BILANZ: Sind Sie ein sehr emotionaler Mensch?
Bill Gross: Eigentlich nicht, wieso fragen Sie?
Sie echauffieren sich mit wachsender Leidenschaft über die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten.
Wenn Dinge aus dem Ruder laufen, kann das jemanden wie mich nicht kalt lassen: Die enorme Schuldenlast der USA, die rasante Abwertung des Dollars oder die massive Auslagerung amerikanischer Jobs nach Indien oder China, das sind Dinge, die für die Zukunft unseres Geschäfts von grösster Bedeutung sind.
Gefühle sind nicht der beste Ratgeber für einen Investor.
Ach wissen Sie, wir Rentenfondsmanager stehen ja im Ruf, die grauen Mäuse des Gewerbes zu sein …
… langweilige Buchhalter, die sich stoisch an ihre mathematischen Formeln halten.
Ganz genau, die Stars sind die Kollegen von den Aktienfonds. Insofern fällt es schon auf, wenn jemand wie ich zuweilen seine Meinung dezidiert auf den Punkt bringt.
Sie kokettieren! Ihr Marktkommentar gilt in der Branche als Pflichtlektüre. Als Sie vor Ausbruch des Irakkrieges davor warnten, die USA seien dran, ihre Friedensdividende zu verspielen, war das für viele starker Tobak. Wo sehen Sie heute die Gefahren?
Ich befürchte, dass Amerikas Schuldenlast das Wirtschaftswachstum abwürgen wird, wenn die Federal Reserve die Zinsen anhebt. Die Kreditnehmer müssen real mehr zahlen. Das hat Auswirkungen auf den Konsum, den Bau und Kauf von Immobilien, die Investitionen der Firmen und das Haushaltsdefizit.
Steht Amerika am Anfang einer Schuldenspirale?
Wir haben von Januar bis März 2004 die Rekordsumme von netto 177 Milliarden Dollar aufgenommen, um das Haushaltsdefizit zu finanzieren. Der Fehlbetrag dürfte im laufenden Haushaltsjahr auf 521 Milliarden anschwellen. Das ist erst der Anfang, wenn wir zum Mars und noch weiter vorstossen wollen.
Irgendjemand ist doch bereit, das Defizit zu finanzieren.
Wir sind an einem Punkt angelangt, wo es jede Menge Schulden gibt. Weil eine finanzbasierte Wirtschaft von mehr und mehr billigem Geld abhängt, ist das Spiel aus, wenn die Zinsen steigen.
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So düster? Anfang der Neunzigerjahre schien das «amerikanische Zeitalter» schon einmal vorbei zu sein – mit Japan als neuer ökonomischer Supermacht. Warum sollte es den USA diesmal nicht gelingen, sich mit rasantem Wirtschaftswachstum aus der Krise zu katapultieren?
Weil der Konsum längst nicht mehr in dem Masse wachsen wird, wie das in den Neunzigerjahren der Fall war. Dazu sind die Verbraucher zu hoch verschuldet. Zusätzliches Einkommen aus Steuererleichterungen werden sie eher zur Rückführung von Krediten einsetzen als zum Einkaufen. Und die Preise können nicht steigen, weil der globale Wettbewerb zu stark ist und in vielen Industrien Überkapazitäten bestehen. Woher sollen also Impulse kommen? Wir glauben, dass die US-Wirtschaft mit drei Prozent wachsen wird. Dies reicht nicht einmal aus, um bestehende Kapazitäten auszulasten.
Was ist mit dem viel zitierten Produktivitätswachstum?
Alan Greenspan ist ja einer der Vertreter jener These, wonach die Steigerung der Produktivität zu ewigem Wirtschaftswachstum in den USA führen wird. Ich halte das Argument für problematisch, weil die Produktivitätserhöhung in Wahrheit nicht bei uns, sondern in China stattfindet – billige Arbeit, hoher Güterausstoss.
Was bleibt? Sich kampflos China zu ergeben?
Davon kann keine Rede sein. Im vergangenen Jahrhundert war die US-Wirtschaft oft so etwas wie die globale Wachstumslokomotive. Wenn mit China eine weitere Lokomotive hinzukommt, ist das wunderbar! Von der Hoffnung auf rasant steigende Exporte nach China lebt ja die ganze Welt. Was aber, wenn das Haushaltsdefizit der USA die hiesige Wirtschaft auf Dauer lähmt? Die Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt sind in den letzten zwanzig Jahren nach oben geschossen und liegen so hoch wie nur während der Depression der Dreissigerjahre. In nächster Zukunft wird jemand zu diesem endlosen Anstieg der Schuldenspirale sagen: Jetzt ist Schluss! Die Geschichte hätte dann kein Happy End.
Sie befürchten eine Weltwirtschaftskrise?
Ja, das macht mir momentan Angst. Und die Naivität, mit der bei uns über das Haushaltsdefizit diskutiert wird. Es gibt diesen Glauben, dass wir das Geld uns selbst schulden. Allerdings schulden wir es den Chinesen, den Deutschen, den Japanern. Jemand muss am Ende die Zeche bezahlen.
Alles in allem keine sehr beruhigende Perspektive. Rentenfondsmanager sind
berufsmässige Pessimisten! Während die Kollegen von den Aktienfonds zu Optimismus tendieren, sehen wir zunächst die Negativszenarien. Aber leben Sie als Investor nicht von den Extremen des Marktes?
In gewisser Weise schon. Nur heisst das nicht, dass wir uns Chaos wünschen. Würden die Märkte in eine Schieflage geraten, wäre das auch für Anleihen nicht gut.
Wo investieren Sie heute das Geld Ihrer Anleger?
Zunächst einmal: Wir werden uns in den nächsten Jahren auf deutlich geringere Renditen einstellen müssen. Realistisch sind drei bis vier Prozent pro Jahr bei Anleihen und vier bis fünf Prozent bei Aktien. Insofern halte ich Corporate Bonds für uninteressant. Ihre Verzinsung ist im Vergleich zu Staatsanleihen zu niedrig. Viele Konzerne sind immer noch zu hoch verschuldet. Anstatt ihre Schulden zu tilgen, setzen etliche Firmen freie Gelder wieder zum Kauf anderer Firmen ein. Beides erhöht das Risiko von Unternehmensanleihen im Vergleich zu Staatspapieren weiter.
Apropos Treasuries: Welche Regionen bevorzugen Sie da?
Bei Staatsanleihen mögen wir europäische Titel mit Laufzeiten zwischen zwei und sieben Jahren. Steigen die Zinsen, drohen geringere Verluste als bei Langläufern. Gleichzeitig ist die Verzinsung attraktiver als bei kurzfristigen Anlagevarianten. Wenn die Rendite der zehnjährigen deutschen Bundesanleihe zuletzt bei 4,2 Prozent lag, ist das im Hinblick auf die vorhin diskutierten Szenarien nicht schlecht.
Und sonst?
Die Emerging Markets bleiben interessant. Wir setzen auf Länder, die von steigenden Rohstoffpreisen, geringeren Löhnen und dem schwachen Dollar gleichermassen profitieren. Das sind etwa Russland, Mexiko und mit Abstrichen Brasilien. Deren Anleihen sollte man so lange halten, bis in den USA die Zinsen anziehen. Dies dürfte aber frühestens in der zweiten Jahreshälfte der Fall sein.
Was ist mit Amerika? Ganz aus dem Blick werden Sie Ihr Heimatland nicht verlieren?
Nein, wir setzen auf Staatsanleihen, die gegen eine steigende Inflation abgesichert sind. Solche Treasury Inflation-Protected Securities, Tips genannt, bieten im Umfeld niedriger Leitzinsen und Bondrenditen die beste Alternative.
Nur galten Tips jahrelang als Stiefmütterchen.
Das ist richtig. Wenn diese Papiere zwischen zwei und drei Prozent jährlich bringen, ist das derzeit eine veritable Investmentmöglichkeit.
Mit derlei Renditen dürften Sie kaum auf die 6,1 Prozent kommen, die Sie mit dem PIMCO Total Return Fund im letzten Jahr erwirtschaftet haben.
(Lacht) Jede Zeit hat halt ihre realistischen Returns!
Was antworten Sie Kritikern, die sagen, Bill Gross hat mit seinem Rentenfonds ein paar Jahre lang paradiesische Zustände erlebt, doch jetzt, da Aktien im letzten Jahr einen beachtlichen Run hingelegt haben, fängt er an zu jammern, wie schrecklich die Rahmenbedingungen seien?
Damit kann ich leben. Die härteste Kritik für jeden Bondmanager bleibt, dass Aktienfonds zuletzt schlicht mehr Geld verdienten. Dass der Dow Jones nicht auf 5000 Punkte gefallen ist, wie von mir vorhergesagt – Shame on me!
Über mangelnden Zufluss an Kundengeldern konnten Sie sich nicht beklagen. Allein im PIMCO Total Return Fund managen Sie 74 Milliarden Dollar. Wird es da schwieriger, kurzfristig auf volatile Entwicklungen zu reagieren? Ist der Markt überhaupt liquide genug, Ihre gewaltigen Buy- und Sell-Orders zu bedienen?
Kein Problem! Ich habe manches Mal staunend vor dem Computer gesessen und mich gewundert, wie schnell eine 500-Millionen-Dollar-Order für deutsche Bundesanleihen ausgeführt wird – und sich der Preis dabei kaum bewegt. Wow! Bei den US-Treasuries ist das etwas anders, weil der Markt segmentierter ist. Und zum Beispiel brasilianische Corporate Bonds muss man tatsächlich oft häppchenweise kaufen oder verkaufen, da haben Sie Recht.
Stichwort Anlegervertrauen. Da musste PIMCO zuletzt einige hässliche Schlagzeilen in der Tagespresse hinnehmen.
Sie spielen auf die Vorwürfe der Bezirksstaatsanwaltschaft von New Jersey an. Danach hätte PIMCO dem Hedge-Fonds Canary Capital Partner vielfach Market-Timing-Geschäfte ermöglicht. Ich kann Ihnen versichern: Beim Market-Timing mit PIMCO-Fonds ist kein Anleger zu Schaden gekommen.
Die Sache war jedenfalls so brisant, dass Sie sich gezwungen sahen, in einer riesigen Anzeige im «Wall Street Journal» Ihre Seite darzustellen.
Wir mussten in die Offensive gehen, weil wir ein reines Gewissen haben und nicht mit zu Recht in Verruf geratenen Fondsgesellschaften in einen Topf geworfen werden wollten. Die uns bekannten Investments waren klar als «timer money» gekennzeichnet und verletzten nicht den im Fondsprospekt verankerten Schutz der Anleger. Sollte dennoch ein Investor zu Schaden gekommen sein, werden wir ihn vollständig entschädigen.
Ist es schmerzlich, wenn plötzlich die persönliche Integrität in Frage gestellt wird?
Für mich waren das ganz harte Wochen – gerade deshalb, weil wir nichts zu verbergen haben.
Sie haben mit der deutschen Allianz einen Vertrag bis ins Jahr 2005. Wie sieht danach Ihre Zukunft aus?
(Schmunzelnd) Mir macht der Job unglaublich viel Spass. Man darf das ja gar nicht laut sagen, aber ich würde das Ganze wahrscheinlich auch ohne Bezahlung machen …
Nicht wirklich …
Nein, nicht wirklich. Ich fühle mich momentan aber tatsächlich wie ein einigermassen verdienter Basketballer, der vor allem aus Liebe zum Spiel noch auf Korbjagd geht. Der Job hält mich wach und vital.
Empfinden Sie Genugtuung darüber, in einem Atemzug mit Investment-Legenden wie Peter Lynch, Warren Buffett oder Sir John Templeton genannt zu werden?
Ach wissen Sie, ich habe immer gewusst, dass Anleihen vielleicht die weniger profitable, letztlich aber doch die grössere Anlageklasse sind. Eine, mit der Anleger nachts ausserdem noch gut schlafen können.