BILANZ: Herr Buffett, fürchten Sie einen Crash?
Warren Buffett: Die Unternehmen, die ich verfolge, sind historisch gesehen hoch bewertet. Ich sehe zwar gute Unternehmen, finde aber keine, die mir auf diesem Kursniveau eine zufriedenstellende Rendite bringen. Aber das ist keine Prognose. Ich habe keine Ahnung, wo die Märkte morgen, in einem Monat oder in einem Jahr stehen. Ich mache keine Prognosen, ich sehe mir lediglich die Bewertungen an. Und von Zeit zu Zeit gibt es Chancen für Investments mit einem guten Return. Wann das wieder so sein wird, weiss ich nicht.
Sie halten bei Berkshire Hathaway rund 15 Milliarden Dollar Cash. Für derart grosse Investitionen scheint demzufolge der Markt nicht viel herzugeben.
Das ist richtig. Wir sind mit Berkshire Hathaway zu gross geworden, um in Mücken zu investieren. Ich muss die Elefanten suchen. Und unglücklicherweise sind die Elefanten derzeit nicht so gut wie die Mücken.
Haben Sie je daran gedacht, ein neues Anlagevehikel zu gründen, um Ihr Grössenproblem zu mildern?
Nein, ich bleibe Berkshire Hathaway mein ganzes Leben lang verbunden. Je besser man wird, desto grösser werden in diesem Geschäft die Probleme. Aber das ist ein vergleichsweise angenehmes Problem.
In Europa haben wir derzeit eher grosse wirtschaftliche Probleme. Trägt der Euro zu ihrer Lösung bei?
Eine gemeinsame Währung macht ökonomische Abläufe einfacher. Wenn Handelsbarrieren abgeschafft werden, wird das mit der Zeit zu einem höheren Lebensstandard führen. So gesehen, ist der Euro eine gute Sache, auch wenn er nicht alle Probleme aus dem Weg schafft.
Können Sie Leute verstehen, die nach der Zinssenkung der Europäischen Zentralbank oder der US-Notenbank flugs zu ihrem Broker rennen und Aktien kaufen?
Wenn das Fed seine Politik in die eine oder andere Richtung verändert, reagieren die Märkte. Aber das macht für mich keinen Unterschied. Ich versuche nicht vorauszusehen, was das Fed macht. Und überhaupt habe ich sinkende Märkte gern, denn schliesslich bin ich ein Investor, der Geld investieren will. Wenn Sie für einen Dollar einen Hamburger kaufen und in der nächsten Woche nur noch achtzig Cents zahlen, sollten Sie froh sein, weil Sie ihn billiger kriegen. Der nächste Schritt der US-Notenbank muss die Anleger aber nicht kümmern, wenn ihre Aktien in den nächsten zehn Jahren erfolgreich sind.
Wenn also US-Notenbankchef Alan Greenspan Sie vor einer Änderung der Politik warnte, hätte das auf Ihre Investitionsentscheide keinen Einfluss?
Nein, ich hätte die Firma NetJets zum genau gleichen Preis gekauft. Das wichtigste ist doch, die richtigen Unternehmen zu kaufen. Und die richtigen sind jene, die in zehn Jahren viel mehr Geld verdienen als heute. Dafür gibt es viele potentielle Kandidaten, aber als Investor sollte man sich dessen immer sicher sein.
Sie investieren vorwiegend in den USA. Ist das auf Ihr Bedürfnis, die Unternehmen vollumfänglich zu verstehen, zurückzuführen?
Wenn ich eine Aktie kaufe, dann kaufe ich nicht einfach das Wertpapier, sondern eine Beteiligung an einem Unternehmen. Der Preis pro Aktie ist für mich sekundär. Viel wichtiger ist für mich die Bewertung des ganzen Unternehmens. Wenn mir die Firma gefällt, ihr Wert von der Börse zu tief eingestuft und das Management gut ist, kaufe ich. Die Geographie spielt dabei keine Rolle.
Wall Street staunt, denn obwohl Sie die neuen Börsenzugpferde im High-Tech-Bereich nicht in Ihrem Portefeuille halten, konnten Sie den Markt in den letzten Jahren markant schlagen.
Wissen Sie, das ist alles gar nicht so kompliziert. Ich kaufe nur, was ich verstehe und konzentriere mich auf erfolgreiche Firmen. Als ich vor acht Jahren meinen heutigen Freund Bill Gates kennenlernte, hat er mir alles über Microsoft erzählt. Er versteht sein Business, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wo das Unternehmen in zehn Jahren steht. Ich kann nicht alles wissen. Meine Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass ich das, was ich zu wissen glaube, auch wirklich weiss. Ich bin nicht gescheit genug, um die High-Tech-Unternehmen zu vestehen. Auch von Spekulationen gegen den Euro verstehe ich nichts. Und Kakaobohnen überlasse ich auch anderen.
Deshalb kaufen Sie auch die heissen Internet-Titel nicht.
Richtig. Ich weiss nicht genug. Höchstens, dass es langfristig mehr Verlierer als Gewinner geben wird.
Was halten Sie von der jüngsten Entwicklung im Internet-Aktienhandel?
Wenn das dazu führt, dass die Privatanleger aktiver handeln, werden sie das langfristig bereuen. 99 Prozent der Leute sind nicht fähig, mit aktivem Handel langfristig Geld zu verdienen. Bei jedem Trade wird ein kleines Stückchen herausgebrochen. Wenn das lange genug geschieht, stehen die Menschen bald wie ein Skelett da. Wenn also das Tempo von Internet zu mehr Aktionitis führt, ist das negativ.
Für Sie ist ein gutes Management unabdingbar. Was müssen denn diese Manager für Auflagen erfüllen?
Zuallererst müssen sie ehrlich sein. Eigentlich suchen wir die drei Eigenschaften Intelligenz, Integrität und Energie. Aber wenn Sie die Integrität nicht haben, werden die anderen beiden Eigenschaften die Anleger strafen. Unehrliche Manager sind aus meiner Sicht am besten dumm und faul, denn dann richten sie wenig Schaden an. Also müssen alle drei Eigenschaften vorhanden sein. Mit solchen Managern sind Anleger sicher erfolgreich. Ein Unternehmen zu führen ist keine Wissenschaft. Es braucht Menschen, die auf intelligente Weise entscheiden und dann auch noch in der Lage sind, diese Entscheide richtig umzusetzen.
Haben denn die vielen Manager, die jetzt zum Mittel von Fusionen gegriffen haben, genügend nachgedacht?
Die Motivationen sind unterschiedlich. Einige Zusammenschlüsse halte ich für durchdacht, andere zielen ohne grosse Konzepte auf Grösse ab, und Dritte werden aus Bewertungsgründen durchgeführt.
Der Wettbewerb ist hart. Sie suchen Unternehmen, die wie ein grosses Schloss mit einem breiten Wassergraben in der Landschaft stehen und damit im harten Konkurrenzkampf besser bestehen können.
Ja, bei Coca-Cola beispielsweise ist das Schloss extrem gross. Der Markt ist riesig, und Coca-Cola hat ein enormes Potential. Es ist doch faszinierend, dass ein Arbeiter auf einem chinesischen Reisfeld genau das gleiche trinken kann wie die Königin von England, und das zu einem günstigen Preis und mit dem gleichen Vergnügen.
Das allein genügt aber noch nicht.
Wir wollen, dass die Menschen weltweit mit Coca-Cola eine erfreuliche Erfahrung assoziieren, und wollen es den Leuten überall zu einem vernünftigen Preis zugänglich machen. Das verlangt dem Management enorm viel ab. Es bedeutet, die abgelegensten Gegenden zu erschliessen, Abfüllanlagen zu bauen und die Distribution sicherzustellen. Darüber nachzudenken, wie das zu geschehen hat, ist nicht sehr schwierig. Die Ausführung hingegen erfordert einen unheimlichen Effort. Wir suchen Menschen, die einen klaren Fokus für die wichtigen Massnahmen haben. Sie müssen auch in stürmischen Zeiten ihre Ziele verfolgen und über die Wege zu diesem Ziel nachdenken. Sie sollen die richtigen Leute für Hilfestellungen beiziehen und so das Gefühl für einen gemeinsamen Effort schaffen. Diese Manager gibt es noch. Die Chefetage von Coca-Cola etwa fasst es als persönliche Beleidigung auf, wenn jemand statt Coke ein Glas Wasser trinkt.
Grossinvestoren, in der Schweiz etwa Martin Ebner, halten vermehrt Einzug in Verwaltungsräte, um das Tempo mitzudiktieren.
Das ist ein Nachteil. Ich bin zwar Verwaltungsrat bei Gillette, weil ich damals beim Kauf der Aktien ein Commitment eingehen wollte und mir die Menschen dort nahestehen. Aber als Investor wäre ich besser dran, nicht im Verwaltungsrat zu sitzen. Wenn die Gillette-Aktie aus irgendeinem Grund plötzlich billig wird, darf ich aufgrund meines Wissens unter Umständen nicht kaufen. Mein Geschäft ist es aber, unterbewertete Aktien zu kaufen. Alles, was mir dabei die Hände bindet, ist negativ. Deshalb will ich nicht Verwaltungsrat sein. Kommt noch dazu, dass Insiderwissen für meine Anlagetätigkeit gar nicht wichtig ist. Alles, was wir kaufen, sollte so offensichtlich verständlich sein, dass wir nicht alle Details wissen müssen. Und das zu erfassen sollte mir beim Geschäftsberichtstudium in meinem Büro in Omaha genausogut gelingen wie beim Gespräch mit dem Firmenchef.
Einer meiner Söhne ist Musiker geworden, der andere Bauer. Sie machen genau das, was sie gerne mögen, und deshalb sind sie ziemlich gut geworden und gehen mit Begeisterung zur Sache. Ganz falsch finde ich es, etwas nur wegen des Geldes zu machen. Junge Menschen sollten ihren ersten Job nicht nach der Höhe des Salärs auswählen, sie sollten vielmehr bei jener Organisation arbeiten, die sie am meisten bewundern. Dann sollte man keine Zeit verschwenden mit Menschen, die man nicht mag.