BILANZ: Gäbe es so etwas wie einen Ein-Satz-Roman, läse der sich über das Leben von Helmut Bührle etwa so: Ein renommierter Designer und charismatischer Schöngeist, gerade 40 geworden, beschliesst nach zwei fast gleichzeitigen Ereignissen, der Geburt seiner Tochter Laura Chavin und dem Tod seiner Mutter Sophie Chavin, seinem Leben eine neue Richtung zu geben und der Welt etwas, das der Profession und Passion der Mutter Ehre erweist: eine vollkommene, unverwechselbare Zigarre.
Helmut Bührle: Es wird vieles verklärt, besonders im Nachhinein, auch wenn wir unheimlich stolz sind, meine Mitarbeiterinnen und ich, was wir in all den Jahren erreicht haben. Es war eine lange, sehr harte Zeit, in der ausser mir nur wenige an das Projekt glaubten. Und mit Geld allein, das können Sie mir glauben, hat man in der Welt des teuren Tabaks keine Chance. Aber meine Mama kannte glücklicherweise Gott und die Welt, vor allem die vier, fünf wirklich grossen Players in Übersee, zu deren Familien sie freundschaftliche Kontakte pflegte.
Ihre Tochter heisst Laura Chavin, wie Ihr zweites Lieblingkind, die Zigarren. Und ist mit 15 für Zigarren noch etwas jung.
Meine Tochter ist wunderbar und gleich schräg und verrückt wie ich selber. Meine Frau meint – ich sag das jetzt so, auch wenn ich nie verheiratet war –, dass Laura Chavin 99 Prozent von mir habe und nur ein Prozent von ihr. Meine erste Zigarre habe ich geraucht, als ich 14 Jahre alt war, heimlich. Kürzlich sah ich meine Tochter eines Sonntagmorgens auf der Couch rauchen und war zuerst fassungslos. Dann habe ich gesehen, wie sie raucht, und musste schmunzeln, weil sie mir offensichtlich einiges abgeschaut hat.
Jetzt geht Laura Chavin aufs Internat.
Ja. Und weil sie unbedingt wie alle anderen Schülerinnen eines dieser neuen Handys haben wollte, hat sie sich das Geld dafür bei unseren Partnern in der Dominikanischen Republik im Stundenlohn abverdient, in dem sie in mühseliger Arbeit aus Tabakblättern die Adern, den Blattstamm entfernte. Selbstverständlich wäre ich stolz, wenn ich Laura Chavin für die ganze Sache begeistern könnte, wenn sie die Geschichte, die ihren Namen trägt, irgendwann mal fortschreiben könnte. Ich will aber nichts forcieren, meine Tochter soll tun und lassen können, was ihr gefällt. Ganz so, wie das meine Eltern mit mir gehalten haben.
Sie haben für die Stuttgarter Kickers gespielt, später Textilwirtschaft und Marketing studiert, auch Betriebswirtschaft.
Mein grösster Traum war immer, Modeschöpfer zu werden. Paris war damals meine Stadt. Ich bin dorthin getrampt, nur um an diese farbigen, etwas zu knappen Pullovers zu kommen, die es damals bei uns noch nicht gab und die heute gerade mal wieder Mode sind. Über Jahre habe ich sie getragen und wie ein teures Musikinstrument gepflegt. In meinem jugendlichen Übermut malte ich mir aus, wie Pierre Cardin mich empfängt, wenn ich bei ihm anklopfe. Noch heute kann ich mich fürchterlich für Dinge begeistern und wie ein Kind freuen, wenn irgendjemand etwas zu Stande bringt.
Ihrem Flair für die Mode sind Sie jedenfalls treu geblieben.
Wie meinen sie das?
Sie tragen Massanzug, und die Schuhe scheinen auch Massarbeit zu sein.
Das hat viel mit meinem Elternhaus zu tun. Meine Mama liebte Hüte, ohne Hut, glaube ich, haben sie nur die wenigsten Menschen gekannt, und mein Vater liess sich seine Hemden und Anzüge immer bei Münch machen, einem Stuttgarter Schneider, und selbstverständlich trug er nur handgefertigte Schuhe. Ich selber bin seit Jahren Kunde beim jungen Münch, mag aber keine Doppelmanschetten mit Knöpfen wie mein Papa. Seit bestimmt 20 Jahren gehe ich auch zum gleichen Schuhmacher, zu Harai in Budapest. Dort sind immer acht Paar Schuhe von mir, solche, die besohlt werden müssen, das kann hier ja keiner mehr richtig, oder solche, die ich neu bestellt habe.
Sie sind ein starker Raucher, und wie Ihr Vater geniessen Sie nicht ausschliesslich Zigarren.
Mein Vater hat Overstoltz-Zigaretten geraucht, die findet man heute kaum noch, sehe ich aber ein Päckchen, kaufe ich es immer. Rauche ich keine Zigarre, stecke ich mir, falls ich Glück habe, eine Overstoltz an, meistens aber eine Lucky Strike, ohne Filter.
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Als Designer gefällt Ihnen natürlich die Lucky-Strike-Packung von Raymond Loewy.
Klar gefällt sie mir. Aber nur wegen des Designs würde ich nie etwas rauchen. Design ist für mich ein Unwort. Wie auch der Begriff Luxus. Nicht das Label ist entscheidend, sondern die Qualität, die Handarbeit, der Aufwand, die Zeit. Wenn sie mich fragen, was für mich Luxus bedeutet, käme mir spontan der letzte Freitagabend in den Sinn. Ich komme etwas spät heim, bin todmüde von der Arbeit, und bekomme auf dem Bettrand sitzend einen Teller mit in Olivenöl geschwenkten Bratkartoffeln.
Und Ihre Uhr, würden Sie die nicht als Designstück bezeichnen?
Sie ist eine meiner Arbeiten aus früheren Tagen, als ich auch viele Uhren entworfen und für Hermès, Ferré, Coveri, Byblos oder Davidoff gearbeitet habe. Sie verfügt über einen speziellen Falt-Schliess-Mechanismus, auf den ich sogar ein Patent habe.
Schloss Hochdorf, zwischen Stuttgart und Pforzheim gelegen, ist der Sitz Ihres Unternehmens.
1990 haben wir den zweigeschossigen Bau aus dem frühen Rokoko unter akribischer Beachtung des Denkmalschutzes umgebaut. Zu 80 Prozent ist das 1709 von dem Freiherren Phillip Heinrich von Tessin errichtete Schlösschen unterkellert, was für uns sehr wichtig war.
Der Gewölbekeller ist Ihre Schatzkammer, hier lagern Sie Ihre Dominikanerinnen.
Sie liegen in 10er- und 25er-Kistchen aus spanischer Zeder, gestapelt auf Tischregalen aus gleichem Holz. Die Wände der meterdicken Mauern sind mit schadstofffreier Kalkfarbe getüncht und der Boden ist mit Solnhofener Kalksteinplatten belegt. Die gefilterte Luft wird dreieinhalb Mal pro Stunde ausgetauscht, die Temperatur liegt bei konstanten 17 Grad und die Luftfeuchtigkeit bei exakt 72 Prozent.
Wie lange ruhen die Zigarren in Ihrem Hochdorfer Fort Knox?
Auf den Tag genau fünf Monate. Wir lassen unsere Zigarren zusammen reifen, damit sich die Aromen entwickeln und verheiraten. Wie bei erstklassigen Weinen wäre für das perfekte Aging eine noch längere Lagerdauer durchaus von Vorteil. Verbleibt eine Zigarre weitere 24 Monate in unserem Gewölbekeller, wird aus ihr eine Jahrgangszigarre. Und Jahrgangszigarren gehören meiner Meinung nach die Zukunft.
Der Zigarrenaufbewahrungsort scheint Ihnen besonders am Herzen zu liegen.
Eine Zigarre ist ein Naturprodukt, das lebt, das atmet, das auch ziemlich schnell verliert, wenn es nicht eine anständige Behandlung erfährt. Deshalb habe ich ein Zigarrenetui mit Befeuchtungssystem entwickelt, quasi einen Taschenhumidor, in dem Zigarren auch nach zwölf Tagen nichts von ihrer Qualität einbüssen.
Für Aufsehen bei Zigarrenconnaisseurs sorgt vor allem Ihr jüngstes Produkt, der «Humid’or». Sie selbst sprechen von einer neuen Humidor-Generation, von einem Quantensprung.
Ganz einfach, weil mein neuer Humidor das perfekt kann, was alle anderen so genannten Humidore zu können nur vorgeben. Nämlich einen exquisiten Zigarrenbestand über einen unbegrenzten Zeitraum professionell zu lagern und zu behüten, auch Jahrgangszigarren heranreifen zu lassen. Unser Gerät ist der erste Humidor, der sich selbst genauestens kontrolliert, steuert und reguliert, und das über Jahre.
Wie lange dauerte die Entwicklung des «Humid’or»?
Drei Jahre. Auf dem Weg zum möglichst perfekten Humidor haben wir die traditionsreichsten Kunsthandwerker besucht, die innovativsten Elektroniker und die erfahrensten Klimatechniker und uns mit den besten verbündet. In wochenlangen Messstudien in einem klimatechnischen Institut sind die Geräte auf Herz und Nieren getestet worden. Das Ergebnis macht uns stolz: Winzige Sensoren im Inneren des Humidors messen alle 30 Minuten die Temperatur, damit die notwendige einzustellende relative Luftfeuchtigkeit berechnet werden kann, ein Elektromagnet verzeichnet auf die Sekunde jedes Öffnen und Schliessen des Humidors, ein Ventilator sorgt konstant für eine gleichmässige Luftzirkulation mit Frischluftanteil, eine mechanische Verdunsterplatte öffnet und schliesst sich je nach Bedarf, ein patentierter Feuchtspeicher mit keimtötender Silbereinlage sorgt ohne Verwendung von Zusatzmitteln für den sicheren Betrieb. Die wahre Errungenschaft liegt aber im Verborgenen: ein winziger Mikrochip, der das perfekte Zusammenspiel aller Komponenten steuert.
Ihr «Humid’or» wird bereits als «Maybach unter den Humidors» gefeiert. Noch mehr gefreut haben dürfte Sie die Auszeichnung der «Financial Times», welche Ihre «Laura Chavin Concours des Meilleurs Connaisseurs» als «die beste Zigarre der Welt» bezeichnet.
Ich bin kein Mensch der Superlative. Es gibt 3000 Zigarrenmarken auf der Welt, 2900 davon sind Zigarren ohne Charakter, und um unter die ersten 50 zu kommen, muss man Jahr für Jahr in der Lage sein, den besten Tabak zu kaufen und Garantien haben, auch noch in zehn Jahren die gleich gute Ware zu bekommen. Laura Chavin ist ein junges Unternehmen, das langfristig plant. Die ersten Gespräche führte ich 1991 in der Dominikanischen Republik, erhielt aber erst drei Jahre später feste Zusagen. 1994 kaufte ich für Laura Chavin erstmals Tabak und 1998 stellte ich an der Tabakmesse in Dortmund meine ersten Zigarren vor, sechs Kistchen. Es war ein totaler Reinfall, das nach all den vielen investionsreichen Jahren. Aber das hat uns damals nur weiter angespornt. Und wie Sie sehen, war unsere Geduld und der Glaube an das Gelingen stärker als alle Schwierigkeiten. Über mangelnde Nachfrage können wir uns wirklich nicht beklagen.
Die «Concours des Meilleurs Connaisseurs» ist Ihre teuerste Zigarre und eine Rarität. Sie kostet 33, das 25er-Kistchen 825 Franken, und in einem Moskauer Restaurant, heisst es, werde für die Zigarre 145 Dollar verlangt.
Die Produktion der «Concours des Meilleurs Connaisseurs» ist auf 500 Kistchen limitiert. Die Zigarre, eine Belicoso, also ein schwierig zu drehendes Pyramidenformat, ist 152 Millimeter lang und hat einen Durchmesser von 20 Millimetern. Die Tabakmischung bleibt unser Geheimnis, verraten kann ich nur das Novum der Fertigung: Unter dem Deckblatt verbirgt sich ein zweites, hauchzartes Blatt, erst dann folgt das Umblatt, welches die Einlage umschliesst.
Entwickelt sich eine fertige Zigarre über Jahre anders als jahrelang gelagerter Rohtabak?
Ja. Eine CMC aus dem Jahr 1999 hat einen unterschiedlichen Charakter als etwa die CMC aus dem Jahr 2003 aus vier Jahre länger gelagerten Rohtabaken.
Neben den Laura-Chavin-Zigarren, die von No. 11 bis No. 99 nummeriert sind, gibt es auch die «Pur Sang».
Ihren Namen haben diese Vollblutzigarren meiner Liebe zum Galopprennsport zu verdanken. Ihr Geschmack ist unverkennbar wie die Tabake. Verwendet werden unter anderem Corona, jahrelang perfekt ausgereifte Blätter von der Spitze der Tabakpflanze, die erst dann gepflückt werden, wenn sie von der Sonne getrocknet und fast pechschwarz sind.
Können Sie erklären, was es mit dem Namen Chavin genau auf sich hat.
Chavin wird Schawien ausgesprochen. Alle Frauen der Familie mütterlicherseits trugen diesen Namen. Die Herkunft ist geheimnisvoll, der Name könnte von einem sagenhaften Inka-Stamm herrühren, vielleicht aber auch von Chavva, dem hebräischen Namen für Eva, oder von Chawer, einem rabbinischen Ehrentitel.
Und wenn wir schon bei Namen sind ...
Nein, wir sind nicht mit den Schweizer Bührles verwandt, auch wenn meine Mama und mein Papa beide in der Schweiz geboren sind.
Vor über 100 Jahren gab es schon einmal einen Schwaben, der sein Produkt nach seiner Tochter benannt hat.
Klar, Mercedes. Aber das ist wirklich eine andere Geschichte.
Sie selbst fahren aber Mercedes?
Ich finde Autos Klasse. Zehn Kilometer von hier werden Porsches gebaut, aber nicht nur deshalb fährt meine Frau ein Carrera Cabrio. Ich selber bin mit einem Porsche Cayenne Turbo oder einem Mercedes 500 SL unterwegs.