BILANZ: Zwei Jahre nach dem Kollaps von Lehman Brothers zeigt sich der Schweizer Markt für strukturierte Produkte in einer relativ robusten Verfassung. Was sind die Gründe für diese Entwicklung?
Christian Reuss: Ich sehe zwei Hauptgründe. Einerseits sind wir der berechtigten Forderung nach mehr Transparenz mit verschiedenen Massnahmen rasch nachgekommen, etwa mit der Risikokennzahl Value at Risk oder der vom Schweizerischen Verband für Strukturierte Produkte (SVSP) lancierten Swiss Derivative Map. Auch haben wir im Juli drei Benchmark-Indizes lanciert, die es den Anlegern erlauben, die Renditeentwicklung von Produkten in derselben Anlagekategorie besser zu vergleichen. Andererseits haben sich strukturierte Produkte trotz heftiger Kritik etabliert. Die meisten Produkte funktionierten vor der Krise, und sie funktionieren heute noch immer. Unter dem Strich sind strukturierte Produkte eine der wenigen Anlageklassen, die es ermöglichen, sich effektiv gegen fallende Kurse und steigenden Volatilitäten abzusichern. Das sind Eigenschaften, die geschätzt werden.
Mit welchen Massnahmen wollen Sie die Transparenz und die Produkte selber weiter verbessern?
Es gibt eine Reihe von Aktivitäten. Ein Schwerpunkt ist die Weiterentwicklung der Scoach-Website. In Kürze wird bei uns ein Product Finder aufgeschaltet. Er erlaubt es den Anlegern, mit wenigen Klicks das für sie passende Vehikel aus einem Angebot von 30 000 Produkten herauszufiltern. Daneben planen wir, ab Ende Jahr einen neuen Marktreport zu publizieren. Er wird Daten und Statistiken enthalten, die einen vertieften Einblick in die Marktstruktur gewähren. So können die Umsätze einzelner Anlagekategorien mittels einer Buy-back-Statistik analysiert werden. Der Investor sieht, ob die Anbieter ihre Produkte verkaufen oder zurückkaufen, und erhält dadurch Rückschlüsse auf die Endnachfrage. Und wir wollen den Markt für pfandbesicherte strukturierte Produkte, die Collateral Secured Instruments (COSI), ausbauen.
Stichwort COSI: Sind Sie mit der bisherigen Marktentwicklung zufrieden?
Wir stellen einen positiven Trend und immer mehr Akzeptanz fest. Inzwischen sind über eine Milliarde Franken in COSI investiert. Mittelfristig hoffen wir, weitere Emittenten und neue Kundengruppen zu gewinnen. Denn die von der SIX Swiss Exchange lancierten COSI sind europaweit für strukturierte Produkte die beste Antwort auf das Problem des Emittentenrisikos.
Kritiker bemängeln jedoch, dass COSI nur Schweizer Emittenten zugänglich seien und keine hundertprozentige Sicherheit böten?
Die erschwerte Zugänglichkeit für ausländische Emittenten ohne Schweizer Sicherungsgeber ist tatsächlich ein Schwachpunkt. Die SIX Swiss Exchange arbeitet aber intensiv daran, die offenen Fragen zu klären. Den Vorwurf bezüglich der Sicherheit muss man differenzierter betrachten. Denn die Liste der Wertpapiere, die als Sicherheit akzeptiert werden, ist begrenzt. Diese qualitativ hohen Vermögenswerte werden zusätzlich mit einem prozentualen Sicherheitspuffer versehen, einem Haircut. Es ist klar, dass in einer massiven Finanzkrise auch qualitativ gute Wertpapiere verlieren können. Diesem Marktrisiko unterliegen alle Anlageprodukte. Das Emittentenrisiko hingegen kann mit COSI-Produkten günstig und effektiv ausgeschaltet werden. Diese beiden Aspekte, das Markt- und das Emittentenrisiko, muss man dabei genau auseinanderhalten.
Wie wird sich der Markt für strukturierte Produkte weiterentwickeln? Stehen für Sie spezielle Themen oder Produkte im Fokus?
Es ist schwierig, eine Prognose zu Produkten und Themen abzugeben. Es steckt ja in der DNA dieser Industrie, stets mit überraschenden Innovationen und Portfolioergänzungen aufzuwarten. Einen interessanten Trend stelle ich im Zusammenspiel von strukturierten Produkten und Exchange Traded Funds (ETF) fest. Zwischen diesen beiden Kategorien haben sich Strukturen wie COSI, Exchange Traded Notes (ETN) und Exchange Traded Commodities (ETC) angesiedelt. Obwohl die Angebotspalette auf den ersten Blick verwirrend erscheint, können einzelne Anlagevehikel strukturell klar unterschieden werden. Für den Anleger ergibt sich ein Angebot passiver Produkte, aus dem er das Passende herausfiltern kann.
Christian Reuss (35) ist seit Juni 2009 CEO der deutsch-schweizerischen Derivatebörse Scoach. Zuvor leitete er bei Goldman Sachs in Zürich den Vertrieb von strukturierten Produkten in der Schweiz, Deutschland, Österreich und Italien.