Bitcoin überschattet derzeit alles. Seit der Zulassung von US-Bitcoin-ETFs im Januar ist der Kurs nochmals in die Höhe geschossen auf zwischenzeitlich über 70’000 Dollar. Dabei geht völlig unter, dass auch ein anderes spezielles «Asset» neue Rekordpreise erzielt hat: Gold. Dessen Preis ist seit Oktober um 20 Prozent auf fast 2200 Dollar pro Feinunze gestiegen.
Im Vergleich zu Bitcoin ist das natürlich wenig spektakulär. Doch im Unterschied zur Bitcoin-Rally, deren Treibstoff der massive Zufluss in die neuen Produkte zu sein scheint, stellt die Goldhausse Expertinnen und Experten vor ein Rätsel. Denn die traditionellen Argumente für Investorinnen, Gold zu kaufen, stechen derzeit nicht.
Dazu zählt das Sicherheitsargument: Gold gilt als krisenfest. Deshalb steigt der Preis, wenn die Leute Angst haben – um ihren Job, um ihr Geld oder vor einem Krieg.
Gewiss, die Welt sah auch schon friedlicher aus, und das Risiko einer weiteren Eskalation im Nahen Osten hat eher zugenommen. Von einer allgemeinen Verunsicherung und einer Flucht in sichere Häfen ist an den Finanzmärkten aber wenig zu spüren. Die Aktienkurse erklimmen Höchststände, und an den Zinsmärkten ist es ruhig. Der Volatilitätsindex VIX, das Angstbarometer der Börse schlechthin, schlägt kaum mehr aus.
Steigenden Opportunitätskosten zum Trotz
Dasselbe gilt für die Zinsen. Sie sind in normalen Zeiten der wichtigste Treiber des Goldpreises. Genau genommen ist es der Realzins, also das, was nach Abzug der Inflation noch übrig bleibt.
Die Realzinsen können als eine Art Opportunitätskosten von Investments in Gold angesehen werden. Denn Gold wirft ja keine Zinsen ab, und deshalb ist jeder Franken auf dem Sparheft oder in einer sicheren Obligation besser angelegt, weil es dort einen positiven Realzins gibt.
Frisst jedoch die Inflation oder die erwartete Inflation die Zinsen weg, hat Gold keinen Renditenachteil mehr. Bei negativen Realzinsen ist es sogar ein Vorteil.
Dieser Zusammenhang führt zu einem zuverlässigen Muster: Sinken die Realzinsen, steigt der Goldpreis – und umgekehrt. Das gilt besonders für den Dollar-Raum, wo die meisten Goldanlegerinnen und -anleger sitzen und in deren Währung Gold gehandelt wird. Das zeigt die obige Grafik.
Nach der Finanzkrise 2008 reduzierten sich die Realzinsen in den USA von fast 3 auf minus 1 Prozent. In diese Zeit fiel auch der fulminante Aufstieg des Goldpreises von 600 auf 1900 Dollar. Mit dem kräftigen Anstieg der Realzinsen 2013 brach er zusammen. Er begann sich erst 2019 wieder zu erholen, als die Zinsen erneut abtauchten.
Zentralbanken wirken stützend
Doch wie die Grafik ebenfalls veranschaulicht, ist diese (negative) Korrelation in den letzten Jahren auseinandergebrochen. Der Goldpreis hielt sich unbeirrt auf hohem Niveau und ist jüngst sogar nach oben ausgebrochen, obwohl auch die Realzinsen in die Höhe geschossen sind.
Eine mögliche Erklärung für diesen Bruch mit der Tradition sind die ausgedehnten Käufe der Zentralbanken. 2023 kauften sie das zweite Jahr in Folge mehr als tausend Tonnen Goldbarren, um ihre Devisenreserven besser zu diversifizieren und jederzeit darüber verfügen zu können. Das Einfrieren russischer Fremdwährungsreserven als internationale Sanktionsmassnahme dürfte sie aufgeschreckt haben.
Allein China füllte seine offiziellen Reservetresore mit zusätzlichen 225 Tonnen, was einem Wert von rund 150 Milliarden entspricht.
Ob diese Käufe den Markt tatsächlich direkt bewegen, ist umstritten. Denn der Goldhandel ist ein liquider Markt, mit einem Handelsvolumen von 130 Milliarden Dollar – pro Tag. Die Käufe der Zentralbanken könnten jedoch indirekt wirken, weil Investoren darin eine Stütze sehen und aufspringen.