Das Boot fest vertäuen und mit der Bahn hochfahren zum frühen Abendessen im Grandhotel Giessbach, einem Belle-Epoque-Tempel aus dem Jahr 1873. Es gibt Châteaubriand für zwei mit Aussicht auf den Brienzersee und die Giessbachfälle, wo das Wasser über vierzehn Stufen 500 Meter in die Tiefe stürzt. Nach den flambierten Crêpes mit Calvados-Apfelspalten und Vanilleglace geht die Fahrt mit dem Boot zurück in den Sonnenuntergang nach Hause, in die Wohnung mit Seeanstoss in Iseltwald im Berner Oberland.
So günstig wie in Iseltwald lässt sich der Traum vom Wohnen mit Seeanstoss kaum irgendwo in der Schweiz verwirklichen. Das haben die Immobilienexperten von Wüest & Partner mit ihrem ausgeklügelten Modell berechnet (siehe «Methodik» auf Seite 74). Die Experten suchten an den Ufern der grössten zwölf Schweizer Seen nach den günstigsten Arealen, die höchstens 30 Meter vom See entfernt liegen.
Im Ergebnis sind die Seeareale in den Gemeinden Nieder- und Oberried BE am Brienzersee zwar im Durchschnitt leicht günstiger als jene in Iseltwald (siehe Tabelle unter 'Downloads'). Allerdings liegen Ober- und Niederried auf der eher schattigen Seite des Sees, und zudem führen Bahnlinie und Autostrasse direkt hinter den Seeanstoss-Arealen durch. Dagegen ist Iseltwald ruhig gelegen, an der sonnigen Nordostseite des Sees.
Die Gemeinde hat vor allem als Feriendomizil viel zu bieten. Im Sommer wartet der See mit allen Wassersportmöglichkeiten auf, aber auch Wandern und Mountainbiking bieten sich in den umliegenden Bergen an. Zudem ist in Interlaken ein Funsport-Zentrum in nur 20 Minuten mit dem Postauto erreichbar. Dort findet sich auch ein Golfplatz. Mit dem Privatauto ist er dank dem nahen Autobahnanschluss sogar in bloss fünfzehn Minuten erreichbar. Für Wintersportler sind die Skigebiete Meiringen-Hasliberg und Grindelwald in nur 15 beziehungsweise 30 Minuten mit dem Auto erreichbar.
Trotzdem kostet der Wohnquadratmeter gemäss Modellschätzungen in Iseltwald durchschnittlich lediglich 8100 Franken. Ein Schnäppchen im Vergleich zu den Preisen in Küsnacht am Zürichsee, wo der Quadratmeter Wohnfläche über 25 000 Franken kosten kann. Dort hat Christian Wolfensberger, Manager bei der Rohstoffhandelsfirma Glencore und Ehemann der ehemaligen Miss Schweiz Fiona Hefti, erst kürzlich ein Grundstück am See samt grosszügiger Villa für geschätzte 30 Millionen Franken gekauft. Das scheint nicht übertrieben angesichts der Grösse des Anwesens von 2564 Quadratmetern.
Nur in Cologny GE am Genfersee hätte Wolfensberger für ein Haus am See noch tiefer in die Tasche greifen müssen als in Küsnacht: Über 35 000 Franken kann dort der Wohnquadratmeter kosten.
Kostentreiber See. Während in Cologny eine relativ neuwertige Vierzimmerwohnung am See mit 100 Quadratmetern also 3,5 Millionen Franken kostet, sind es in Iseltwald nur 810 000 Franken.
Natürlich sind 810 000 Franken immer noch viel Geld, aber Wohnen am See ist nun mal begehrt. «Seenähe ist einer der Top-Lagefaktoren», sagt Ronny Haase, Partner bei der Immobilienberatungsfirma Wüest & Partner. Schon Grundstücke mit Seesicht erzielen wesentlich höhere Preise als solche ohne. Wer weniger als hundert Meter von einem See entfernt wohnen will, muss bereits einen Aufschlag von rund zwölf Prozent bezahlen, errechneten die Experten. Sollen es weniger als 30 Meter Entfernung sein, sind gemäss Haase sogar Aufschläge von mehr als einem Viertel zu bezahlen. Die Seelage hat dafür auch geldwerte Vorteile: «Grundstücke an Seelagen sind wertbeständiger», sagt Haase. Denn die Zahlungsbereitschaft für solche Objekte bleibt tendenziell auch in wirtschaftlich schwachen Zeiten hoch.
Neben den Gemeinden am Brienzersee tauchen auch Bodenseegemeinden oft in der Liste mit den günstigsten Arealen am See auf. Allerdings verlaufen dort am Ober- und Untersee meist Bahnlinien und Autostrassen in der Nähe der Uferzonen.
Am günstigsten am Bodensee sind gemäss Modellrechnung von Wüest & Partner die Seeareale in Uttwil TG. Lokale Immobilienexperten zeigen sich darob allerdings überrascht und würden das nahe gelegene Salmsach TG günstiger einstufen als Uttwil. Uttwil überzeugt mit besserer Infrastruktur und ist nicht nur sonnig gelegen, sondern gehört auch zu den steuergünstigsten Gemeinden im Thurgau. Der Steuerfuss ist zwar nicht so tief, dass sich ein Umzug für Zürcher lohnen würde, aber es wohnen viele Thurgauer Pendler in Uttwil. Mit dem Fahrrad oder der Bahn ist Romanshorn TG in wenigen Minuten erreichbar, und von dort dauert es rund eine Stunde mit dem Zug nach Zürich. Wie gut gelegen Uttwil ist, haben inzwischen auch Investoren gemerkt. Gemäss Insidern sind in der Thurgauer Gemeinde derzeit zwei Mehrfamilienhäuser am See in Grobplanung.
Neuenburger Schnäppchen. Wohnen am See ist vor allem für Bootsfahrer und Segler attraktiv. Neben dem Bodensee bietet diesen der Genfersee die weitesten Ausfahrten. Am Genfersee liegen die günstigsten Seeareale in Saint-Gingolph VS. Der Ort ist westlich vom windigen Le Bouveret VS gelegen, wo jeweils Ernesto Bertarellis «Alinghi» ankerte und seine Mannschaft Testfahrten absolvierte.
Der Neuenburgersee ist der grösste See, der vollständig auf Schweizer Staatsgebiet liegt. Die Region rund um den See gilt bei Experten als zukünftige Tourismus-Boomregion.
Auch die Wirtschaft brummt im Kanton Neuenburg: Gemäss den jüngsten verfügbaren Statistiken ist Neuenburg gar der wachstumsstärkste Kanton der Schweiz – im Jahr 2011 stieg die Wirtschaftsleistung Neuenburgs um 8,2 Prozent. Eine steigende Wirtschaftsleistung führt meist auch zu steigenden Immobilienpreisen. Wer hier günstig dabei sein will, sollte in Vernay FR auf der Sonnenseite des Sees und in Boudry NE auf der Schattenseite nach Seearealen Ausschau halten.
Traumlage mit Makel. Oftmals liegen die günstigsten Seeareale an den schattigen Ufern oder in verkehrstechnisch schlecht erschlossenen Gemeinden. Das gilt insbesondere für den Vierwaldstättersee. Am zweitgrössten See, der vollständig auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft liegt, finden sich die günstigsten Preise pro Wohnquadratmeter in der Urner Gemeinde Bauen, die verkehrstechnisch schlecht erschlossen ist und am von hohen Felsen umgebenen Westufer liegt.
Am Walensee identifiziert das Modell von Wüest & Partner die günstigsten Seeareale in der Gemeinde Quarten SG. Der günstigste Seeanstoss befindet sich dabei auf der Nordseite des Walensees im zur Gemeinde Quarten gehörenden Quinten. Dort ist es zwar so sonnig und klimatisch milde, dass neben Wein auch Feigen und sogar Kiwis reifen können. Das hört sich alles sehr gut an, allerdings ist Quinten mit dem Auto nicht zu erreichen, sondern nur mit dem Schiff (ab Murg) oder zu Fuss.
Ein Ort ohne Autos hat durchaus etwas Attraktives, tendenziell wirke sich die schlechte Erreichbarkeit allerdings wertmindernd aus, erklärt Ronny Haase. «Die Wertminderung aufgrund schlechter Erreichbarkeit kann auch von einer sehr schönen Seelage nicht vollständig wettgemacht werden», sagt er. «Werden solche Gebiete aber verkehrstechnisch erschlossen, steigt der Wert der Seeareale überdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Lagen in einer Gemeinde.» Damit würden auch die Anreize grösser, schöne Lagen umzunutzen, etwa Industriezonen in Wohngebiete zu verwandeln.
Neben der Sonne und der verkehrstechnischen Lage haben auch Steuergesetze Einfluss auf die Preise von Seearealen. Ein Beispiel ist Schmerikon SG, die Gemeinde mit dem günstigsten Seeanstoss am Zürichsee. In der Nähe von steuergünstigen Gemeinden im Kanton Schwyz und an der Goldküste im Kanton Zürich, darf Schmerikon als Steuerhölle am Zürichsee bezeichnet werden. Mit einem Einkommen von 150 000 Franken muss eine Familie mit zwei Kindern jährlich schon rund 13 000 Franken mehr Steuern bezahlen als im Kanton Schwyz.
Auch sonstige gesetzliche Rahmenbedingungen beeinflussen die Immobilienpreise. Die Gemeinde Iseltwald etwa hat ein Ausländermoratorium erlassen, das noch rund drei Jahre dauert. Ausländern ist es demzufolge nicht erlaubt, Immobilien in Iseltwald zu erwerben. Das drückt die Nachfrage und auch die Preise.
Allerdings ist das Angebot an Wohneigentum in Iseltwald auch sehr beschränkt. Benjamin Hofstetter, Immobilienmakler bei Seepark Immobilien in Iseltwald, rechnet mit etwa drei Verkaufsangeboten von Occasionswohnungen pro Jahr.
Lähmende Zweitwohnungsinitiative. Derzeit sind zwei Angebote in der Gemeinde zu finden. Davon nur eine Wohnung in der Nähe des Sees, etwa 100 Meter entfernt. Die Dachwohnung mit Seesicht und 130 Quadratmetern ist für 485 000 Franken ausgeschrieben. Das ergibt einen Preis pro Wohnquadratmeter von rund 3730 Franken, was sie gemäss der Modellrechnung von Wüest & Partner zu einem Schnäppchen macht. Allerdings erscheint der Grundriss der Wohnung etwas verwirrend, mit teilweise sehr kleinen Zimmern.
Dass das Angebot in Iseltwald so beschränkt ist, liegt insbesondere an der Zweitwohnungsinitiative. Rund 70 Prozent der Wohnimmobilien in Iseltwald seien Zweitwohnungen, erzählt Benjamin Hofstetter. Deshalb würden kaum mehr Neubauten in Iseltwald erstellt. Die kurz vor der Zweitwohnungsinitiative noch geplanten Projekte seien eingestampft worden.
Da die rund 400 Einwohner von Iseltwald hauptsächlich vom Tourismus und von der Landwirtschaft leben, ist das ein harter Einschnitt. Hofstetter rechnet darum in den nächsten Jahren mit einer Abwanderungsbewegung aus Iseltwald.
Im Licht der wirtschaftlichen Auswirkungen der Zweitwohnungsinitiative auf die Region ist es ein Tropfen auf einen heissen Stein, dass der Umweltschützer Franz Weber, der Urherber der Zweitwohnungsinitiative, in der Region auch ein grosser Wohltäter ist. Eine von ihm gegründete Stiftung hat das zu Anfang erwähnte Grandhotel Giessbach vor dem Abbruch gerettet. Es wurde dann in sieben Umbauetappen so vorbildlich renoviert, dass es heute wieder zu den schönsten und renommiertesten Häusern im schweizerischen Gastgewerbe zählt und ein Touristenmagnet geworden ist.