BILANZ: Herr Sottsass, an welchen Projekten arbeiten Sie gerade?
Ettore Sottsass: Wir, das heisst ich und die Kollegen meines Studios, arbeiten zurzeit an zwei schönen Architekturprojekten. Mein Vater, der Architekt war, hat in Bredazzo im Südtirol einen kleinen Bahnhof gebaut. Die Gemeinde hat mich jetzt beauftragt, die Station zu vergrössern und daraus eine Bibliothek zu machen. Das zweite Projekt ist ein Besucherpavillon für den Privatzoo eines Scheichs aus Qatar im arabischen Golf.

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In Qatar?
Ja. Das macht mir Spass. Denn wir, der Scheich und ich, haben zwar sehr unterschiedliche Denk- und Verhaltensweisen, er ist aber ein aufgeklärter Mann und wir diskutieren sehr viel. Ich habe für seine Villa auch schon ein besonderes Zimmer, eine Art Treffpunkt für die Frauen, gestaltet. Wenn ich so erzähle, fällt mir auf, dass ich oft sehr seltsame Sachen mache.

Gilt das auch für das Design?
Da sind die Wünsche der Auftraggeber nicht so ausgefallen. Wir entwerfen gerade einen Restaurantstuhl und arbeiten an einem Pfannensystem aus Edelstahl für eine italienische Firma. Das ist eine ziemlich komplizierte Angelegenheit. Denn alle machen jetzt Pfannen, sogar die Amerikaner und Japaner. Man weiss nicht genau, ob man auf Teufel komm raus etwas ganz Neues machen soll, um die Konkurrenz zu schlagen, oder einfach eine gute, schöne und nützliche Pfanne.

Helfen uns Ihrer Meinung nach gute, schöne und nützliche Dinge, um besser zu leben?
Ich glaube ehrlich gesagt nicht mehr an die Ideen des Bauhaus-Gründers Walter Gropius und der anderen grossen Meister, dass Design die Gesellschaft verbessern kann. Im Moment geschieht eher das Gegenteil. Ich glaube aber immer noch an ein Design, das sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Ich versuche immer, eine Alternative zum gängigen Industrie-Design vorzuschlagen. Das heisst, ich kann mich zumindest dafür einsetzen, dass die Menschen, die meine Objekte kaufen, zufriedener sind. Für die Industrie hat Design meist nur die Funktion, Produkte zu vereinfachen. Das ist eben purer Funktionalismus. Es gibt ohne Zweifel Momente im Leben, in de-nen es besser ist, wenn es in einem Raum wenig Objekte und Farben gibt. Es gibt aber auch Momente, da braucht man schöne Farben und warmes Licht. Dann kann in einem Raum auch ein Objekt stehen, das nicht glatt und farblos ist, sondern Emotionen ausdrückt.

Sind Sie da einer Meinung mit den Unternehmen, für die sie arbeiten?
Ich arbeite nur noch mit wenigen ernst zu nehmenden Firmen wie beispielsweise dem österreichischen Leuchtenhersteller Zumtobel zusammen, wo der Chef ein sensibler Mensch ist. In den meisten anderen Unternehmen bestimmen die Marketingabteilungen das Design. Wenn man ein Objekt entwirft, erzählt einem dann der Marketingchef, dass sich die Farbe nicht verkauft. Dann soll er es doch gleich selber machen – wie die Japaner. Dort werden die Designer schon direkt im Konzern ausgebildet.

Es gab aber ein Unternehmen, für das sie sehr gern gearbeitet haben: den Büromaschinenhersteller Olivetti. Mit ihrer knallroten Schreibmaschine Valentine für Olivettis sind sie 1969 auf einen Schlag berühmt geworden.
Ja, die Arbeit mit Adriano Olivetti und seinem Sohn Roberto hat mir viel Spass gemacht. Bei Olivetti herrschte damals ein intellektuelles Klima, das es heute nirgends mehr gibt. Adriano Olivetti war ein Politiker und Philosoph. Seine Basis war ein ethisches Verständnis vom Akt des Designs. Wir sprachen nicht nur über das Produkt für das Büro, sondern dachten darüber nach, wie die Menschen in den Büros leben und arbeiten. Adriano Olivetti bremste die Paranoia des Konsums. Er war auch ein sozialer Unternehmer. Für ihn war das Unternehmen eine öffentliche Institution und keine private Aggression.

Ende der Siebzigerjahre endete die Ära Olivetti. Warum hörten Sie dann auch auf, mit dem Unternehmen zu arbeiten?
Ich hatte damals ein Erlebnis, bei dem mir klar wurde, dass der Designer in der Industrie überflüssig ist. Damals sollte es eine Zusammenarbeit zwischen Olivetti, Bull und General Electric geben. Ich bin nach New York geflogen, um mit den Managern von General Electric über ihr Weiss zu sprechen. Alle ihre Geräte wurden in einem eklig-gelblichen Weiss hergestellt. Die Produkte sahen schon alt aus, bevor ihre Existenz überhaupt begann. Ich wollte die Manager überzeugen, eine neue Farbe auszuprobieren. Doch da war nichts zu machen. Das schreckliche Weiss gibt es heute noch.

Bei der Memphis-Gruppe, die sie dann 1981 in Mailand gründeten, war alles sehr farbenfroh. Sie entwarfen mit ihren Kollegen poppige und seltsam geformte Möbel, die in Tischlerwerkstätten hergestellt wurden. Der Name Memphis ist heute der Inbegriff für die Revolution des Designs. Was haben Sie revolutioniert?
Die Zeit der Auflehnung waren eigentlich die Siebzigerjahre als die Bewegung des radikalen Designs oder Controdesign entstand. Damals war die entscheidende Frage: Wollen wir Produkte für die Industrie oder für die Menschen entwerfen, die diese Produkte nutzen. Die Memphis-Gruppe war das Ergebnis dieser Debatte. Unser Ziel war es vor allem, ein intellektuelles Thema in der Praxis umzusetzen. Die Welt hatte sich daran gewöhnt, dass ein Tisch vier gleiche Beine hat. Wir stellten uns die Frage: Was passiert, wenn die vier Beine nicht gleich sind? Dieser Bruch mit Gewohnheiten und Gestaltungsregeln wurde zu einem Prinzip, nach dem wir unsere Möbel entwarfen. Ein weiteres Prinzip war und ist für mich, dass sich die Menschen mit ihrer sinnlichen Wahrnehmung auseinander setzen sollen. Das trauen sich die meisten heute gar nicht mehr.

Wie meinen Sie das?
Die Leute glauben, dass sie alles mit Logik und Intellekt lösen können. Dabei erfassen wir die Welt erst mit den Sinnen, dann mit dem Verstand. Ein Kleinkind weiss nichts von der Welt, aber es merkt schnell, dass Feuer brennt und dass es im Wald duftet. Während der Memphis-Zeit interessierte uns deshalb die Beziehung zwischen sinnlicher Wahrnehmung und Materie. Wir gingen davon aus, dass unterschiedliche Sinneserfahrungen eine neue Energie produzieren. Deshalb sind viele der Memphis-Möbel ein Mix aus billigem Plastiklaminat, edlen Holzarten, Keramik, Metall und allem möglichen.

War Memphis eine Gegenbewegung zum geradlinigen rationalistischen und funktionalistischen Design?
Wir erfanden ein neues Vokabular, in dem jedes Material eine andere Bedeutung hatte, weil es unterschiedlichen Sinneserfahrungen zugeordnet wurde. Damals waren wir von der Beat Generation beeinflusst, die die Umgangssprache und damit einen neuen Rhythmus in die Literatur eingeführt hat. Unser neues Vokabular hingegen sollte die klassischen, rationalistischen Gestaltungsprinzipien ausser Kraft setzen. Wir wollten, dass man Objekte stärker über die Sinne und weniger über den Verstand wahrnimmt. Ein Tisch ist ein konkreter Gegenstand aus einem bestimmten Material und kein Konstrukt aus geraden Linien.

Sind sind also ein Anti-Minimalist?
Nein, ich bin ein Maximalist. Ich suche das Maximum der sinnlichen Wahrnehmung. Dies kann man in einer glatten Fläche, aber ebenso in der tausendfach fragmentierten Oberfläche eines Brillanten finden. Ich bin kein Protestant und deshalb auch kein Purist. Die Welt besteht für mich aus Vielfalt.

Die Darstellung von Vielfalt war auch eine Stärke der Memphis-Gruppe. Ihre Möbel waren zum Teil aber so kompliziert, dass ihre Herstellung sündhaft teuer war. Am Ende landete die gesamte erste Kollektion nicht in irgendwelchen Wohnzimmern, sondern beim Zürcher Kunsthändler Bruno Bischofberger. Hat sie das geärgert?
Nein, warum denn? Die Möbel waren nie für den Markt bestimmt, sondern für eine Ausstellung. Bruno Bischofberger war von Anfang an ein Anhänger von Memphis. Wir haben bis heute eine gute Beziehung. Er bereitet in Zürich zurzeit eine Ausstellung vor, bei der je einem Objekt des klassischen Designs, zum Beispiel von Le Corbusier, ein neues Objekt von mir beigestellt wird.

Wie hat sich das Design in den letzten Jahren verändert? Erkennen Sie eine Tendenz?
Ich sehe vor allem die Tendenz, dass Design zum Stil wird, wie in der Mode. Wenn man für den Markt arbeitet, wird man «stilista», ein Modemacher. Deshalb verkaufen die italienischen Modemacher jetzt auch Möbel. Armani ärgerte sich unlängst darüber, dass Designer monatelang an einem Entwurf arbeiten. Er behauptet, dass er das an einem Abend schaffe. Er ist eben ein Modemacher. Die Mode ist ein grosses Spektakel. Mit Design hat das nichts zu tun. Design ist etwas Dramatisches.

Worin liegt diese Dramatik?
Wenn man sich Designer nennt, muss einem bewusst sein, dass man ein Desaster anrichten kann. Man muss eine Vorstellung von der Gesellschaft haben, für die man Projekte entwirft.

Sie haben einen ziemlich intellektuellen Zugang zu ihrem Beruf.
Ich denke einfach die ganze Zeit darüber nach, was ich eigentlich mache. Deshalb würde ich mich als Gegensatz zum künstlerischen Designer als theoretischen Designer bezeichnen, so wie es auch theoretische Mathematiker und Physiker gibt. Ich denke über den Beruf des Designers nach. Das ist wie alle intellektuellen Tätigkeiten eine ziemlich einsame Angelegenheit.

Sie reisen doch viel und treffen Leute.
Ja, aber früher bin ich viel mehr gereist. Ich wollte wissen, was die anderen so machen. Mich interessierten zum einen die unterschiedlichen Farben, die in Ägypten, Thailand oder Indien benutzt werden. Zum anderen sah ich mein Konzept bestätigt, das ich schon zu den Zeiten von Memphis entwickelt habe. Dank meiner Reisen, vor allem in orientalische und asiatische Länder, bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass ein gutes Design-Objekt eine starke Präsenz, fast etwas Sakrales haben muss. Es muss etwas kommunizieren.

Schon ihr Regal Carlton, eines der ersten Stücke der Memphis-Kollektion, wurde damals als eine Art Totem interpretiert. Das hing aber nicht nur mit der Form, sondern auch mit den ungewöhnlichen, knallbunten Farben zusammen. Sind die Farben für sie immer noch so wichtig?
Ja. Die Farbe ist für mich nicht nur Dekoration, sondern ein Grundelement der Konstruktion, wie die Struktur und das Material. Die Farbe hat eine Funktion sowohl beim Entwurf eines Objekts als auch beim Entwurf eines Hauses. Auch die antike griechische Architektur war farbig. Die Farben sind Ausdruck der mediterranen Tradition. Diese Tradition ist in unserer Architektur aber leider verloren gegangen.

Sie sind sehr kritisch mit der Welt. Glauben Sie auch an etwas?
Ich glaube an die Schönheit.

Michaela Namuth lebt und arbeitet als freie Journalistin in Rom.