Die Kapitalströme in der Wirtschaft vergleicht Hans-Jörg Rudloff mit den Blutbahnen im Körper. «Das exzessive Leben Ende der Neunzigerjahre hat beim Patienten eine Bluttransfusion nötig gemacht», erklärt der renommierte Banker, «die Intensivstation hat er zwar verlassen, aber ganz fit ist der Patient noch nicht.» Die Transfusion bestand aus einer gigantischen Reflationierung der Wirtschaft: Die US-Notenbank und die Regierung Bush haben mit einer enorm expansiven Geldpolitik sowie Steuergutschriften die Kapitalmärkte in bislang nie erlebtem Mass mit Liquidität überschwemmt. Die Operation ist nach Meinung Rudloffs sehr gut gelungen. Den Kritikern von Alan Greenspan, die dem US-Notenbanker vorwerfen, mit den aggressiven Zinssenkungen eine neue Kreditblase geschaffen zu haben, entgegnet er: «Die Alternativen wären eine schwere Depression sowie ein totaler Verlust an Vertrauen in die Finanzmärkte gewesen.»

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Zur Person
Hans-Jörg Rudloff


Kaum ein Schweizer Banker hat sich über die Grenze hinaus einen solchen Ruf geschaffen wie Hans-Jörg Rudloff (63). Er ist seit 1998 Chairman von Barclays Capital, der Investment-Banking-Division der britischen Grossbank Barclays. 1980 stiess Rudloff zur Credit Suisse, wo er zum CEO der CS First Boston aufstieg. Als treibende Kraft im Geschäft mit europäischen Anleihen verdiente er sich den Übernamen «Mr. Euro-Bond». Daneben ist der in Genf wohnhafte Rudloff Vizepräsident im Verwaltungsrat von Novartis.

Noch sei der Genesungsprozess in vollem Gang, die Ungleichgewichte müssten nun abgebaut werden, sagt Rudloff. Die Frage sei nur: «Who’s gonna pay the price?» Hier bringt Rudloff den Dollar ins Spiel: Wenn die Amerikaner ihre Währung abwerten, können sie ihr riesiges Handelsbilanzdefizit abbauen. Den Preis dafür haben vor allem Europa und Japan zu berappen, hält er fest. «Für den Dollar sehe ich noch viel Raum nach unten. Uns Europäer wird diese Abwertung schmerzlich treffen.»

Ohnehin stellt Hans-Jörg Rudloff der Wirtschaftspolitik auf dem Alten Kontinent eine schlechte Diagnose: Statt nun endlich die dringend nötigen Reformen voranzutreiben, schürten die hiesigen Politiker den Antiamerikanismus, der höchstens das Denken blockiere. Für Rudloff ist klar: Der Dollar wird, trotz Abwertung, die unbestrittene Leitwährung der Finanzmärkte bleiben. Der Euroraum mit seiner Wachstumsschwäche dagegen werde an Gewicht verlieren. «Die USA sind das Römische Imperium der Moderne: Sie können es sich leisten, ihr Defizit von der restlichen Welt finanzieren zu lassen.» Daran werde auch die Dollarschwäche nichts ändern: Je tiefer die Währung falle, desto billiger und interessanter werde es für die restliche Welt, wieder in den USA zu investieren.

Welche Implikationen ergeben sich für die Anleger? Rudloff erwartet, dass sich die Zinsen im nächsten Jahr wieder deutlich von ihren Tiefstständen lösen. Die US-Notenbank werde den Leitzins bis Ende 2005 auf vier Prozent heraufsetzen. Mit dieser Prognose liegt Barclays Capital deutlich über dem Marktkonsens. Bei steigenden Zinsen verlieren Obligationen an Attraktivität. Auch gegenüber Aktien ist der Banker zurückhaltend: Angesichts der nicht mehr günstigen Bewertungen sei eine weitere Seitwärtsbewegung zu erwarten. Gold wiederum empfiehlt er nur tradingorientierten Investoren.

Rudloffs Prognose ist von Vorsicht geprägt. Nach seiner Meinung ist die Weiche für eine weitere Hausse noch nicht gestellt: Wird die Weltwirtschaft den Weg der Liberalisierung und der globalen Integration weitergehen? Oder kommt es zu einer erneuten Regulierungswelle sowie einer Fragmentierung unter den wirtschaftlichen Blöcken? Während Rudloff für die USA und die Emerging Markets zuversichtlich gestimmt ist, bereitet ihm Europa Sorgen. Das geringe Wachstum und die stockenden Reformen seien keine positiven Signale.