Kurt W. Zimmermann Langjähriger Medienmanager und Inhaber der Consist Consulting AG in Zürich. E-Mail: kurt.zimmermann@consist.ch
Radiodirektor Walter Rüegg tat, wie ihm schien, etwas ziemlich Naheliegendes. Er schaffte auf DRS 3 ein paar Sendungen ab, weil sie von niemandem gehört wurden.
Sendungen, die von niemandem gehört würden, dachte sich Rüegg, seien Sendungen, die niemanden interessierten. Die Inhalte der Sendungen, die von niemandem gehört wurden, schienen ihm Recht zu geben: Sie drehten sich um den Einfluss des Hip-Hop auf die Jazzszene von Burkina Faso und andere Fragen der musikalischen Spezialitätenchemie – erklärlich also, warum niemand hinhörte.
Rüegg war überrascht von der Wut des Protests, der ihn umgehend ereilte. Orchestriert wurde dieser weniger von den Hörern, die ja nicht hingehört hatten, als vielmehr von den Journalisten.
Rüegg weiss nun, dass Kultur auch dort ist, wo die Einschaltquote null ist.
Man kann sich in der Kommunikation kaum leichter die Finger verbrennen als mit einem Angriff auf scheinbare Minderheitsrechte im Kulturbereich. Es tut dabei wenig zur Sache, ob die Sendung, das Theater oder die Ausstellung geschätzt oder gemieden wird – die mediale Solidarisierung wird mit Sicherheit spielen.
In Kulturfragen haben in den Zeitungen jeweils jene Kampftruppen Oberhand, die eine Verweigerungsmentalität gegenüber der Leistungsgesellschaft kultivieren. Das ist eigentlich erstaunlich, weil diese Haltung in anderen Bereichen grossteils erodiert ist. Im Wirtschaftsteil gerät jedes Unternehmen ins Visier, wenn ihm die Kunden abwandern; auch im Sportteil ist einsichtig geworden, dass ein Fussballklub untergeht, wenn die Zuschauer ausbleiben; selbst für manche Bundeshausredaktoren verliert inzwischen eine politische Partei an Relevanz, wenn ihr die Wähler davonlaufen.
Christoph Marthalers Glorienschein hingegen strahlte in den Zeitungsspalten nie heller als in der Stunde seines grössten Publikumsdesasters.
Warum das so ist, hat mit dem identischen Selbstbild mancher Journalisten und Kulturschaffender zu tun. Sie sind seelenverwandt in ihrer Absage an die übliche Definition von Erfolg und Misserfolg. Anders als Unternehmer, Fussballer oder Politiker, verweigern sie sich dem Messprinzip, wonach in quantitativem Zuspruch Niederschlag findet, was an Qualität geboten wird. Sie koppeln Quantität und Qualität insofern ab, indem auch der Mangel an Nachfrage das Angebot veredeln kann. Popularität und Populismus sind in dieser Sichtweise deckungsgleich.
Richtig daran ist, dass Zeitungen wie Kulturinstitute sowohl einen Bildungs- wie auch einen Kommunikationsauftrag haben. Der Erste verlangt nach Inhalten, der Zweite nach möglichst hoher Dichte an Kommunikation, also Publikum.
Nur ist leider der Bildungsauftrag dem Dünkel näher verwandt als der Kommunikationsauftrag dem Disneyland. Probleme in Medien und Kulturbetrieb entstehen darum immer dann, wenn die Publikumsferne als Bildungsauftrag missverstanden wird.
Ein gutes Beispiel dafür liefert etwa der Zürcher «Tages-Anzeiger». Seit Jahren verärgert die Zeitung systematisch die Jugendlichen der Region, die im – ausverkauften – Zürcher Hallenstadion die Konzerte ihrer Popidole besuchen. Nach dem für sie begeisternden Konzert dürfen sie regelmässig am elterlichen Frühstückstisch lesen, was für einen seichten Bockmist sie sich nun schon wieder zu Gemüte geführt hätten. Kaum vorstellbar, dass all die jahrelang Geprügelten später zu zahlenden Abonnenten werden.
Zwei Jahre lang verärgerte auch Christoph Marthaler seine aktuellen wie künftigen Theaterbesucher mit seinem Repetitorium inzwischen reichlich abgestandener Bühnenklischees. Auch hier haben sich die zahlenden Abonnenten verweigert, mit einem folgerichtigen Unterschied allerdings: Nach der für sie frustrierenden Aufführung dürfen sie jeweils im «Tages-Anzeiger» lesen, welch gelungenem Abend sie nun schon wieder beigewohnt hätten.
Überzeugender als die Belehrungsideologie ist der Ansatz, der den Wettbewerb in den Vordergrund stellt. In einem Umfeld mit einem derartigen kulturellen Überangebot, so formuliert es Gerald Matt, der Leiter der Wiener Kunsthalle, herrsche die «Ökonomie der Aufmerksamkeit». Der Kampf um das Aufmerksamkeitspotenzial in einer Gesellschaft verpflichte die Institution dazu, für ein möglichst grosses Publikum Kommunikation herzustellen. Dass dies mit Populismus à la Musikantenstadl gelingen kann, ist indessen auszuschliessen, weil dann der Kommunikationsauftrag zum Selbstläufer wird.
«Man muss nicht populäre Programme machen», sagt Matt, «sondern Programme populär.»
Mit dieser balancierten Sicht hat Matt bisher enormen Erfolg beim Publikum gehabt. In manchen Medien allerdings – und da kann er sich mit Radiodirektor Rüegg trösten – heissen sie ihn noch immer verächtlich «den Quotenjäger».
Radiodirektor Walter Rüegg tat, wie ihm schien, etwas ziemlich Naheliegendes. Er schaffte auf DRS 3 ein paar Sendungen ab, weil sie von niemandem gehört wurden.
Sendungen, die von niemandem gehört würden, dachte sich Rüegg, seien Sendungen, die niemanden interessierten. Die Inhalte der Sendungen, die von niemandem gehört wurden, schienen ihm Recht zu geben: Sie drehten sich um den Einfluss des Hip-Hop auf die Jazzszene von Burkina Faso und andere Fragen der musikalischen Spezialitätenchemie – erklärlich also, warum niemand hinhörte.
Rüegg war überrascht von der Wut des Protests, der ihn umgehend ereilte. Orchestriert wurde dieser weniger von den Hörern, die ja nicht hingehört hatten, als vielmehr von den Journalisten.
Rüegg weiss nun, dass Kultur auch dort ist, wo die Einschaltquote null ist.
Man kann sich in der Kommunikation kaum leichter die Finger verbrennen als mit einem Angriff auf scheinbare Minderheitsrechte im Kulturbereich. Es tut dabei wenig zur Sache, ob die Sendung, das Theater oder die Ausstellung geschätzt oder gemieden wird – die mediale Solidarisierung wird mit Sicherheit spielen.
In Kulturfragen haben in den Zeitungen jeweils jene Kampftruppen Oberhand, die eine Verweigerungsmentalität gegenüber der Leistungsgesellschaft kultivieren. Das ist eigentlich erstaunlich, weil diese Haltung in anderen Bereichen grossteils erodiert ist. Im Wirtschaftsteil gerät jedes Unternehmen ins Visier, wenn ihm die Kunden abwandern; auch im Sportteil ist einsichtig geworden, dass ein Fussballklub untergeht, wenn die Zuschauer ausbleiben; selbst für manche Bundeshausredaktoren verliert inzwischen eine politische Partei an Relevanz, wenn ihr die Wähler davonlaufen.
Christoph Marthalers Glorienschein hingegen strahlte in den Zeitungsspalten nie heller als in der Stunde seines grössten Publikumsdesasters.
Warum das so ist, hat mit dem identischen Selbstbild mancher Journalisten und Kulturschaffender zu tun. Sie sind seelenverwandt in ihrer Absage an die übliche Definition von Erfolg und Misserfolg. Anders als Unternehmer, Fussballer oder Politiker, verweigern sie sich dem Messprinzip, wonach in quantitativem Zuspruch Niederschlag findet, was an Qualität geboten wird. Sie koppeln Quantität und Qualität insofern ab, indem auch der Mangel an Nachfrage das Angebot veredeln kann. Popularität und Populismus sind in dieser Sichtweise deckungsgleich.
Richtig daran ist, dass Zeitungen wie Kulturinstitute sowohl einen Bildungs- wie auch einen Kommunikationsauftrag haben. Der Erste verlangt nach Inhalten, der Zweite nach möglichst hoher Dichte an Kommunikation, also Publikum.
Nur ist leider der Bildungsauftrag dem Dünkel näher verwandt als der Kommunikationsauftrag dem Disneyland. Probleme in Medien und Kulturbetrieb entstehen darum immer dann, wenn die Publikumsferne als Bildungsauftrag missverstanden wird.
Ein gutes Beispiel dafür liefert etwa der Zürcher «Tages-Anzeiger». Seit Jahren verärgert die Zeitung systematisch die Jugendlichen der Region, die im – ausverkauften – Zürcher Hallenstadion die Konzerte ihrer Popidole besuchen. Nach dem für sie begeisternden Konzert dürfen sie regelmässig am elterlichen Frühstückstisch lesen, was für einen seichten Bockmist sie sich nun schon wieder zu Gemüte geführt hätten. Kaum vorstellbar, dass all die jahrelang Geprügelten später zu zahlenden Abonnenten werden.
Zwei Jahre lang verärgerte auch Christoph Marthaler seine aktuellen wie künftigen Theaterbesucher mit seinem Repetitorium inzwischen reichlich abgestandener Bühnenklischees. Auch hier haben sich die zahlenden Abonnenten verweigert, mit einem folgerichtigen Unterschied allerdings: Nach der für sie frustrierenden Aufführung dürfen sie jeweils im «Tages-Anzeiger» lesen, welch gelungenem Abend sie nun schon wieder beigewohnt hätten.
Überzeugender als die Belehrungsideologie ist der Ansatz, der den Wettbewerb in den Vordergrund stellt. In einem Umfeld mit einem derartigen kulturellen Überangebot, so formuliert es Gerald Matt, der Leiter der Wiener Kunsthalle, herrsche die «Ökonomie der Aufmerksamkeit». Der Kampf um das Aufmerksamkeitspotenzial in einer Gesellschaft verpflichte die Institution dazu, für ein möglichst grosses Publikum Kommunikation herzustellen. Dass dies mit Populismus à la Musikantenstadl gelingen kann, ist indessen auszuschliessen, weil dann der Kommunikationsauftrag zum Selbstläufer wird.
«Man muss nicht populäre Programme machen», sagt Matt, «sondern Programme populär.»
Mit dieser balancierten Sicht hat Matt bisher enormen Erfolg beim Publikum gehabt. In manchen Medien allerdings – und da kann er sich mit Radiodirektor Rüegg trösten – heissen sie ihn noch immer verächtlich «den Quotenjäger».
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