Gary Brinson kommt aus ärmlichen Verhältnissen, war Fabrikarbeiter, studierte und lehrte an der Washington State University. Er wurde Chefinvestor der US-Bank First National Bank, gründete mit Freunden und Partnern die in Chicago ansässige Brinson Partners. Der Schweizerische Bankverein sah das Potenzial und kaufte 1994 Brinson Partners, die später in UBS Brinson umbenannt wurde. Brinson stieg in den UBS-Vorstand auf. Sein konservativer Anlagestil führte Ende der Neunzigerjahre dazu, dass die Aktienrallye an ihm und seinen Kunden vorbeiging. Brinson trennte sich im Januar 2001 endgültig von der UBS. Heute verwaltet der 59-Jährige das auf eine Milliarde Dollar geschätzte Familienvermögen und widmet seine Energie der Brinson Foundation, die sich für Bildung, Krebsforschung und Umweltschutz engagiert. Gary Brinson ist verheiratet und hat zwei Töchter. |
BILANZ: Mr. Brinson, sagt Ihnen das Sprichwort «Wer zuletzt lacht, lacht am besten» etwas?
Gary Brinson: Durchaus, im Englischen hat der Satz in «to have the last laugh» ja eine direkte Entsprechung.
Und fühlen Sie sich angesprochen? Sie könnten nach dem Platzen der Spekulationsblase ja fröhlich lästern: Seht ihr, ich habs euch schon immer gesagt!
(Lacht) Nun, das wäre nicht mein Stil. Ich würde das wohl etwas zurückhaltender formulieren.
Wie denn?
Vielleicht so: Der Erfolg an den Finanzmärkten ist zuweilen so zyklisch wie die Märkte selber.
Vor drei Jahren war es um Ihren Ruf tatsächlich nicht so toll bestellt. Als Chef der institutionellen Vermögensverwaltung UBS Brinson hatten Sie seit Anfang 1997 die Aktienposition stark reduziert und so die folgende Hausse verpasst.
Ja, mein konservativer Anlagestil mag manchem in Zeiten galoppierender Kurse antiquiert erschienen sein.
UBS-Konzernchef Marcel Ospel verkündete Ihre Ablösung und präsentierte Peter Wuffli als Ihren Nachfolger.
Nun, ich blieb ja bis 2001 noch Chief Investment Officer, aber aus der Konzernleitung schied ich aus, das ist wahr.
Ist die UBS am Ende nervös geworden angesichts Ihrer stoischen Investmentphilosophie?
Aus geschäftlicher Sicht – und diese unterscheidet sich dezidiert von der des Investors – muss ein grosses Finanzinstitut seinen Kunden halt die ganze Bandbreite an Produkten anbieten, und das in jeder Marktsituation. Keine Bank wird einer nach aggressiven Investmentvehikeln lechzenden Öffentlichkeit sagen: Nein, solche Instrumente könnt ihr nicht bei uns bekommen, geht bitte zur Konkurrenz.
Peter Wuffli hat als Ihr Nachfolger einen respektablen Job gemacht.
Ich habe Peter ja dort eingeführt. Sehen Sie, nach der Fusion des Schweizerischen Bankvereins und der Schweizerischen Bankgesellschaft zur UBS war das Asset-Management in einem desolaten Zustand. Die Qualität der Mitarbeiter war, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ungenügend, die Organisation eine Katastrophe. Ich habe Marcel (Ospel) damals gesagt, ich bin jetzt 55 Jahre alt, ich bleibe für ein paar Jahre und versuche, den Laden einigermassen auf die Schiene zu setzen.
Und Wuffli?
Peter sollte nach Marcels Vorstellung Erfahrungen im operativen Geschäft sammeln, so stiess er zu uns. Ich habe die Investmentseite gemanagt, und Peter hat sich um das Geschäft gekümmert. Nach einem weiteren Jahr habe ich zu Peter gesagt: Gut, die Zeit ist gekommen, ich übergebe das Investment jetzt an Jeff Diermeier.
Warum Ihr Rückzug?
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich war in dieser Zeit mehr und mehr frustriert.
Von der UBS?
Nein, von der Haltung der Kunden. Die waren derart vom New-Economy-Fieber befallen, dass es für mich oft unerträglich wurde, mich mit denen an einen Tisch zu setzen. Einige Klienten haben auf mich gehört, aber im Grossen und Ganzen war ich von der Haltung vieler institutioneller Kunden enttäuscht.
In einem Bullenmarkt werden viele Leute halt unglaublich schlau.
Ja, und ich bin nun seit über dreissig Jahren im Geschäft und fand es irgendwann ermüdend, mir sagen zu lassen, mein Stil tauge in der neuen Zeit nicht mehr, da gelten jetzt andere Gesetze.
Als die Blase zerplatzte, gab es Momente der Schadenfreude?
Ach woher, ich habe das doch alles schon so oft mitgemacht. Als 1981 die Zinsen in den USA bei 14 Prozent standen, habe ich den Leuten gesagt, sie sollen Long-Term- Treasury-Bonds kaufen. Die haben mich für verrückt erklärt. Als ich im Sommer 1987 den grössten Teil der US-Aktien verkaufte, waren viele Kunden empört. Japan-Aktien habe ich schon 1988 verkauft, ein Jahr danach brachen die Kurse ein. In den frühen Neunzigern sind wir aus Immobilienanlagen ausgestiegen. Mitte der Neunziger habe ich den Leuten geraten, den japanischen Yen zu verkaufen. Was ich damit nur sagen will: Der Markt hat bisher noch immer jede Übertreibung korrigiert.
Aber diesmal sollte dank dem Internet doch alles anders werden, oder?
Das Internet ist prima. Aber immer, wenn vermeintliche Experten glauben, sie müssten neue Bewertungsmodelle entwickeln, sollten eigentlich bei jedem die Alarmglocken läuten. Die Geschichte der Spekulationsblasen ist lang.
Wann endet unternehmerisches Wagnis, und wann beginnt das unkalkulierbare Risiko?
Unter vielen Ökonomen gilt Spekulation ja als unabdingbarer Faktor für das Funktionieren des freien Marktes. Für den Kleinanleger ist freilich wenig tröstlich, dass aus dem grossen Crash von 1929 keine prinzipiellen Konsequenzen gezogen wurden, sodass in den Achtziger-, Neunzigerjahren und im Jahr 2000 globale Spekulationswellen einsetzten – mit schliesslich grösseren Verlusten als 1929.
Die Marktgesetze werden für eine befristete Zeit ausser Kraft gesetzt?
Ja, Edward Chancellor hat das in seinem hervorragenden Buch «Devil Take the Hindmost: A History of Financial Speculation» (auf Deutsch «Bullen gegen Bären: Die Geschichte der Finanzspekulation», Insel Verlag, 2002) als die «karnevaleske Seite des Kapitalismus» beschrieben.
Als Investor müssen Sie spätestens aber dann doch eine Entscheidung treffen: Entweder halten Sie sich eisern an Ihre Anlagephilosophie, oder Sie reiten auf der Welle mit und schaffen rechtzeitig den Absprung.
Darauf habe ich eine ganz klare Antwort: Wenn es an den Finanzmärkten zu Exzessen kommt – im Positiven wie im Negativen – wird es fast unmöglich, deren Lebensspanne einzuschätzen.
Die grosse Überraschung zuletzt war ja, wie lange sich die Blase weiter aufblähte. Hand aufs Herz: Hat es Ihnen nicht doch in den Fingern gejuckt?
Ich erzähle Ihnen eine interessante Geschichte. Während der «south sea bubble» (Anmerkung: historischer Finanzskandal im England des frühen 18. Jahrhunderts) war einer der ersten Investoren Sir Isaac Newton. Angeblich gab es damals in der Südsee traumhafte Gewinnchancen für Aktiengesellschaften aller Art. Neuemissionen mit einem nominellen Kapital von 220 Millionen Pfund wurden begeben, dabei betrug das gesamte Aktienkapital der 1717 existierenden Aktiengesellschaften nur 20 Millionen Pfund. Irgendwann im Zuge dieser unglaublichen Hysterie bemerkte Newton, offensichtlich ja ein intelligenter Mensch, wie verrückt das Ganze war und zog sein Geld zurück.
Jeder ehemalige Aktionär von Pets.com oder Ähnlichem ahnt, was jetzt passiert …
Richtig, die Kurse verdoppelten sich von da an nochmals, Newtons Bekannte machten sich über ihren «übervorsichtigen» Freund lustig. Vierzig Tage vor dem spektakulären Platzen der «south sea bubble» stieg Isaac Newton wieder ein. Und er verlor fast alles …
Wenn man heute CNBC oder Bloomberg TV einschaltet, gibt es jede Menge Experten, die behaupten, wir hätten den Boden erreicht. Stimmen Sie denen zu?
Ausgehend von unseren Modellen, habe ich im Juli tatsächlich sämtliche Short-Positionen glattgestellt und damit zum ersten Mal in drei Jahren die Ausrichtung meines Portfolios auf neutral hochgestuft. Liege ich mit dem Timing richtig? Ich weiss es nicht. Aber eines ist mir klar: Die Bewertungen erscheinen derzeit wieder einigermassen realistisch. Nicht billig, aber doch vernünftig.
Was erwarten Sie für die nächsten Monate?
Ich gehe von einer holprigen Erholung aus. Ich bin so optimistisch, mit zweieinhalb bis drei Prozent inflationsbereinigtem Wachstum zu rechnen. Das Dilemma ist die immer noch zu hohe Erwartungshaltung der Anleger. Da hoffen viele noch auf sieben bis acht Prozent.
Die Immobilienpreise sind nach wie vor hoch, die US-Verbraucher konsumieren, als hätte es den Einbruch an der Börse nie gegeben. Vermissen Sie eine echte Kapitulation?
Vielleicht, und genau dieser Punkt ist momentan wohl der grösste Unsicherheitsfaktor. Die Erwartungen sind nicht ausreichend heruntergebracht worden. Wenn man das mit 1974 vergleicht …
… dem letzten dramatischen Bärenmarkt in den USA …
… da waren die Menschen wirklich emotional ausgelaugt. Was sich dann als wunderbare Basis für den folgenden Aufschwung erwies. Wir sind von diesem Punkt derzeit noch weit entfernt. Ob wir diesmal überhaupt so weit kommen müssen? Ich weiss es nicht.
Sie haben jahrelang eine Top-down-Strategie verfolgt: Zuerst die besten Länder auswählen, daraus die besten Branchen filtern und dann nach unterbewerteten Aktien suchen. Macht diese Strategie in einer Welt der Globalisierung noch Sinn?
Nein, die Anlagestreuung nach Ländern spielt in Zukunft eine untergeordnete Rolle. Die Märkte wachsen zusammen; Coca-Cola zum Beispiel erzielt 80 Prozent seiner Gewinne ausserhalb der USA und Nestlé in der Schweiz lediglich 1,5 Prozent.
Welche Allokation bevorzugen Sie heute?
Wir konzentrieren uns vornehmlich auf Sektoren. Ein global definierter Automobilsektor wird immer anders performen als der globale Pharma-Bereich oder der Energiesektor.
Welche Sektoren halten Sie denn derzeit für attraktiv?
Nun, ich habe in meinem Portfolio derzeit keine branchenspezifische Übergewichtung. Ich bin ein wenig besorgt über die niedrigen Zinsen; leichte Inflationstendenzen könnten diese in den kommenden 18 Monaten schnell um 100 bis 150 Basispunkte hochtreiben. Deshalb bevorzuge ich derzeit die 1997 bei uns eingeführten so genannten Treasury-Inflation-protected-Bonds statt Anleihen mit festem Nominalzins. Ich sehe gewisse Möglichkeiten bei High-Yield-Bonds, obwohl der gesamte Junk-Bond-Bereich durch die Kreditprobleme vieler Firmen erheblich dezimiert ist. Ein weiterer interessanter Bereich – und da kommen wir wieder zurück zur UBS, die dort wie viele andere Banken einen grossen Teil ihrer Investments gerade abgeschrieben hat – ist der Private-Equity-Sektor.
Mit dem Platzen der Technologieblase ist der Kapitalzufluss dort praktisch zum Stillstand gekommen.
Ja, wenn Sie wirklich deprimierte Anleger erleben wollen, sollten Sie sich dort mal umschauen. Ich sehe im Private-Equity-Bereich derzeit durchaus Kaufgelegenheiten.
Es ist jetzt anderthalb Jahre her, dass Sie bei der UBS ausgestiegen sind. Hat in der Zwischenzeit schon jemand angeklopft, um Sie aus der Frührente zu locken?
Nein, denn ich habe mich ja sehr öffentlich zurückgezogen. Ich verwalte heute mein eigenes Vermögen und das der Familienstiftung. Ich habe, wie Sie sich denken können, dank meiner Short-Positionen in den vergangenen zwei Jahren ausgesprochen gut verdient.
Halten Sie noch Kontakte in die Schweiz?
Beruflich wenig, ausser natürlich, dass ich noch einen erheblichen Aktienanteil an der UBS halte. Privat bin ich gelegentlich mit dem einen oder anderen in Kontakt. Ich war amüsiert – das ist vielleicht das falsche Wort –, eher verblüfft, dass Martin Ebner derzeit durch eine eigene Phase der Anpassung zu gehen scheint. Ich war immer davon überzeugt, dass sein grösster Coup seine Rolle bei der Fusion von Schweizerischer Bankgesellschaft und Schweizerischem Bankverein war. Irgendwie war ich fast froh zu hören, dass die UBS jetzt nicht finanziell für Ebner eingetreten ist (lacht). Er hat von denen ja schon mehr als genug bekommen …
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