW kaufen konnte. Als er von den Banken Kredite brauchte und keine bekam, hat Coninx ihm Geld geliehen. Dafür bekam er zehn Prozent am Aktienkapital. Ich habe dann Anfang der Neunzigerjahre Rico Hächler, damals CEO beim «Tagi», weitere 20 Prozent verkauft. Weil ich endlich einmal Geld sehen wollte. Wir haben damals ja wenig verdient.
Wieso brauchten Sie damals so dringend Bares?
Ich konnte eine Liegenschaft kaufen, in der wir heute wohnen – ein Traum für uns. Meine Frau und ich hätten uns dieses Objekt mit unseren Löhnen sonst nie leisten können.
Und Ihre Redaktoren? Dürfen die mit Börsengeschäften ihren Lohn aufpeppen?
Ich will doch, gopfertoori, dass unsere Leute, die über die Börse schreiben, wissen, wie der Handel funktioniert. Ein Metzger, der nie selbst ein Kalb geschlachtet hat, ist doch kein Metzger.
Handelt der Journalist also mit Aktien, über die er schreibt?
Das darf er nicht! Wenn das auskommt, fliegt er raus. Fristlos. Das weiss jeder hier.
Welcher Manager beeindruckte Sie in den 28 Jahren am meisten?
Ganz klar Nikolaus Senn. Der Präsident der damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft war eine starke Persönlichkeit. Wir sind da als junge Journalisten in den Pressekonferenzen gesessen, dann kam Senn rein. Innerlich ist man aufgestanden und ging in Achtungsstellung. Senn war eine Figur, die heute als Manager wohl auch nicht mehr ginge. Wie andere auch aus seiner Zeit.
Und in der Politik? Sind Sie mit den Neuen im Bundesrat zufrieden?
Markante Politiker? Da kommt mir nur Christoph Blocher in den Sinn und dann lange keiner mehr. Auch hier gilt: Typen mit Profil gibt es kaum mehr. Ronald Reagan war so einer. Oder Adolf Ogi. Kaum war der weg, merkte man: Da fehlt einer.
Politisch hat sich Ihr Blatt aber nie exponiert.
In politischen Fragen haben wir eine klare Linie. Wir sind ein Kapitalmarktblatt, vergessen Sie das nicht. Wir haben immer gegen ordnungspolitische Sündenfälle gekämpft, beispielsweise, als der Staat bei der Swissair intervenierte. Das wurde umso wichtiger, als die NZZ vor lauter FDP-Treue ordnungspolitisch wankelmütig wurde.
Sind die überrissenen Managersaläre auch ein Thema für Sie?
Diese Problematik haben wir in der Zeitung ebenfalls angekreidet. Überzogene Saläre sind nicht in Ordnung. Ich gebe aber Peter Bohnenblust Recht, wenn er fragt: Wo ist denn die Grenze? Zwei Millionen? Zwanzig?
Also: Wo ist die Grenze?
Das ist wie beim Sport. Da wird gemotzt, dass der Formel-1-Pilot Michael Schumacher 40 Millionen einstreicht. Aber fahre einmal so schnell im Kreis herum wie der, dann bekommst du das auch. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Der Markt korrigiert das schon. Nur müssen wir den Markt spielen lassen. Das geht in der Schweiz nicht mehr. Wir sind völlig überreguliert, und vor lauter Konkordanz haben wir den Blick fürs Wichtige verloren.
Wenn Sie jetzt aussteigen, kehren Sie der Wirtschaftswelt den Rücken?
Ich werde auch Dinge tun, die mit der Wirtschaft nichts zu tun haben. Und dann habe ich Anfragen von Unternehmen betreffend VR-Mandaten. Allerdings will ich nicht mehr als zwei, höchstens drei Mandate.
Haben Sie bereits Anfragen bekommen?
Ich habe einige Anfragen erhalten. Ende Jahr werde ich darüber mehr sagen können.
Was könnten Sie in Verwaltungsräte einbringen?
Hoffentlich etwas gesunden Menschenverstand.