In den meisten Rezessionen hat sich das Gesundheitswesen als einer der störungsresistentesten Sektoren erwiesen. Während der Finanzkrise von 2007 bis 2009 beispielsweise stiegen trotz eines BIP-Rückgangs die Gesundheitsausgaben. Doch im Jahr 2020 zeigt sich ein anderes Bild: Zeitgleich mit dem Schrumpfen der Weltwirtschaft könnten auch die Gesundheitsausgaben sinken.
Dies spiegelt die Art der Bereitstellung und Verfügbarkeit von Gesundheitsversorgung während der Pandemie wider. Beträchtliche Ressourcen wurden für die Bekämpfung der Pandemie bereitgestellt, aber andere, weniger dringende Behandlungen wurden aufgeschoben. Viele Patienten suchen aus Angst vor einer Ansteckung mit der Krankheit keine Gesundheitsversorger mehr auf (siehe hier).
«Die Branche wird relativ zum Markt mit einem niedrigeren Bewertungsmultiplikator gehandelt als in früheren Rezessionen – zum Beispiel in den Jahren 2000 und 2001 sowie 2008 bis 2009», erläutert Matt Kirby, Aktienfondsmanager mit Verantwortung für die Berichterstattung über Gesundheitsforschung bei Aviva Investors. «Aber das ist vielleicht nicht gerechtfertigt.»
Positive Nebeneffekte von therapeutischen Behandlungen, eine stärkere Konzentration auf Immunisierung als primäres Gesundheitsinstrument und Verbraucher, die mehr Kontrolle über ihre eigene Gesundheit haben möchten, könnten die Dynamik bestärken.
Die Anti-Pharma-Rhetorik lässt nach
Es scheint auch, dass die allgemeine Anti-Pharma-Rhetorik nachlässt. Dies war lange Zeit ein hochkontroverses Thema in den USA, dem grössten Markt für Pharmazeutik-Produkte der Welt, wo Behandlungen generell deutlich mehr kosten als in Europa und anderswo. Bei der letzten US-Präsidentschaftswahl warfen Politiker sowohl aus dem linken als auch dem rechten Lager der Branche vor, eine aggressive Preispolitik – ein «Aushöhlen der Preisstukturen» – zu betreiben, aber Covid-19 hat gezeigt, dass der Pharmasektor für die Bereitstellung wirksamer Gesundheitsversorgung von entscheidender Bedeutung ist.
«COVID-19 untermauert die gesellschaftliche Bedeutung der Pharmakonzerne, die eine kontinuierliche Patientenversorgung mit lebenswichtigen Medikamenten sichergestellt, umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten durchgeführt und Lösungen erarbeitet haben, die letztlich die Wiedereröffnung der Weltwirtschaft ermöglichen werden», so Kirby.
Das wirft die Frage auf, ob die Pharmaindustrie weiterhin der Bösewicht sein wird, als den US-Politiker sie dargestellt haben.
Fokus auf Forschung
All dies bietet Gelegenheiten für Anleger, die nicht kurzfristig denken, sondern die langfristige Entwicklung erkennen. Grosse Pharmaunternehmen mit Fokus auf Forschung und Entwicklung, die ihre gesellschaftliche Bedeutung während der Pandemie unter Beweis gestellt haben, sind ein gutes Beispiel. Die meisten haben bereits das Schlimmste hinter sich, verfügen über mehrere Einnahmequellen, generieren ausreichend Barmittel und zahlen attraktive Dividenden.
Unternehmen wie etwa Merck, das den Einfluss von Covid-19 auf seine Ergebnisse im ersten Quartal 2020 als «unwesentlich» bezeichnete. Angeheizt durch die Nachfrage nach der onkologischen Kernbehandlung Keytruda stieg der Jahresumsatz im letzten Jahresbericht um 11 Prozent (siehe hier).
Handelsgeschäfte im Jahr 2020 werden sich allerdings schwieriger gestalten. Wie viele andere onkologische Therapien erfordert auch Keytruda Fachpersonal zur Durchführung, und durch Social Distancing wird sich die Gesamtzahl der durchführbaren Behandlungen verringern. Längerfristig sollte das Wachstum durch höhere globale Krebsdiagnose-Raten angekurbelt werden, wodurch das Unternehmen potenziell seinen Marktanteil in den aktuellen Bereichen erhöhen und in andere unterversorgte Behandlungsbereiche expandieren kann.
Währenddessen ist Merck dabei, seine Erfahrung in der Impfstoffentwicklung unter Beweis zu stellen. Das Unternehmen half bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Ebola, eine andere beunruhigende Zoonose, die von Primaten übertragen wird. Nun sucht das Unternehmen nach einem Impfstoff für Covid-19 – in kooperativer Zusammenarbeit und rasend schnell.
In einer Erklärung kommentierte der Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Unternehmens Roger Perlmutter: «Wir haben die Aufgabe, in einem Zehntel der Zeit, die wir für den Ebola-Impfstoff Ervebo aufgewendet haben, einen völlig neuen Impfstoff zu entwickeln, und wir müssen einplanen, diesen Impfstoff in der tausendfachen Grössenordnung zu produzieren.»
Erhöhte Nachfrage nach Impfungen?
Mit Blick auf die Zukunft könnte es durchaus einen Anstoss für die Gesundheitsbehörden geben, durchsetzungsfähigere Impfstrategien zu verfolgen. Dies könnte eine weitere Säule sein, die als langfristige Einnahmequellen in der Pharmaindustrie fungiert.
Obwohl Impfprogramme die öffentliche Gesundheit weltweit deutlich verbessert haben, gab es vor der Pandemie eine wachsende Zahl von Menschen, die ihrem Nutzen skeptisch gegenüberstanden.
Dieser Beitrag wurde von Aviva Investors erstellt.
Die Entscheidung, nicht geimpft zu werden, ist nicht nur ein persönliches Risiko; sie kann auch die Risiken für andere erhöhen, indem sie die Ausbreitung von Krankheiten zulässt. Die Frage ist nun, ob Covid-19 dazu beitragen wird, die Impfresistenz zu verringern.
«Wir erwarten, dass die Impfstoffstrategien in Zukunft stärker werden», sagt Sora Utzinger, Analystin für verantwortliche Anlagen bei Aviva Investors. «Die Gesundheitsbehörden werden wahrscheinlich umfassenderen Kampagnen priorisieren, die auf Risiko-Populationen und Personen mit direktem Patientenkontakt abzielen – zum Beispiel Ärzte, Zahnärzte, Krankenschwestern und Krankenpfleger.»
Utzinger weist darauf hin, dass die Impfraten von Land zu Land sehr stark variieren, die Impfraten sind jedoch besonders relevant für Arbeitskräfte im Gesundheitswesen, die an vorderster Front im Einsatz sind. Niedrige Impfraten können Krankheitsausbrüche verschlimmern und möglicherweise die Fehlzeiten von Pflegekräften in schwierigen Zeiten erhöhen.
«Eine 2019 in zehn italienischen Städten durchgeführte Studie ergab, dass die Impfraten des Gesundheitspersonals bei Masern, Mumps, Röteln, Keuchhusten, Windpocken und Grippe in Bereichen zwischen 20 und 30 Prozent lagen», erläutert sie. «Nach den Erfahrungen mit Covid-19 kann man von einem wachsenden Impfstoffmarkt ausgehen, wenn die Gesundheitsbehörden neue Leitlinien für Schutzimpfungen herausgeben.»
Stärkere Anreize für Impfungen könnten in grossen Märkten wie den USA einen erheblichen Einfluss haben. «Wir haben eine Grösseneinschätzung des Influenza-Marktes anhand der aktuellen Impfstoff-Preisliste der US-Zentren für Krankheitskontrolle und Prävention durchgeführt. Wenn wir von einem durchschnittlichen Preis von 21 Dollar pro Impfdosis und einer Impfrate von 80 Prozent bei den 18 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen ausgehen, dann ergibt sich daraus eine Nachfrage im einer Grössenordnung von über 302 Millionen US-Dollar in nur einem einzigen Markt. Es ist ganz klar, wie Unternehmen mit zugelassenen Impfstoffen in diesem Szenario gewinnen könnten», fügt Utzinger hinzu.
Herstellungsabspaltungen in der Impfstoff-Versorgungskette
Merck ist nicht allein in seinem Bestreben, einen wirksamen, sicheren und skalierbaren Covid-19-Impfstoff zu entwickeln, es ist jedoch eines der wenigen Unternehmen, das über beträchtliche Kapazitäten zur Herstellung von Impfstoffen verfügt, was es zu einem potenziellen Kandidaten für jede grossangelegte Lösungsstrategie macht.
«Es gibt derzeit beeindruckende 124 Impfstoff-Kandidaten in unterschiedlichen Entwicklungsphasen», so Kirby. «Einige verwenden traditionellere Impfstoff-Technologien, andere wenden sehr neue Methoden an. Unabhängig von der Herangehensweise hat die Suche nach einem Impfstoff zu einem noch nie dagewesenen Mass an Zusammenarbeit geführt, was letztlich die Gewinne steigern könnte. Zu diesen Partnerschaften gehören beispielsweise Pfizer und Biontech, Sanofi und Glaxosmithkline sowie die Oxford-Universität und AstraZeneca.»
Zu den von der Impfstoff-Allianz Gavi angekündigten neuen Anreizen gehören Abnahmegarantien für bestimmte Impfstoff-Kandidaten schon vor der Lizenzierung, um Anleger zu Investitionen in grössere Lagerbestände und Kapazitäten zu animieren. Dieser Plan soll es ermöglichen, die Produktion von neuen Behandlungsstoffen schneller anzukurbeln und Ländern mit niedrigerem Durchschnittseinkommen besseren Zugang zu diesen Behandlungsstoffen zu gewähren (siehe hier).
Auftragnehmer für Entwicklung und Herstellung bereiten sich auf einen Ausbau in grossem Massstab vor. Die Hersteller von Impfstoffampullen und Spritzen befassen sich mit Produktionsengpässen und Logistikunternehmen machen sich Gedanken über die zahlreichen Stolpersteine beim Thema Transport und Distribution.
Einige der Probleme existieren schon seit Langem. Beispielsweise traten 2009 Schwierigkeiten bei der Bewältigung der plötzlich stark erhöhten Nachfrage nach Impfstoffampullen in den Vordergrund, als der Mangel an Ampullen für die Behandlung der Schweinegrippe deutlich wurde. Covid-19 könnte eine Nachfrage nach 1,5 bis 2,5 Milliarden Impfstoffampullen schaffen, abhängig von der jeweiligen Impfstrategie. Wenn Covid-19 endemisch wird, wie die saisonale Grippe, könnte die Nachfrage sogar höher sein.
Ein Distributionsvolumen in dieser Grössenordnung stellt in der Praxis eine enorme Herausforderung dar. Viele Hersteller von Impfstoffampullen haben vergleichsweise geringe Produktionskapazitäten, und der Prozess der Herstellung und Abfüllung von Ampullen nach strengen Standards kann Monate dauern. «Man kann nicht einfach so hunderte Millionen von Impfstoffampullen für den Markt verfügbar machen», betont Dietmar Siemssen, Vorstandsvorsitzender des Pharmaproduzenten Gerresheimer.
«Wir glauben, dass Covid-19 Unternehmen Rückenwind geben könnte, die abholfertige Abfüllungslösungen anbieten», sagt Kirby. «Wir achten genau auf Kapazitätsprobleme und beobachten Hersteller, die das Blow-Fill-Seal-Verfahren und Schnellfüll-Kunststoffe anstelle von Glas verwenden. Auch wenn einige Vorbehalte bezüglich der Verwendung von Plastik haben mögen, so ist es doch eine energieeffizientere Methode, um Behandlungsstoffe an den Patienten zu bringen, und die Behälter selbst sind robuster.»
Konsumenten-Gesundheit: Möglichkeiten für bessere Kontrolle
Das Thema Konsumenten-Gesundheit könnte der dritte Wachstumsmotor sein. Wenn das Gesundheitsbewusstsein der Verbraucher zunimmt, dann verstärkt sich möglicherweise damit auch ihr Interesse an Wellness-Hilfsmitteln, Nahrungsergänzungsmitteln und ähnlichem.
Laut Risikoanalytikern wie Didier Sornette, Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, wird proaktives Gesundheitsmanagement in Diskussionen über Krankheiten eher vernachlässigt.
«Was fehlt ist ein Hervorheben der persönlichen Gesundheitsvorsorge des Einzelnen», sagt er nach seiner Analyse der Reaktionen auf Covid-19. «Ich würde argumentieren, dass es bei der ersten Barriere darum gehen sollte, eine Gesellschaft voller gesunder Menschen mit einem gesunden Immunsystem zu schaffen. Wir neigen in dieser Hinsicht zu einer eher fatalistischen Einstellung, aber wir können etwas dagegen tun.»
Der Plan von Glaxosmithkline, Wachstum im Bereich der Verbraucher-Gesundheit durch eine Partnerschaft mit Pfizer zu beschleunigen, mit dem Ziel, die kombinierte Konzerneinheit durch einen Börsengang auszugliedern, ist ein Beispiel dafür, wie sich Pharmaunternehmen für den Wandel positionieren. Letztlich wird der Erfolg davon abhängen, ob es gelingt, Verbraucher dazu zu bewegen, Gesundheit nicht mehr lediglich als krankheitsfreien Zustand zu betrachten, sondern Eigenverantwortung für ihr Wohlergehen zu übernehmen.
Eine Mahnung
Während es bei den Bemühungen um die Entwicklung einer Covid-19-Behandlung zu mehreren Abspaltungen kommt, ist ein Wort der Vorsicht angebracht. Wie Influenza ist Covid-19 ein RNA-Virus. Er ist nicht genetisch stabil, sondern mutiert schnell. Die Fähigkeit der Pharmaindustrie, Impfstoffe gegen diese Art von Krankheitserregern zu entwickeln, ist in der Vergangenheit «hinter den Erwartungen zurückgeblieben». Ein positives Ergebnis zu erwarten, könnte also verfrüht sein.
Nichtsdestotrotz hat die rasante Verbreitung des Virus zweifellos neue Schwerpunkte gesetzt. Die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung sind zur Priorität geworden, und Kooperationspartnerschaften, deren Vereinbarung und Strukturierung früher vielleicht Monate gedauert hätte, konnten sehr schnell geschlossen werden. Auch dem Umgang mit dem Thema Gesundheit wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt, und seit Langem existierende praktische Probleme mit Produktionsengpässen werden angegangen. Diese Faktoren könnten langfristige Einkommensströme verstärken und zu dauerhaften Begleitern werden.