BILANZ: Mr. Gabelli, wir haben den Eindruck, als habe sich der Kreis für Sie als Vermögensverwalter zuletzt geschlossen. Empfinden Sie das ähnlich?
Mario J. Gabelli: Wenn Sie mir erklären würden, was Sie genau damit meinen, kann ich Ihnen darauf vielleicht antworten.
Nun, als so genannter Value-Investor stehen Sie in dem Ruf, zu der eher langweiligen Spezies unter den Börsianern zu gehören.
Gemeinsam mit so langweiligen Kollegen wie etwa Warren Buffett oder Sir John Templeton.
Andererseits haben gerade Sie sich in der Vergangenheit als Fan der Medienbranche einen Namen gemacht, durchaus ein Bereich mit Glamour-Faktor. Nun aber sehen Sie vermehrt Chancen bei so bodenständigen Unternehmen wie dem Landmaschinenbauer Deere & Co. und in den Mobile-Home-Herstellern Cavco Industries oder Nobility Homes. Das klingt doch tatsächlich wieder sehr nach Buffetts Tapetenkleister-Produzenten oder Hamburger-Bratereien.
Aha, das ist Ihnen wohl nicht aufregend genug. Ich kann Sie beruhigen: Wir beobachten die Medienbranche auch weiterhin ausgesprochen intensiv und sind nach wie vor dort investiert. Selbstverständlich gibt es auch dort «value stocks», Beispiele hierfür sind Time Warner oder Rupert Murdochs News Corporation. Tatsache aber ist, dass unser Anlagestil dem von Buffett durchaus ähnlich ist. Wir zocken nicht, wir investieren. Wir kaufen kein Papier, sondern Unternehmen. Und dabei stellen wir ähnliche Fragen: Was ist ein Unternehmen wirklich wert? Was würde man dafür zahlen, wenn es nicht an der Börse kotiert wäre?
|
Und in den einstigen Glitzerbranchen sind die Schnäppchen rar geworden?
Das ist so. Wir suchen nach Aktien, die das Potenzial haben, in den kommenden zwei Jahren um 50 Prozent zu klettern, unabhängig davon, ob die Branche gerade in ist oder nicht. Insofern ist es wichtig herauszufinden, was den Kursen in den kommenden Monaten weiter auf die Sprünge helfen wird.
Oder, wie im Falle von Deere, dem US-Farmer auf den Acker.
Amerikas Bauern blicken dank stabilen Rohstoffpreisen für Weizen, Mais und Bohnen sowie Schweine- und Rindfleisch derzeit wieder optimistischer in die Zukunft. Da denkt mancher daran, seinen Fuhrpark aufzurüsten, und davon profitieren vor allem zwei Unternehmen: der weltgrösste Landmaschinenhersteller Deere & Co. (DE) und dessen Konkurrent CNH Global (CNH), beide aus Illinois. Deere hat in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres dank der starken Nachfrage in allen Geschäftsbereichen sehr gut verdient: rund eine Milliarde Dollar. Der Gewinn pro Aktie betrug 4,14 Dollar. Der Umsatz stieg um 27 Prozent auf 14,8 Milliarden Dollar. Für uns eine echte Investment-Gelegenheit.
Klingt überzeugend. Hinsichtlich Ihres neuen Faibles für Mobile Homes sind wir dagegen skeptischer, nicht zuletzt deshalb, weil uns in Florida diese Rentner-Behausungen in Leichtbauweise bei jedem Hurrikan um die Ohren fliegen.
(Lacht) Auch Wirbelstürme können demografische Entwicklungen nicht stoppen. Wir beschäftigen uns nun schon seit einigen Jahren intensiv mit den Auswirkungen der älter werdenden Baby-Boomer auf die Wirtschaft. Auf dieses Thema ist bei Gabelli ein ganzes Analystenteam angesetzt. Eine Branche, die in Amerika von der neuen Generation fideler Alter profitieren wird, sind die Hersteller so genannter «recreational vehicles»: Reisemobile und Caravans – und parallel dazu auch die Produzenten von Mobile Homes.
Waren die vergangenen Jahre für die Hersteller nicht relativ flau?
Ja, denn vor zehn Jahren gab es schon einmal einen Mobile-Home-Boom: Jeder, der ein X auf einen Vertrag zu kritzeln im Stande war, konnte damals eins kaufen. Die Händler haben den Leuten die Dinger zu 100 Prozent finanziert. Von 200 000 pro Jahr verkauften Einheiten wuchs die Branche auf 350 000 – und dann brach der Markt in sich zusammen. Verkauft wurden in Folge praktisch nur noch die Lagerbestände. Doch jetzt sind nur noch ein paar Zehntausend auf Halde.
Und sind die erst einmal verscherbelt, winken den Herstellern wieder goldene Zeiten?
Davon gehen wir aus, und aus diesem Grund hat auch Warren Buffett in den vergangenen Monaten zwei Mobile-Home-Hersteller gekauft, Clayton Homes und Oakwook Homes. Insgesamt hat er drei Milliarden Dollar an Investorengeldern auf die Branche gesetzt. Mir gefällt Cavco Industries (CVCO), ein Ableger der Bauträgergesellschaft Centex. Hier sind nur drei Millionen Aktien in Streubesitz, das Papier wird mit 40 Dollar gehandelt. Wir sind da mit 13 bis 14 Prozent beteiligt. Die Firma verfügt über zehn Dollar pro Aktie Cash, hat keine Schulden und zeichnet sich dadurch aus, dass sie auch im Abschwung profitabel war.
Noch andere?
Ja, zum Beispiel Nobility Homes (NOBH) aus Ocala in Florida. Ähnlich wie Cavco Industries: keine Schulden und jede Menge Cash.
Wie hoch ist Ihr Investment?
Nicht hoch genug, denn 50 Prozent des Aktienanteils sind in festem Besitz. Wir mögen auch Skyline Corporation (SKY) aus Indiana: Der Kurs liegt derzeit bei 40 Dollar. Andere interessante Werte sind Southern Energy Homes (SEHI), Cavalier Homes (CAV), Palm Harbor Homes (PHHM), Coachmen Industries (COA) und Fleetwood Enterprises (FLE). Wenn die Branche in den nächsten drei bis vier Jahren wieder brummen sollte, kann man dort eine ganze Menge Geld verdienen. Musik in unseren Ohren!
Welche andere Branchen sind interessant?
Wir schauen uns derzeit Supermarkt-Werte an, weil diese gewöhnlich von einer steigenden Inflation profitieren. Wir mögen zum Beispiel Albertson’s (ABS). Uns gefällt auch Sensient Technology (SXT) aus Milwaukee, ein Unternehmen der chemischen Industrie, das auf die Produktion von Farben für Farbdrucker sowie Geschmacks- und Duftstoffe spezialisiert ist. Die Umsätze werden 2004 rund eine Milliarde Dollar betragen, die Gewinne bei etwa 1.60 Dollar bis 1.65 Dollar pro Aktie. Die Industrie durchläuft derzeit eine Konsolidierungsphase, und der Übernahmepreis des Unternehmens könnte 40 bis 50 Prozent
höher als der derzeitige Kurs liegen. Sensient hat zuletzt ihre so genannte Giftpille, die Abwehrstrategie gegen feindliche Übernahmen, ausgesetzt, ein Schritt, den wir als sehr aktionärsfreundlich begrüsst haben.
Die Vorhersage bevorstehender Firmenübernahmen ist eine Ihrer Spezialitäten. Irgendwo haben Sie sich einmal gerühmt, seit 1996 für Ihre Fonds aus mehr als hundert Fusionen Profit gezogen zu haben.
Ja, wobei das eher ein Abfallprodukt unserer umfassenden Analyse von Unternehmen ist, die unserer Anlagestrategie seit 26 Jahren zu Grunde liegt …
… und Ihren Investoren eine jährliche Rendite von fast 19 Prozent beschert hat. Weihen Sie uns noch einmal in Ihr Geheimnis ein!
Nun, in der schwierigen Baisse-Phase der Jahre 1973 bis 1974 wurde für uns irgendwann die Frage relevant: Was ist ein Unternehmen wirklich wert? Ein Aspekt, der sicherlich auch heute nicht ganz unwesentlich ist. Wir haben uns damals nicht damit zufrieden gegeben, diese Frage einfach mit den klassischen Unternehmensdaten wie den Vermögenswerten, dem Umsatz oder der Ertragskraft zu beantworten. Wir haben vielmehr gefragt: Wie viel würde ein informierter Industrieller für diese Firma bezahlen und warum? Oder beispielsweise gerade bei halböffentlichen Telekommunikationsunternehmen: Was wäre diese Firma wert, wenn sie vollständig in Privatbesitz wäre? Aus diesen Punkten ergab sich der erste Stützpfeiler unseres Vermögensmanagements: der «private market value, der private Marktwert.
Der PMV ist mittlerweile ein fester Bestandteil des weltweiten Value-Management-Know-hows.
Ja, das war unser Beitrag zur akademischen und praktischen Diskussion. Wir haben den legendären Ansatz zum modernen Value-Investing von Benjamin Graham und David Dodd …
… den ersten Schnäppchenjägern der Börse …
… weiterentwickelt und verfeinert. Dreh- und Angelpunkt ist bei der Wertpapieranalyse eine exakte Analyse sämtlicher relevanter Fakten. Wir haben mit dem «private market value» einen neuen Aspekt hinzugefügt. Darüber hinaus suchen wird nach einem möglichen Katalysator. Das sind Faktoren, die Impulse für Marktveränderungen geben, das Unternehmen beeinflussen, sein Wachstum und damit den Erfolg seiner Aktien bestimmen, etwa die Veränderung eines Industriezweiges, neue Regularien im Telekommunikationsmarkt, aber auch sehr personenbezogene Faktoren wie Scheidung oder Tod eines Unternehmensgründers und die damit verbundene Aufteilung seiner Unternehmensanteile. Beispiel Dividendenbesteuerung: Nach Änderung der Steuergesetze sind heute plötzlich dividendenstarke Titel gefragt. Beispiel strukturelle Änderungen: Durch den Blackout in New York wird sich in Nordamerika die Versorgerlandschaft gewaltig ändern. Ein anderes Beispiel sind Fusionen. Hier ist zum ersten Mal seit langem wieder Bewegung in den Markt gekommen, etwa im Pharmasektor. Das sind alles Kräfte, die Aktien anschieben. Nehmen Sie also unterbewertete Titel plus Katalysator, und Sie haben gute Chancen auf überdurchschnittliche Gewinne.
Was ist wichtiger: Gezieltes Risk-Management oder eine glückliche Hand bei der Auswahl zukünftiger Winner?
Wir haben am liebsten beides. Eine Anlage halten wir, bis sie bei relativ niedrigem Risiko die Aussicht auf einen gezielten Vermögenszuwachs bietet. Das spart Kosten und macht das Management kontinuierlicher.
Der Turnover in Ihren Fonds ist gering?
Ja, wir liegen da im Schnitt so bei 30 Prozent, ein im Branchenvergleich ziemlich niedriger Wert.
Warum sollten Anleger dann nicht gleich in einen Index-Fonds investieren? Billig sind Gabelli-Fonds ja nicht gerade.
Weil ein Index-Fonds das darstellt, was ich als «hirnloses Investieren» bezeichne. Natürlich kann ich mich als Anleger freuen, wenn ich «nur» fünf Prozent Verlust gemacht habe, während ein aktiv gemanagter Fonds zehn Prozent Minus eingefahren hat. Mich freut das aber nicht. Ich will Geld für meine Anleger verdienen, und ich denke, dass ich die Mittel und das Wissen dazu habe. Sehen Sie, die Fokus-Strategie wies in der Vergangenheit immer eine bessere Performance auf als der Gesamtmarkt. Es klingt wie eine Binsenweisheit, aber die Rendite eines Aktionärs wird letztlich durch die wirtschaftlichen Gegebenheiten derjenigen Unternehmen bestimmt, in die er investiert hat. So einfach ist das.
Ein Wort zur US-Wirtschaft.
Die amerikanische Wirtschaft scheint mir momentan in guter Verfassung zu sein. Die Profitabilität amerikanischer Unternehmen wird weiter steigen, dadurch ziehen auch die Aktienkurse an. Die Anleger werden reagieren und die hohen Barreserven langfristig anlegen.
Werden wir bis Jahresende noch eine Rallye sehen?
Die übertriebenen Ängste am Aktienmarkt werden sich langsam verflüchtigen. Vor allem weil sich herausstellen wird, dass China keine harte Landung erleben wird, sich die Lage auf dem Ölmarkt weiter beruhigt und US-Notenbankchef Alan Greenspan die Zinsen zunächst nur langsam anhebt. Greenspan hat seit dem Jahr 2000 mit seiner höchst expansiven Geldpolitik den Konsum der Haushalte zu fördern versucht. Das ist ihm weitgehend gelungen.
Aber der Verbrauch der Haushalte, der ausschliesslich durch eine Finanz- und Sachwertinflation belebt wurde, hat nicht nur eine begrenzte Haltbarkeit, sondern er hat auch die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft wesentlich vergrössert.
D’accord. Das wird im kommenden Jahr eine spannende Angelegenheit. Zu sehen, was passiert, wenn die Effekte der Steuersenkung auslaufen und Greenspan die Zinsen weiter anheben wird. Werden wir eine leichte Brise spüren oder einen Gegenwind in Orkanstärke? Wobei man sagen muss, dass das Handelsdefizit nicht allein die Schuld Amerikas ist. Die US-Wirtschaft ist in den letzten drei Jahren solide gewachsen, in Europa und in Japan tut sich aber nichts. Daher führt Amerika erheblich mehr Waren und Dienstleistungen ein als aus, und das Aussenhandelsdefizit ist so dramatisch gestiegen.
Der Aufschwung in den Vereinigten Staaten ist 2005 gefährdet?
Was das Sozialprodukt betrifft, sieht es gut aus. Schaut man sich die Arbeitsplätze an, etwas schlechter. Das liegt an den hohen Produktivitätszuwächsen von mehr als neun Prozent. Aus Unternehmenssicht macht es trotz dem Aufschwung Sinn, Arbeitsplätze zu streichen oder ins Ausland zu verlagern. Neu ist, dass auch hoch qualifizierte Arbeitsplätze exportiert werden. Aber wissen Sie was? Auf der anderen Seite stehen da auch Milliarden zusätzlicher Verbraucher in den Startlöchern!
Und die Gefahr durch den Terrorismus?
Die halte ich neben dem Ölpreis tatsächlich für das grösste Problem. Sollte es zu einem weiteren Anschlag hier in den Vereinigten Staaten kommen, sind die Folgen kaum absehbar. Wenn ich von meinem Büro hier in Rye irgendwann durch mehrere Polizeisperren müsste, um nach Manhattan zu kommen, wird es ungemütlich.
Ein Sprichwort sagt, dass man einen Präsidenten während eines Konjunkturaufschwungs nicht schlagen kann. Hat John Kerry bei diesen Vorzeichen überhaupt eine Chance?
Wenn der Ölpreis vor dem Wahltag bei 32 bis 34 Dollar pro Barrel liegt und wir langsam damit beginnen, Truppen aus Bagdad abzuziehen, kann ich mir in der Tat nicht vorstellen, dass Bush verlieren könnte. Aber sicher ist das nicht.
Sollte Bush wieder gewählt werden, würde das enorme Haushaltsdefizit seine Handlungsfähigkeit einschränken. Kann er höhere Steuern vermeiden?
Ja, ich glaube schon, dass er das kann. Aber Sie haben natürlich Recht: Das Budgetdefizit bestimmt künftig die Politik. Egal, wer der nächste Präsident wird.
Sollte sich das amerikanische Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr tatsächlich abschwächen, werden Sie Ihren Schnitt von 18,4 Prozent Return kaum halten können.
Das mag schon sein. Aber sehen Sie es doch mal so: Wenn die Börse in den kommenden Jahren sieben bis acht Prozent Gewinn abwerfen sollte, bin ich sicher, dass wir hier bei Gabelli Asset Management 13 bis 14 Prozent erwirtschaften können.
Womit Ihre Anleger vermutlich gut leben könnten.
Eben, und das ist genau der Vorteil von aktivem Management gegenüber hirnlosem Investieren, von dem wir vorhin gesprochen haben.
Ihnen als Experte für Fusionen und Übernahmeaktivitäten wird nicht entgangen sein, dass zuletzt auch in der Finanzbranche wieder einiges in Bewegung geraten ist. Ist Gabelli Asset Management mit seinen 200 Mitarbeitern und 29 Milliarden Dollar an verwalteten Vermögensgeldern nicht ein appetitlicher Happen für einen grossen Player?
Mag schon sein.
Wo würde Mario Gabelli im Falle einer Übernahme seine Rolle sehen?
Sollte dieser Fall irgendwann einmal eintreten, könnte ich mir viele Funktionen vorstellen: als Kapitän, als Steuermann oder auch als Lotse. Ich bin da ausgesprochen flexibel.