Vermissen Sie das freie Referieren? Das war schliesslich eine Ihrer ausgesprochenen Stärken als Minister in Deutschland.
Karl-Theodor zu Guttenberg: Ich vermisse es überhaupt nicht, nein. Das hatte ich einige Jahre über alle Massen – und damit in meinem Leben genügend Möglichkeiten, meine Eitelkeiten zu bedienen. Letzteres muss ich heute wirklich nicht mehr.
Jetzt sind Sie Investor. Das ist weit weg von der grossen Bühne.
Gott sei Dank. Es war die Rückkehr in ein normales Leben. Aber manchmal drängt es mich, Ideen, die mir nah am Herzen liegen, auch mit andern zu teilen und zu testen. Und da bietet sich an der einen oder anderen Stelle auch mal ein Podium an.
Seit 2011 sind Sie in den USA. Können Sie sich ein politisches Comeback vorstellen?
Derzeit nicht. Ich hatte die Möglichkeit, in interessanten politischen Positionen etwas auf den Weg zu bringen und es auch geschafft, einiges zu versemmeln. Es war schon ein sehr ausfüllendes Kapitel meines Lebens.
Da könnte man ja noch eines anhängen.
Es liegt nicht in meinem Planungshorizont, noch einmal in die aktive Politik zurückzukehren. Man verliert nicht die Leidenschaft für politische Themen, aber man verliert die Leidenschaft für das politische Leben.
Nervt es Sie, dass Sie immer noch auf die Plagiatsaffäre angesprochen werden, die zu Ihrem Rücktritt führte?
Nein. Das passiert ganz zu Recht, sie war ja schliesslich von eigner Hand und eigener Dummheit geschaffen. Für mich selbst ist das Thema aber heute abgeschlossen.
Wir lassen die Vergangenheit gleich ruhen. Aber was war Ihre dunkelste Stunde?
Es war keine Stunde, eher Tage oder Monate, als die körperliche und geistige Belastungsgrenze erreicht war. Rückblickend sehe ich es aber als äusserst lehrreiche Phase. Ich hatte das Glück, aus meinen Fehlern und Schwächen lernen zu dürfen und dass mir das relativ früh im Leben passiert ist. Es ermöglichte mir die wunderbare Option eines kompletten Neuanfangs. Daher sehen Sie mich heute zufriedener denn je.
Was ist Ihr Rat an jemanden, der in eine ähnliche Situation gerät?
Schlüssige Konsequenzen zu ziehen. Und dafür zu sorgen, dass man möglichst schnell die Freiheit in seinem Kopf wiedergewinnt.
Das taten Sie in den vergangen Jahren vor allem in den USA. Was hat diese Zeit mit Ihnen gemacht?
In den USA interessiert es erst mal keinen, welche Meriten man in seinem Vorleben hatte. Das macht einen sehr demütig, eröffnet aber auch Chancen. Deshalb war es für mich auch wichtig, nicht die klassische Ex-Politiker-Karriere einzuschlagen, Lobbyarbeit zu machen und an den Türen der ehemaligen Kollegen zu kratzen.
Und gelingt das in den USA einfacher als in Deutschland oder Europa?
Nicht zwingend. Ich wollte meiner Familie und mir etwas Distanz verschaffen. Und ich wollte in Themen eintauchen, deren Puls zu diesem Zeitpunkt schlicht in den USA schlug.
Welche Themen meinen Sie?
Einerseits neue Technologien sowie einige Grundfragen der Finanzmärkte, die ich für damals nur marginal in Deutschland abgedeckt sah.
Die Leute haben nie recht verstanden, was Sie mit ihrer Firma Spitzberg Partners in New York eigentlich machen. Sicher, Sie legen Geld an. Aber das war nicht Ihre Kernkompetenz in Ihrem früheren Leben.
Na ja, bevor ich in die Politik ging, war ich mitverantwortlich für die Familien-Holding. Es ist nicht so, dass wir da kein Geld angelegt hätten. Jetzt beraten wir bei Spitzberg Partners Technologieunternehmen in drei Kernfeldern, die sonst sehr kümmerlich abgedeckt und bei Nichtbeachtung sehr teuer werden: Erstens geht es um interkulturelle Kompetenz, wenn Produkte etwa ausserhalb des Stammlandes ausgerollt werden. Zweitens um die geopolitische Relevanz einer Technologie und drittens um die daraus erwachsenden regulatorischen Fragen.
Und wen beraten Sie?
Wir verbinden uns zum einen mit jungen Unternehmen. In der Regel machen wir diese Beratungsleistung gegen Aktienanteile. Und sind dann in der nächsten Finanzierungsrunde eventuell bereit, bei dem Unternehmen einzusteigen, weil wir es dann gut genug kennen, das Risiko einigermassen abschätzen können und die notwendige Vertrauensbasis auf beiden Seiten geschaffen haben. Zum anderen haben auch etablierte Firmen und grosse Investmenthäuser diesen Beratungsbedarf oder wir beteiligen uns an einem M&A Prozess.
Sind das nur US-Unternehmen?
Nein. Eine ähnliche Problemstellung haben wir auch bei europäischen Unternehmen festgestellt, die letztlich den Schritt in die USA, Kanada oder einen anderen Kulturkreis machen wollen. Dasselbe gilt für israelische Unternehmen, die nach Europa wollen, sowie für amerikanische oder europäische, die nach China schauen. Daraus hat sich die Kombination einer Beratungs- und Investitionsfirma ergeben, die sich sehr erfreulich entwickelt hat und an der ich noch mehr Spass habe, als ich mir ursprünglich vorstellen konnte.
Beraten oder investieren Sie auch in Schweizer Unternehmen?
Investieren ja, beraten im Moment nicht. Wir hatten schon Beratungsmandate bei Schweizer Unternehmen. Wir arbeiteten hier aber in der Regel projektgebunden.
Sie investieren in Startups aus jungen Branchen wie Blockchain, künstliche Intelligenz, Cloud-Computing. Oder ist das zu kurz gegriffen?
Das ganze Spektrum können Sie seriöserweise gar nicht abdecken. Big Data Analytics zählt etwa noch dazu. Man muss sich aber auf einige Kernbereiche konzentrieren. Sie sollten dieses Wechselspiel zwischen geopolitischer Relevanz und interkulturellen Fragen in besonderer Weise widerspiegeln.
Der Ex-Politiker
Name: Karl-Theodor zu Guttenberg
Funktion: Mitgründer und Präsident von Spitzberg Partners
Alter: 47
Familie: verheiratet, zwei Töchter
Ausbildung: Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Bayreuth
Karriere:
2002 bis 2011: Mitglied des
Deutschen Bundestags
2008 bis 2009: CSU-Generalsekretär
2009: Bundesminister für
Wirtschaft und Technologie
2009 bis 2011: Bundesminister der Verteidigung
Spitzberg Partners
Investment und Beratung: 2013 gründete Karl-Theodor zu Guttenberg die Firma mit Sitz in New York. Zu Guttenberg selbst ist heute Präsident, Mitgründer Ulf Gartzke führt die Geschäfte. Sie beraten mit einem international tätigen Team vor allem Technologie-Startups, aber auch einige etablierte Unternehmen. Gleichzeitig investiert die Firma oft in jene Jungunternehmen, bei denen Spitzberg Partners beratend tätig ist.
Sie haben mehrere Standorte.
Ja, in den USA, Kanada, Europa und China. Allerdings kleine Teams mit einer relativ hohen Flexibilität – je nachdem, wo unsere Experten benötigt werden.
Wohnen Sie noch immer in New York?
Ich wohne immer noch an der Ostküste. Ich verbringe die meiste Zeit in den USA, weil meine Familie dort ist, und bin US-Steuerbürger.
Bleibt das so oder haben Sie Pläne, zurück nach Europa zu kommen?
Europa ist meine Heimat. Aber für das Business ist es relativ egal, ob ich es aus den USA oder von Europa aus betreibe. Die einzige Frage, die sich stellen wird, ist, wo das Headquarter dann seinen Sitz hat.
Soll Ihr Unternehmen deutlich grösser werden?
Wir sind ein internationales Boutique-Unternehmen. Vor etwa zwei Jahren stand einmal die Entscheidung an, auf bis zu 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu expandieren. Ich entschied mich dagegen, da es hoch lukrativ war und ist, kleiner zu sein, und klein genug, um persönlich mit meinem Mitgründer Ulf Gartzke möglichst viele Prozesse persönlich zu begleiten.
Sie waren jetzt zwei Tage an der Crypto Finance Conference hier in St. Moritz. Spürten Sie ein Tal der Tränen, nachdem die Kurse so abgesackt waren?
Nein. Aber nach dem absurden Hype kehrt ein wohltuender Realismus ein. Da ist jetzt so mancher Enthusiasmus mal gebügelt worden.
Sie verfolgen den Kryptobereich seit Jahren. Hatten Sie je in Bitcoin investiert?
Ich bin früh eingestiegen, als ein Bitcoin bei 30 Dollar lag. Ich bin nicht mehr drin – und mit dieser Entscheidung alles andere als unzufrieden.
«Wenn man vernünftige Kontrollelemente wegpustet, schafft man Gefährdungspotenziale.»
Karl-Theodor zu Guttenberg
Bitcoin muss Sie als eine ehemals den Staat tragende Figur doch zerreissen.
Im Gegensatz zu manchem Bitcoin-Jünger bin ich mit Sicherheit kein Anarchist. Eher ein Anhänger funktionierender internationaler Kooperation. Das erfordert ein gewisses Mass an Regeln, auf die man sich geeinigt hat.
Also keine rosige Zukunft für Bitcoin?
Ich halte es aus politischen und geopolitischen Gründen für eine Träumerei, dass sich eine Kryptowährung neben dem Geld der Zentralbanken so einfach und ohne erhebliche Widerstände gleichwertig etabliert. Zumindest wird da noch viel Zeit vergehen oder die Zentralbanken werden selbst diesen Schritt gestalten.
In der Krypto-Branche gibt es durchaus andere Ansichten.
Ich hab da einigen Leuten Wasser in den Wein gegossen und ihnen gesagt: Ihr müsst mal die Realitäten anschauen. Kein Staat wird sich seine Kernkompetenzen rauben lassen. Und zu diesen gehört die Geldpolitik.
Neue Technologien bringen manchmal neue Machtverhältnisse.
Wer glaubt, man könne nur mit dem hübschen Begriff Disruption die Geldpolitik einfach mal so wegkegeln, ist schon am Rande der Illusion.
Woran machen Sie Ihre Überzeugung fest?
Man müsste das nationale Empfinden aufbrechen. Gerade geschieht eher das Gegenteil. Die Null-Summen-Mentalität ist im Wachsen begriffen. Und diese Mentalität ist gekoppelt an ein steigendes Nationalbewusstsein.
Gleichzeitig prägen globale Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook unseren Alltag stärker denn je.
Richtig. Aber wir sehen ebenso eine brachiale Gegenbewegung von Staaten, die sagen, wir wollen uns die Schlüsselkompetenzen nicht nehmen lassen. An deren Spitze bewegt sich sehr geschickt China. Aber auch die USA werden den Teufel tun und sich allzu rasch komplett öffnen in Krypto- und gewisse andere Blockchain-Bereiche.
Wo also sehen Sie tatsächlich Chancen für Neuerungen?
Ein Unternehmen, mit dem ich viel arbeite, ist Ripple. Der Sektor des Correspondent Banking, etwa für Transaktionen über Landesgrenzen hinweg, hat sich seit den Medici im 15. Jahrhundert nicht wesentlich verändert. Und nun kommt einer, der sagt, es gehe effizienter. Indem man Intermediäre rausnimmt.
Den Intermediär als Zensurinstanz will auch Bitcoin ausschalten.
Mir fällt es schwer, ein Beispiel zu finden, wo Anarchie eine bessere Gesellschaft geschaffen hätte. Die Frage lautet: Ist der Intermediär eine Kontrollinstanz oder gibt es ihn bloss, weil sich daran ein Geschäftsmodell und nichts anderes koppelt? Beim Correspondent Banking sind oftmals Banken dazwischengeschaltet, bei denen der Kontrollaspekt marginal ist und wo es nur noch darum geht, entsprechend abzugreifen. Das obsolet zu machen, ist ein wunderbarer Schritt.
Aber nicht so radikal.
Wenn man durchaus vernünftige Kontrollelemente auch noch wegpustet, schafft man Gefährdungspotenziale. Die Apologeten der radikalen Ansätze werden nicht die politische Unterstützung erhalten, wenn sie jedes Mal nur Maximalforderungen stellen.
Jetzt sind wir schon wieder bei der Politik gelandet. Eben wurde Markus Söder neuer CSU-Vorsitzender. Hätten Sie auch Parteichef werden können?
Nein, das ist ausgeschlossen. Nicht wenn man acht Jahre ausserhalb der Politik ist und vor allem nicht, wenn man wie ich klar und deutlich gesagt hat, dass eine Rückkehr in die Politik nicht ansteht.
Die Grosse Koalition tritt auf der Stelle. Bedeutet das Ende der Ära Merkel auch ein Ende des Stillstands in Deutschland?
Die Frage ist, wie man Stillstand definiert. Deutschland ist unter der Kanzlerschaft Merkels in Europa mit am besten durch die Finanzkrise gekommen. Manche bezeichneten schon das als Stillstand. Ich würde sagen, das war verdammt gutes Krisenmanagement. Aber das Problem in einer grossen Koalition ist grundsätzlich, dass man eher zu Stagnation als zu Kreativität neigt.
Viele Bürger und Politiker äusserten den Wunsch nach dem Ende dieser Koalition.
Ich hätte mir auch eine andere Konstellation vorstellen können. Nun ist es, wie es ist, und es wird nicht zwingend einfacher für Annegret Kramp-Karrenbauer als Merkels Nachfolgerin an der Parteispitze – weil sie letztlich in dieses Koalitionserbe eintritt. Ich glaube nicht, dass man das mit nur einem Handstreich in ein neues Muster giessen kann.
Wie sollten die grossen Volksparteien im Jahr 2019 auf die AfD reagieren?
Ich habe immer den Eindruck gehabt, dass man in der Politik am ehesten mit einem offenen Visier Wirkkraft erzielt. Die Menschen erwarten, dass die etablierten Parteien sich nicht verdruckst mit der AfD auseinandersetzen. Das findet aber auch zunehmend statt.
Die EU steht vor einigen Problemen – der Brexit ist nur eins davon. Frankreich kämpft mit innenpolitischen Problemen. Kann Deutschland zu einer Lösung beitragen?
Ich würde mir aus Berlin zukunftsorientierte Impulse wünschen, was die Vorstellungen eines stabilen Europa anbelangt. Eine solche Vorstellung wurde in den letzten Jahren umfassend nur vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron geäussert. Er hat kaum mehr als donnerndes Schweigen aus Deutschland erhalten.
«Macron hat kaum mehr als donnerndes Schweigen aus Deutschland erhalten.»
Karl-Theodor zu Guttenberg
Droht Europa zerrieben zu werden?
Europa war nie ein Europa der gleichen Geschwindigkeiten. Das muss zunächst nicht schlecht sein. Solange die Verträge aber nur Wunschdenken abbilden, muss man nicht überrascht sein, wenn es gleichzeitig schwerfällt, Stärke zu entwickeln. Das ist die Aufgabe, die in den nächsten Jahren zwingend ansteht. Sonst drohen wir zwischen den beiden andern Grossmächten, den USA und China, zerrieben zu werden.
... oder zum Anhängsel Chinas zu werden.
Zumindest versteht es China sehr gut, von der Zerrissenheit Europas zu profitieren. Ich betrachte es mit einiger Sorge, wie weit der Einfluss Chinas insbesondere in Osteuropa steigt. Das kann Gräben vertiefen. Europa muss sich zwingend besser aufstellen.
Wie denn?
Das beginnt bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Solange wir immer noch das Dogma der Einstimmigkeit haben, muss man sich nicht wundern, wenn man keinen Schritt weiterkommt. Da kann man noch lange von einer europäischen Armee fabulieren.
Was ist mit Trump im Jahr 2019?
Charakterlich halte ich ihn für unerträglich und politisch agiert er mit der Abrissbirne. Man muss aber damit rechnen, ihn noch eine weitere Legislaturperiode zu haben, sollte es den Demokraten nicht gelingen, einen plausiblen Kandidaten oder eine plausible Kandidatin aufzustellen, der auch in die Mitte hineinwirkt. Und: Wenn die Demokraten den Fehler machen, dem trumpschen Verhalten eine ähnlich gelagerte Hysterie entgegenzusetzen, wird damit kein Staat zu machen sein.
Sind Sie eigentlich oft in der Schweiz?
An Weihnachten sind wir immer in den Bergen. Auch sonst bin ich regelmässig da, habe viele Bekannte und Freunde in verschiedenen Städten. Ich schätze dieses Land sehr.
Stört es Sie, dass Sie überall KT heissen? Das klingt ja wie ein Beamtenkürzel.
Für manche ist es eher ein Beamtenlängsel, den vollen Namen auszusprechen. Ich wurde schon als Bub so genannt. Man gewöhnt sich daran. Aber wenn ein Südstaatler das KT etwas salopp ausspricht, dann stösst das Kürzel an Grenzen. Dann klingt es rasch einmal nach Katie.