BILANZ: Herr Acampora, in Ihrem neuen Buch, «The Fourth Mega-Market», liefern Sie eine euphorische Prognose für die US-Börsen der kommenden Jahre. Mit Verlaub: Verfügen Sie über andere Daten als wir?
Ralph Acampora:
Wenn Sie mir ungezügelten Optimismus vorwerfen, haben Sie mein Buch nicht richtig gelesen. Alle Bullenmärkte, einschliesslich des derzeitigen Megamarktes, über den ich schreibe, erleiden auf ihrem Weg zur Spitze zum Teil drastische Korrekturen. Solche gelegentlichen Einbrüche sind völlig normal und sogar nötig, um die Hausse über einen längeren Zeitraum am Leben zu halten.

Für viele Anleger ist das freilich schwer nachvollziehbar: Mal sind Sie der unermüdliche Einpeitscher, dann wieder, wie zuletzt 1998, reden Sie den Dow Jones herunter.
(Lacht) Die Leute sollten sowieso nicht auf Gurus wie mich hören, sondern Finanzfragen zusammen mit ihrem Vermögensberater lösen. Im Ernst: Technische Marktanalyse kann dabei helfen, sowohl kurzfristige Bullen- als auch Bärenmärkte zu identifizieren. Sie unterstützt Investoren beim Timing ihrer Anlageentscheidungen. Grundsätzlich bin ich seit Anfang der Neunzigerjahre bullish, obwohl wir in dieser Zeit auf dem amerikanischen Markt über zwei Dutzend Korrekturen verzeichnen mussten. Von solchen Einbrüchen habe ich mich nicht beirren lassen. Das waren zumeist Tarnkappenkorrekturen …

… wie die unsichtbaren Bomber der US-Luftwaffe?
Ganz genau. Man weiss, dass diese Flugzeuge in der Nähe sind, kann sie aber nicht auf dem Radarschirm sehen. Im Sommer 1996 hatten wir eine klassische Tarnkappenkonstellation auf dem US-Aktienmarkt. Mehr als die Hälfte aller Smallcap-Werte – und die machen die weitaus grösste Zahl der amerikanischen Titel aus – verloren fast 20 Prozent ihres Wertes. In der gleichen Zeit büssten die 30 Standardwerte aus dem Dow Jones Index lediglich 8,5 Prozent ein.

Von einer versteckten Korrektur konnte zuletzt aber kaum die Rede sein.
Auch wenn ich mich wiederhole: Gelegentliche Einbrüche wie an der Nasdaq sind in einem Megamarkt nicht ungewöhnlich. Ich bleibe dabei und sehe den Dow Jones bis zum Jahre 2006 bei 18 000 Punkten.

In Ihrem Buch führen Sie die Leser zurück in frühere Perioden sagenhaften Wachstums an den amerikanischen Börsen. Lassen sich die Muster vergangener Bullenmärkte wirklich auf heute übertragen?
Davon bin ich überzeugt. Was wir derzeit erleben, hat es in der Geschichte der US-Börsen dreimal zuvor gegeben: lang anhaltende, über 10 bis 17 Jahre währende Bullenmärkte mit Gewinnen von mindestens 500 bis 600 Prozent. Der vierte Megamarkt ist für mich also historisch prognostizierbar.

Was ist das Startsignal für einen Megamarkt?
Diese langfristigen Bullenmärkte treten immer nach Beendigung eines ökonomisch wie psychologisch verheerenden Krieges auf. Das Zusammenspiel dreier typischer Nachkriegselemente – das Umlenken des Kapitals in Friedensindustrien, das Aufkommen neuer Technologien und ein grundsätzlicher Optimismus im Land – ist ihr Zündsatz. Die ersten drei Megamärkte in den USA folgten dem amerikanischen Bürgerkrieg von 1877 bis 1891, dem Ersten Weltkrieg von 1921 bis 1929 und dem Zweiten Weltkrieg von 1949 bis 1966. Der Ausgangspunkt für den gegenwärtigen Bullenmarkt wiederum war die Beendigung des Kalten Krieges. Als im November 1989 die Berliner Mauer fiel, begann eine Weltgeschichte unter völlig neuen Vorzeichen. Zwar dauerte es bis Ende 1994, ehe sich das Bewusstsein eines dauerhaften Friedens durchsetzen konnte und der Markt seinen kometenhaften Anstieg begann. Der Siegeszug des Internets und die Durchbrüche in der Biotechnologie liefern den Treibstoff für den vierten Megamarkt …

… der Ihrer Meinung nach von den gleichen Unternehmertypen geprägt wird wie die vergangenen Boomphasen.
Ganz genau, Paul Allen ist der J.P. Morgan unserer Zeit. Und das knallharte Geschäftsgebaren eines John D. Rockefeller findet heute sein Pendant in Bill Gates. Genau wie Andrew Carnegie machen Internetmillionäre heute ihr Vermögen im zarten Unternehmeralter von 30 Jahren.

Letztere sind inzwischen schwer unter die Räder geraten. Ist der Zusammenbruch der Nasdaq nicht ein deutliches Zeichen für das vorzeitige Ende des von Ihnen proklamierten vierten Megamarktes?
Ganz und gar nicht! Natürlich waren die Anleger in der Zeit zwischen Oktober 1998 und dem ersten Quartal 2000 viel zu euphorisch. Die haben Milliarden in unbekannte Dotcoms geschaufelt, auch wenn deren Geschäftsmodell noch so lächerlich war.

Hätte selbst ein Greenhorn der technischen Analyse diesen Trend als irrational identifizieren können?
Ja, selbstverständlich. Besonders beunruhigend für mich war, dass es dem Markt völlig an Breite fehlte. Die Advance-Decline-Line der New York Stock Exchange …

… also die Darstellung aller im Markt befindlichen Wertpapiere, die sich aus der Differenz zwischen der Zahl der Aktien mit Kursgewinnen sowie der Zahl der Aktien mit Kursverlusten errechnet …
… genau, diese Linie fiel während der hysterischen Rallye zwischen 1998 und 2000 kontinuierlich. Für uns technische Analysten ist das ein ganz wichtiger Indikator für den wahren Zustand der Börsen, viel wichtiger als etwa der Dow Jones. Die meisten Werte haben also niemals an dem partizipiert, was an der Oberfläche als fantastischer Bullenmarkt erschien.

Nochmals: Warum ist der vierte Megamarkt Ihrer Ansicht nach nicht tot?
Weil es, und das mag viele überraschen, ein Leben nach den Technologiewerten gibt. Unsere neueste Studie hat eine völlig neue Liste von Firmen zu Tage gefördert, die Investoren, die an langfristigem Wertzuwachs interessiert sind, beachten sollten und die meiner Meinung nach den Bullenmarkt über die nächsten 12 bis 18 Monate wieder anschieben werden.

Wie sind Sie auf diese Werte gestossen?
Lassen Sie mich zunächst noch einmal die Rahmenbedingungen erläutern: Vom April 1998 an, als die Advance-Decline-Line ihren Höhepunkt hatte, fiel die Mehrzahl aller Aktien, während der Dow Jones und der Nasdaq 100 munter weiterstiegen. Das heisst, dass tendenziell nur noch wenige, schwergewichtige Aktien steigen. 1998 beispielsweise sind zwei Drittel aller Aktien gefallen. In dieser Zeit legten der Dow Jones Industrial Average und der S&P 500 über 30 Prozent zu, der Nasdaq stieg sogar um 150 Prozent. Und der Trend setzte sich 1999 und im ersten Quartal 2000 fort.

Fragt sich, wie lange eine Minderheit von Aktien weitersteigen kann, während die Mehrheit sich in einem Bear-Markt befindet.
Richtig. Einige Kollegen von mir behaupten, dass diese über zwei Jahre andauernde Schere zwischen den führenden Werten und dem Rest der Aktien eine nicht zu durchdringende Decke für den Gesamtmarkt gesetzt hat. Für sie sind die 11 700 Indexpunkte des Dow Jones, der 1550-Level des S&P 500 und die 5100-Spitze des Nasdaq eine massive Barriere. Ich sehe das anders: Die NYSE-Advance-Decline-Line erlebte im März 2000 ein wichtiges Tief – am selben Tag, da der Nasdaq sein All-Time-High feierte. Die Old-Economy-Stocks bildeten also einen Boden, während die New-Economy-Titel ihren Zenit erreichten. Seither konsoliderte sich die A-D-Line auf niedrigem Niveau.

Ausgerechnet die hässlichen Entlein der Wall Street sollen uns jetzt einen neuen Hausse-Zyklus bescheren?
Ja, daran besteht für mich kein Zweifel. Ein leiser, aber dauerhafter Bullenmarkt hat gerade begonnen.

Auf Ihrer Empfehlungsliste mit 59 Unternehmen finden sich Firmen wie Campbell Soup und La-Z Boy. Sie gehen wirklich davon aus, dass ein Polstersessel-Hersteller wie La-Z Boy oder ein Dosensuppen-Produzent derzeit eine bessere Anlage darstellt als beispielsweise der IT-Konzern Cisco?
Ah, ich sehe, Sie sind immer noch nicht vom Nasdaq-Fieber geheilt. Vergessen Sie Cisco für eine Weile, nicht als Unternehmen, sondern als Investment. Natürlich traue ich Aktien wie Yahoo oder CMGI durchaus zu, sich wieder zu erholen. Aber sie werden ihre alten Höchststände für eine lange, lange Zeit nicht mehr erreichen, das kann ich Ihnen versichern.
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