Mit der Aussicht auf eine nachhaltige Erholung der Weltwirtschaft im Jahr 2004 konzentrierten sich die Anleger letztes Jahr auf drei Unternehmen in der Uhrenindustrie: LVMH, den symbolträchtigsten Wert der Branche, sowie Bulgari und Richemont, die sich im Turnaround befanden. Damit liessen sich in den vergangenen zwölf Monaten spektakuläre Renditen erzielen (Bulgari plus 104 Prozent, LVMH plus 76 Prozent und Richemont plus 72 Prozent).
Allerdings dürfte das Jahr 2004 von grosser Besonnenheit geprägt werden – die makroökonomischen Prognosen fallen viel uneinheitlicher aus als noch zu Beginn des letzten Jahres.
Angesichts der Währungspolitik, wie sie vor allem von der US-Notenbank betrieben wird, stellt sich die Frage, wie lange die gegenwärtige Expansionsphase wohl anhalten wird. Da zudem die Fundamentaldaten des Dollars mehr denn je auf eine weitere Abschwächung hindeuten, sorgte sein jüngstes Erstarken für einige Verwirrung auf dem Markt. Schliesslich sei erwähnt, dass die Branche 2003 ihre Gewinne zwar zu steigern vermochte und die Aussichten für 2004 weiterhin gut sind. Doch die Bewertung der Uhrenaktien ist mit einem durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 23 derzeit viel zu hoch.
Da in Europa die Konsumentenstimmung noch nicht aus ihrem Tief herausgefunden hat und das Wachstum hinter dem der restlichen Welt zurückliegt, sollten stark auf Europa ausgerichtete Unternehmen nicht unbedingt bevorzugt werden. Betroffen ist diesbezüglich vor allem die Swatch Group mit einem Anteil des Europageschäfts am Gesamtumsatz von 54 Prozent. Hermès mit 37 oder Richemont mit 43 Prozent stehen komfortabler da.
Ermutigende Zeichen kommen nach über zehn Jahren der Deflation aus der japanischen Wirtschaft. Da japanische Konsumentinnen und Konsumenten die Luxusgüter- und Uhrenindustrie entscheidend zu beeinflussen vermögen, darf man davon ausgehen, dass in diesem Land stark vertretene Marken profitieren werden. Günstig präsentiert sich hier die Ausgangslage für LVMH mit Louis Vuitton: 37 Prozent des Umsatzes werden in Japan erzielt, hinzu kommen 17 Prozent durch japanische Touristen. Auch Cartier (20 Prozent) und Bulgari (21 Prozent) sollten von der japanischen Konjunkturaufhellung profitieren können. Swatch, zu deren Umsatz das Land der aufgehenden Sonne weniger als zehn Prozent beisteuert, hat noch Aufholbedarf.
Wer heute über Anlagen im asiatischen Raum spricht, darf selbstverständlich China nicht vergessen, das zu den wildesten Fantasien Anlass gibt. Obwohl das langfristige Potenzial dieses Landes im Luxusgüterbereich unbestritten ist, wird die Nachfrage nur langsam anziehen und in einer ersten Phase die alteingesessenen Händler und Marken in Hongkong begünstigen. Die Visumserleichterungen und die Kapitalausfuhrerlaubnis haben zu einer explosionsartigen Zunahme des Tourismus aus Festlandchina geführt, von der alle Anbieter der Branche profitieren.
Die Swatch-Gruppe ist auf diesem Markt (wo sie seit Anfang der Achtzigerjahre Marken wie Omega und Rado verkauft) mit Abstand am stärksten vertreten, weshalb Omega neben der unerlässlichen Rolex Symbolcharakter zukommt. Gewissen Quellen zufolge soll die Marke in China zehn Prozent ihres Umsatzes erzielen. Am anderen Ende des Spektrums befindet sich Richemont, das diesem Eldorado vorsichtig gegenübersteht, obwohl Cartier ebenfalls zu den Vorreitern gehört. Als langfristigen Vorteil wird die Swatch-Gruppe die Olympischen Spiele 2008 in Peking und die Weltausstellung 2010 in Shanghai zu ihren Gunsten nutzen können.
Es ist bekannt, dass die Uhrenindustrie Jahr für Jahr einen beträchtlichen freien Cashflow generiert, mit dem sie ihr Wachstum aus eigener Kraft zu finanzieren vermag. Deshalb erstaunt es nicht, dass nur wenige Unternehmen aus dieser Branche an der Börse kotiert sind. Dieses finanzielle Manna kann aber auch zu strategischen Fehlentscheidungen führen. Zum Beispiel zu übermässigen Investitionen in Produktionsmittel oder ins Vertriebsnetz, zu gefährlichem Egozentrismus oder, etwas prosaischer, zu Übernahmegelüsten.
So gesehen, kann eine erneute Konsolidierungsphase nicht ausgeschlossen werden. Die letzten Jahre haben Spuren hinterlassen, vor allem bei den so genannten kleinen Marken. In der Tat bekunden immer mehr Familien oder lokal tätige Unternehmen Mühe, die erforderlichen Mittel für Management, Vertrieb und Marketing bereitzustellen, um mit der Globalisierung der Nachfrage Schritt zu halten. Zudem sehen sich einige Gesellschaften infolge des Drucks von Aktionärsseite veranlasst, der Kapitalrendite grösseres Gewicht beizumessen, wie der Verkauf von Ebel durch LVMH zeigt.
Sollten die grossen Marktteilnehmer (Swatch, Richemont, LVMH) Übernahmen tätigen, wäre dies für die Minderheitsaktionäre dieser Gesellschaften kurzfristig keine gute Nachricht. Empirische Studien zeigen nämlich, dass die Akquisiteure Monate nach der Ankündigung einer Übernahme oft eine enttäuschende Performance erzielen. Häufig handelt es sich bei den übernommenen Gesellschaften bekanntlich um nicht kotierte Unternehmen, deren Preis in Ermangelung objektiver Vergleichsdaten mitunter zu teuer eingeschätzt wird.
Ob die beschwichtigenden Worte der Hersteller realistisch waren, wird dieses Jahr erst ein Besuch bei den Detailhändlern zeigen. Unseres Erachtens steht es zurzeit um die Gesundheit der unabhängigen Detaillisten weit weniger gut, als es die Entwicklung der Börsenkurse der Uhrenkonzerne erahnen lässt. Man ist nämlich mit beachtlichen Lagerbeständen und vor allem in Europa mit weiterhin sehr zurückhaltenden Konsumenten konfrontiert.
Trotz guten Verkaufszahlen in den USA und in Asien wirkt sich die Entwicklung der bedeutendsten Währungen gegenüber dem Euro nachteilig auf jene Unternehmen aus, die ihre Jahresrechnungen in der europäischen Währung konsolidieren (LVMH, Richemont, Bulgari, Hermès). In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass LVMH ihren remdwährungsbedarf effizient absichert, während Richemont bewusst darauf verzichtet, auf die Gefahr hin, die Zeche einer weiteren Festigung des Euro bezahlen zu müssen.
Unter diesen Voraussetzungen sind wir für die nächsten zwölf Monate dem Luxusgüter- und Uhrensektor gegenüber zurückhaltend gestimmt. Zur Begründung seien die hohe Bewertung, die Besorgnis der Konsumenten über den Arbeitsmarkt, das Wechselkursverhältnis zum Euro und die jüngste Entwicklung der Börsenkurse genannt. Folglich ist am ehesten LVMH mit der grössten Japan-Exposure zu empfehlen sowie Hermès als das defensivste Unternehmen.
Speziell im Uhrenbereich wird das Produkt und die Innovationskraft in den kommenden Monaten an Bedeutung zunehmen und helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Zweifellos werden die Schranken zwischen der Modewelt und dem Mikrokosmos der Uhren immer durchlässiger; deshalb erwartet der Konsument, immer wieder mit neuen Produkten überrascht zu werden. So kommen dieses Jahr der Uhren- und Schmuckmesse Basel und dem Salon International de la Haute Horlogerie (SIHH) von Genf besondere Bedeutung zu – sie werden die Grundlage für Titelempfehlungen bilden.
Die Uhrenmarken müssen diese Messen nutzen, um ihre Innovationsfähigkeit und Attraktivität unter Beweis zu stellen, wertvolle Hinweise auf die von den neuen Markenverantwortlichen verliehenen Impulse zu geben (insbesondere Cartier) und den Puls der Einzelhändler zu spüren. Empfehlungen zu Swatch, Richemont und in geringerem Masse Bulgari oder LVMH werden davon abhängen.