BILANZ: Sie beraten Firmen, sitzen in den Verwaltungsräten von Ciba, Georg Fischer und Bâloise. Meist sind Sie die einzige Frau im Gremium. Weshalb?

Gertrud Höhler: Der Frauenanteil an den betriebswirtschaftlichen Fakultäten und bei den Juristen beträgt ein Drittel. Gleichwohl ist der Anteil der Kaderfrauen überaus bescheiden, in den Geschäftsleitungen von Schweizer Unternehmen liegt er bei drei Prozent. Offenkundig schaffen gut ausgebildete Frauen nicht im gleichen Verhältnis eine erfolgreiche Karriere wie die Männer. Derweil schaffen es Nicht-Ausnahme-Männer auf sehr gute Plätze.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Das ist nicht effizient. Sind die Männer schuld daran, dass die weibliche Konkurrenz nicht reüssiert?

Nein. Es ist ein Klischee, dass Männer den Frauen die Tür zur Karriere zuhalten. Die Türen in die Chefetagen stehen den Frauen heute weit offen.

Dann sind die Frauen schuld an ihrer Stagnation?

Richtig. Die meisten Frauen wollen nicht entschieden genug nach oben. Sie glauben, erfolgreiche Karrieren seien mit riesigen Verlusten verbunden.

Nicht mit Gewinnen, etwa beim Einkommen, beim Prestige?

Karrieren kosten die Frauen Attraktivität beim anderen Geschlecht. Ein Mann will nicht unbedingt eine erfolgreiche Durchsteigerin an seiner Seite. Im Gegensatz dazu wird der Mann durch Karriere und Macht attraktiver.

Erfolgreiche Frauen sind unattraktiv?

Die meisten Frauen haben das Bedürfnis, attraktiv für die Männer zu sein. Bei sehr erfolgreichen Frauen sehen wir, dass sich um sie eine Distanz aufbaut. Für Männer ist eine Powerfrau etwas, das sie allenfalls bewundern – wenn sie grosszügig sind. Aber sie wollen privat nicht unbedingt eine Karrierefrau um sich.

Sondern ein Heimchen am Herd – Ihr Ernst?

Jedenfalls keine Alphafrau. Ein Topmanager ist überokkupiert, darum hat er meist eine Frau, die mitläuft. Ein erfolgreicher Mann ist oft mit einem Riesenego unterwegs, eine Frau mit starkem Ego und erfolgreicher Karriere neben sich würde ihn verunsichern. Auch weil seine Partnerin nicht unbedingt das liefert, was er braucht: Ablenkung, Rückzugsmöglichkeit, Erholung. Es gibt nur wenige Männer, die als anschmiegsamer Prinzgemahl mit einer sehr starken Frau leben.

Wie soll eine Frau nach oben kommen, wenn sie sich vor Verlusten fürchtet?

Frauen sind in einer Firma darauf angewiesen, abgeholt und gefördert zu werden. Ein Mann, der nach oben will, sagt sich: Viel Feind, viel Ehr.

Carly Fiorina, ehemalige Chefin von Hewlett-Packard (HP), oder Expremierministerin Margaret Thatcher sind nicht von Männern geführt worden, sondern haben sich durchgesetzt.

Ausnahmen. Auch Condoleezza Rice. Die Frau tritt mit fast surrealer Ruhe auf. Sie sagt nach Meetings: «Wir haben uns auf dies und jenes geeinigt.» Sie bietet Festigkeit und Verbindlichkeit. Einem Rumsfeld oder einem Cheney würde man erst einmal Hinterhältigkeit unterstellen.

Wie brachte Fiorina die Leute hinter sich?

Die Frau bot eine Mischung aus Anpassung und Dominanz, wie sie für Männer ganz schwierig ist. Sie sagte bei ihrer Wahl 1999 öffentlich, sie kenne die Produkte von HP nicht en détail, doch dafür gebe es intern Tausende Spezialisten. Sie sei primär für Visionen und Strategien zuständig. Sie machte also keinen machomässigen Auftritt im Sinn von «Ich weiss, wo es langgeht», sie argumentiert subtil mit einem «Zwar, aber». Das weckt Vertrauen.

Nicht simpel eine gelungene PR-Strategie – auf leisen Sohlen durch die Cheftüre?

Fiorina trat überhaupt nicht leise an, und sie kämpfte mit harten Bandagen. Sie hat sich im Verwaltungsrat nicht deshalb gegen Männer durchgesetzt, weil die Firma unbedingt eine Frau wollte, sondern weil der Verwaltungsrat auf diese Mischung positiv reagierte.

Und wo sind die Schwestern von Carly Fiorina oder Condoleezza Rice?

Hier beginnt das Pensum der Frauen. Tolle Noten aus der Schule oder der Universität sind das eine. Eine Karriere in der Privatwirtschaft folgt anderen Gesetzen. David Goleman hat in 30-jähriger Arbeit erforscht, dass es Topleute schon in der Schule verstanden, ihre Kameraden zu begeistern – nicht weil sie eine Sechs in Englisch oder Deutsch hatten. Sondern wegen ihrer Ausstrahlung. Diese Qualität macht einen erfolgreichen Lebenslauf aus.

Qualitäten, die Frauen weniger haben?

Zumindest weniger ausgeprägt als Männer. Wenn eine Frau einen Raum betritt, spürt man oft den leisen Vorbehalt: Mögen mich die Leute? Dominanz auszustrahlen, ist ein Problem für Frauen, aber nicht weil sie es nicht könnten, sondern weil sich die Frau nicht so viel davon verspricht. Dazu verspürt sie oft einen geheimen Abholwunsch: Wenn die Leute mich mögen, dann werde ich zeigen, was ich kann. Das war kulturgeschichtlich ein Erfolgsmuster der Frauen.

Ein Erfolgsmuster? Nicht eher falsche Bescheidenheit?

In der Sozialgeschichte ging es überwiegend darum, dass Frauen Plätze erreichten, die gut dotiert waren im Sinne von Sicherheit, Freiheit, Wohlstand. Im Mittelalter war es der Traum, an der Seite des Grossgrundbesitzers ein Leben zu führen. Ich sage oft zu Frauen: Du musst dir früh überlegen, ob du einen Topmanager heiraten oder ob du seinen Platz an der Spitze der Firma einnehmen willst.

Also sollten Frauen möglichst schnell ihr tradiertes Erfolgsmuster aufgeben?

Wenn sie nach oben wollen, ja. Fatal ist, dass das Erfolgsmuster «Zurückhaltung signalisieren» dem Mann sehr entgegenkommt, weil er sich als bewunderter Macher fühlen darf. Das heisst, mit ihrem Konzept wertet die Frau den Mann auch noch auf. Sie gibt sich damit hilfloser, als sie in Wirklichkeit ist. Und sie spürt: Ich werde belohnt, wenn ich dem Mann helfe, dass seine Grösse strahlt.

Und die Männer fallen darauf herein?

Sie spielen mit, weil sie davon profitieren. Gleichzeitig rächt sich die Frau, wenn man auf ihre Unterwerfungsgesten nicht eingeht. Ich nenne ihre List «Opferpower». Sie gibt sich unterlegen und klagt zugleich über männliche Dominanz. Die Frauen üben auf eine raffinierte Weise Macht aus. Nur behindern sie mit ihren Tricks ihre eigene Karriere.

Raten Sie Frauen zu mehr Aggressivität und Ego?

Nicht nur, auch zu strategischem Denken. Frauen in Firmen sind viel mehr als Männer damit beschäftigt, über jene Leute zu reden, die sie in ihrer Tätigkeit angeblich behindern. Die Männer führen strategische Gespräche: Welche Machtkämpfe gibt es in der Firma, wer wurde wann Prokurist, und wie kann ich ihn überholen? Er nimmt es als ein Feldherrenspiel, das er gewinnen will. Die Frau dagegen beklagt sich darüber, wer sie wieder benachteiligt. Die Frau sagt nicht: Hier bin ich besser, diesen Job will ich. Sie sagt sich: Wo bin ich unterlegen, und welcher Vorgesetzte ist schuld daran? Wer sein Leben danach ausrichtet, dass man nie eine faire Chance kriegt, wird nichts erreichen.

Dann wären erfolgreiche Frauen sozusagen Betriebsunfälle?

Frauen werden Fairness und Respekt der Männer erst erfahren, wenn sie mit dieser Selbstbemitleidung aufhören und den Konkurrenzkampf annehmen. Seien wir ehrlich, es gibt viele Manager, die an ihrem Platz überfordert sind. Doch ständig darüber zu lästern, hilft nichts. Die Fixierung der Frauen aufs Verlieren ist kein Erfolgsmodell. In der Politik nahm man dieses Konzept auf und fordert Quoten und Frauenbeauftragte, Leute also, die sich um die Loser-Mentalität der Frauen kümmern. Das ist kontraproduktiv.

Es geht um Frauenförderung.

Eine Siegerin wird nicht mit Quoten gemacht. Eine Siegerin setzt sich durch, sie lässt alle hinter sich und bringt alle hinter sich. Bloss, solche Sätze hört man von Frauen kaum. Und wenn ich auf Podien mehr weibliche Dominanz fordere, sind zuerst einmal die Frauen verärgert.

Die Frauenbewegung argumentiert: Dass Frauen es nicht nach oben schaffen, ist die Folge der patriarchalen Strukturen und von eingespielten Old-Boys-Netzwerken. Da sind Frauen benachteiligt.

Keineswegs. Netzwerke fesseln auch. Männer fällen Fehlentscheidungen, weil keiner aus dem Rudel ausbricht. Frauen sind freier, und Männer schätzen das.

Was raten Sie?

Verliererfantasien und Selbstzweifel vergiften das Gehirn. Eine Frau muss ein Sitzungszimmer betreten mit der Absicht: Die hol ich mir, die begeistere ich. Was mich fesselt, soll auch sie fesseln. Es ist dieses Sich-die-Leute-Holen, das Sieger macht, nicht dieses Abwarten, ob man gemocht wird. Den Frauen stehen da ihre Ernsthaftigkeit und ihre Zurückhaltung im Weg. Wer glaubt, man würde sie eines Tages schon noch entdecken und promovieren, braucht sich nicht zu wundern, wenn dann der männliche Wettbewerber vorbeizieht. Nein, wir müssen dafür sorgen, dass uns auch die Männer gut finden.

Was tun Sie, wenn in Ihnen Zweifel aufsteigen?

Man geht erst einmal nicht auf Gebiete, wo man verliert. Das setzt voraus, dass man perfekt vorbereitet ist, alle Fragen durchgearbeitet hat, die Dossiers kennt. Ich selber habe viele Jahre damit verbracht, mich auszustatten mit Wissen, mit methodischem Können, mit Disziplin. Nach dem Abitur wusste ich, dass ich nicht immer nur das machen kann, wozu ich Lust hatte, sondern dass ich mich disziplinieren muss. Dann habe ich Germanistik und Kunstgeschichte studiert, habilitiert und eine Professur übernommen. Das ging nur, weil ich mir mehr abverlangte, als die Systeme von uns fordern. Viele Frauen sind nicht anspruchsvoll genug mit sich. Die sagen lieber: So bin ich halt – magst du mich nicht, wie ich bin? Das heisst, die Frau dreht die Beweislage um. Nicht ich bin das Problem, sondern die andern sind es. Das empfinden Männer als unfair.

Vor allem ist das nicht karrierefördernd.

Frauen halten mit dieser Haltung aus Sicht der Männer die Spielregeln nicht ein. So wird die Frau zum Unsicherheitsfaktor für sie. Wir wissen, dass Männer deshalb ungern mit Frauen konkurrieren, weil Frauen unberechenbarere Rivalen sind als andere Männer. Der Mann ist für den Mann ein Wesen, das in den Grundstrukturen ähnlich angelegt ist wie er. Damit kann er umgehen. Wenn eine Frau konkurriert, werden Intrigen gesponnen und Tricks ausgespielt. Die Amerikaner reagieren darauf sehr empfindlich.

Inwiefern?

Da gibt es zum Teil rigide Reaktionen in Firmen. Wenn eine Managerin wegen einer strittigen Frage in Tränen ausbricht, fliegt sie raus. Weil dies als unfaire Attacke wahrgenommen wird. Das Verführerische ist, dass diese Muster privat funktionieren. Die beleidigte Gattin auf dem Sofa ist sehr erfolgreich. Doch sie begreift nicht, dass die private Welt eine Gegenwelt zur öffentlichen ist. Gerade junge, intelligente Frauen, welche die Kraft hätten zu dominieren, machen heimlich eine Rechnung – mit verheerendem Ergebnis.

Wie lautet diese Rechnung?

Was verliere ich, wenn ich in der Firma gewinne? Der Mann macht diese Rechnung nicht. Er will reüssieren. Basta. Dann setzt er alles auf eine Karte. Die Frau aber wiegelt ab: Moment mal, ich hab da noch ein paar andere Pläne. Und fragt: Das alles soll ich aufgeben, um bis ganz nach oben durchzustarten? Meistens lautet die Antwort: Nein, danke.

Was raten Sie?

Sich nicht auch noch zu beklagen. Oder eben strategisch zu denken, zielorientiert zu handeln. Öffentliches und Privates nicht zu verwechseln. Frauen tragen ein Unbehagen gegenüber bedingungslosen Karriereambitionen in sich. Das wird zwar nicht explizit ausgesprochen, es werden andere Argumente vorgeschoben – der Wunsch nach Freiraum, nach Kindern, breites Interesse, Freizeit. Der Mann, der nach oben will, schminkt sich Freizeit und Freiräume ab. Er hat das Konzept, das Verpasste dann nachzuholen, wenn er oben ist. Dann organisiert er Festspiele in Salzburg, sponsert eine Oper, geht mit Geschäftspartnern hochseesegeln.

Sie meinen, es fehlt den Frauen an strategischem Denken?

Und an Selbstpromotion. Damit Fähigkeiten und Ambitionen erkannt werden, muss man sich präsentieren und vermarkten. Und Risiken eingehen. Die Frauen aber wollen alle Risiken des Fehlschlags meiden, indem sie gar nicht erst ambitioniert und dominant auftreten. Das wird in den Schulen oder in den Firmen auch gar nicht geübt. Nur können wir uns nicht beklagen, die Männer oder die Gesellschaft hindere Frauen am Aufstieg.

In Ihren Büchern argumentieren Sie auch mit der unterschiedlichen hormonellen Disposition von Mann und Frau.

Wir wissen aus der Hormonforschung, dass Männer mit höherem Antriebsniveau unterwegs sind. Durch die Hormone ist der Mann zu einer stärkeren Zielorientierung programmiert. Adrenalin und Testosteron machen ihn kampfentschlossen, unnachgiebig. Banal gesagt: Wenn er seinen Kampftrieb nicht ausleben und gewinnen kann, machen auch die Ferien in der Karibik keinen Spass. Die Frau dagegen produziert im Krisenmanagement das Hormon Oxytocin, das eher Friedfertigkeit und Entspannung fördert.

Der Mann als testosterongetriebenes Wesen – kein Klischee?

Der Mann ist der erfolgsorientierte Vereinfacher, wie die Hormonforscher sagen. Er reduziert ein Problem so lange, bis er es greifen und lösen kann. Die Frau steht daneben und sagt: Aber du hast ja die wichtigsten Elemente herausgestrichen. Frauen haben oft Schwierigkeiten, die Vielfalt der Realität zu reduzieren, weil sie nicht wissen, was sie wegstreichen sollen. Der Mann hat damit keine Probleme. Er kultiviert seinen Tunnelblick. Auf der andern Seite kann eine Frau liefern, was der Mann nicht liefert, Chaosmanagement, Panoramablick, soziale Neugier.

Frauen argumentieren mit strukturellen Nachteilen, mit mangelnden Betreuungsplätzen für Kinder etwa.

Zu 80 Prozent ein vorgeschobenes Argument. Wie lange ist ein Kind eine organisatorische Belastung? 20 Jahre? Nein, man hat drei oder vier Jahre Organisationsbedarf. Niemand wird heute rausgeschleudert aus der nächsten Karrierekurve wegen eines Kindes. Die meisten Frauen, die über mangelnde Unterstützung klagen, haben gar keine Kinder. Sie behaupten dann, sie hätten keine haben können, weil unsere Strukturen das verhindert hätten. Das ist Quatsch. Nehmen wir an, ein Kind führt zu drei Jahren Karriereverzögerung. Na und?

Sie waren allein erziehende Mutter. Wie haben Sie sich organisiert?

Ich fand in Mannheim ein Ehepaar. Sie war Säuglingsschwester, er Boehringer-Manager. Wir haben uns in der Kinderbetreuung abgewechselt. Gleichzeitig hatte ich sofort mit dem Jugendamt zu tun, denn ich war nicht allein erziehende Mutter, wie es heute so schön heisst, sondern uneheliche Mutter. Das Jugendamt tauchte bei mir alle zwei Wochen auf und schaute nach dem Wohlergehen des Kindes.

Wie hat Sie Ihre Herkunft als Pfarrerstochter geprägt?

Als Kind fand ich es gut, dass mein Vater nichts verkaufen musste, um Geld zu verdienen. Das war für mich eine Art Überlegenheitsmerkmal. Ich bin anfänglich in die Wissenschaft gegangen. Da ging es nicht darum, das Einkommen zu maximieren, sondern darum, Dinge zu durchschauen. Davon profitiere ich heute.

Gertrud Höhler
Gertrud Höhler (65) ist Buchautorin, Literaturwissenschaftlerin, Verwaltungsrätin, Unternehmensberaterin und Mutter. Bis 1993 lehrte sie an der Uni Paderborn. Bei ihrer Tätigkeit in der Beraterbranche betreute sie u.a. den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, sowie Grosskonzerne wie VW und Mercedes-Benz. Sie erhielt den Konrad-Adenauer-Preis für Literatur und das Bundesverdienstkreuz. Neustes Buch: «Jenseits der Gier. Vom Luxus des Teilens», Econ Verlag, 2005.