BILANZ: «Keiner kauft Schuhe», meldete die Boulevardpresse Mitte November. In der Schweiz kommen Statistiker auf ein Minus von 8,9 Prozent bei den Schuhumsätzen. Spüren Sie dies auch als schweizweit führender Schuhverkäufer?
Heinz-Horst Deichmann: Die Minuszahl kann ich nicht nachvollziehen. Wir erwarten für 2009 ganz sicher ein Plus in unseren rund 2700 Läden in 18 Ländern.
Und in der Schweiz?
Auch hier werden wir zulegen, wir wollen in unseren derzeit 352 Filialen Ochsner Sport, Ochsner Shoes und Dosenbach den Umsatz von 2008 spürbar steigern.
Sie kommen regelmässig in die Schweiz.
Seit 1952 schon, damals kaufte ich in Klosters ein Häuschen. Wann immer ich Zeit habe, fahre ich hin, einige Male im Jahr.
Zum Bergwandern?
Früher bin ich leidenschaftlich als Bergsteiger im Bündnerland unterwegs gewesen. Seit einer Herzoperation vor 20 Jahren klappt das nicht mehr ganz so gut. Aber glauben Sie mir: Hinunter kann ich noch mit jedem Jungen mithalten. Diese Passion ist mir geblieben. Und meine Kinder haben ebenso wie ich beim Bergsteigen das Seillängenprinzip gelernt.
Seillängenprinzip?
Im Bergmassiv bewältigt man Seillänge um Seillänge. Und zwischendurch nutzt man die Pause zur Erholung. Dieses Prinzip eignet sich bestens auch für den Beruf. Ich habe Bergsteigen als Lebensprinzip entdeckt. Seillänge um Seillänge eben. Ich liebe Klosters allerdings auch im Winter.
Auf der Langlaufloipe?
Von wegen. Downhill auch mit 83 Jahren. Ich fahre nur alpin, wobei mir entgegenkommt, dass die Pisten heute viel besser präpariert sind als vor 50 Jahren. Und die Skiausrüstung ist eindeutig besser. Die kaufe ich natürlich komplett bei Ochsner.
Von den Bündner Bergen aus haben Sie im Tal das Dosenbach-Ladennetz entdeckt und gekauft? Und später dann Ochsner?
Da war ich schon seit 20 Jahren regelmässig in der Schweiz. Wir waren, darf ich sagen, verwurzelt. Ich habe einen grossen Bekanntenkreis in Klosters. Eine meiner Töchter ist im Engadin glücklich verheiratet. Da bekam ich 1972 die Information, dass Carl Dosenbach seine gegen 40 Läden verkaufen wollte. Das waren allerdings nicht Verkaufsfilialen nach heutigem Zuschnitt. Da waren Stübchen dabei, Verkaufsräume, so klein wie ein Wohnzimmer.
Das Filialnetz hat den Einstieg in die Schweiz erleichtert.
Das schon. Unvergesslich sind für mich die Verhandlungen. Die Vier-Augen-Gespräche zogen sich über ein Jahr hin. Niemand durfte etwas erfahren, besonders nicht Dosenbachs Familie. Und es blieb geheim. Für 16 Läden musste ich eine langfristige Standortgarantie abgeben. Und der Verkäufer bestand auf Barzahlung.
Was haben Sie bezahlt?
Da war und ist Vertraulichkeit vereinbart. Das für mich Ungewöhnliche war die ausdrücklich verlangte Barzahlung. Das war ein Koffer voller Bargeld, den ich zur Vertragsunterzeichnung in Zürich an die Idastrasse schleppte.
Dafür konnten Sie in der Werbung sparen. Dosenbach beginnt wie Deichmann mit einem D. Das Initial nutzen Sie sowohl hierzulande als auch in Deutschland als Markenzeichen.
Das hat sich über die Jahrzehnte ergeben. Und auch der Werbeslogan «Gutes Geschäft» funktioniert in der Deutschschweiz ebenso wie in Deutschland.
Haben Sie nie, wie andere deutsche Unternehmer, daran gedacht, den Konzernsitz in die Schweiz zu verlegen? Um zum Beispiel Erbschaftssteuern zu sparen?
Nein, unsere Steuern zahlen wir in Deutschland. Das heisst, die Dosenbach-Ochsner AG steuert natürlich in der Schweiz. Und auch unsere Logistikgesellschaft DLL in Luterbach im Kanton Solothurn. Unsere Landesgesellschaften unterwerfen sich vor Ort den jeweiligen Steuergesetzen.
Sie gelten selbst bei kämpferischen Gewerkschaftern als der gute Mensch Deichmann. Vor wenigen Tagen erst hat Ihnen Eva Köhler, die Gattin des deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler, den Leibniz-Ring für Ihr Lebenswerk überreicht. In der Laudatio werden Sie ausdrücklich als grosser Menschenfreund gewürdigt.
Dass mich das Lob freut, bestreite ich nicht. Wenn ich mich allerdings engagiere, dann allein aus meinem christlichen Glauben heraus. Mein Bekenntnis dazu drückt sich darin aus, den Bedürftigen zur Verfügung zu stehen.
Haben Sie aus diesem Grund das Hilfswerk Wort und Tat gegründet?
Das kam später. Mein Vater hat sich schon in den zwanziger Jahren für ärmere Mitmenschen eingesetzt. Es ist heute weitgehend vergessen, aber bis in die fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts gab es Obdachlosigkeit auch in meiner deutschen Heimatregion, im Ruhrgebiet. Meine vier Schwestern und ich mussten als Kinder von den Leckereien auf unseren Weihnachtstellern natürlich etwas für die abgeben, die weniger hatten als wir.
Das prägt?
Sicher. Ich bin kein Mensch, der Luxusgüter verkaufen kann. Das muss ich deutlich sagen.
Die noch grössere Not in Indien, die haben Sie dann auf Ihren Einkaufstouren entdeckt?
Keineswegs, Freunde hatten mich 1973 nach Indien eingeladen, in den Bundesstaat Andhra Pradesh. Und dann sassen auf einmal 500 Leprakranke vor mir. Sie sassen da mit entstellten Gesichtern. Mit Gliedmassen ohne Hände, Finger, Füsse.
Da fühlten Sie sich als Mediziner herausgefordert?
Als Christ fühlte ich mich angesprochen. Ich erinnerte mich daran, dass Jesus Christus diese Kranken angerührt hatte. Er heilte sie, indem er die Ausgestossenen der Welt anrührte.
Seither fahren Sie jedes Jahr nach Andhra Pradesh?
Regelmässig zwei, drei Wochen im November. Früher begleitete mich meine leider im Vorjahr verstorbene Frau Ruth. Das von uns gegründete Hilfswerk Wort und Tat betreut inzwischen gegen 100 000 kranke und bedürftige Menschen. Wir setzen uns schon seit Jahren auch in Afrika ein, in Tansania. Mein Sohn Heinrich Otto Deichmann ...
... der seit zehn Jahren quasi als Verwaltungsratsdelegierter das operative Geschäft lenkt.
Mein Sohn ist Vorsitzender der Geschäftsführung. Von meinem Vater war die Verantwortung früh auf mich übergegangen. Inzwischen trägt sie zu grossen Teilen mein Sohn. Er kümmert sich ehrenamtlich auch um unser jüngstes Wort-und-Tat-Projekt in Moldau, quasi vor unserer europäischen Haustür. Von den 3,3 Millionen Menschen dort leben etwa 80 Prozent unter der Armutsgrenze. Das Gesundheitssystem ist völlig marode.
Deichmann erschliesst solche Länder dann für den Schuhhandel?
Solche Gerüchte streuen bisweilen Wettbewerber, wahr sind sie nicht. Unser Hilfswerk haben wir bewusst nicht Deichmann-Stiftung genannt. Wir wollen auf keinen Fall aus unseren Hilfsprojekten wirtschaftlichen Vorteil ziehen.
Ein multinationaler Windelhersteller wirbt aktuell damit, für jede verkaufte Packung einen Betrag für Impfaktionen in der Dritten Welt zu spenden.
Das wird es bei uns nie geben: Kauft Dosenbach-Schuhe, für jedes verkaufte Paar legen wir einen Franken Spende drauf. – Bevor ich damit anfange, schweige ich lieber ganz.
In den Dosenbach- und Ochsner-Geschäften stehen Sammelbüchsen.
Es wird allerdings niemand aufgefordert zu spenden. Wer will, bekommt Informationen. Und schön ist es schon, dass im Laufe eines Jahres einige hunderttausend Franken in den Spendendosen landen.
Umgerechnet mehr als acht Millionen Franken weist der Tätigkeitsbericht von Wort und Tat aus.
Wir haben inzwischen gegen 5000 Menschen, die unsere Hilfsprojekte unterstützen. Unser Ziel war es stets, unsere sozialen Projekte auf mehrere Schultern zu verteilen. Ich glaube im Übrigen nicht, dass sich Kunden dadurch beeinflussen lassen. Für sie ist wichtig, dass sie gut bedient werden und dass das Produkt stimmt.
Dosenbach bietet inzwischen vergleichsweise teure Schuhe an.
Das kann ich nicht bestätigen. Markenqualität zu erschwinglichen Preisen, die jeder bezahlen kann, habe ich seit je als Maxime genannt. Das gilt nach wie vor. Der Durchschnittspreis unserer Kollektion liegt bei 30 Franken – und das seit vielen Jahren. Wir sind stolz darauf, die Preisführerschaft bei Schuhen in der Schweiz zu haben. Teurer sind unsere rahmengenähten Herrenschuhe mit 99 Franken. Aber die erfordern viel Handarbeit. Unsere Kunden wissen das. Und ich bin sicher, dass der Kunde bei uns jederzeit unsere positive Grundeinstellung spürt, ihm immer ein günstiges Angebot zu machen.
Gegen 3500 Mitarbeitende stehen bei der Dosenbach-Ochsner AG auf der Lohnliste. Sie selbst sagen, Bedienung im alten Sinne werde nicht mehr geboten ...
... aber ein freundliches Zur-Verfügung-Stehen auf Wunsch des Kunden. Die Verkaufsgeschäfte haben sich gewandelt. Unsere Standardläden sind heute die sogenannten Rack Rooms, in denen das komplette Schuhsortiment paarweise in den Kartons in den Regalen steht. Das entlastet unsere Mitarbeiter, weil sie nicht mehr für jeden Kunden ins Lager laufen müssen, um das Schuhgegenstück zu holen.
Und die Kassen melden automatisch elektronisch in die Zentrale, welcher Schuh gerade in welcher Grösse und Farbe die Filiale verlassen hat.
Das ist in der Tat ein Vorteil der sogenannten computergestützten Informationstechnologie. Früher mussten 30 Mitarbeitende sämtliche Kassenbelege aus allen Verkaufsstellen von Hand auswerten, um dem Einkauf wichtige Hinweise über Käuferwünsche zu geben. Der gute Preis kommt dadurch zustande, dass man vernünftig einkauft, also nichts Überflüssiges.
Und wie finden Sie das heraus?
Da gibt es im Laufe der Jahre Erfahrungswerte. Von einem Herrenschuhmodell haben wir in unterschiedlichen Grössen nach und nach mehr als eine halbe Million Paar verkauft.
Das setzt eine ausgeklügelte Logistik voraus.
Das ist überhaupt kein Vergleich, wenn ich an unsere Anfänge denke. Da war im Erdgeschoss unseres Elternhauses an der Borbecker Strasse in Essen das Geschäft. Und im ersten Stock neben Küche und Wohnzimmer hatten meine Eltern einen Lagerraum eingerichtet. Unser Lager in Luterbach dagegen ist Hightech.
Sie haben Ihren 83. Geburtstag gefeiert und scheinen unvermindert auf Schusters Rappen unterwegs. Sie waren 14 Tage auf einer anstrengenden Tour in Indien für Ihre Hilfsprojekte, wirken jedoch keineswegs erschöpft.
Gott sei Dank. Jetzt beginnt wie in jedem Jahr in der Adventszeit meine Weihnachtstour durch die Filialen. Zwölf Termine habe ich, ich nehme etwa an Weihnachtsfeiern teil in Polen, Ungarn, Holland. Der Start ist in diesem Jahr in Italien. Da kann ich meine Kenntnisse der italienischen Sprache auffrischen.
Um die Schweiz machen Sie einen Bogen?
Im Gegenteil. Da wird in der vierten Adventswoche meine abschliessende Weihnachtsfeier sein, in Dietikon.
Bringen Sie Geschenke mit?
Jeder unserer 28 000 Mitarbeitenden bekommt in diesem Jahr einen prächtigen Bildband, zweisprachig in Deutsch und Englisch. «Hoffnung geben!» heisst der Titel und gibt einen eindrucksvollen Einblick in die Hilfsaktionen von Wort und Tat.
Der Facharzt für Orthopädie stand nach dem Tod von Vater Heinrich Deichmann vor der Wahl, den elterlichen Schuhladen oder seine Arztkarriere aufzugeben. Heinz-Horst Deichmann baute ab 1956 Europas grösste Schuhdetailhandelskette auf. Der 83-jährige Vater von vier Kindern übertrug Sohn Heinrich Otto (46) vor zehn Jahren die operative Verantwortung. Der Senior reist als bekennender Christ durch Slums in Indien und Afrika. Einziger Luxus: ein Häuschen in Klosters. Deichmann gehört zu den reichsten Deutschen; das «Manager Magazin» schätzt sein Vermögen auf 1,7 Milliarden Euro.